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Tod und Gesellschaft: Sozialwissenschaftliche Thanatologie im Überblick PDF

310 Pages·2004·10.057 MB·German
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Klaus Feldmann Tod und Gesellschaft Klaus Feldmann Tad und Gesellschaft Sozia Iwissenschaftl iche Thanatologie im Oberblick I VS VERLAG FOR SOZIALWISSENSCHAFTEN - + III VI YlIU,AO FOR SOZI~LWISUNSCHAH[N VS Verlag fUr Sozialwissenschaften Entstanden mit Beginn des Jahres 2004 aus den beiden Hausern Leske+Budrich und Westdeutscher verlag. Die breite Basis fUr sozialwissenschaftliches Publizieren Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet Ober <http://dnb.ddb.de> abrufbar. 1. Auflage September 2004 Aile Rechte vorbehalten © VS Verlag fUr Sozialwissenschaften/GWV Fachverlage GmbH, Wiesbaden 2004 Lektorat: Frank Engelhardt Der VS verlag fUr Sozialwissenschaften ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.vs-verlag.de Das Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschOtzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des verlags unzulassig und strafbar. Das gilt insbesondere fUr Vervielfaltigungen, Obersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspei cherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten waren und daher von jedermann benutzt werden dOrften. Umschlaggestaltung: KOnkelLopka Medienentwicklung, Heidelberg Gedruckt auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier ISBN 978-3-531-14297-5 ISBN 978-3-322-95682-8 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-95682-8 Inbalt Einleitung. ............•.................•.........................................................•................ 7 Uberlegungen zu einer Soziologie des Sterbens uDd des Todes .................. l0 Theoretische Strukturierung des Arbeitsfeldes ........................................... 19 Der Korper und der physische Tod ............................................................. 26 Mortalitiit und Gesellschaft .........................................................................• 31 Geschlechtsspezifische Unterschiede der Mortalitat ................................... 36 Mortalitat und soziale Schicht ..................................................................... 39 Sozialgeschichte des Todes ...................•........................................................ 42 Vorindustrielle Kulturen ............................................................................. 42 Geschichte des Todes im Abendland .......................................................... 47 Todesbewusstsein und Todesideologie ......................................................... 62 Verdrangung des Todes ............................................................................... 62 Der "narurliche" Tod: das modeme Todesideal? ........................................ 87 Wert des Lebens, Lebens-und Sterbensqualitat .......................................... 92 Konzepte der Entwicklung des Todesbewusstseins ..................................... 98 Die Entwicklung des Todesbewusstseins von Kindem ........................... 99 Die Entwicklung des professionellen Bewusstseins von Arzten ........... 100 Das Sterben als Gegenstand der Entwicklungsforschung ..................... 101 Interaktion mit Sterbenden im Krankenhaus ........................................ 103 Der Verlauf der Trauer ......................................................................... 105 Zeichen und Bilder des Todes und die Mediatisierung ............................. 109 Mediatisierung des Todes ..................................................................... 112 Seele und Unsterblichkeit .......................................................................... 129 Das soziale Sterben •.•..••.•...•••.••...•....•.•........•..•....••.................•.•..••....•....••.... 146 Soziales Sterben in traditionalen Kulturen ................................................ 