ebook img

Tohuwabohu / Sammy Gronemann: Kritische Gesamtausgabe Band 2 PDF

348 Pages·2019·1.17 MB·German
Save to my drive
Quick download
Download
Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.

Preview Tohuwabohu / Sammy Gronemann: Kritische Gesamtausgabe Band 2

Sammy Gronemann: Kritische Gesamtausgabe Tohuwabohu Conditio Judaica Studien und Quellen zur deutsch-jüdischen Literatur- und Kulturgeschichte Herausgegeben von Hans Otto Horch In Verbindung mit Alfred Bodenheimer, Mark H. Gelber und Jakob Hessing Band 92/2 Sammy Gronemann: Kritische Gesamtausgabe Tohuwabohu Herausgegeben von Jan Kühne und Joachim Schlör Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG WORT ISBN 978-3-11-062549-3 e-ISBN (PDF) 978-3-11-062937-8 e-ISBN (EPUB) 978-3-11-062580-6 ISSN 0941-5866 Library of Congress Control Number: 2019936232 Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.dnb.de abrufbar. © 2019 Walter de Gruyter GmbH, Berlin/Boston Satz: Dörlemann Satz, Lemförde Druck und Bindung: CPI books GmbH, Leck ♾ Printed on acid-free paper Printed in Germany www.degruyter.com Inhaltsverzeichnis Einleitung   VII  Zur Entstehung   VII  Zum Inhalt   IX  Zur vorliegenden Ausgabe   X  Biographisch-Historischer Kontext   XII  Die Exzesse in Schitomir (Brief von Sonja Gronemann)   XVII  Zwischen Witz und Zeugnis   XX Editorische Hinweise   XXIII Danksagungen   XXIV Text Sammy Gronemann: Tohuwabohu   3  Goethe in Borytschew    5  Ein literarisches Unternehmen   30  Eine fromme Stiftung   48  Seelsorge   72  Paradiesäpfel   102  Ostergeläute   122  Posaunentöne   150  Der Minjan-Mann   176  Die Erstgeborenen   195  Abwehr   217  Pogrom   237  Die grosse Woche   259 Anhang Zur Rezeption   287  Auflagen und Verlage   287  Übersetzungen   288  Zeitgenössische Rezension   290  Kritische Rezeption   299 „Tohuwabohu“: Eine kleine Begriffsgeschichte   304 VI   Inhaltsverzeichnis Literaturverzeichnis   311  Abkürzungen   311  Primärquellen   311  Sekundärquellen   314 Personen- und Werkregister   319 Sach- und Ortsregister   321 Einleitung Zur Entstehung „Die leichte Form, die mir nun einmal eigen ist, täuscht oft darüber hinweg, daß ich es bitter ernst meine, in dem was ich sage und berichte“,1 schreibt Sammy Gronemann (1875–1952) in seinen Erinnerungen eines Optimisten.2 Immer wieder kommt er darin auf Anekdoten zu sprechen, die er „verwertet“ habe in seinem Roman Tohuwabohu, auf den sich diese Aussage bezieht und „in dem sich über- haupt kaum eine Episode befindet, die nicht auf tatsächliche Vorgänge“ zurück- gehe.3 Seinen Erinnerungen zufolge hatte Gronemann als deutscher Soldat in der Presseabteilung Ober-Ost in Kowno „eines Tages“ im Jahre 1916 jenen Anfangs- satz „hingeschrieben“, aus dem sich sein literarisches Erfolgsdebut Tohuwabohu chaotisch und in „labyrinthischen Irrgängen“ entwickelte:4 „Berl Weinstein hatte sich wieder einmal taufen lassen, und diesmal mit besonderem Erfolg.