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Theorie und Praxis des Übersetzens unter besonderer Berücksichtigung der Bibelübersetzung PDF

203 Pages·1969·9.406 MB·German
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Eugene A. Nida und Charles R. Taber THEORIE UND PRAXIS DES ÜBERSETZENS unter besonderer Berücksichtigung der Bibelübersetzung Weltbund der Bibelgesellschaften 1969 Titel der amerikanischen Originalausgabe : The Theory and Practice of Translation Copyright by American Bible Society Alle Rechte vorbehalten Vorwort Dieses Buch über Theorie und Praxis des Übersetzens ist die logische Folge des früher er schienenen Buches Toward a Science of Transkzting (1964), in dem einige Grundfaktoren wissenschaftlicher Handhabung des Übersetzens untersucht worden sind. Dieses zweite Werk bietet einige der dort entwickelten Theorien in einer pädagogisch orientierten An ordnung. Er soll dem Übersetzer helfen, die theoretischen Elemente zu meistern und gleichzeitig gewisse praktische Fertigkeiten zu erlangen, indem er lernt, die verschiedenen Verfahren durchzuführen. Das vorliegende Buch behandelt zwar die Übersetzungsproble me hauptsächlich im Hinblick auf die wissenschaftlichen Fragen der sprachlichen Struktu ren, der Bedeutungsanalyse und der Informationstheorie; aber es verliert nicht den Blick für die Tatsache, daß Übersetzen weit mehr ist als eine Wissenschaft. Es ist auch eine Fer tigkeit, und im letzten und tiefsten ist voll zufriedenstellendes Übersetzen auch eine Kunst. Die veranschaulichenden Beispiele in diesem Werk sind hauptsächlich dem Bereich der Bibelübersetzung entnommen. Darin spiegelt sich die direkte Beziehung zu denen wi der, für die dieses Buch ausdrücklich verfaßt worden ist, andererseits zeigt es auch den Er fahrungshintergrund der Verfasser. In gewisser Hinsicht kann das aber auch ein Vorteil für denjenigen Leser sein, der sich für die Aspekte des Übersetzens im weitesten Sinne in teressiert. Denn Bibelübersetzung hat eine längere Tradition (sie begann im 3. Jahrhundert v. Chr.), sie umfaßt viel mehr Sprachen (1 326 Sprachen bis Ende 1967), sie hat mit einer größeren Vielfalt von Kulturen zu tun (Bibelübersetzer haben in allen Gebieten der Welt gearbeitet) und sie umfaßt eine breitere Skala literarischer Gattungen (von lyrischer Dich tung bis zu theologischer Darlegung) als jede andere vergleichbare Art der Übersetzung. Dem entspricht, auch wenn die Beispiele etwas begrenzt erscheinen mögen, daß der Ge samtbereich der Hintergrunderfahrung ungewöhnlich weit ist und daß deshalb die Grund lage für die Beobachtungen der wesentlichen Probleme bei der Bedeutungsanalyse, der Re destruktur und der Übertragung in andere Kulturen außerordentlich fest ist. Die beiden ersten Kapitel sind im wesentlichen eine Einführung. Sie behandeln eini ge umfassendere Fragen und versuchen, den Leser hinsichtlich der Gesamtaufgabe zu un terrichten. Die nachfolgenden Kapitel nehmen die Hauptvorgänge des Übersetzens syste matisch auf: Analyse, Übertragung und Neuaufbau. Rein praktische Überlegungen zur Or ganisation der Komitees und zum Arbeitsverfahren beim Durchführen der Übersetzung werden in einem Anhang behandelt. Dieses Buch ist das Ergebnis von drei aufeinanderfolgenden Entwürfen, die inner halb eines Zeitraums von annähernd vier Jahren entstanden und in unterschiedlicher Form in mehreren Übersetzerseminaren an verschiedenen Orten der Welt benutzt worden sind. Es hat außerdem von den Empfehlungen und Ratschlägen einer Reihe von Überset zungsberatern profitiert, die unter der Verantwortung des Weltbundes der Bibelgesell schaften arbeiten. Theorie und Praxis des Übersetzens will trotzdem nicht als erschöpfende Darstel lung angesehen werden, in dem Sinne, daß es allen für den Übersetzer wichtigen Berei chen und Problemen auf den Grund gegangen sei. Besonders in zweifacher Hinsicht muß IV es noch erweitert