Elmar Treptow Theorie und Praxis bei Hegel und den Junghegelianern 1 Treptow Theorie und Praxis bei Hegel und den Junghegelianern 2 Elmar Treptow Theorie und Praxis bei Hegel und den Junghegelianern Habilitationsschrift, von der Philosophischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München angenommen im Jahr 1971 3 Paul Treptow, meinem Vater, gewidmet 4 I n h a 1 t s v e r z e i c h n i s Vorwort......................................................................................................6 I. Hegels dialektische, ideelle und systematische Vereinigung von Theorie und Praxis..........................................................................7 1. Das Verhältnis von Theorie und Praxis als die Dialektik von Geist und Willen.........................................................................7 2. Die Mangelhaftigkeit, Einseitigkeit und Unfreiheit der The- orie und Praxis im Bereich der Endlichkeit...............................19 3. Die dialektische Einheit von Teleologie und Kausalität in der Praxis der Naturaneignung.................................................27 4. Theorie und Praxis als gesellschaftlich-geschichtlicher Pro- zess..........................................................................................31 5. Die Konzeption der Praxis als konkreter Sittlichkeit.................36 6. Der scheinbare Vorrang der Praxis gegenüber der Theorie........55 7. Die Praxis und die endliche Theorie als Stufen auf dem Weg zur vollkommenen Subjekt-Objekt-Einheit in der ab- soluten Theorie.........................................................................65 8. Die Wirklichkeit der Vernunft in der politisch-historischen Praxis.......................................................................................74 II. Heines Ableitung der revolutionären politisch-sozialen Praxis aus der philosophischen Theorie...................................................83 III. Cieszkowskis historiosophische Konzeption der Praxis als höchster Stufe des absoluten Geistes............................................89 IV. Strauß’ Umbildung der dialektischen Methode zur analyti- schen Kritik der religiösen Entfremdung......................................101 5 V. Ruges radikaldemokratische Konzeption der Übersetzung der philosophischen Theorie in die politische Praxis vermittels der Kritik ....................................................................................113 VI. Bauers skeptizistische Konzeption der philosophischen Theo- rie als Funktion des menschlichen Selbstbewusstseins und Negation seiner Objektivationen..................................................127 VII. Stirners anarchistische Konzeption der egoistischen Revolte und des willkürlichen Denkens...................................................145 VIII. Feuerbachs sensualistische Konzeption der Praxis als Liebe und der Theorie als unmittelbarer Anschauung auf der Basis der Ich-Du-Beziehung.................................................................161 IX. Marx’ Übergang von der kritischen Philosophie zur Konzepti- on der Aufhebung der Philosophie durch ihre Verwirklichung......186 Zusammenfassung...............................................................................221 Anmerkungen.......................................................................................245 Literaturverzeichnis..............................................................................335 Personenverzeichnis Text (Seitenzahlen) ...............................................362 Personenverzeichnis Anmerkungen (Endnotenzahlen)...........................368 6 V o r w o r t Gegenstand der Untersuchung ist das Verhältnis von Theorie und Pra- xis im