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Ton und Wort. Aufsätze und Vorträge 1918 bis 1954 PDF

281 Pages·1956·6.032 MB·German
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WILHELM FURTWKNGLER TON UND WORT Aufsätze und Vorträge 1918 bis 1954 Mit 3 Bildern und 7 Notenbeispielen Siebente Auflage F. A. BROCKHAUS, WIESBADEN 1956 Einband und Umschlag nach Entwurf von Johannes Boehland Photos: österreichische Nationalbibliothek, Wien (1), Universitätsbibliothek Tübingen (1), Curt Ullmann, Berlin (1) V.Nr. W.268 Copyright 1954 by F. A. Brockhaus, Wiesbaden Printed in Germany Alle Rechte vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, das Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu verviel- fältigen. Satz u. Druck: Druckwerkstätten Koehler & Hennemann, Wiesbaden Das künstlerische Wirken Furtwänglers war sein Leben lang begleitet von dem Bemühen, sich darübe,r auch theo retisch Rechenschaft zu geben. Die hier zum ersten Mal gesammelt vorliegenden Aufsätze und Vorträge sind trotz des Reichtums der Themen, der Weite und Allgemein gültigkeit der Problemstellung durchaus Bemerkungen des im praktischen Kunstleben stehenden Künstlers zu seiner Kunst. Gedanken, deren authentische Bedeutung darin liegt, daß sie durch die schwere und drangvolle Schule des Lebens selbst, der unmittelbaren Erfahrung von Werk und Publikum geformt wurden. Sie geben einen lebendigen überblick über dreißig Jahre kulturellen Lebens. Gleich, ob sich dieser über ein Menschenalter an weit sichtbarer Stelle des europäischen Musiklebens wirkende Künstler mit Strawinsky, Hindemith, mit Brahms oder Bruckner, mit Wagner oder Nietzsche, mit dem Einfluß von Schallplatte und Rundfunk auf unser Musikleben oder mit der Ge schichte und Bedeutung berühmter Orchester beschäftigt, 'gleichviel, ob diese Gedanken vor dreißig Jahren oder heute niedergeschrieben wurden - sie berühren uns. überall empfinden wir das unmittelbar Erlebte, an uns Menschen von heute Gerichtete der Ausführungen. SuSE BROCKHAUS ANMERKUNGEN ZU BEETHOVENS MUSIK 1918 Ich will hier nicht von jenem Berühmten reden, den wir alle zu kennen glauben, der einen festen Besitz unserer Kultur ausmacht - sondern von einem an deren, einem auch heute noch viel Verkannten, viel Un verstandenen, viel Mißhandelten. Was wäre auch sonst über Beethoven zu sagen! Der Berühmte, den wir alle zu besitzen glauben, der musikalische Klassiker - man darf wohl fragen, ob dieser die heutige in die Zukunft schauende Jugend noch etwas angeht! Zwar wird er reichlich viel aufgeführt, auf die Mas sen scheint seine Anziehungskraft ungebrochen. Anders bei denNäherbeteiligten, bei denMusikern selber. Nicht nur, daß den „MannvomFach" dasAllzubekannte lang weilt, es scheint fast, je moderner, lebendiger, leiden schaftlich differenzierter heute einer empfindet, desto teilnahmsloser steht er Beethovenscher Musik gegen über. Woher das? Woher diese Widersprüche? Eine Hauptschwierigkeit bei Beethoven ist die: Ent gegen dem ersten Anschein bietet er - neben Bach der reinste und ausgesprochensteNur-Musiker,denwirken nen - dem „literarischen" Verständnis keinerlei Hand haben. Sein Werk, in sich selber gegründet, in sich sel ber lebend, bleibt letzten Endes gegen jeden derartigen von außen kommenden Versuch undurchdringlich ver- 7 schlossen. Die Anhaltspunkte, die die Persönlichkeit - soweit sie uns überliefert ist - gibt, führen nicht weiter als zur unklaren, verschwommenen Vorstellung eines ungebändigten Genies. Schon Goethe sah ihn so und sah darin genau so schematisch und falsch wie alle anderen. Natürlich, denn die einfache Erklärung für die rätsel volle Persönlichkeit, der Musiker Beethoven, war ihm verschlossen. Statt diesen in seinen Werken aufzusuchen, statt die Persönlichkeit mit ihren vielerlei verwirrenden Zügen vom Zentrum, eben vom Werk aus, anzuschauen, versucht man das Werk durch von der „Persönlichkeit" geborgte Züge zu „erklären", es dem „Verständnisse" näherzubringen. Man hält sich an gewisse markante Werke, die fünfte, die neunte Symphonie, deren leben dige innere Klarheit man als Tendenz mißdeutet und zu den eigenen Zwecken mißbraucht - man sucht, wo man kann, nach „Beziehungen" zwischen Werk und Leben - mehr oder weniger belanglose Übers,chriften, die der reine Musiker seinen Gebilden zuweilen zu geben beliebte, wie