werden: 1) in der Analyse der Bedeutungskomponenten und 2) in der Analyse der Rede. In beiden Bereichen wird jedoch jetzt schon wichtige Forschungsarbeit von den Fachleuten der Bibelgesellschaften geleistet und Veröffentlichungen zu diesen The men sind in Vorbereitung. New York, 1968 Eugene A. Nida und Charles R. Taber Vorwort zur deutschen Ausgabe Obwohl die deutsche Ausgabe von Theorie und Praxis des Übersetzens im Grunde eine Obersetzung von The Theory and Practice of Translation ist, unterscheidet sie sich von ihrer Vorlage in einigen wichtigen Punkten: 1) Größere Teile des Originals gründen sich auf den englischen Wortschatz oder auf bestehende Bibelübersetzungen in englischer Sprache. Diese Partien mußten oft völlig neu gestaltet und umgeschrieben werden. Im Fall des Wortschatzes war es nötig, ganz andere Wörter zu verwenden, weil die entsprechenden deutschen Wörter nicht dieselben Sachver halte beleuchten. Im Falle des Vergleichs von Obersetzungen illustrieren die verfügbaren deutschen Obersetzungen völlig andere Probleme und Grundsätze als die englischen. Die Behandlung dieser Fragen mußte dementsprechend umgestaltet werden. 2) Im Bereich der vorhandenen Obersetzungen bietet die deutsche Sprache nicht dieselbe Variationsbreite wie die englischen Obersetzungen. Der auffallendste Unter schied auf diesem Gebiet ist das Fehlen einer deutschen Entsprechung zur New English Bible. Um dieselben Einsichten zu vermitteln, mußte also eine viel größere Zahl von Ober setzungen für die Beispiele und Aufgaben herangezogen werden. _, 3) Große teile des übersetzungsentwurfs wurden von Dieter Buttjes und Manfred Gronwald angefertigt. Die von uns bearbeitete Vorveröffentlichung wurde im August 1968 während des ersten europäischen Seminars für Bibelübersetzer als Arbeitsbuch verwendet. Die Reaktionen der Teilnehmer und ihre hilfreiche Kritik veranlaßten uns, einzelne Ab schnitte des Textes umzustellen und eine Reihe von Beispielen gegen andere und - wie wir hoffen - bessere auszutauschen. Hin und wieder wird der Leser auf Begriffe stoßen, die ihm aus anderen Wissenschaftsgebieten bekannt sind, dort aber mit ganz anderen Be deutungen vorkommen. Fachbegriffe haben fast immer den Mangel, daß sie inhaltlich mehr bezeichnen müssen, als das Wort herzugeben scheint. Wir glauben allerdings, daß im Zusammenhang des Textes erkennbar ist, mit welcher Bedeutung solche Begriffe ge braucht werden. Beobachtungen, Kritik und Vorschläge sind uns allezeit sehr willkommen. Marburg und Lima, im Januar 1969 Rudolf Kassühlke und Jacob A. Loewen Inlialtsverzeichnis Vorwort III Vorwort zur deutschen Ausgabe IV Kapitel 1 Eine neue Auffassung vom übersetzen 1 Der zentrale Gesichtspunkt früher und heute 1 Eine neue Einstellung zu den Empfängersprachen 3 Eine neue Einstellung zu den Ausgangssprachen 6 Praktische Folgerungen aus der neuen Auffassung 8 Kapitel 2 Das Wesen des übersetzens 11 Ein System von Prioritäten 13 Kapitel 3 Grammatische Analyse 31 Auch Grammatik hat Sinninhalte 32 Elementarsätze 37 Wörter mit komplexem Aufbau 39 Die Beziehung zwischen Oberflächen-Struktur und Elementarsätzen 41 Rückumformung als eine Art Paraphrase 45 Grammatische Umformungen, ausgehend von Elementarsätzen 48 Die Analyse von Elementarsatzreihen 49 Kapitel 4 Die inlialtsbezogene Wortbedeutung 53 Die Kennzeichnung der Wortbedeutung 53 Semiotaktische Klassen 57 Bedeutungskennzeichnung durch semiotaktische Klassen 64 Die Analyse von Reihen verwandter Wörter 68 Hierarchische Verwandtschaftsbeziehungen 74 Kontrast in Bedeutungsbereichen und Schichten des semantischen Aufbaus 76 überschneidung in semantischen Bereichen 78 Die Analyse verwandter Bedeutungen einzelner Wörter 82 Die Frage der bildlichen Bedeutungen 94 Der Umfang der semantischen Einlieiten 97 Kapitel 5 Mitempfundene Bedeutungen 98 Hauptquellen der mitempfundenen Bedeutung 99 Sprachebenen 101 Das Messen mitempfundener