SCHRIFTEN DES DEUTSCHEN ÜBERSEE-INSTITUTS HAMBURG --------------------------------------Nummer45------------------------------------- Ulrich Menzel Katharina Varga Theorie und Geschichte der Lehre von den Internationalen Beziehungen Einführung und systematische Bibliographie Hamburg 1999 4 5 Inhaltsverzeichnis I. Idealismus, Realismus, Institutionalismus und Strukturalismus – die vier ParadigmeninderLehrevondenInternationalenBeziehungen vonUlrichMenzel 1. Sicherheitoder Frieden? 11 2. Dievier Paradigmeninder LehrevondenInternationalen Beziehungen 14 3. DieEtablierungder Disziplin 18 4. Der Methodenstreit:TraditionalismusversusSzientismus/ PositivismusversusPostpositivismus 26 5. GlobaleTrends, HistorischeUmbrücheunddieParadigmen- wechselinder LehrevondenInternationalenBeziehungen 29 6. DasZeitalter desImperialismus, Geopolitikund Imperialismustheorie 33 7. IdealismusunddieGründungdesVölkerbunds 38 8. DasScheiterndesVölkerbunds, der BeginndesOst-West- Konfliktsunddiezweite(„realistische“)Gründungder Disziplin 41 9. AbseitsdesMainstreams:DieEnglischeSchule 47 10. DieszientistischeRevolution 50 11. DiezweiteDebatte:TraditionalismusversusSzientismus 54 12. DieHerausbildungdesbipolarenSystemsunddie Attraktivitätder Systemtheorie 59 13. DieOperationalisierungdesSzientismusalsHandlungs- anleitung:Spieltheorie, Abschreckungstheorieund AußenpolitischeEntscheidungstheorie 62 14. Der Sputnik-SchockunddieAbschreckungstheorie 69 15. WeltpolitischeKrisenundaußenpolitische Entscheidungstheorie 78 16. Der BeginndesInformationszeitaltersundder Versuch, dieKommunikationstheoriefür dieLehrevondenInterna- tionalenBeziehungenfruchtbar zumachen 82 17. AmericanDeclineundneuer Mainstream:Neorealismus 84 18. OPECunddieliberaleGegenbewegung:Interdependenztheorie 95 19. Regime-TheorieundDritteDebatte 101 20. EntkolonialisierungundNeoimperialismus 108 21. EntkolonialisierungundNeostrukturalismus 113 ©1999/2000byUlrichMenzel/KatharinaVarga 6 22. DasEndedesOst-West-Konfliktsunddieneue Unübersichtlicheitinder Disziplin 120 23. GlobalisierungundGlobalGovernance 123 II. Bibliographie vonUlrichMenzelundKatharina Varga Vorwort 131 I METATHEORIE 1. Bibliographien 136 2. Sammelbändezur Gesamtthematik 137 3. Wissenschaftstheorie/Institutionender Lehrevonden InternationalenBeziehungen 142 4. Ideengeschichtliche/systematischeGesamtdarstellungen 148 5. Theoriedebatten 156 5.1 ErsteDebatte:IdealismusvsRealismus 156 5.2 ZweiteDebatte:TraditionalismusvsScientismus 158 5.3 Dritte(postbehavioralistische)Debatte:Neorealismusvs Neoinstitutionalismus 161 5.4 VierteDebatte:PositivismusvsPostpositivismus 163 6. AktuelleBeiträgezumStandder IB-Theorie(nachdemEnde desOst-West-Konflikts) 165 II TRADITIONALISMUS 7. Imperialismustheorie/Strukturalismus 171 7.1 Primärliteratur 171 7.2 Sekundärliteratur 173 8. Geopolitik 178 8.1 Primärliteratur 178 8.2 Sekundärliteratur 182 9. Klassischer Idealismus/Pazifismus/Völkerrecht/ Funktionalismus 186 9.1 Primärliteratur 186 9.2 Sekundärliteratur 196 7 10. EnglischeSchule 200 10.1 Primärliteratur 200 10.2 Sekundärliteratur 206 11. Klassischer Realismus 212 11.1 Primärliteratur 212 11.2 Sekundärliteratur 221 III SCIENTISMUS/POSITIVISMUS 12. Behavioralismus(imengerenSinne) 228 12.1 Primärliteratur 228 12.2 Sekundärliteratur 233 13. Systemtheorie/Kybernetik 235 13.1 Primärliteratur 235 13.2 Sekundärliteratur 241 14. Spieltheorie 243 14.1 Primärliteratur 243 14.2 Sekundärliteratur 253 15. AußenpolitischeEntscheidungstheorie 255 15.1 Primärliteratur 255 15.2 Sekundärliteratur 260 16. Abschreckungstheorie/StrategischeStudien (Neoclausewitzianismus) 261 16.1 Primärliteratur 261 16.2 Sekundärliteratur 272 17. Neorealismus/Struktureller Realismus/Ökonomischer Realismus 279 17.1 Primärliteratur 279 17.2 Sekundärliteratur 