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Theoretische Überlegungen zum Thema Angst in den Internationalen Beziehungen PDF

31 Pages·2010·0.28 MB·German
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Patrick Bormann / Thomas Freiberger / Judith Michel Theoretische Überlegungen zum Thema Angst in den Internationalen Beziehungen Nach der Brockhausdefinitionist Angst ein »meist quälender, stets beunruhi- gender undbedrückenderGefühlszustand alsReaktionaufeine vermeintliche oder tatsächliche Bedrohung. Die Angst ist meist verbunden mit bestimmten Vorstellungen,FantasienoderErwartungenwieauchReaktionendesvegetati- ven Nervensystems (z.B. Unruhe, Erregung, Herzklopfen, Schweißausbrüche, Bewusstseins-, Denk- oder Wahrnehmungsstörungen, Anstieg von Puls- und Atemfrequenz,verstärkteDarm-undBlasentätigkeit,Zittern,Schwächegefühl, Schwindel, Erblassen, Erstickungsgefühl).«1 Von der Geburt bis zum Tode ist uns die Angst ein ständiger Begleiter. Menschen ängstigen sichvorder Unge- wissheitdesNeuenebensosehrwievorderMonotoniedesAlthergebrachten;sie fürchten Ausgrenzung und Einsamkeit nicht weniger als Konformismus und Identitätsverlust.2WeilsieGefahrenanzeigtundAffektezügelt,fälltderAngstals »Grundbefindlichkeit des menschlichen Daseins«3 eine schützende Funktion zu: Wer Angst verspürt, verhält sich zwar zaghaft und verkrampft, aber eben auchvorsichtig,abwägendundtaktierend;dieAngstselbstisteinHelferbeider SuchenachAuswegenausderAngst.SieeröffnetneueMöglichkeiten,indemsie denErwerbneuenWissens,dieAnpassungvonZielenoderdieNeubewertung vonEreignissenveranlassenkann.DieAngsterschließtneueErfahrungsberei- che, die langfristig durchaus positive Konsequenzen mit sich führen können.4 Diese positive Einschätzung der Angst wird jedoch auch oftmals in Frage gestellt. Die erste Assoziation, die viele heute mit dem Thema Angst in der Politik verbinden, ist der gegenwärtige internationale oder islamistische Ter- 1 BrockhausEnzyklopädieOnline,21.,neuüberarb.Aufl.,LeipzigundMannheim2006,online: <http://www.brockhaus-enzyklopaedie.de/>,[Stand:16.April2010]. 2 Vgl.FritzRiemann,GrundformenderAngst.EinetiefenpsychologischeStudie,Basel1977, S.7–20. 3 WernerKlosinski,ZumPhänomenderAngst,in:RolfDenker(Hg.),AngstundAggression, Stuttgart1974,S.7–17,hierS.10. 4 Vgl.WiebkePutz-Osterloh,AngstundHandelnauspsychologischerSicht,in:FranzBosbach (Hg.),AngstundPolitikindereuropäischenGeschichte,Dettelbach2000,S.1–11,hierS.11. 14 PatrickBormann/ThomasFreiberger/JudithMichel rorismus. Eine eindeutige Definition dessen, was eigentlich der Begriff Terro- rismusbeinhaltet, fälltzwar nachwie vorschwer.5Entscheidendist in diesem Zusammenhangjedoch,dassdieVerbreitungvonAngstzueinemderamhäu- figsten genannten definitorischen Merkmale von Terrorismus gehört.6 Terro- ristenversuchengezieltunterderBevölkerungAngstzuverbreiten,damitdiese wiederumDruckaufdieRegierungenausübt.PeterWaldmannhatdaherdarauf verwiesen,dassTerrorismus»primäreineKommunikationsstrategie«darstelle, die durchdie Instrumentalisierung vonAngstgefühlen danachtrachte, gegne- rischesVerhaltenzukonditionieren.7DieamerikanischePolitikunterGeorgeW. Bush nach den Anschlägen vom 11.September 2001 in New York wurde ent- sprechendvonvielenAnalystenmitderAngstvordieseraußenpolitischenBe- drohungbegründet.8DieUS-AdministrationführteimInlandrigoroseSicher- heitsmaßnahmendurchundstürzteaußenpolitischsowohldasTaliban-Regime in Afghanistan als auch Saddam Hussein im Irak. Diese Politik wurde damit begründet,dasssieAmerikasicherervorTerroristenmache.9Derinternationale 5 VorallemdieAbgrenzungterroristischer vongewöhnlicherkrimineller undmilitärischer Gewalt,sowievonStaatsterrorundGuerillakriegs-TaktikenbereitetdabeiSchwierigkeiten. Vgl.dazuBruceHoffmann,Terrorismus–derunerklärteKrieg.NeueGefahrenpolitischer Gewalt,5.Aufl.,Frankfurt/Main2003,S.34–56;PeterWaldmann,Terrorismus.Provokation derMacht,2.vollst.