Denken Hegels und der Junghegelianer. Als „Junghegelianer" seien hier im weitesten Sinn des Wortes nicht nur D. F. Strauß, B. Bauer, Stir- ner und Ruge, sondern auch Heine, Cieszkowski, Feuerbach und der junge Marx bezeichnet, insofern sie alle den Auflösungsprozess des Hegelianis- mus repräsentieren. Die Analyse soll so weit wie möglich Hegels Grundsatz des Eingehens auf die Sache selbst und des Fernhaltens beliebiger von außen genommener Gesichtspunkte befolgen, ohne dass aber die Verwick- lung mit der Sache die Versöhnung mit ihr ist. 7 I. Hegels dialektische, ideelle und systematische Vereinigung von Theorie und Praxis Der zentrale Aspekt bei der Untersuchung des Verhältnisses von Theo- rie und Praxis im Denken Hegels muss der Begriff der Freiheit sein. Er ist der Schlüssel, der den Zugang zur Hegelschen Konzeption von Theorie und Praxis öffnet. Es ist im einzelnen zu zeigen, wie für Hegel die verschiede- nen Formen der Theorie und Praxis die stufenweise Verwirklichung der Freiheit als Überwindung des Subjekt-Objekt-Gegensatzes und damit als Aufhebung der Entfremdung zum Zweck haben, und wie die theoretischen und praktischen Vereinigungen von Subjekt und Objekt mit dem Vollbrin- gen der Freiheit zugleich das Wahre und Gute realisieren. In Hinblick darauf ist zunächst zu klären (ohne dass auf eine vorliegen- de Abhandlung verwiesen werden könnte1a): wie verhalten sich grundsätz- lich für Hegel Theorie und Praxis zueinander? 1. Das Verhältnis von Theorie und Praxis als die Dialektik von Geist und Willen Theorie und Praxis bilden eine Einheit, die darin besteht, dass der Geist mit seiner Substanz, der Freiheit1, nur in die Existenz gelangt und sich durchsetzt im Willen und in dessen Realisierung. Der Wille ist der „prakti- sche Geist“.2 Das heißt: der Wille und seine Ausführung in der Handlung sind das im dialektischen Sinne andere des Geistes, die Entäußerung oder Objektivation des Geistes. Geist und Wille bedingen sich wechselseitig wie Inneres und Äußeres.3 In formaler Hinsicht sind somit Geist und Wille „fundamentum“ und „terminus“ einer Relation, die die Struktur eines in sich zurückkehrenden Übergangs oder einer reflexiven Transzendenz hat. Das innere Geistige ist das allgemeine Mögliche, das erst durch den Wil- len und die praktische Tätigkeit des Menschen ins Wirkliche übersetzt wird: „Prinzip, so auch Grundsatz, Gesetz ist ein Allgemeines, Inneres, das als solches, so wahr es auch an ihm sei, nicht vollständig wirklich ist... was an sich erst ist, ist eine Möglichkeit, ein Vermögen, aber noch nicht aus seinem Innern zur Existenz gekommen. Es muss ein zweites Moment für ihre Wirklichkeit hinzukommen, und dies ist die Betätigung, Verwirkli- 8 chung, und deren Prinzip ist der Wille, die Tätigkeit der Menschen über- haupt.“4 Dieses dialektische Verhältnis von Geist und Willen ist nach Hegel im subjektiven, objektiven und absoluten Sinne zu verstehen: durch die indi- viduellen Willenshandlungen verwirklicht sich sowohl die Freiheit des sub- jektiven, individuellen Geistes (im Lebenslauf des einzelnen Menschen) als auch des objektiven Volksgeistes (im Hervorbringen einer epochalen Stufe der Geschichte) sowie des absoluten Weltgeistes (im Vollbringen der Welt- geschichte), der wiederum – wenn auch verborgenerweise – vermittels des Volksgeistes und dessen Werken das substantielle, wesentliche Terrain der Realisierung der Freiheit des individuellen Geistes ist. Geist und Wille bilden also keine getrennten Vermögen; und Hegel fasst ihre Wechselbeziehung nicht statisch, sondern dynamisch auf. Das heißt: die Bewegung des Geistes läuft nicht selbständig neben dem Prozess der praktischen Tätigkeit her, baut sich auch nicht äußerlich hierarchisch