“ Wie jeder Witz verweist auch dieser auf einen ernsten Hintergrund. Hier ist es die Praxis des sogenannten „Shmaddgeld“5 – Geld, mit denen Juden zur Taufe gelockt wurden, und das sich hier ein osteuropäischer Jude auf findige Art und Weise zu Nutzen macht. Tohuwabohu entstand somit spontan aus einem Witz und entwickelte sich intuitiv: „Mir scheint, ich schreibe gar nicht, sondern irgend etwas anderes oder ein anderer schreibt durch mich. Jedenfalls ein seltsames Gespenst, das gerade meine Handschrift bevorzugt“, berichtet Gronemann seiner Frau Sonja in einem 1 Sammy Gronemann: Erinnerungen an meine Jahre in Berlin. Hg. Joachim Schlör. Berlin 2004, Kap. XXXIV, 275. 2 Entstanden sind diese Erinnerungen in den 1940er Jahren in Tel Aviv, wo 1946 der erste Band in hebräischer Übersetzung unter dem Titel Erinnerungen eines Jeckes, also eines deutschspra- chigen Juden erschien. In dt. Originalsprache wurden sie erst 2002 und 2004, in zwei Bänden von Joachim Schlör herausgegeben. Idem.: Erinnerungen. Hg. Joachim Schlör. Berlin 2002. Vgl. Idem: Erinnerungen eines Optimisten. Jedioth Chadashoth (23. 4. 1948 – 25. 3. 1949); Idem.: לש תונורכז הקי [Erinnerungen eines Jecken]. Übers. Dov Sadan. Tel Aviv 1946. 3 Idem., Erinnerungen, Kap. V, 58. 4 Idem., Erinnerungen an meine Jahre, Kap. XXXIV, 277. 5 Jidd. Kompositum aus dt. „Geld“ und hebr. „shamad“ (דמש), d.  h. „vernichten“. Im Jiddischen bezeichnet das Nomen „Schmad“ und das Verb „schmadden“ respektive Charakter und Akt des Übertritts zu nichtjüdischer Religionspraxis. Abraham Tendlau: Sprichwörter und Redensarten deutsch-jüdischer Vorzeit. Berlin 1934 (1860), 111. Vgl.: „Ein Meschummed!! […] ein Abtrünniger, der den Glauben seiner Väter, der sein Volk verraten und verlassen hatte.“ Unten, S. 253. Dank an Jakob Hessing für seinen Hinweis auf diese Praxis. https://doi.org/10.1515/9783110629378-001 VIII   Einleitung Brief vom 16. Dezember 1916, und fährt fort: „Aber es ist so. Es geht rascher, als ich denke, und ich lese mit Staunen und wie etwas ganz Neues, was ich eben geschrieben habe …“.6 Ende Dezember dann, mitten im Ersten Weltkrieg, bekam Gronemann Urlaub nach Berlin. Dort las er in „intimen Kreise bei uns zu Hause die damals vollendeten ersten fünf Abschnitte“ vor und war über die günstige Aufnahme, die sie fanden, sehr erfreut. Freilich muß ich gestehen, daß ich mir die Zuhörerschaft dadurch geneigt gemacht hatte, daß ich einen Karton Würst- chen – damals eine unerhörte Delikatesse in Berlin – mitgebracht hatte, deren Genuß während der Vorlesungspause sicher stimmungshebend war.7 Gronemann hatte ideale Bedingungen für das Verfassen seines Romans vorgefun- den, als er infolge des Separatfriedens von Brest-Litowsk (März 1918) von der Ost- an die Westfront versetzt wurde, wo er „in Brüssel, in dem netten Gartenhäuschen hinter der Pressestelle“ nun „alle Gelegenheit“ hatte, sich „in Muße der Arbeit an meinem ‚Tohuwabohu‘ zu widmen.“8 Seine amtliche Tätigkeit nahm nur wenig Zeit in Anspruch und so traf er sich auch regelmäßig mit Carl Sternheim, Grone- mann zufolge der „bedeutendste Satiriker und Komödienschreiber seiner Zeit.