überarb.Ausgabe,Hamburg2005,S.11–32;CharlesTownshend,Ter- rorismus,Stuttgart2005,S.11–13.ZumVerhältnisvonTerrorismusundasymmetrischer KriegführungsieheexemplarischHerfriedMünkler,AsymmetrischeGewalt.Terrorismusals politisch-militärischeStrategie,in:Ders.,ÜberdenKrieg.StationenderKriegsgeschichteim SpiegelihrertheoretischenReflexion,Weilerswist2002,S.252–264sowieDers.,Dieneuen Kriege,Reinbek2002,S.175–205. 6 BeiderHälftevon101Definitionenwirddie»HervorhebungvonFurchtundSchrecken«als definitorischesElementvonTerrorismusgenannt.NurdieElemente»Gewalt,Zwang«und »Politisch«werdenhäufigergenannt.Vgl.dazuHoffmann,Terrorismus,S.51. 7 Waldmann,Terrorismus,S.15.Terrorismustrachtetdanach,eine»starkeemotionaleReak- tion«(Angst/Schrecken/Verunsicherung)beimFeindund»›positive‹EmotionenwieScha- denfreude«beiAnhängernzuerzeugen.SchlussendlichzielenterroristischeAnschlägeauf »bestimmteVerhaltensreaktionenab:insbesondereüberstürzte,voneinergewissenPanik diktierte Schutz- und Vergeltungsmaßnahmen, aber auch auf aktive Mithilfe beim ange- strebtenKampf.«Ebd.,S.35. 8 ObdieseAngsttatsächlichAntriebsmotivderEntscheidungsträgerinWashingtonwaroder abernuralsVehikelzurDurchsetzungweitreichenderaußenpolitischerZielediente,istheftig umstritten.Vgl.JohnLewisGaddis,Surprise,SecurityandtheAmericanExperience,Cam- bridge/MAundLondon2004;JohnL.Gaddis’sSurprise,Security,andtheAmericanExpe- rience.ARoundtableCritiquein:Passport.TheNewsletteroftheSocietyofHistoriansof AmericanForeignRelations36/2(August2005),S.4–16;DiplomaticHistoryRoundtable. TheBushAdministration’sForeignPolicyinHistoricalPerspective,in:DiplomaticHistory 29/3(2005),S.395–444. 9 SiehedazuTheNationalSecurityStrategyoftheUnitedStatesofAmerica,März2006,online:<http:// georgewbush-whitehouse.archives.gov/nsc/nss/2006/nss2006.pdf>,[Stand: 16.April2010]. Unter anderemsindimRahmenderTerrorbekämpfungvonderBush-AdministrationzahlreicheGesetze erlassenworden,welchedieMachtderExekutivezulastenderanderenbeidenRegierungsgewalten TheoretischeÜberlegungenzumThemaAngstindenInternationalenBeziehungen 15 TerrorismusunddiemomentanandauerndeSchwächederWeltwirtschaftlassen ÄngsteaufdenerstenBlickvorrangigalsKrisenphänomeneerscheinen. EinzentralerBefundderBeiträgedesvorliegendenBandesistjedoch,dasses nichtnurdiegroßenKrisenzeitensind,indenenAngstvonBedeutungist.Sie prägt zugleich auch in Friedenszeiten regelmäßig die internationalen Bezie- hungen.MandenkenurandiegeradeindenletztenJahrenimmerwiederandie OberflächetretendenpolnischenÄngstevoreinerdeutschenRevisionspolitik. Auch der Prozess der deutschen Wiedervereinigung wurde von den europäi- schen Verbündeten Deutschlands keineswegs uneingeschränkt begrüßt. Es ist der Vorteil von wissenschaftlichen Tagungen, dass sie die Möglichkeit bieten, vielfältige Erscheinungsformen eines Themas in den Blick zu nehmen. Aus diesem Grundtrafen sich im März 2009 europäische Wissenschaftler zueiner TagunginBonn,umdieserFrageunterdemThema»AngstalsPerzeptions-und Handlungsfaktor indenInternationalenBeziehungen«nachzugehen.Der vor- liegendeSammelbandberuhtaufdenBeiträgendieserKonferenz.10 BevordieeinzelnenBeiträgediesesSammelbandeskurzvorgestelltwerden, sollaufeinigegrundlegendeFragenimZusammenhangmitdemThemaAngst und Internationale Beziehungen eingegangen werden, die den theoretischen RahmenderDiskussionbilden.DabeisollvorallemderVersuchunternommen