147 Exkurs: Sklaverei ................................................................................. 149 Soziales Sterben in der modemen Gesellschaft ......................................... 151 Soziales Toten ........................................................................................... 159 Biirokratisierung und Professionalisierung ......•.......................•.....•.......... 162 Institutionalisierung des Sterbens .............................................................. 162 5 Professionalisierung und staatliches Todesmonopol ................................. 168 Hospizbewegung ....................................................................................... 175 Der gute Tod, Euthanasie und Sterbehilfe ................................................. 179 Der gute oder richtige Tod ........................................................................ 179 Euthanasie und Sterbehilfe ........................................................................ 184 Suizid ............................................................................................................. 203 Theorien des Suizids ................................................................................. 204 Soziologische Theorien ........................................................................ 208 Traditionelle und moderne Selbstmordideologien ................................ 221 Selbstmordforschung und die Gestaltung einer humanen Gesellschaft ..... 233 Das Toten von (anderen) Menschen ........................................................... 239 Der gewaltsame Tod und die Sanktionierung des Totens .......................... 239 Gesellschaftliche Ursachen und Folgen des Totens .................................. 241 Exkurs: Sexualitat und (gewaltsamer) Tod. ............................................... 249 Das kollektive Toten, der Krieg .................................................................. 254 Moderne Totungssysteme .......................................................................... 261 Genozid und Angst vor dem Untergang des eigenen Kollektivs ............... 265 Trauer, Erinnerung und soziale Restrukturierung .....•......•............•......... 269 Der Tod in der modernen Familie ............................................................. 274 Die Zukunft von Sterben und Tod .......•.......•........•..........••...•...•................. 281 Literatur ....•.•....•.••...........••.•...•.••..•........•...•.•................................•..•........•... 293 6 Einleitung Thanatos ist der griechische Gott des Todes, der altere Bruder von Hypnos. Er geleitet die Menschen in die Unterwelt, zurn Hades. Thanatologie ist die inter disziplinare Wissenschaft des Todes, fUr die jedoch im deutschen Sprachraum bisher keine eigenstandige Lehr- und Forschungsstelle geschaffen wurde. Diese nomadisierende Wissenschaft wird von Theologen, Philosophen, Medizinern, Psychologen, Historikern, Soziologen, Ethnologen und anderen Spezialisten heimgesucht - und meist wieder nach einiger Zeit verlassen. I Thanatologie: interdisziplinare Wissenschaft von Sterben und Tod Es gibt vielfa1tige Griinde fUr die mangelhafte wissenschaftliche Institutionalisie rung der Thanatologie: • Diffusion des Todes innerhalb der modernen Gesellschaft (verschiedene Institutionen, Professionen, Wissenschaften etc.). Sterben und Tod werden je nach Subsystem (Wirtschaft, Politik, Erziehung, Gesundheit, Religion, Medien, Kunst, Naturwissenschaft etc.) unterschiedlich verarbeitet und ver waltet. • Kampf zwischen verschiedenen wissenschaftlichen Disziplinen urn das Thema. • Verhinderung der Institutionalisierung neuer Disziplinen durch die alten Disziplinen. • Sterbende oder Tote haben keine Lobby. • Professionalisierung der "fUr Sterbende Sorgenden" hat nicht bzw. ill zu geringem MaBe stattgefunden. Bei wichtigen gesellschaftlichen Entscheidungen im Todesbereich sind heute Sozialwissenschaftler kaurn gefragt, sondern hauptsachlich AngehOrige der me dizinischen, der rechtlich-politischen, militarischen und der kirchlichen Subsys teme. Von der Empfangnis bis zum Grabe werden die Menschen inzwischen medizinisch betreut und staatlich iiberwacht. Die diinnen Stimmchen kritischer Sozialwissenschaftler gehen in den kraftigen MannerchOren der Mediziner, Poli tiker und BischOfe unter. Menschliches Leben wird yom Anfang bis zum Ende medizinisch und recht lich kontrolliert. 