ü- ber ihm auf, sondern ist in ihn einbezogen. Zunächst durchdringen sich theoretische und praktische Tätigkeit auf der Stufe und im Wirkungskreis des subjektiven, individuellen Geistes. Isoliert betrachtet, richtet sich die individuelle theoretische Tätigkeit, sofern sie von der Anschauung und Vorstellung zum Denken aufsteigt, auf das Innere, Rationale, Allgemeine und Unendliche; dagegen bleibt die individuelle praktische Tätigkeit als solche, die sich nicht zum allgemeinen objektiven Willen erhoben hat, auf das Äußere, Sinnliche, Besondere und Endliche der Wirklichkeit be- schränkt. Aber in Wahrheit stehen die individuelle theoretische und prak- tische Tätigkeit in untrennbarer Einheit. Es gibt nämlich keine Intelligenz ohne Willen; denn „indem wir denken, sind wir eben tätig. Der Inhalt des Gedachten erhält wohl die Form des Seienden, aber dies Seiende ist ein Vermitteltes, durch unsere Tätigkeit Gesetztes “5 Auf welche Weise die theoretischen Erkenntnisse praktisch vermittelt werden, ist unten in Verbindung mit dem Problem der Vergegenständli- chung darzustellen. Dass erst auf der Grundlage des Willens die theoreti- sche Distanz zu den Objekten möglich ist, wird deutlich werden aus der Charakterisierung des Willens als Triebhemmung. Wenn Hegel sagt, in der Tätigkeit des Denkens finde sich das Moment des Willens, so sei dieser 9 Zusammenhang zunächst erläutert durch den Hinweis darauf, dass wir unverkennbar unseren Willen auf theoretische Überlegungen konzentrie- ren und absichtlich allgemeine gedankliche Inhalte einprägen und lernen sowie reproduzieren können. Ebenso ist nach Hegels Einsicht umgekehrt die Praxis untrennbar von der theoretischen Tätigkeit: wesentlich für den Willen und jede Willens- handlung ist die Zielstrebigkeit, das bewusste Innehaben des Zweckes der Handlung: „... der Wille hält das Theoretische in sich: der Wille bestimmt sich; diese Bestimmung ist zunächst ein Inneres: was ich will, stelle ich mir vor, ist Gegenstand für mich.“6 Hierbei ist das „Vorstellen“ im weites- ten Wortsinne zu verstehen; das geistig antizipierte Resultat kann nämlich außer in der Form der Vorstellung im engeren Sinne – der sinnlichen Vor- stellung - auch in der Form des Gedankens auftreten. Mehrere Bewusstseinsmomente und differenzierte Operationen wie Ab- wägen der Konsequenzen der Handlung, Kollidieren der Motive, Treffen einer Wahl, Hegen einer Absicht und Fassen eines Vorsatzes und Ent- schlusses sind innere, intellektuelle Bestandteile einer komplizierten Wil- lenshandlung vor ihrer Durchführung. Die Willenshandlung ist die spezifisch menschliche Handlung. Im Ge- gensatz zu ihr sind in der unwillkürlichen Trieb- oder Impulshandlung, die ebenfalls wie die Willenshandlung einen Zustand des Bedürfnisses und Mangels zu negieren sucht, die angestrebten Gegenstände nicht als Ziel bewusst geworden: das Gefühl hat überhaupt „noch keine Gegenständ- lichkeit“, ist ein bestimmter Zustand des Subjekts, der Trieb dagegen ist zwar gegenständlich, aber bewusstlos, der Wille schließlich ist sowohl ge- genständlich als auch bewusst. Das Tier bleibt in seiner reaktiven situationsbedingten Lebenstätigkeit dem Trieb verhaftet; der Mensch weiß im Trieb nicht, was er will. Aber durch die Reflexion auf den Trieb erkennt er ihn als beschränkt, hebt sich von ihm ab und geht über ihn hinaus. Die Reflexion vergleicht den Trieb mit den Mitteln seiner Befriedigung, die Mittel und Triebe untereinander und die Triebe mit den Hauptzwecken des menschlichen Wesens.7 Auf Grund der Hemmung der Triebe, der zielgerichteten Willenshaltung und der Möglichkeit, von allem gegebenen Inhalt willentlich zu abstrahie-
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