werden,definitorischeinigeLichtstrahlenineinThemengebietzuwerfen,das historiographischnochweitgehendalsterraincognitageltenkann.Zwargibtes durchaus eine Historiographie der Emotionen und der Angst, allerdings be- schäftigtsich diese nichtexplizit mit demZusammenhang vonAngstundIn- ternationalen Beziehungen. Dennoch ermöglicht die Auseinandersetzung mit den wissenschaftlichen Ansätzen der Emotionsforschung eine sinnvolle erste Annäherung an die Thematik. Im Anschluss daran soll geprüft werden, ob Gefühl und Verstand einander ausschließen. Diese Überlegung ist für den grundsätzlich nach Rationalität strebenden politischen Entscheidungsträger vonerheblicherBedeutung.Darananknüpfendistzufragen,was»Emotionen« ausgedehnthaben.ImApril2006hatmanzugleichdieZahldervomPräsidentenmissachteten Gesetzeauf750geschätzt.Vgl.CharlieSavage,Bushchallengeshundredoflaws,in:International HeraldTribune,3.April2006. 10 EinemähnlichenUnterfangenwidmetesicheineBayreutherTagungzu»AngstundPolitikin dereuropäischenGeschichte«,derenBeiträgesichjedochaufinnenpolitische,überwiegend mittelalterlicheundfrühneuzeitlicheProblemfelderkonzentrierten,währenddieRolleder AngstindenInternationalenBeziehungennuramRandeberührtwurde.EineHamburger Tagungzu»AngstimKaltenKrieg«nahmhingegenstärkerdenZusammenhangvonAngst inderInternationalenPolitikindenBlick.DabeiwurdennebenkulturellenAspektendas VerhältnisvonAngstundSicherheitsowieAngstdiskurseunddieInstrumentalisierungder AngstinOstundWestimZeitraumvon1945–1990thematisiert.Vgl.dazuFranzBosbach (Hg.),AngstundPolitikindereuropäischenGeschichte,Dettelbach2000;BerndGreiner/ ChristianTh.Müller/DierkWalter(Hg.),AngstimKaltenKrieg,Hamburg2009. 16 PatrickBormann/ThomasFreiberger/JudithMichel im Allgemeinen und Gefühle wie »Angst« und »Furcht« im Speziellen ausma- chen. Aus den gewonnenen Befunden sollen dann einige zentrale Schlussfol- gerungen hinsichtlich der methodischen Schwierigkeiten einer geschichtswis- senschaftlichenErforschungderAngstangestelltwerden. Emotionen und Emotionsforschung NachderanfangszitiertenBrockhaus-DefinitionbeschreibenAngstundFurcht menschlicheGefühlszustände.11SiesindSpielartenderübergeordnetenGruppe derEmotionen,diesichnursehrschwermitdemInstrumentariummenschli- cherLogikbeschreibenlassen.TrotzmethodischerProbleme,diedieBeschäf- tigung mit der Analyse von Gefühlen mit sich bringt, hat die Geschichte der EmotionengegenwärtigKonjunktur.12Seitder»kulturalistischenWende«wird dem wahrnehmenden und handelnden Subjekt wieder ein größeres Eigenge- wichtzugesprochen,unddasKonzeptdersoziokulturellenKonstruiertheitvon Emotionen erwies sich als besonders anschlussfähig für die Arbeitsweise der Kulturwissenschaft.13 In Deutschland hat innerhalb der Historiographie vor allemUteFrevertdiestärkereErforschungvonEmotionenangemahnt.14 Lange Zeit scheute die Wissenschaft jedoch davor zurück, sich der Erfor- schungdieseselementaren,aberschwerzufassendenBestandteilsmenschlichen Seins eingehend zu widmen. Erst in den 1970/80er Jahren wurde eine syste- matischeEmotionsforschunginderPsychologie,derPsychoanalyse,denNeu- rowissenschaften,derAnthropologie,derSoziologie,derPolitologiesowieder Geschichtswissenschaft vorangetrieben.15 Die Psychologie und Lebenswissen- schaftenkonzentriertensichdabeihauptsächlichaufdieinvariablenFaktoren derGefühlswelt.Hingegensinddie Soziologie, dieAnthropologieunddieGe- schichtswissenschaft darum bemüht, Emotionen in unterschiedlichen kultu- 11 AngstundFurchtwerdenmitunterzudensogenannten»starkenGefühlen«gezählt,d.h.sie wirken sich in besonderem Maße auf menschliches Verhalten aus. Vgl. Gerhard Roth, Fühlen,Denken,Handeln.WiedasGehirnunserVerhaltensteuert,neue,vollst.