“9 Aus ihren gemeinsamen „täglichen Spaziergängen“ schöpfte Gronemann „viel Anregung“ und kehrte schließlich am Ende des Krieges, vom „Bazillus poeticus“ infiziert, heim – ein Heim, das sich damals noch in Berlin befand.10 Gronemanns literarische „Krankheit“, wie er seinen Roman bezeichnete, war „in ein ernsteres Stadium“ getreten:11 1920 wurde Tohuwabohu im Welt-Verlag veröffentlicht und sofort ein Bestseller, der kontroverse Reaktionen auslöste (s. Anhang). Zwischen Gronemanns Tohuwabohu und seinen Erinnerungen eines Opti- misten liegen dreißig Jahre deutscher und jüdischer Geschichte. Diese sind vom Standpunkt heutiger Leser vor allem durch die Shoah geprägt. In der Tat wollte Gronemann seine Zeitgenossen humorvoll vor pogrom-ähnlichen Entwicklungen warnen — mit seinem Roman Tohuwabohu, der nur zum gespielten Erstaunen seines Verfassers „vielfach als ein humoristisches Werk angesehen“ wurde.12 Denn Gronemann sah den Juden als einen „unverbesserlichen Optimisten“: 6 Gronemann, Erinnerungen an meine Jahre, Kap. XXXIV, 277. 7 Ibid. 8 Ibid., Kap. XXXVII, 304. 9 Ibid., 308. 10 Zum Einfluss der Urbanität auf Gronemann, Joachim Schlör: Das Ich der Stadt: Debatten über Judentum und Urbanität, 1822–1938. Göttingen 2005, 110, 419  f. 11 Gronemann, Erinnerungen an meine Jahre, Kap. XXXIV, 275. 12 Ibid. Einleitung   IX Auch im schlimmsten Fall – egal, was passiert – sagt er: „Auch dies ist zum Guten.“ Er ver- tritt jene Weltanschauung, die man im Deutschen mit „Wenn Schon“ bezeichnet. Um diese Weltanschauung zu verteidigen bedient er sich der Waffe des Witzes. Doch seinem Humor und Witz wird nie der tragische Hintergrund fehlen.13 Diese Ausgabe hat es sich daher zum Ziel gesetzt, Tohuwabohu als mehrschichti- ges, historisches Dokument lesbar zu machen. Sie will, nebst seinem Witz, auch dessen „tragischen Hintergrund“ erläutern, der in der zeitgenössischen Rezep- tion von der Würdigung des Romans als literarische, weil satirische Besonderheit des deutschen Zionismus überlagert wurde. „Von diesem klugen Buch kommt keiner los, der es nur aufblättert“, schrieb beispielsweise der Zionist Theodor Zlocisti 1920 in seiner Rezension von Tohuwabohu: „Ein Sprühfeuer von Witz, Spott und überlegenem Geist empfängt uns und jähe Lichter erhellen — schmerz- haft grell! — die dunkle Seele eines durcheinandergewirbelten Volkes, über das nur lächeln kann, wer es aufrichtig beweint.“14 Ein Lachen unter Tränen also,15 oder – so sah es Gronemann – ein sich unter Lachen verschleierndes Weinen und darüber hinweghelfendes Augenzwinkern. Zum Inhalt Die Handlung des satirischen Romans beginnt im Frühjahr 1903 im fiktiven, bei Wilna gelegenen Ort Borytschew mit einer Diskussion zwischen dem geset- zestreuen Jossel Schlenker und der scharfsinnigen Chane Weinstein über die religiösen Bestimmungen zum Schabbat. Dabei erweist sich Jossels halachisch begründete Argumentation Chanes Witz und Ironie gegenüber als unterlegen. In der Folge verlieben sich Jossel und Chane, heiraten und siedeln nach Berlin über, um mittels des Universitätsstudiums ihrem Freiheits- und Wissensdrang zu folgen sowie der beengenden Lebenswelt des östlichen Europa, nicht aber der jüdischen Tradition zu entfliehen. Anhand von Jossels und Chanes Erlebnissen zeichnet 13 Sammy Gronemann: „ידוהיה לש רומוההו החידבה [Jüdischer Witz und Humor]“. Bamah 45 (1945), 37. 14 Theodor Zlocisti: „Das juedische Chaos (Tohuwabohu)“. Ost und West 7–8 (Juli 1920), 199. 