Schriften des Historischen Kollegs Herausgegeben von Lothar Gail Kolloquien 72 R. Oldenbourg Verlag München 2010 Der Koran und sein religiöses und kulturelles Umfeld Herausgegeben von Tilman Nagel unter Mitarbeit von Elisabeth Müller-Luckner R. Oldenbourg Verlag München 2010 Schriften des Historischen Kollegs herausgegeben von Lothar Gail in Verbindung mit Johannes Fried, Hans-Werner Hahn, Manfred Hildermeier, Martin Jehne, Claudia Marti, Helmut Neuhaus, Friedrich Wilhelm Rothenpieler, Luise Schorn-Schütte, Dietmar Willoweit und Andreas Wirsching Das Historische Kolleg fördert im Bereich der historisch orientierten Wissenschaften Ge lehrte, die sich durch herausragende Leistungen in Forschung und Lehre ausgewiesen haben. Es vergibt zu diesem Zweck jährlich bis zu drei Forschungsstipendien und zwei Fördersti pendien sowie alle drei Jahre den „Preis des Historischen Kollegs“. Die Forschungsstipendien, deren Verleihung zugleich eine Auszeichnung für die bisherigen Leistungen darstellt, sollen den berufenen Wissenschaftlern während eines Kollegjahres die Möglichkeit bieten, frei von anderen Verpflichtungen eine größere Arbeit abzuschließen. Professor Dr. Tilman Nagel (Göttingen), dessen Aufenthalt im Historischen Kolleg von der Fritz Thyssen Stiftung gefördert wurde, war - zusammen mit Dr. Claire Gantet (Paris ), Prof. Dr. Karl-Joachim Hölkeskamp (Köln) und Prof. Dr. Karl Schlögel (Frankfurt/Oder) - Stipendiat im Kollegjahr 2005/2006. Den Obliegenheiten der Stipendiaten gemäß hat Tilman Nagel aus seinem Arbeitsbereich ein Kolloquium zum Thema „Der Koran und sein religiö ses und kulturelles Umfeld“ vom 22. bis 24. Mai 2006 im Flistorischen Kolleg gehalten. Die Ergebnisse des Kolloquiums werden in diesem Band veröffentlicht. Das Historische Kolleg wird seit dem Kollegjahr 2000/2001 - im Sinne einer „public private partnership“ - in seiner Grundausstattung vom Freistaat Bayern finanziert; die Mittel für die Stipendien stellen gegenwärtig die Fritz Thyssen Stiftung, der Stiftungsfonds Deutsche Bank, die Gerda Henkel Stiftung und der Stifterverband für die Deutsche Wissenschaft zur Verfü gung. Träger des Historischen Kollegs, das vom Stiftungsfonds Deutsche Bank und vom Stif terverband errichtet und zunächst allein finanziert wurde, ist nunmehr die „Stiftung zur För derung der Flistorischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften und des Historischen Kollegs“. Der vorliegende Band wird gedruckt mit Unterstützung der Hypo Vereinsbank. historischeskolleg.de Kaulbachstraße 15, D-80539 München Tel.: +49 (0) 89 2 8663 80 Fax: +49 (0) 8928663863 Email: [email protected] Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. © 2010 Oldenbourg Wissenschaftsverlag GmbH, München Rosenheimer Straße 145, D-81671 München Internet: oldenbourg.de Das Werk einschließlich aller Abbildungen ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzu lässig und strafbar. Dies gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikrover filmungen und die Einspeicherung und Bearbeitung in elektronischen Systemen. Gedruckt auf säurefreiem, alterungsbeständigem Papier (chlorfrei gebleicht) Satz: Schmucker-digital, Feldkirchen b. München Druck: Memminger MedienCentrum, Memmingen Bindung: Buchbinderei Klotz, Jettingen-Scheppach ISBN 978-3-486-59052-4 Umschlagbild: Prachtkorane aus tausend Jahren Handschriften aus dem Bestand der Bayeri- 1 o .