überarb. Ausgabe,Frankfurt/Main2003,S.310. 12 Vgl.AlexandraPrzyrembel,SehnsuchtnachGefühlen.ZurKonjunkturderEmotioneninder Geschichtswissenschaft,in:L’Homme16(2005),S.116–124. 13 BirgitAschmann,VomNutzenundNachteilderEmotioneninderGeschichte.EineEin- führung,in:Dies.(Hg.),GefühlundKalkül.DerEinflussvonEmotionenaufdiePolitikdes 19.und20.Jahrhunderts,Stuttgart2005,S.9–32,hierS.27. 14 Derzeit leitet sie das Projekt des Max-Planck-Instituts für Bildungsforschung zur »Ge- schichtederGefühle«undgehtvorallemderkulturellenPrägungvonEmotionennach.Vgl. online: <http://www.mpib-berlin.mpg.de/de/forschung/gg/index.htm>, [Stand: 16.April 2010]. 15 EinenhistoriographischenÜberblickgibtAschmann,VomNutzenundNachteilderEmo- tioneninderGeschichte,S.18–32. TheoretischeÜberlegungenzumThemaAngstindenInternationalenBeziehungen 17 rellen Kontexten nachzugehen bzw. ihrem Wandel im Laufe der Zeit nachzu- spüren.16 Während quantitativ vorgehende Sozialwissenschaften hierbei den Versuch unternehmen, theoretische Modelle zu bilden, kann die Geschichts- wissenschaftanhandkonkreterhistorischerEinzelbeispieledieValiditätdieser Modelleüberprüfen. Die historische Emotionsforschung setzte zu Beginn überwiegend im angloamerikanischen Raum ein. In Anlehnung an den Ansatz der Psychohis- torie konzentrierte sie sich zunächst auf Gefühle im familiären Kontext.17 Es folgtenStudienunteranderemzurGeschichtedesÄrgers,derLangeweile,des Vertrauens, des Ekels, der Aggression und auch der Angst.18 Aufbauend auf frühen Untersuchungen zur Massenpsychologie, begannen Soziologen und HistorikersichaußerdemdemPhänomenvonMasseundEmotionimKontext autoritärer Regime sowie der Herausbildung von sozialen Bewegungen zu widmen–wobeiunteranderemAngstalseinKontrollinstrumentundMobili- sierungsfaktorausgemachtwurde.19 IndenletztenJahrenschenktenimmermehrEmotionsforscherdemThema Angst ihre Aufmerksamkeit. Zu nennen sind hier zunächst die Studien der SoziologenBarryGlassnerundFrankFuredi,diesichmitderEntstehungund 16 Vgl.PeterN.Stearns,AmericanFear.TheCausesandConsequencesofHighAnxiety,New YorkundLondon2006,S.13. 17 DiePsychohistorieuntersuchthistorischeVorgängemiteinempsychologischenAnsatz.Im ZentrumderUntersuchungstehendieGeschichtederKindheitundFamilien,diePsycho- biographikunddieMassenpsychohistorie.Vgl.LloyddeMause,WasistPsychohistorie?Eine Grundlegung,Gießen2000.ZuEmotionenimfamiliärenKontextvgl.dieÜbersichtinPeter N.undCarolZ.Stearns,Emotionology.ClarifyingtheHistoryofEmotionsandEmotional Standards,in:TheAmericanHistoricalReview90/4(1985),S.813–836undbeiUteFrevert, AngstvorGefühlen?DieGeschichtsmächtigkeitvonEmotionenim20.Jahrhundert,in:Paul Nolteu.a.(Hg.),PerspektivenderGesellschaftsgeschichte,München2000,S.95–111,hier S.96f. 18 CarolZ.Stearns/PeterN.Stearns,Anger.TheStruggleforEmotionalControlinAmerica’s History,ChicagoundLondon1986;MartinaKessel,Langeweile.ZumUmgangmitZeitund Gefühlenvom18.biszum20.Jahrhundert,Göttingen2000;WinfriedMenninghaus,Ekel. Theorie und Geschichte einer starken Empfindung, Frankfurt/Main 1999; Ute Frevert, Vertrauen. Historische Annäherungen aneine Gefühlshaltung, in: Claudia Benthienu.a. (Hg.),Emotionalität.ZurGeschichtederGefühle,Kölnu.a.2000,S.178–197;PeterGay,Kult derGewalt.AggressionimbürgerlichenZeitalter,München2000;Ders.,DasZeitalterdes Doktor Arthur Schnitzler. Innenansichten des 19. Jahrhunderts, Frankfurt/Main 2002, S.161–191. 