Bedeutung 101 Die sprachlichen Träger der mitempfundenen Bedeutung 103 VI Inhaltsverzeichnis Kapitel 6 Übertragung 106 Persönliche Probleme bei der Übertragung 106 Mitarbeiter an der Übertragung 109 Anpassung der Wortbedeutungen 112 Anpassungen im formalen Aufbau 118 Kapitel 7 Neuaufbau 126 Die Verschiedenartigkeiten der Sprache 132 Arten der Rede 137 Stilkomponenten 140 Einteilung der Stilelemente 152 Redestruktur 159 Schaffung eines angemessenen Stils 164 Die Ausbildung von Stilisten 165 Kapitel 8 Die Kontrolle der Übersetzung 169 Das Problem der Gesamtlänge 169 Die verschiedenen Arten von Erweiterungen 172 Prüfungsverfahren 175 Praktische Testverfahren 177 Die letzte Grundlage für die Beurteilung einer Übersetzung 179 Anhang Die Organisation des Übersetzungsprogramms 180 Hauptelemente der Komiteestruktur 181 Übersetzungsverfahren 183 Richtlinien für die Organisationsstruktur 193 Kapitel 1 EINE NEUE AUFFASSUNG VOM ÜBERSETZEN Zu keiner Zeit der Weltgeschichte hat man sich so eingehend mit der Übersetzung religiö ser und weltlicher Texte beschäftigt wie jetzt. Man schätzt, daß wenigstens 100 000 Men schen ihre Zeit ganz oder zum größten Teil solcher Arbeit widmen. Mindestens 3 000 un ter ihnen beschäftigen sich mit der Übersetzung der Bibel in rund 800 Sprachen. Diese Sprachen werden von etwa 80 % der Weltbevölkerung gesprochen. Leider hat die Theorie, die dem Übersetzen zugrunde liegt, nicht mit der Fortent wicklung der Übersetzungstechnik Schritt gehalten. Besonders bei der Übersetzung reli giöser Texte ist man trotz hingebungsvoll eingesetzter Begabungen und mühevoller An strengungen mit der Anwendung der Grundprinzipien für Übersetzung und Kommunika tion hinter der Übersetzung weltlicher Texte zurückgeblieben. Ein Übersetzungsfach mann der Luftfahrtindustrie bemerkte kritisch, er wage die Grundsätze so mancher Bibel übersetzer nicht anzuwenden, „denn", so sagte er, „bei uns ist völlige Verständlichkeit eine Frage von Leben und Tod". Von dieser Notwendigkeit, sinnvolle Aussagen zu ma chen, ließen sich Obersetzer religiöser Stoffe bedauerlicherweise nicht immer leiten. Der zentrale Gesichtspunkt früher und heute Im Blickpunkt der Übersetzungsarbeit stand früher die Form der Botschaft. Man hatte be sondere Freude daran, wenn man stilistische Besonderheiten wiedergeben konnte, z.B. Rhythmen, Reime, Wortspiele, Kreuzstellung oder Parallelismus der Satzteile sowie un gewöhnliche grammatische Strukturen. Das Interesse der Übersetzer hat sich jedoch heu te verlagert, und zwar von der Form der Botschaft zur Reaktion des Empfängers auf die Botschaft. Was wir deshalb zu bestimmen versuchen, ist, inwieweit die Reaktion der Emp fänger der übersetzten Botschaft mit der Reaktion der ursprünglichen Empfänger auf die Botschaft in ihrer Originalfassung wesentlich gleichwertig ist. Auch die bisherige Frage: „Ist dies eine gute Obersetzung?" muß mit der Rückfra ge beantwortet werden: „Gut für wen?" Ob eine Obersetzung gut ist, hängt davon ab, in wieweit der Durchschnittsleser, für den die Übersetzung bestimmt ist, sie richtig zu verste hen vermag. Der Gesichtspunkt hat sich sogar noch weiter verschoben; denn es geht uns nicht bloß um die Möglichkeit, sondern um die überwiegende Wahrscheinlichkeit, daß der Leser richtig verstehen wird. Wir geben uns also nicht damit zufrieden, lediglich so zu übersetzen, daß der Durchschnittsleser die Botschaft versteht, sondern wir wollen sicher stellen, daß die Möglichkeit des Mißverstehens weitestgehend ausgeschaltet ist. Indem die Frage nach der guten Übersetzung so gestellt wird, ist selbstverständlich schon angedeutet, daß man ganz verschiedene Übersetzungen als „gut" bezeichnen könn te. Für den Gelehrten, der selbst mit dem Original bestens vertraut ist, ist sogar die genau este wörtliche Übersetzung „gut"; denn er wird sie keinesfalls mißverstehen. Andererseits gibt es im Falle der meisten