7 Die Offentlichen Stellungnahmen zu Sterben und Tod haben einen nonnativen Oberhang. In der MedienOffentlichkeit auftretende Funktionare aui3em massive Wertungen irn Interesse ihrer Organisationen - ohne eine fundierte empirische Basis zur Verfiigung zu haben. Sowohl die theoretischen Grundlagen als auch die empirischen Forschungen iiber Sterben und Tod entsprechen haufig nicht den Standards, die z.B. in der Werbeforschung gelten. Allerdings ist die Fachdif ferenzierung und Professionalisierung in Teilbereichen schon fortgeschritten: Geschichte des Todes, Euthanasie und Sterbehilfe, Palliativpflege, Bestattungsri ten, Trauer, Suizid, Mord, Krieg, Genetik etc. werden jeweils von spezialisierten Medizinem, Historikem, Psychologen, Ethnologen, Suizidologen, Molekular biologen, Krirninologen oder Militarwissenschaftlem bearbeitet, wobei der Ge samtzusammenhang kaum bzw. nur klischeehaft thematisiert wird. Betrachtet man die modeme Gesellschaft systemtheoretisch, dann besteht sie vor allem aus teilautonomen Subsystemen (Luhmann 1984). Sterben und Tod wer den in dem jeweiligen Subsystem oder Feld (Bourdieu) codiert und "verarbei tet". Dies soIl beispielliaft in der folgenden Tabelle dargestellt werden. Beispiele for Themen Politik Militar, Krieg, staatlicher und nicht-staatlicher Terror Recht Strafrecht, z.B. Todesstrafe, Totung aufVerlangen Wirtschafi Lebensversicherung, Riistungsindustrie Medizin Lebensverlangerung, Dauerkoma, Reproduktionsmedizin Religion Jenseitsvorstellungen, ars moriendi Medien reale und fiktive Bilder des gewaltsamen Todes Kunst Ausdruck fUr intensive Emotionen, z.B. Trauer Bildung death education, "totes" Wissen Biologle Genetik, Alterungsprozess Ethnologje Vergleich von Todeskulten Geschichte historische Entwicklung der Todesvorstellungen Psychologje Einstellung zum Sterben, Todesangst Sozi%gie Mortalitat und soziale Ungleichbeit Abb. 1: Sterbethemen in Subsystemen 8 Dieser Einblick in die gesellschaftlichen und wissenschaftlichen Subsysteme, Institutionen und Felder gibt Hinweise auf die Vielfalt der Herangehensweisen, Professionalisierungen, Perspektiven, gruppenspezifischen Interessen und Inter aktionspotenziale. Es ist verstandlich, dass eine - fragmentierte - Gesamtschau nur in Lexika oder Enzyklopadien versucht wird (Bryant 2003; Kastenbaum 2003; Howarth/Leaman 2001) und Sozialwissenschaftler davor zurUckscheuen. Obwohl eine Person von einem so1chen Untemehmen liberfordert wird, soIl diese Schrift einen Uberblick liber die Soziologie von Sterben und Tod bieten, der weder zu undifferenziert ist, noch im Sumpf der Fakten ertrinkt. Eine solche Bereichsschau dient nicht nur akademischen Zwecken, also der Lehre und For schung, und der Weiterbildung der Professionellen in den genannten Bereichen, sondem auch der allgemeinen Aufklarung in einer gesellschaftlichen Situation der sich erweitemden personlichen Sinngebung und der Offentlichen Konflikte. 9 Uberlegungen zu einer Soziologie des Sterbens und des Todes Thanatosoziologie, die Soziologie des Sterbens und des Todes, ist innerhalb der deutschen Soziologie ein schwach entwickeltes und mangelhaft strukturiertes Gebiet (Feldmann 2003). 