--------1.-Li: ...1.-I. ..1-------- A--------_U -------------1ÜOO T\T- 1/1 Inhalt Tilman Nagel Zur Einführung: Der Koran im spätantiken Vorderasien .............................. VII Verzeichnis der Tagungsteilnehmer........................................................................... XXV Achim Arbeiter Die Entwicklung der Engelsdarstellungen in der frühchristlichen Kunst . . 1 Jean-Micbel Spieser Le Christ est-il represente en Juge dans l’art paleochretien? .......................... 75 Matthias Radscheit Der Höllenbaum ............................................................................................................ 97 Johannes Koder Möglichkeiten biblischer Glaubensvermittlung der Byzantiner im Umfeld der Entstehung des Islam am Beispiel der Hymnen des Romanos Melodos ......................................................................................................... 135 Harald Suermann Die syrische Liturgie im syrisch-palästinensischen Raum in vor- und frühislamischer Zeit ....................................................................................................... 157 Martin Tamcke Die Hymnen Ephraems des Syrers und ihre Verwendung im christlichen Gottesdienst unter besonderer Berücksichtigung der Josephtexte .............. 173 Dieter Ferchl Die „rätselhaften Buchstaben“ am Beginn einiger Suren - Bemerkungen zu ihrer Entschlüsselung, Beobachtungen zu ihrer vermutlichen Funktion .. 197 Bertram Schmitz Das Spannungsverhältnis zwischen Judentum und Christentum als Grundlage des Entstehungsprozesses des Islams in der Interpretation von Vers 124 bis 141 der zweiten Sure .................................................................... 217 Register 239 Tilman Nagel Zur Einführung: Der Koran im spätantiken Vorderasien Die europäische Islamforschung hat bis in die Gegenwart fast einhellig den Koran als einen „Text ohne Kontext“ betrachtet. Vorislamische arabische Überlieferun gen, beispielsweise Gedichte, die Erzählmotive enthalten, die im Koran auftau chen, hat man in der Regel als in islamischer Zeit entstandene Fälschungen ab getan; sie seien durch den Koran inspiriert, und daß man sie vorislamischen Dich tern zuschreibe, diene einzig dem Zweck, diesen „Machwerken“ eine größere Autorität zu verschaffen. Den Zusammenhang mit einer umfangreichen und de taillierten Geschichtsüberlieferung, in dem diese Verse stehen, hat man ignoriert, oder man hat diese Überlieferung gleich mit als gefälscht abgetan, ohne sich mit dem Gedanken aufzuhalten, daß ja jede Fälschung wiederum ihren „Sitz in der Geschichte“ hat, den es aufzuklären gilt, damit das Verdikt „Fälschung“ über haupt plausibel wird. Warum also hätte man in islamischer Zeit, als aus der Rück schau Mohammeds Lebenswerk als die Wende in der Weltgeschichte galt, die von ihm verkündeten Gedanken ausgerechnet vorislamischen Quellen zuschreiben sollen? Natürlich hat man in der Forschung die Anspielungen des Korans auf Erzähl stoff aus dem Umfeld des Alten Testaments und der apokryphen Evangelien be merkt und schon vielfach untersucht. Dabei hat man stillschweigend vorausge setzt, daß alles, was sich aus dem Alten Testament herleiten läßt, auch von dort oder von entsprechenden jüdischen Weiterbildungen herstammen