großen Sprachgemeinschaften, insbesondere bei den soge nannten internationalen Sprachen, die von Millionen von Menschen gesprochen werden, mehrere gesellschaftlich und bildungsmäßig bedingte Ebenen des Sprechens und des Ver- 2 Eine neue Auffassung vom Übersetzen stehens. Das heißt, daß mehrere verschiedene Übersetzungsebenen (im Hinblick auf Wort schatz und grammatische Struktur) nötig sind, wenn alle Menschen etwa gleiche Möglich keiten haben sollen, die Botschaft zu verstehen. Diese Verständlichkeitsprobe betrifft vor allem zwei verschiedene Ausdrucksarten: 1) Ausdrücke, die der Leser höchstwahrscheinlich falsch verstehen wird; 2) Ausdrücke, die so schwierig und schwerverdaulich sind (sei es im Wortschatz oder in der Grammatik), daß sie den Leser schon von dem Versuch abschrecken, den Inhalt der Botschaft zu be greifen. Idiome wie „feurige Kohlen auf jemandes Haupt sammeln" (Röm 12, 10 in der Konkordanten Wiedergabe) sind typisch für die erste Kategorie. Der durchschnittliche Le ser, der nichts von semitischen Idiomen weiß, kann einfach nicht verstehen, daß „feurige Kohlen auf jemandes Haupt sammeln" heißt: ,jemanden dazu bringen, daß er sich seines Verhaltens schämt" und nicht eine Methode, wie man Menschen zu Tode quält. Er weiß auch nicht, daß „die Söhne des Brautgemachs" (Mk 2, 19), ganz einfach „Freunde des Bräutigams" oder „Hochzeitsgäste" sind. Wenn ein hoher Prozentsatz von Lesern die Wiedergabe eines Textes in der eigenen Sprache nicht versteht, kann nicht von einer berechtigten Übersetzung gesprochen wer den. Z.B. geben die meisten herkömmlichen Übersetzungen Röm 1, 17 wieder als: „Die Gerechtigkeit Gottes wird ( ... ) geoffenbart aus Glauben zu Glauben'.'. Die meisten Le ser nehmen ohne weiteres an, diese Aussage beziehe sich auf Gerechtigkeit als Gottes per sönliche Eigenschaft. Die Wissenschaftler sind sich jedoch weitgehend einig, daß hier nicht Gottes eigene Gerechtigkeit gemeint ist, sondern der Vorgang, durch den Gott die Menschen in das rechte Verhältnis zu Gott bringt. Es ist der Vorgang der „Rechtfertigung" (um einen theologischen - und weithin mißverstandenen - Begriff zu verwenden), nicht Gerechtigkeit als Eigenschaft. Eine Übersetzung, die unbeirrt darauf bestehen bleibt, die griechische Wendung wörtlich mit „Gerechtigkeit Gottes" wiederzugeben, vergewaltigt ganz einfach den inhaltlichen Sinn, um die formale grammatische Übereinstimmung zu erhalten. Eine Übersetzung kann nicht nur völlig irreführend sein, sondern außerdem auch noch stilistisch so schwerfällig, daß sie das Verstehen fast unmöglich macht. Die Elberfel der Bibel sagt z.B.: „denn auch das Verherrlichte ist nicht in dieser Beziehung verherr licht worden, wegen der überschwenglichen Herrlichkeit" (2 Kor 3, 10). Die Wörter sind zwar deutsch, aber der Satzbau ist im wesentlichen griechisch. Riethmüller baut diese Stel le ganz richtig um, daß sie lautet: „Mehr noch: Jene Herrlichkeit verblaßt sogar völlig vor diesem alles überstrahlenden Glanz." Aufgabe 1 Beurteilen Sie die folgenden Wiedergabereihen von Bibelstellen, ausgehend von der Frage, wie leicht sie der normale Leser oder Hörer korrekt verstehen kann: 1) Mt 3, 15c: Da ließ er's ihm zu (Lu) Darauf gab Johannes nach (NT 68) 2) Joh 1, 14: Und das Wort ward Fleisch und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlich keit, eine Herrlichkeit als des eingeborenen Sohnes vom Vater, voller Gnade und Wahrheit. (Lu) Und das Wort ward ein Mensch, ein Mensch dieser Erde, und wohnte unter uns, und wir sahen seine Herrlichkeit, den Lichtglanz des einzigen Sohnes Gottes, der vom Vater kam, voller Gnade und Wahrheit. (Zink) Das Wort wurde ein Mensch und lebte eine Weile bei uns. Wir sahen seine Herr lichkeit. Sie zeigte sich in dem, was er, der einzige Sohn, von seinem Vater erhielt: das Geschenk der göttlichen Wahrheit. (NT 68)

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