Theoretische Physik II: Analytische Mechanik und Grundlagen der Thermodynamik Matthias Bartelmann Institut für Theoretische Astrophysik Universität Heidelberg ii Herzlichen Dank an viele Studentinnen und Studenten, die das Skript kommentiertundkorrigierthabenunddamitsehrdazubeigetragenhaben, eszuverbessernundverständlicherzumachen! Inhaltsverzeichnis 1 SystememitNebenbedingungen 1 1.1 Vorbereitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1.1 ZwangsbedingungenundverallgemeinerteKo- ordinaten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 1.1.2 Lagrange-Multiplikatoren . . . . . . . . . . . 3 1.2 Dasd’AlembertschePrinzip . . . . . . . . . . . . . . 5 1.2.1 Zwangskräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 1.2.2 AllgemeineFormulierungdesd’Alembert’schen Prinzips . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 7 1.2.3 ErweiterungaufdynamischeSysteme . . . . . 8 1.2.4 Lagrange-GleichungenersterArt . . . . . . . 10 2 Lagrange-Formalismus 13 2.1 LagrangegleichungenzweiterArt . . . . . . . . . . . . 13 2.1.1 Herleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2.1.2 EinfacheBeispiele . . . . . . . . . . . . . . . 15 2.1.3 KräfteinbeschleunigtenBezugssystemen . . . 16 2.2 Kreiselbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2.2.1 Bewegungdeskräftefreien,symmetrischenKrei- sels . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2.2.2 Euler’scheGleichungen . . . . . . . . . . . . 19 2.2.3 AnwendungderEuler’schenGleichungen . . . 20 2.2.4 KreiselimSchwerefeld . . . . . . . . . . . . . 22 3 Extremalprinzipien 25 iii iv INHALTSVERZEICHNIS 3.1 HamiltonsPrinzipderstationärenWirkung . . . . . . 25 3.1.1 Beispiel:DasFermat’schePrinzip . . . . . . . 25 3.1.2 HamiltonsPrinzip . . . . . . . . . . . . . . . 26 3.2 Hamiltonfunktion . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 28 3.2.1 DiekanonischenGleichungen . . . . . . . . . 28 3.2.2 HamiltonfunktionundEnergie . . . . . . . . . 30 3.2.3 Kanonische Gleichungen aus dem Wirkungs- prinzip . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 33 4 MechanikkontinuierlicherMedien 35 4.1 LineareKette . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 35 4.1.1 GrenzübergangzumKontinuierlichen . . . . . 35 4.1.2 AbleitungderBewegungsgleichungenausdem Lagrangefunktional . . . . . . . . . . . . . . . 38 4.1.3 Died’Alembert’scheGleichung . . . . . . . . 39 4.2 SchwingendeSaite . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 4.3 SchwingendeMembran . . . . . . . . . . . . . . . . . 44 5 SymmetrienundErhaltungssätze 47 5.1 Galilei-Invarianz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 5.2 Noether-Theoreme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 50 5.3 Lorentz-Invarianz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 5.3.1 DiespezielleLorentztransformation . . . . . . 52 5.3.2 DerMinkowski-Raum . . . . . . . . . . . . . 54 6 AnalytischeMechanik 57 6.1 KanonischeTransformationen . . . . . . . . . . . . . 57 6.1.1 BahnenimerweitertenPhasenraum . . . . . . 57 6.1.2 KanonischeTransformationen . . . . . . . . . 59 6.2 Hamilton-Jacobi-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . 60 6.2.1 DieHamilton-Jacobi-Gleichung . . . . . . . . 60 6.2.2 HarmonischerOszillator . . . . . . . . . . . . 61 INHALTSVERZEICHNIS v 6.2.3 BewegungdesfreienMassenpunkts . . . . . . 62 6.2.4 LösungderHamilton-Jacobi-Gleichung . . . . 63 6.3 LiouvillescherSatz,Poisson-Klammern . . . . . . . . 64 6.3.1 DerLiouvillescheSatz . . . . . . . . . . . . . 64 6.3.2 Poisson-Klammern . . . . . . . . . . . . . . . 65 7 StabilitätundChaos 67 7.1 Stabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 67 7.1.1 BewegunginderNähedesGleichgewichts . . 67 7.1.2 DefinitionenundSätzezurStabilität . . . . . . 70 7.1.3 HamiltonscheSysteme . . . . . . . . . . . . . 71 7.1.4 Attraktoren;dievan-der-PolscheGleichung . . 73 7.2 ChaosinderHimmelsmechanik . . . . . . . . . . . . 74 7.2.1 Beispiel:SaturnmondHyperion . . . . . . . . 74 7.2.2 ChaotischesTaumelnaufderEllipsenbahn . . 76 8 GrundlagenderstatistischenPhysik 79 8.1 DasGrundpostulatderstatistischenPhysik . . . . . . . 79 8.1.1 Mikro-undMakrozustände . . . . . . . . . . . 79 8.1.2 AufenthaltswahrscheinlichkeitenimPhasenraum 80 8.1.3 DerLiouville’scheSatz . . . . . . . . . . . . . 