muß. Die Frage blieb jedoch offen, wie denn ganz konkret dieser Stoff an Mohammed gelangt sein könne. Dies mußte ein Rätsel bleiben, solange man Mekka für einen isolierten Ort fern in der Wüste hielt und alles, was darüber hätte Auskunft geben können, für Fabrikationen, die erst nach dem Koran entstanden seien. Macht man sich von diesem Vorurteil jedoch frei und nimmt man die Angaben der Überlieferung ernst, dann erscheint der Koran als ein Beleg für eine mannig faltige religiöse Umwelt, in der u.a. der besagte Erzählstoff in jüdischem, christ lichem und heidnischem Milieu tradiert sowie charakteristischen Umbildungen unterzogen wurde, die wir im Koran und in der frühislamischen Literatur wieder finden. Ich werde dies weiter unten am Beispiel des koramschen Bildes von Allah zeigen. VIII Tilman Nagel Der Koran wird mithin bei nüchterner Betrachtung des einschlägigen Materials aus einem „Text ohne Kontext“ zu einem Text, der in vielschichtigen und engen Beziehungen zum - um eine ganz allgemeine Formulierung zu wählen - religiösen und geistigen Leben des Nahen Ostens der Spätantike steht. Legen wir die islami sche Überlieferung über die in großen Zügen durch die europäische Forschung bestätigte Chronologie der mohammedschen Offenbarungen zugrunde, lassen sich vier unterschiedliche Themenkreise feststellen, die sich nacheinander im Koran niederschlugen: 1. früheste Zeit: gnostische Elemente, 2. mittlere bis späte mekkanische Zeit: Anleihen bei der jüdischen und christli chen Erbauungsliteratur (Hymnik?), 3. späte mekkanische Zeit: Mohammed rezipiert das heidnisch-arabische Gott suchertu m, 4. letzte Monate in Mekka, vor allem aber Medina: Mohammed erklärt sich zum Propheten, der an die Heiden geschickt wurde (arab.: an-nabi al-ummi), um diesen eine von Allah selber gestiftete Religionspraxis zu übermitteln; Anleihen beim Judentum. Die vier Themenkreise sollen an Beispielen kurz charakterisiert werden. 1. Früheste Zeit: Gnostische Elemente Mohammed gehörte bereits vor seiner Berufung einer quraisitischen Bruderschaft an, dem Hurns-Bund. Dessen Mitglieder wußten sich in einem besonders engen Verhältnis zu der an der Kaaba verehrten Gottheit und beachteten Riten, die über die den gewöhnlichen Mekkanern und Pilgern abverlangten hinausgingen. Wäh rend der Wallfahrtstage durften die //«ws-Brüder beispielsweise ihre Häuser oder Zelte nicht durch den Eingang betreten. Womöglich war ihnen der Aufenthalt in Wohnräumen ursprünglich ganz untersagt, da man hierin eine Störung der - auch Mohammed so sehr umtreibenden - Idee des allsorgenden Allah erkennen mochte, die durch die von Menschen ersonnenen Vorkehrungen verunreinigt wurde. Das Verbot, eine bestimmte Art lange haltbaren Butterfetts herzustellen, deutet in ebendiese Richtung. Mohammed erinnert sich am Beginn seiner medi- nensischen Jahre an die Überzeugungen des Hums-Bundes, die ihm inzwischen ganz abwegig Vorkommen: „Die Frömmigkeit besteht nicht darin, daß ihr von hinten zu den Häusern kommt. Frömmigkeit zeigt der, der (Allah) fürchtet. Kommt zu den Häusern durch deren Türen und fürchtet Allah! Vielleicht erreicht ihr so die Glückseligkeit!