19 Vgl.beispielsweise(cid:218)rp(cid:129)dvonKlimß/MalteRolf(Hg.),RauschundDiktatur.Inszenierung, MobilisierungundKontrolleintotalitärenSystemen,Frankfurt/MainundNewYork2006; Ansgar Klein/Frank Nullmeier (Hg.), Masse – Macht – Emotionen. Zu einer politischen SoziologiederEmotionen,OpladenundWiesbaden1999;HelenaFlam/DebraKing(Hg.), Emotions and Social Movements, London und New York 2005; Jeff Goodwin/James M. Jasper/FrancescaPolletta(Hg.),PassionatePolitics.EmotionsandSocialMovements,Chi- cagoundLondon2001. 18 PatrickBormann/ThomasFreiberger/JudithMichel Politisierung von wachsenden Angstgefühlen vor allem in den Vereinigten Staaten auseinandersetzen. Ihre Arbeiten geben interessante Einblicke in die bisweilen existierende Kluft zwischen Bedrohungsperzeptionen und tatsächli- chenBedrohungensowiediepolitischeundmedialeInstrumentalisierungvon Angst, ohne jedoch eine historische Perspektive einzunehmen.20 Auch der PhilosophLarsSvendsen,derjüngsteine»PhilosophyofFear«vorgelegthat,ist auf das gesellschaftliche Paradoxon gestoßen, dass die moderne Lebenswelt faktisch immer sicherer werde, während sich gleichzeitig eine ausgeprägte Kultur der Angst ausbreite, die vor allem darin bestehe, »that we seem to see everything from a perspective of fear.«21 Der Politologe Corey Robin legt zu Beginn seiner Studie den Stellenwert von Angst in der westlichen politischen Ideengeschichtedar,umsichdaraufaufbauendebenfallsdamitzubefassen,wie politische Entscheidungsträger in den USA Ängste bewusst nutzen, um ihre Agendavoranzutreiben.22 Die Historikerin Joanna Bourke nimmt weniger die politischenAspektederAngstindenBlick,sondernwendetsichderkulturellen DimensionvonAngstundihremsozialemAusdruckindenletztenzweihundert Jahrenzu.Sie kritisiertdabeieine ÜberrationalisierungderGefühle, diedazu führt,dassdiephysiologischeKomponentevonAngstindenHintergrundtritt.23 Der Historiker Peter N. Stearns, der als ein Pionier der historischen Emoti- onsforschungbetrachtetwerdenkann,hatebenfallseineStudiezurGeschichte derAngst in denVereinigten Staatenvorgelegt. Er versuchtherauszuarbeiten, wie sich Angst und ihr Ausdruck im Laufe der Zeit gewandelt haben, wie die Angst sich in den weiteren Kontext der amerikanischen Verhaltensgeschichte einordnen lässt und wie und warum sich amerikanische Angst von Angst in anderenGesellschaftenunterscheidet.24DerSchwerpunktliegtdarüberhinaus auf der innenpolitischen Nutzung von Angst durch Politiker sowie auf den kulturellen Aspekten, wohingegen die Rolle von Angst in den Internationalen BeziehungennuramRandebehandeltwird.25 Zudenwenigen Historikern,die sich mitAngst in denInternationalenBe- ziehungen beschäftigthaben, gehörte derbritische Historiker Herbert Butter- field.Erstelltebereits1960fest:»[F]earandsuspicionarenotmerelyfactorsin 20 BarryGlassner,TheCultureofFear.WhyAmericansareAfraidoftheWrongThings,New York1999;FrankFuredi,ThePoliticsofFear,NewYork2005. 21 Vgl.LarsSvendsen,APhilosophyofFear,London2008,S.11–20,hierS.13,[Hervorhebung imOriginal]. 22 CoreyRobin,Fear.TheHistoryofaPoliticalIdea,NewYork2004. 23 JoannaBourke,Fear.ACulturalHistory,Emeryville2006. 24 Stearns,AmericanFear.Vgl.hierzuauchdieBeiträgevonMichaelLenzundThomasFrei- bergerindiesemBand. 25 DasvorkurzemerschieneneWerkvonDominiqueMo(cid:128)si,KampfderEmotionen.WieKul- turenderAngst,DemütigungundHoffnungdieWeltpolitikbestimmen,München2009ist eheressayistischgehalten. TheoretischeÜberlegungenzumThemaAngstindenInternationalenBeziehungen 19 the story, standing on a level with a lot of other factors. They give a certain quality to human life in general, conditionthe natureofpolitics, and imprint theircharacterondiplomacyandforeignpolicy.