1m britischen bzw. anglophonen Bereich ist die Lage giinstiger. AuJ3erdem wird die Orientierung durch Theorievielfalt erschwert, wobei es Modestromungen gibt, z.B. die V orliebe fiir postrnodeme Konzeptio nen (Baudrillard, Bauman) und Foucault in den 80er und 90er Jahren. AuI3erdem wird haufig an die nationalen Gestalten angeschlossen, britische Soziologen wahlen Giddens, franzosische Thomas und deutsche Luhmann oder Habermas. Nur das schmale Blichlein "Uber die Einsamkeit der Sterbenden" von Elias (1982) wurde von Thanatologen aller drei Nationen rezipiert. Auch wie man sich dem Thema niihert, ist von sozialen und bistorischen Bedingungen abhangig. • Durkheim hat als Franzose, der im 19. Jahrhundert die grande nation ge Hihrdet sahl, das Thema Suizid behandelt, da er die Suizidrate als Indikator fiir Integration und Stabilitat eines Kollektivs ansah. • Jahrzehnte lang haben viele durch die Brille der Verdriingung des Todes das Feld betrachtet (vgl. Feldmann 1997, 32 ft). • In der neueren britischen Soziologie wird u.a. der Zugang zu dem Thema liber die Soziologie des Korpers gewiihlt (Seale 1998, 11 ft). Es gibt verscbiedene Moglichkeiten, in das Reich der Thanatosoziologie einzu treten. Auf vier Wegen wird es bier versucht: 1. 1m sozialwissenschaftlichen Raum nach Sterben und Tod suchen. 2. Die Leitgestalten der Gescbichte der Soziologie befragen (vgl. Feld mannlFuchs-Heinritz 1995a). 3. Grundlagentheorien fiir eine Erorterung des Themas heranziehen. 4. Die bistorische Entwicklung thanatosoziologischen Denkens nachzuvollzie hen. In den meisten sozialwissenschaftlichen Theorien und Untersuchungen wird der Tod nicht thematisiert - sowohl der Tod von Individuen als auch von Kollekti ven oder anderen sozialen Gebilden. Das Individuum, die Familie, die Gruppe I Ende des 19. lahrhunderts wurde das franzosische Yolk als "sterbend" und das deutsche Volk als ,,fruchtbar" und "wachsend" bezeichnet. 10 und die Gesellschaft wachsen, wandeln sich, erfiillen Funktionen, integrieren und desintegrieren sich, doch iiber ihr (unvermeidliches!) Ende wird kaum ge sprochen oder geschrieben. Implizit tradieren die meisten Sozialwissenschaftler in sakularisierter Form den Unsterblichkeitsglauben. Der progressive kritische Habitus der meisten Leitsoziologen huldigt dem Glauben an eine kontinuierliche Gesellschaftsverbesserung - an Todesbewaltigung. Allerdings weisen Termini wie Lebensqualillit, Entfremdung, Verdinglichung, Repression, Verdrangung, Versklavung, Herrschaft, Ausbeutung, soziale Un gleichheit oder Exklusion auf das Problem der Lebensverminderung und - verkiirzung und der gesellschaftlichen Unterdriickung potentieller Lebensau J3erungen.2 Die Proto-Soziologen des 19. Jahrhunderts, die sich in der Regel ihren National staaten verpflichtet fuhlten, haben sich primar um das Kollektiv und sein Uberle ben gekiimmert, der Tod der Individuen wurde ihnen kaum zum (soziologi schen) Problem. Sie wandten ihre Aufinerksamkeit auf GroJ3kollektive, vor al lem Staaten, Klassen, Rassen, Volker, Nationen und Kulturen. In Europa war bis zum Ersten Weltkrieg ein materieller und geistiger Imperia lismus, Ethnozentrismus und Rassismus vorherrschend, was sich in der gleich giiltigen oder akzeptierenden Haltung der europaischen Eliten gegeniiber Geno ziden und der brutalen Unterdriickung "minderwertiger" Gruppen und Ethnien auJ3erte. Der Tod des Einzelnen war ein pomposes Ereignis, wenn er ein leuch tender Reprasentant eines gefeierten Kollektivs war, der Tod der meisten ohne jede allgemeine Bedeutung - eine traditionelle Einstellung der europaischen Herrschaftseliten, die die zynische Vernichtung hunderttausender Menschen im Ersten Weltkrieg begiinstigte. Der heroische Tod auch des einfachen Mannes im Dienst des Kollektivs (vor allem des Vaterlandes bzw. der Nation) freilich wur de vor aHem im 19. Jahrhundert ideologisch hochgepappelt und iibte auch auf viele IntellektueHe seine Faszination aus. Friihzeitiges Sterben und regeImaJ3ige Totung von Personen und Kollektiven wurden von den abendlandischen Eliten als normal und "gottgegeben" ange sehen. 2 Ein das Thema des (sozialen) Sterbens betreffender semantischer Bereich ist das "Scheitem", dem ein soziologischer Sammelband gewidmet wurde (vgl. Feldmann 2004). 11

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