“ (Sure 2, 189). Jeder Angehörige des //«W5-Bundes hatte einen außerhalb Mekkas lebenden, nicht den Qurais angehörenden Pilger bruder; wenn dieser zum Vollzug der Riten in Mekka eingetroffen war, verschaffte ihm sein dortiger Partner die rituell reinen Gewänder, in denen die Kaaba zu umschreiten war. Mohammeds //«ws-Partner gehörte den ostarabischen Banü IX Zur Einführung: Der Koran im spätantiken Vorderasien Tamlm an, und zwar einer Sippe, in der der Eigenname Muhammad, der bis in jene Zeit in Arabien selten war, schon bezeugt ist1. In der ältesten Offenbarung - nicht: in der ältesten Sure! - ist nun die Reinheit der Kleidung das Kernthema: „Stehe auf und warne! Und deinen Herrn, den rühme! Und deine Kleider, die reinige! Und den Schmutz, den meide!“ (Sure 74, 2-5). Die Vorstellungen des Hums-Bundes bilden den Ausgangspunkt der Mah nung, die Mohammed an sich gerichtet fühlt. Allerdings sind die Kultregeln dieser Bruderschaft insofern unzulänglich, als sie nur während der kurzen Pilgersaison beachtet werden. Der „Herr“, der an der Kaaba verehrt wird, ist jedoch so mäch tig, so gewaltig, daß man sich ihm stets nur in reinen Gewändern nähern darf; im mer wenn man zu ihm in ein Verhältnis der Anbetung tritt, darf dieses nicht durch irgendwelchen Schmutz belastet werden. Die Mekkaner nannten Mohammed, seitdem sie von seinen Vorstellungen wuß ten, einen „Säbi’er“; wenn sich jemand von ihnen den neuen Lehren anschloß, dann bezeichneten sie dies mit einem hiervon abgeleiteten Verbum: tasabba'a. Religiöse Gruppierungen, die „SabPer“ hießen, gab es zum einen in Harran, zum anderen auch in Palästina, und letztere könnten am ehesten den Mekkanern in den Blick geraten und dann mit Mohammed in Zusammenhang gebracht worden sein. Der Name leitet sich nach neueren Erkenntnissen übrigens vom „Herrn der himmlischen Heerscharen“, dem „Herrn der sebaöt“ ab; dieser wurde als der allen Gestirnen übergeordnete Gott betrachtet2, aller niederen kosmischen Kräfte mithin, die eben nicht auf eigene Rechnung wirken, sondern über sich einen selb ständigen Herrn haben. Erst in medinensischen Suren, als sich Mohammed von seinen gnostischen Anfängen längst gelöst hat, erwähnt er zweimal die „Sabi’er“, allerdings nun in einem Atemzug mit anderen Religionen, die mit der von ihm gegründeten den Glauben an die Schöpfung und an das Endgericht gemeinsam haben (Sure 2, 62 und Sure 5, 69). Seinen Anhängern soll Mohammed empfohlen haben, weiße Kleidung zu tragen, was an die Gewänder der manichäischen electi erinnert. Und damit kommen wir zu den Spuren gnostischer Frömmigkeit, die sich in den ältesten Teilen der mohammedschen Verlautbarungen erhalten haben. Allah, so liest man, habe den Menschen in der vorzüglichsten Ausrichtung geschaffen und ihn dann gleichwohl zum „Untersten der Unteren“ erniedrigt, abgesehen von denen, die glauben und fromme Werke tun: Sie empfangen einen Lohn, der kei neswegs als eine Gnadengabe gewertet werden darf (Sure 95). Das Paradies, ein Ort, durch den „unten“ das Wasser fließt (z.B. Sure 2, 25) - eine Reminiszenz an den durch das Wasser und den Leviathan von der Welt hermetisch abgeschlosse nen Bereich des guten Gottes - ist den „Allah Nahegebrachten“ unter den Men schen zugesagt; des weiteren gibt es zu seiner Rechten diejenigen, die sich das 1 Tilman Nagel, Mohammed, Leben und Legende (München 2008) (fortan: MLL), Kapitel II. 2 Michel Tardieu, Säbiens coraniques et „Säbiens“ de Harran, in: Journal Asatique CCLXXIV (1986) 1-^44. X