«26ButterfieldwarderAuffas- sung,dassdieWirklichkeitiminternationalenStaatensystemjenemUrzustand in einer Gesellschaft ohne Staatsgewalt gleiche, den Hobbes einst als Zustand »beständige[r]FurchtundGefahreinesgewaltsamenTodes«27beschriebenhat. AufgrundeinesfehlendenLeviathans,soButterfield,befindesichdasInterna- tionale Staatensystem immer noch in einer »situation of Hobbesian fear.«28 Ansonsten ist die Bedeutung von Emotionen für das politische Agieren von Entscheidungsträgernbislangkaumuntersuchtworden.Dabeigiltauchfürdie Geschichte der Internationalen Beziehungen, dass Emotionen als Gefühlsdis- positionen auf Handlungen Einfluss nehmen können.29 Nichtsdestoweniger beklagteFrankNullmeier2006zuRecht,dassdemZusammenhangvonEmotion und politischem Handeln bislang meist nur kursorische Aufmerksamkeit ge- widmetwurde.30EslohntsichdaherauchbereitsintensivuntersuchteThemen nocheinmaleinerPrüfungzuunterziehenunddieemotionalenBestandteileder Handlungennachzuzeichnen.31 Da einer Handlung stets kognitive Prozesse wie Vorstellungen und Wahr- nehmungen vorausgehen und Kognitionen wiederum stark von Emotionen beeinträchtigt werden können, gilt es zu klären, inwelchem Verhältnis Wahr- nehmung und Emotion zueinander stehen. Gefühle sind »typischerweise ge- genstandsarm und unpräzise« und können daher auch nicht wesenhaft den Wahrnehmungen,VorstellungenundGedankenzugerechnetwerden,dadiesein derRegelkonkrete,benennbareInhalteaufweisen.Diesbedeutet,dassGefühle zunächsteinmalzudeneinfachenWahrnehmungenundVorstellungenhinzu- kommen,ihreWirkungalsoeheradditiventfalten.32AndieserStellelässtsich 26 Herbert Butterfield, Human Nature and the Dominion of Fear, in: Ders., International ConflictintheTwentiethCentury.AChristianView,NewYork1960,S.81–98,hierS.85. 27 ThomasHobbes,LeviathanoderStoff,FormundGewalteineskirchlichenundbürgerlichen Staates,hg.undeingeleitetvonIringFetscher,8.Aufl.,Frankfurt/Main1998,S.96. 28 Butterfield,HumanNatureandtheDominionofFear,S.85.DenBegriff»Hobbesianfear«hat Butterfieldbereits1951geprägt:HerbertButterfield,TheTragicElementinModernInter- nationalConflict,in:Ders.,HistoryandHumanRelations,London1951,S.9–36,hierS.21. 29 Vgl.Aschmann,VomNutzenundNachteilderEmotioneninderGeschichte,S.30.Vgl.auch HildeHaider,EmotionenalsSteuerungselementemenschlichenHandelns,in:BirgitAsch- mann.(Hg.),GefühlundKalkül.DerEinflussvonEmotionenaufdiePolitikdes19.und20. Jahrhunderts,Stuttgart2005,S.33–47. 30 Vgl.FrankNullmeier,PolitikundEmotion,in:RainerSchützeichel(Hg.),Emotionenund Sozialtheorie. Disziplinäre Ansätze, Frankfurt/Mainund New York 2006, S.84–103,hier S.84f. 31 DieseForderungerhebtAschmann,VomNutzenundNachteilderEmotioneninderGe- schichte,S.11. 32 Vgl.Roth,Fühlen,Denken,Handeln,S.294–297,ZitatS.297. 20 PatrickBormann/ThomasFreiberger/JudithMichel die Emotionsforschung mit der Perzeptionsforschung verknüpfen, die in der Geschichtsschreibungder InternationalenBeziehungen schonlange verankert ist.DieEmotionkanndabeialseiner vonvielenFaktorenverstandenwerden, der Wahrnehmungen beeinflusst.33 Was Gottfried Niedhart über den kausalen Nexus von Wahrnehmung und Handlung festgestellt hat, ist auch auf die Wechselwirkung von Emotion und Handlung zu übertragen: »Der konkrete Zusammenhang von Perzeption und Entscheidung ist nur von Fall zu Fall zu beschreiben. Manche Perzeptionen determinieren Handlungen, andere lassen verschiedeneHandlungenzu.MancheHandlungenverändernPerzeptionen.