286 18. LangeWellen/Hegemoniezyklentheorie/AmericanDecline- Schule/Theorieder hegemonialenStabilität 290 18.1 Primärliteratur 290 18.2 Sekundärliteratur 304 19. Neoliberalismus/Neoinstitutionalismus/Multilateralismus/ Interdependenztheorie/Transnationalismus 306 19.1 Primärliteratur 306 19.2 Sekundärliteratur 320 20. Regimetheorie 323 ©1999/2000byUlrichMenzel/KatharinaVarga 8 20.1 Primärliteratur 323 20.2 Sekundärliteratur 331 21. Neofunktionalismus/Integrationstheorie/Theorie Internationaler Organisationen 333 21.1 Primärliteratur 333 21.2 Sekundärliteratur 339 22. TheoriedesdemokratischenFriedens(Neokantianismus) 340 22.1 Primärliteratur 340 22.2 Sekundärliteratur 348 23. InternationalePolitischeÖkonomie 349 23.1 Primärliteratur 349 23.2 Sekundärliteratur 355 24. Neoimperialismustheorie/Weltsystemtheorie/ Dependenztheorie/Neostrukturalismus 356 24.1 Primärliteratur 356 24.2 Sekundärliteratur 364 IV POSTPOSITIVISMUS 25. Poststrukturalismus/PostmoderneTheorieund InternationaleBeziehungen 368 25.1 Primärliteratur 368 25.2 Sekundärliteratur 373 26. EthikundInternationalePolitik/Neoidealismus/Neue NormativeTheorie/Weltordnungsschule 374 26.1 Primärliteratur 374 26.2 Sekundärliteratur 382 27. Postrealismus/Neoklassischer Realismus 383 27.1 Primärliteratur 383 27.2 Sekundärliteratur 387 28. NeueGeopolitik 388 28.1 Primärliteratur 388 28.2 Sekundärliteratur 396 29. Sozialkonstruktivismus 398 29.1 Primärliteratur 398 29.2 Sekundärliteratur 405 30. FeminismusundInternationaleBeziehungen 407 30.1 Primärliteratur 9 30.2 Sekundärliteratur 410 31. KritischeInternationaleBeziehungen 412 31.1 Primärliteratur 412 31.2 Sekundärliteratur 416 32. Postkolonialismus/Postimperialismustheorie/ Postdependenztheorie 417 32.1Primärliteratur 417 32.2 Sekundärliteratur 418 33. Weltgesellschaft/Globalisierung/GlobalGovernance/ Weltinnenpolitik 419 33.1 Primärliteratur 419 33.2 Sekundärliteratur 438 III. Autorenindex 441 ©1999/2000byUlrichMenzel/KatharinaVarga 10 UlrichMenzel DievierParadigmen 11 I. Idealismus, Realismus, Institutionalismus und Strukturalismus – die vier Paradigmen in der Lehre von den Internationalen Beziehungen 1. SicherheitoderFrieden? Im Jahre 1795 verfaßte Immanuel Kant in Königsberg einen klassischen Text der europäischen Aufklärung mit dem Titel "Zum Ewigen Frieden. Ein philosophischer Entwurf", der bis heute für die Lehre von den Internationalen Beziehungen paradigmatische Bedeutung hat. Im "ersten Definitivartikel" dieses "philosophischen Entwurfs" lautet eine immer wieder zitierte Passage "Nun hat aber die republikanische Verfassung, außer der Lauterkeit ihres Ursprungs, aus dem reinen Quell des Rechtsbegriffs entsprungen zu sein, noch die Aussicht in die gewünschte Folge, nämlich denewigenFrieden; wovonder Grunddieser ist. Wenn(wiees indieser Verfassungnicht anders sein kann) die Beistimmung der Staatsbürger dazu erfordert wird, um zu beschließen, 'ob Krieg sein solle, oder nicht', so ist nichts natürlicher, als daß, da sie alle Drangsaledes Krieges über sichselbst beschließenmüßten(als da sind:selbstzufechten; die Kosten des Krieges aus ihrer eigenen Habe herzugeben; die Verwüstung, dieer hinter sich läßt, kümmerlich zu verbessern; zum Übermaße des Übels endlich noch eine, den Frieden selbst verbitternde, nie (wegen naher immer neuer Kriege) zu tilgende Schuldenlast selbst zu übernehmen), sie sich sehr bedenken werden, ein so schlimmes Spiel anzufangen." Und weiter formuliert Kant im Umkehrschluß: "Da hingegen in einer Verfassung, wo der Untertan nicht Staatsbürger, die also nicht republikanisch ist, es die unbedenklichste Sache von der Welt ist, weildas Oberhaupt nicht Staatsgenosse, sondern Staatseigentümer ist, an seinen Tafeln, Jagden, Lustschlössern, Hoffesten u.d.gl. durch den Krieg nicht das