Tilman Nagel Paradies verdienen, und zu seiner Linken die Verworfenen. Diese Dreiteilung der LIeilsnähe (Sure 56, 7-14 und 88-94), die sonst im Koran nicht vorkommt, spiegelt die gnostische Einteilung der Menschen in Hyliker, Psychiker und Pneumatiker wider. Hervorzuheben ist endlich eine Passage aus Sure 74, Die Hölle müsse je dermann zur Warnung gereichen, „denen unter euch, die vorankommen wollen oder Zurückbleiben. Jede Seele ist Geisel dessen, was sie erwarb“ (Vers 32-38). Daß es in den ältesten Suren nicht um die Verehrung des einen Allah, sondern des höchsten Herrn geht3, ist allerdings im Hinblick auf gnostische Vorstellungen zweideutig; man könnte geneigt sein, in ihm den jenseits der Welt wesenden, von ihr nicht berührten Gott zu sehen, doch ist zu bedenken, daß er, sobald er als „Al lah“ im Koran Profil gewinnt, vor allem durch sein unentwegtes Schöpfertum charakterisiert ist und dieses Schöpfertum als eine durch und durch positive Ei genschaft in Erscheinung tritt. Der gute Gott der Gnostiker ist aber nicht der Schöpfer dieser Welt, und der Demiurg, der sie schuf, wird von ihnen als bösartig aufgefaßt, wie denn das Diesseits selber in ihren Augen als ein mißratenes Mach werk gilt. Mohammeds Auffassung vom „höchsten Herrn“ und von Allah ent spricht demnach - von Anfang an? - nicht den gnostischen Grundsätzen und fügt sich in die im folgenden zu behandelnde hanlfische Gottesidee ein, der zufolge der eine Schöpfer alles diesseitige Geschehen bestimmt. Unter einem Gesichtspunkt stehen die frühesten Offenbarungen jedoch diesem Konzept noch völlig fern, und das ist die Eigenverantwortlichkeit des Geschöpfes für sein Heil, das, wie es in Sure 74, Vers 38 heißt, erworben werden muß. Wer nichts hierfür leistet, wem es gleichgültig ist, ob er „vorankommt“ oder „zurück bleibt“, dem schärft Mohammed in aufrüttelnden Sätzen ein, daß er mit ewigen Höllenqualen rechnen muß. Denn das Gericht wird kommen! Das Diesseits wird vernichtet, der Herr wird über alle Einzelheiten Bescheid wissen (Sure 100, 11), und dementsprechend wird sein Urteil ausfallen. Die den heidnischen Mekkanern durchaus unglaubwürdige Botschaft, daß sie nach dem Tode auferweckt und ge richtet werden sollen (vgl. z.B. Sure 86), soll mit den vermutlich christlicher Hymnik entstammenden Endzeitszenerien4 an Überzeugungskraft gewinnen. Hier spiegeln sich im Koran die Ergebnisse einer im 6. Jahrhundert nachweisba ren inhaltlichen Erweiterung der auf den Syrer Ephräm zurückgeführten soge nannten Madrasche wider: Die Warnungen vor dem Endgericht werden nunmehr besonders eindringlich ausgesprochen (vgl. die Beiträge von M. Tamcke und M. Radscheit). Doch wird die eschatologische Einleitung mancher sehr alter Partien des Korans bald darauf ins Zweideutige gerückt, wenn wir erfahren, daß der „Herr“ schon in der Vergangenheit so gehandelt und Völker, die sich ungesetzli 3 Tilman Nagel, Geschichte der islamischen Theologie (München 1993) 16f. 4 Johannes Koder, Romanos Melodos. Die Hymnen, übersetzt und erläutert, erster Halb band (Stuttgart 2005) 11—13. Ferner ist zu dieser Thematik die umfangreiche Studie von Mi- scha Meier, Das andere Zeitalter Justinians. Kontingenzerfahrung und Kontingenzbewälti gung im 6. Jahrhundert n. Chr. (Göttingen 2003) heranzuziehen. Meier weist u. a. darauf hin, daß die