z.B. ,,Dankgesang eines Genesenen an die Gottheit" oder „Der schwer gefaßte Entschluß" werden zu Kardinalereignissen gestempelt. Dazu noch die Historiker, für die die Zeitgenossenschaft und schein bare geistige Verwandtschaft mit demsogenanntendeut sehen „Idealismus" das Stichwort gab. Schiller, Kant, Revolution, Freiheit - alles Dinge, mit denen der orga nisch schaffende Künstler nichts zu tun hat; aber die Deutung ist verführerisch, ist bequem. Drum hielt sie bis heute stich. So sah ihn auch Nietzsche. Beethoven, ein wilder, kindischer Idealist, der ohne Kenntnis der wirklichen lebendigen Welt blind seinen regellosen In stinkten folgt - das ist das Bild, das der Nachwelt ge blieben ist und das bis heute in fast allen Biographien in den mannigfaltigsten Varianten wiederkehrt. Wie 8 verschieden ist diese undeutliche, verschwommene Vor stellung von dem klaren, mächtig fortwirkenden Bilde, das wir von anderen Großen, etwa Goethe, haben. Beet hoven ist damit dem echten Mitleben so ziemlich ent rückt, zum pathetischen Popanz geworden. Dies „Genie in Person" - eine Vorstellung, an der die Einfältigen sich berauschen, über die die Klugen lächeln - diese Vorstellung ist falsch. Freilich war er von einer bewußt gebändigten Lebens führung recht weit entfernt; kaum je sahen wir einen Menschen mit so absoluten Forderungen dem Leben gegenübertreten, so unbedingt in ursprünglicher Un gebrochenheit seinen inneren Instinkten folgen. Das zeigt sein äußeres Leben. Wie anders aber die Werke. Nicht nur, daß dieser angebliche Sturm- und Wetter gott zugleich der Schöpfer der tiefsten beseligendsten Ruhe, der abgründigsten Frömmigkeit, der unschuldig beglückendsten Harmonie ist, die je in Tönen ausge sprochen wurde.Auch inmitten desSturmes,des furcht barsten Affektes - welche eiserne Ruhe und Klarheit, welch unerbittlicher Wille nach Beherrschung, Gestal tung alles Stofflichen bis ins Letzte! Welche beispiellose Selbstzucht! Niemals hat ein Künstler - bei diesem Drang ins Unbedingte - das „Gesetz" so tief erlebt wie er, niemals hat einer sich ihm so unerbittlich und so demütig gebeugt. Wieweit dies freilich von der heutigen Welt begriffen wird, ist sehr fraglich; Von dieser Welt, die - passiv und unproduktiv - nur noch ein Gesetz gelten zu lassen scheint, das der Wirkung, der „Wirkung um jeden Preis" bis zur Überrumplung des Hörers. Ob diese Welt noch empfinden will und kann, was ihr nicht entgegen kommt, sondern - gewissermaßen - von ihr fordert! Ob sie, gefangen in ihren eigenen Autosuggestionen, 9 noch gewillt und imstande ist, Gesetze zu begreifen, denen sie selber täglich ins Gesicht schlägt! Der erste und lange Zeit der einzige, der Beethoven wirklich erlebt hatte - von denen, die es öffentlich aus gesprochen haben - war Richard Wagner. Die Beet hoven gewidmeten Reden, Schriften, Aufführungen machen einen Teil seines Lebenswerkes aus. Klingt auch im einzelnen manches seiner Worte unseren Ohren etwas rhetorisch, so muß man an die Not denken, in der er sich befand, sein Wissen einer gleichgültigen und mißachtenden Zeit mitzuteilen. Dies Wissen war darum nicht minder echt. Daß im Grunde der Wissende von Beethoven so wenig „reden" könne wie etwa der Christ vom Glauben, wußte Wagner selbst am besten. Dies mag ihn auch schließlich zu dem charakteristisch zu sammenfassenden Ausspruch veranlaßt haben: ,,Es ist unmöglich, das eigentliche Wesen der Beethovenschen Musik besprechen zu wollen, ohne sofort in den Ton der Verzückung zu fallen." Es ist klar, daß damit, so subjektiv - und objektiv - richtig es ist,nicht gerade viel erreicht wird. Mehr prak tische Folgen hatte eine gewisse Tradition der Beet hoven-Interpretation, die ebenfalls ursprünglich auf Wagner zurückgeht und dann von Bülow weitergeleitet wurde. Wer freilich weiß, was dies Ding „Tradition" ist - wie bequem für den Historiker, den sogenannten ,,stilvollen" Dirigenten, wie irreführend für den leben dig Empfindenden, den Vollmusiker - wie schier unmöglich es ist, auch nur ein einziges Tempo wirklich getreu zu „überliefern" - wer weiß, daß auch beim Nachschaffenden das Goethesche Wort gilt: ,,Niemand kann etwas machen, was er nicht vorher is.t", den wird es nicht wundernehmen, daß die Wirkungen dieser Tra dition auf die Dauer recht gering waren. 10

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