«34 AuchinBezugaufEmotionenwieAngstwirdmanfeststellenkönnen,dassdiese nichtzwingendeinebestimmteHandlunghervorruft.Abhängigvonallgemei- nenRahmenbedingungenundindividuellenPrädispositionenmagsiedaseine Mal Fluchtreflexe auslösen, während sie das andere Mal Angriffsbereitschaft weckt.35 Verstand vs. Gefühl? EinGrundfürdie dilatorische BehandlungdesThemas Angst indenInterna- tionalen Beziehungen mag auch damit zusammenhängen, dass Gefühle allge- mein und Angst im Speziellen immer noch als Störfaktoren in einer von Ver- nunftbestimmtenWeltbetrachtetwerden.DochstehensichVerstandundGe- fühl in der Domäne menschlichen Handelns tatsächlichunversöhnlich gegen- über? DurchdieForschungsergebnissederNeurowissenschaftenistdieDichotomie zwischenirrationalemGefühlundrationalerVernunftmittlerweileüberwiegend aufgegeben, vielmehr gelten Emotionen heute als wichtiger Bestandteil ratio- nalenHandelns.36Fühlen,WahrnehmenundDenkenwirkenzusammen.37Vor 33 GrundlegendzurWahrnehmungindenInternationalenBeziehungen:RobertJervis,Per- ceptionandMisperceptioninInternationalPolitics,Princeton1976. 34 GottfriedNiedhart,SelektiveWahrnehmungundpolitischesHandeln.InternationaleBe- ziehungenimPerzeptionsparadigma,in:WilfriedLoth/JürgenOsterhammel(Hg.),Inter- nationaleGeschichte.Themen–Ergebnisse–Aussichten,München2000,S.141–157,hier S.154. 35 DieshatamBeispielderdeutschenAußenpolitikvon1848bis1914ausgeführtLancelotL. Farrar,ArroganceandAnxiety.TheAmbivalenceofGermanPower,1848–1914,IowaCity 1981. 36 Grundlegend hierzu Roth, Fühlen, Denken, Handeln, S.287–292. Siehe auch Lorraine Daston,DiekognitivenLeidenschaften,in:Dies.(Hg.),Wunder,BeweiseundTatsachen.Zur GeschichtederRationalität,Frankfurt/Main2001,S.77–98;Aschmann,VomNutzenund NachteilderEmotioneninder Geschichte,S.17.Aschmannwarntzugleichdavor,Emo- tionenzusehrindasrationaleSchemazupressen,dadiesihnendenspezifischen,leiden- schaftlichenCharakternehme.Vgl.ebd.,S.18. TheoretischeÜberlegungenzumThemaAngstindenInternationalenBeziehungen 21 allemdieStudienderamerikanischenNeurobiologenJosephLeDouxundAn- tonioDamasiohabenSchädigungenvonHirnregionenundderenAuswirkun- genaufdasemotionaleundrationaleVerhaltenvonPatientenuntersucht.Dabei stellte sich heraus, dass in einigen Fällen die Patienten ihre kognitiven Fähig- keitenbehielten,dagegenjedochvölligemotionsloswurdenundsichbesonders mit Blick auf ihre soziale Umwelt unvernünftig und rücksichtslos verhielten. BekannteGefahrenwurdennichtmehrgemiedenundstattdessenhoheRisiken eingegangen.38 AuchwennGefühlundVernunftimAllgemeinennichtmehralsGegensätze begriffenwerden,bedeutet dies nicht, dass Emotionenper se rationaleHand- lungenunterstützen.ZwargibtesdurchausGefühle,diebeiderKognitioneiner Situation behilflich sind und dazu beitragen, eine entsprechend angemessene Handlungauszulösen.AlsBeispielwärehierderFluchtreflexzurMeidungeiner Gefahrzunennen.JedochgibtesauchEmotionen,dieirrationaleHandlungen begünstigen, wenn diese generell zum Ausschluss von Handlungsalternativen führenundsomiteineWahlmöglichkeitverhindernodersiegardieWahleiner suboptimalenAlternativewiderbesseresWissenanregen.DiesistzumBeispiel der Fall, wenn aufgrund von persönlichen Abneigungen zwischen Staatsmän- nern kein Dialog über gemeinsame Interessen zustande kommt. Auch gibt es rationalesVerhaltenohnegrößereemotionaleAufladung.39 HieranschließtsichdieFragean,wiebewusstbzw.unbewusstGefühleauf- tretenundwiesehrGefühlezubestimmtenHandlungentreibenbzw.inwiefern sie gezielt kontrolliert werden können und verschiedene Handlungsmöglich- keitenzulassen.DieNeurobiologiegehtdavonaus,dassKognitionenstarkvon Emotionen, jedoch Emotionen selten von Kognitionen beeinflusst werden. Emotionen haben somit das erste und das letzte Wort im menschlichen Han- deln: »Sie haben das erste Wort insofern, als sie maßgeblichunsereZiele und Wünscheprägen,undsiehabendasletzteWortinsofern,alssieinletzterInstanz darüber entscheiden, welche von den rational erwogenen Handlungsoptionen durchgeführt werden und welche nicht.