15 Ein Topos der Gronemann-Rezeption, das als Merkmal des jiddischen Autors Schalom Alei- chem gilt, und hier – im Jahre 1920 – schon vorwegnimmt, dass Gronemann später als „Schalom Aleichem der Jeckes“ in die Geschichtsschreibung eingehen wird. Angedeutet wird dabei auch eine Fortsetzung osteuropäisch-jüdischer literarischer Traditionen in der deutschen Literatur an- hand von Gronemanns Werken. Vgl. Theodor Weisselberger: „Sammy Gronemann zum Gruss“. Ostjüdische Zeitung (31. 5. 1936), 1. Schalom Ben-Chorin: „Der Schalom Alejchem der Jeckes Zu Sammy Gronemanns 25. Todestag“. Mitteilungsblatt des „Irgun Olei Merkas Europa“ 9 (4. 3. 1977). X   Einleitung Gronemann ein ebenso schillerndes wie humorvolles Porträt jüdischen Lebens in Berlin, ein Kaleidoskop grotesker Verzerrungen der jüdischen Tradition infolge der Emanzipation – ein striktes Festhalten an rigiden religiösen Vorschriften auf der einen und Abfall vom Judentum durch Assimilation und Konversion zum Christentum auf der anderen Seite. Das von Jossel verkörperte jüdische Leben im östlichen Europa wird dabei als natürliches Gleichmaß präsentiert, an dem die Lebensformen deutscher Juden satirisch kontrastiert werden. In Berlin lernt Jossel seinen Großcousin Heinz Lehnsen kennen, der in dessen Familie die zweite Generation von Konvertiten vertritt. Er lädt Heinz nach Bory- tschew ein, wo dieser zum ersten Mal das Pessachfest erlebt. Als beim rituellen Sederabend die Haustür symbolisch für den Propheten Elija geöffnet wird, nähert sich der Lärm eines Pogroms. Heinz versteht, dass Selbstwehr und politisches Handeln nötig sind. Sein Selbst- und Weltbild werden nachhaltig erschüttert. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland verdrängt er diese Erfahrung und wähnt sich in Sicherheit. Zur Zerstreuung reist er nach Baden-Baden. Im selben Zug befinden sich Jossel und Chane, die Heinz jedoch meidet. Während sich Heinz auf dem Weg zu einem Pferderennen mit trivialen Fragen beschäftigt, reisen Jossel und Chane zum sechsten Zionistenkongress nach Basel. Mit diesem indirekten Ausblick auf die Verwirklichung des modernen Judenstaats schließt der Roman. Zur vorliegenden Ausgabe „Kunstwerk?“ fragt Zlocisti in seiner Rezension von Gronemanns Tohuwabohu und gibt sich selbst Antwort: Gronemanns Tohuwabohu ist ein Dokument; ein Querschnitt durch die neujüdische Kultur- geschichte, durch den die Schichtungsbedingungen und Lagerungsverhältnisse nach einer katastrophalen seelischen Revolution sichtbar werden. Spätere Historiker werden dieses scheinbar so heitere Buch würdigen. Ob sie alle Pointen, Anspielungen, Beziehungen auch verstehen werden?16 Die Frage ist auch an uns heutige Leser gerichtet. Zlocisti konnte nicht ahnen, durch welche weiteren Schichten der deutsch-jüdischen Geschichte und der sie beinahe vollständig zerstörenden Katastrophe spätere Leser und Historiker sich arbeiten müssen, um sich dem von Gronemann beschriebenen Tohuwabohu zu nähern. Dabei fällt es schwer, Gronemanns noch im Jahre 1945 ausdrücklich geäu- ßerten Optimismus zu teilen, dass auch der „schlimmste Fall – egal, was pas- 16 Zlocisti, Das juedische Chaos (Tohuwabohu), 199.

See more

The list of books you might like

Most books are stored in the elastic cloud where traffic is expensive. For this reason, we have a limit on daily download.