Kommentare zur Apokalypse des Johannes als eine eigenständige Literaturgattung „im Osten auffälligerweise erst seit dem (wohl späten) 6. Jahrhundert einsetzen“ (563). XI Zur Einführung: Der Koran im spätantiken Vorderasien chem Tun Hingaben, gestraft oder gar vernichtet hat (vgl. z.B. Sure 91): Moham med, dem neuen Propheten, ist es nicht um das Ende aller Dinge zu tun, sondern um die Einschüchterung seiner Feinde. Die sich aus solchen Ansätzen heraus ent wickelnde Topik der Straflegenden bleibt in Mohammeds koranischen Verlautba rungen bis zu seinem Tode gegenwärtig, als Drohung gegen alle die gerichtet, die nicht seinen Ansichten beipflichteten, die längst alle gnostischen Merkmale abge streift hatten. Daß die frühesten Offenbarungen innerhalb der mohammedschen Botschaft einen Fremdkörper bildeten, arbeitete der Bagdader Religionsgeschichtler und Theologe as-Sahrastänl (gest. 1154) heraus. Er skizziert in kräftigen, klaren Stri chen, was das „Sabi’ertum“ sei: Die Reinheit sei das wesentliche Element der „sabi’ischen“ Frömmigkeit; die Reinheit - im materiellen wie im immateriellen Sinn? - herbeizuführen, sei ein Akt des „Erwerbens“ (arab.: al-kasb) (vgl. Sure 74, 38), für den jeder Mensch selber verantwortlich sei. Diesen Ansichten stellt as- SahrastänT gegenüber, was er als „unsere Lehre“ charakterisiert, nämlich die, wie er überzeugt ist, bereits als islamisch zu bezeichnende Religion der heidnischen arabischen Gottsucher, der Hanlfen, deren Kernbegriff die ursprünglich von Al lah jedem Menschen anerschaffene Seinsart (arab.: al-fitra) sei. Er spielt damit auf Sure 30, Vers 30 an, die in spätmekkanischer Zeit entstand; dort heißt es: „Richte dein Gesicht als ein Gottsucher“ - als ein Hanlf - „auf die Glaubenspraxis! Denn dies ist die (eigentliche) Seinsart, gemäß der Allah die Menschen geschaffen hat. Es gibt keine Möglichkeit, die Schöpfung Allahs auszutauschen ...“ und sich dadurch für ein anderes als das von ihm schon vor aller Zeit bestimmte Jenseitsschicksal zu qualifizieren. In Sure 30, die man auf das achte Jahr nach der Berufung Moham meds datiert, ist die Abkehr vom gnostischen Verdienstgedanken somit klipp und klar vollzogen. Aber schon in den ersten Verlautbarungen, mit denen sich Mo hammed an die Mekkaner insgesamt gewendet haben soll, schlug er einen anderen Weg ein, indem er das „Pantheon“ seiner Stammesgenossen einer Kritik unterzog, die er zuerst noch verhältnismäßig unbestimmt formulierte, dann aber präzisierte. Damit kommen wir zum zweiten Themenkreis, der sich durch besonders ausgie bige Anleihen bei der jüdischen bzw. christlichen Erbauungsliteratur auszeichnet. 2. Mittlere bis spätere mekkanische Zeit: Allah, der Herrscher auf dem Thron Mohammeds öffentliches Predigen beginnt nach der islamischen Überlieferung im vierten Jahr nach seinem Berufungserlebnis; in der Regel wird Sure 53 als der Text bezeichnet, mit dem er sich das erste Mal an die Mekkaner wandte. Diese Be hauptung ist durchaus plausibel. Denn die Sure beginnt mit einem Eid, wie ihn auch die damaligen Wahrsager zu leisten pflegten, bevor sie ihre Sprüche verkün deten, für die sie eine überweltliche Autorität in Anspruch nahmen. „Beim Stern, wenn er fällt!“ schwört Mohammed und versichert in den nächsten Versen, er sei
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