«40 Umgekehrt ist es hingegen kaum 37 Vgl.hierzuausführlichDietrichDörner/TheaStäudel,EmotionundKognition,in:KlausR. Scherer(Hg.),PsychologiederEmotion,Göttingen1989,S.293–344;HorstGies,Emotio- nalitätversusRationalität?,in:BerndMütter/UweUffelmann(Hg.),Emotionenundhis- torischesLernen.Forschung–Vermittlung–Rezeption,Hannover1996,S.27–40. 38 Vgl.AntonioR.Damasio,Descartes’Irrtum.Fühlen,DenkenunddasmenschlicheGehirn,3. Aufl.,MünchenundLeipzig1997,S.86–119,hierS.87;JosephE.LeDoux,Emotioninthe Brain,in:AnnualReviewofNeuroscience23(2000),S.155–184. 39 Vgl.Nullmeier,PolitikundEmotion,S.100;AnnetteSchnabel,SindEmotionenrational? Emotionen als Herausforderung für Rational-Choice-Ansätze, in: Schützeichel (Hg.), EmotionenundSozialtheorie,S.175–194,hierS.184. 40 RainerSchützeichel,EmotionenundSozialtheorie–eineEinleitung,in:Ders.(Hg.),Emo- 22 PatrickBormann/ThomasFreiberger/JudithMichel möglich,sichbewusstfürEmotionenzuentscheiden;jedochkannmanbewusst Situationenschaffen,diebestimmteEmotionenevozieren.41UmnureinBeispiel zunennen:diewestdeutscheunddiefranzösischeRegierungversuchtenseitden 1960erJahren,inihrenBevölkerungenfreundschaftlicheGefühlefürdiejeweils andere Bevölkerung zu stärken, indem Austauschprogramme und interkultu- relleVeranstaltungengefördertwurden. Deutungskonzepte der Emotionen WiedieFragenachdemVerhältnisvonGefühlundVernunftwarauchdieFrage nach der Entstehung und Essenz von Gefühlen lange Zeit in der Forschung umstritten. »Wie kann man Emotionen beschreiben?«, fragt etwa Rainer Schützeichel:»Handeltessichumphysiologische,umbehaviorale,umkogni- tive, um leibliche, um bewusstseinsförmige oder um semantisch-kulturelle Phänomene?«42 Anne-Charlott Trepp erklärt die Entstehung von Emotionen durchdas»Zusammenwirkenbiologischer,psychischer,sozialerundkultureller Faktoren.«43ÄhnlichsiehtdiesUteFrevert,diederAnsichtist,Emotionensetzen sichimWesentlichenausvierBestandteilenzusammen:»ausderunmittelbaren Wahrnehmung einer gegebenen (sozialen) Situation, aus Veränderungen kör- perlicher Empfindungen, aus der Demonstration expressiver Gesten und aus einemkulturellenCode,derdieseGestenmitBedeutungversieht.«44WieBirgit Aschmann herausarbeitet, musste Frevert in dem von ihr gewählten Beispiel »Vertrauen«allerdingsbereitsselbstAbstricheandieserDefinitionvornehmen, daesdurchausGefühlegebe,dieohnesozialenReizentstündenundauchkeine körperlicheReaktionmitsichbrächten.45 BisheutescheidensichdieGeisteranderFrage,wiedievonFrevertdekla- rierten Einflussfaktoren zu gewichten bzw. ob sie überhaupt konstitutiv für Emotionensind.AmeinenEndederBandbreitestehenVerfechterdesphysio- logischen Ansatzes, die Gefühle lediglich als hormonelles bzw. synaptisches Reiz-Reaktions-Schema begreifen. Dieser Ansatz führt für den Historiker tionenundSozialtheorie,S.7–26,hierS.10.ZurneurobiologischenDiskussionsieheRoth, Fühlen,Denken,Handeln,S.292–297. 41 Vgl.Schnabel,SindEmotionenrational?,S.189. 42 Schützeichel,EmotionenundSozialtheorie–eineEinleitung,S.12.Vgl.auchRoth,Fühlen, Denken,Handeln,S.293f. 43 Anne-CharlottTrepp,CodecontraGefühl?EmotioneninderGeschichte,in:Sowi30(2001), S.44–53,hierS.45. 44 Frevert,AngstvorGefühlen?,S.98. 45 Vgl.dazuUteFrevert,Vertrauen–einehistorischeSpurensuche,in:Dies.(Hg.),Vertrauen. Historische Annäherungen, Göttingen 2003, S.7–66. Zur Kritik siehe Aschmann, Vom NutzenundNachteilderEmotioneninderGeschichte,S.12f.

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Patrick Bormann / Thomas Freiberger / Judith Michel characterized by anticipation of pain and great distress and accompanied by heightened.
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