mindeste einbüßt, diesen also wie eine Art von Lustpartie aus unbedeutenden Ursachen beschließen, und der Anständigkeit wegen dem dazu allezeit fertigen diplomatischen Korps die Rechtfertigung desselben gleichgültig überlassen kann."1 Mit dieser Passage nimmt Kant Stellung zu einem zentralen Problem der internationalen Politik, nämlich der Frage, wie der Krieg zu vermeiden und der Frieden zu gewinnen ist. Als Vertreter der europäischen Aufklärung gibt er eine idealistische Antwort. Die republikanische, heute würde man sagen die demokratische, Verfassung eines Staates ist der Garant gegendenKrieg, weildieEntscheidungsprozedurenindemokratischenStaaten 1 Immanuel Kant, Werke in zehn Bänden. Hrg. v. Wilhelm Weischedel. Darmstadt: WissenschaftlicheBuchgesellschaft1970.Bd.9.S.205-206. ©1999/2000byUlrichMenzel/KatharinaVarga 12 UlrichMenzel ("Beistimmung der Staatsbürger") einen wesentlichen Hinderungsgrund, Kriege vom Zaum zu brechen, bilden, während despotische, heute würde man sagen autoritäre, Systeme, die nur Untertanen kennen, diese Bremse gegen leichtfertiges Kriegführen nicht besitzen. Die Kantsche These wurde später zur "Theorie des demokratischen Friedens" weiterentwickelt. Diese besagt etwas eingeschränkter, daß Demokratien zumindest untereinander keine Kriege führen, nicht zuletzt deshalb, weil sie eineWertegemeinschaft bilden, die den Krieg als Mittel zur zwischenstaatlichen Konfliktaustragung ausschließt. Die sichandieseTheorieanschließendeDebattewurdesowohlkategorischwieempirisch geführt und drehte sich um die Frage, ob sich Gegenbeispiele finden lassen, die diese Aussage falsifizieren. Kontrovers war dabei insbesondere die Substanz der Begriffe "Demokratie" und "Frieden". Wo liegt dieGrenzezwischeneinemregelrechtenKriegund einer bloßen Militäraktion? Ab wann kann ein politisches System als demokratisch bezeichnet werden? (Levy 1989, Lutz-Bachmann/Bohmann 1996, MacMillan 1998, Ray 1995, Rummel 1997, Russett 1990, Small/Singer 1976)2. Die aus der Kantschen Idee ableitbare normative Schlußfolgerung lautet jedenfalls, daß die Ausbreitung der Demokratie über die Welt auch zur Ausbreitung des Friedens führen muß. Eine Politik zur FörderungvonDemokratisierungsprozessenistalsoauchFriedenspolitik. Etwa 150 Jahre später, imJahre 1950, verfaßte der aus Düsseldorf stammende Emigrant Hans Hermann Herz (John H. Herz) auf dem ersten Höhepunkt des Ost-West-Konflikts und zu Beginn des atomaren Wettrüstens zwischen den USA und der Sowjetunion einen Aufsatz mitdemTitel"Idealistischer InternationalismusunddasSicherheitsdilemma", der eine klassische Gegenposition zu Kant formuliert und dazu beigetragen hat, das mit dem Idealismus konkurrierende Paradigma des Realismus wieder zu beleben. Herz beginnt seinen Aufsatz mit den Worten: "Die tragische Lage, in der sich eine zwiegespaltene und mit Atombomben gesegnete Welt derzeit befindet, spiegelt lediglich in äußerster Zuspitzung ein Dilemma wider, mit dem sich menschliche Gesellschaften von Anbeginn ihrer Geschichte auseinanderzusetzen hatten. Das Dilemma entspringt einer grundlegenden sozialen Konstellation, derzufolge eine Vielzahl untereinander verflochtener Gruppen politisch letzte Einheiten darstellen, d.h. nebeneinander bestehen, ohne ineinnochhöheres Ganzes integriert zu sein. Woundwannauchimmer einesolche 'anarchische' Gesellschaft existiert hat... ergab sich für Menschen, Gruppen, Führer eine Lage, die sich als 'Sicherheitsdilemma' bezeichnen läßt. Gruppen oder Individuen, die in einer derartigen, eines Schutzes 'von oben' entbehrenden Konstellation leben, müssen um 2 Alle in Kurzform zitierten Titel finden sich in der anschließenden Bibliographie. Im ZweifelsfallesinddiesedurchdasRegisteraufzufinden.
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