82 8.1.4 ÜberganginsGleichgewicht . . . . . . . . . . 83 8.1.5 AnzahlzugänglicherZustände . . . . . . . . . 84 8.2 WechselwirkungenzwischenSystemen . . . . . . . . 86 8.2.1 MechanischeArbeitundWärme . . . . . . . . 86 8.2.2 VollständigeundunvollständigeDifferentiale . 87 8.2.3 QuasistatischeZustandsänderungen . . . . . . 89 9 TemperaturundEntropie 91 9.1 ÜbergängezwischenGleichgewichtszuständen . . . . 91 9.1.1 ReversibleundirreversibleZustandsänderungen 91 vi INHALTSVERZEICHNIS 9.1.2 ÄußereParameterimGleichgewicht . . . . . . 92 9.2 ThermischesGleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . 93 9.2.1 DieabsoluteTemperatur . . . . . . . . . . . . 93 9.2.2 Physikalische Eigenschaften im thermischen Gleichgewicht . . . . . . . . . . . . . . . . . 96 9.3 Entropie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 9.3.1 Definition . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 98 9.3.2 AllgemeineWechselwirkung . . . . . . . . . . 99 9.4 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 9.4.1 Helium-Diffusion . . . . . . . . . . . . . . . . 102 9.4.2 Fermi-Druck . . . . . . . . . . . . . . . . . . 103 9.4.3 VerlaufeinerAdiabate . . . . . . . . . . . . . 104 10 Wahrscheinlichkeit 105 10.1 Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 105 10.1.1 Kolmogorow’scheAxiome . . . . . . . . . . . 105 10.1.2 Beispiele . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 107 10.1.3 MittelwertundStreuung . . . . . . . . . . . . 108 10.2 Zufallsbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 10.2.1 Zufallsbewegung . . . . . . . . . . . . . . . . 109 10.2.2 Grenzfallgroßer N . . . . . . . . . . . . . . . 112 10.3 DieMaxwell-unddieBoltzmann-Verteilung . . . . . . 114 10.3.1 DieMaxwell-Verteilung . . . . . . . . . . . . 114 10.3.2 DieBoltzmann-Verteilung . . . . . . . . . . . 116 11 EinfacheAnwendungen 117 11.1 EinfachethermodynamischeBeziehungen . . . . . . . 117 11.1.1 EindeutigkeitderEntropie . . . . . . . . . . . 117 11.1.2 ThermischesundmechanischesGleichgewicht 118 11.1.3 WärmekapazitätundspezifischeWärme . . . . 119 11.2 DasidealeGas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 120 INHALTSVERZEICHNIS vii 11.2.1 Vorbemerkungen . . . . . . . . . . . . . . . . 120 11.2.2 SpezifischeWärmen . . . . . . . . . . . . . . 123 11.2.3 AdiabatischeExpansion . . . . . . . . . . . . 125 11.2.4 Erweiterungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 126 11.2.5 Entropie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 12 ThermodynamischeFunktionen 129 12.1 ThermodynamischeFunktionen . . . . . . . . . . . . 129 12.1.1 Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . 129 12.1.2 Legendre-Transformationen . . . . . . . . . . 130 12.1.3 DieEnthalpie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 132 12.1.4 DiefreieEnergie . . . . . . . . . . . . . . . . 132 12.1.5 DiefreieEnthalpie . . . . . . . . . . . . . . . 133 12.1.6 Zusammenfassung;Maxwell-Relationen . . . . 134 12.2 EinigeAnwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 12.2.1 SpezifischeWärmen . . . . . . . . . . . . . . 135 12.2.2 EntropieundEnergie . . . . . . . . . . . . . . 137 12.2.3 VanderWaals-Gas . . . . . . . . . . . . . . . 139 13 Kreisprozesse 141 13.1 DerJoule-Thomson-Effekt . . . . . . . . . . . . . . . 141 13.1.1 FreiexpandierendesGas . . . . . . . . . . . . 141 13.1.2 Joule-Thomson-Koeffizient . . . . . . . . . . . 142 13.1.3 Joule-Thomson-EffektimVan-der-Waals-Gas . 143 13.2 KreisprozesseundWärmekraftmaschinen . . . . . . . 146 13.2.1 DerCarnotscheWirkungsgrad . . . . . . . . . 146 13.2.2 DerCarnot-Prozess . . . . . . . . . . . . . . . 147 13.2.3 DerOtto-Prozess . . . . . . . . . . . . . . . . 149 13.2.4 DieClausius-Clapeyron’scheGleichung . . . . 150 14 Phasengleichgewicht 153 viii INHALTSVERZEICHNIS 14.1 GleichgewichtundStabilität . . . . . . . . . . . . . . 153 14.1.1 ExtremaleigenschaftenimGleichgewicht . . . 153 14.1.2 Stabilitätsbedingungen . . . . . . . . . . . . . 155 14.2 DaschemischePotential . . . . . . . . . . . . . . . . 157 14.2.1 Definition,Phasengleichgewicht . . . . . . . . 157 14.2.2 DieGibbs’schePhasenregel . . . . . . . . . . 158 14.2.3 Gibbs-Duhem-Beziehung, Reaktionsgleichge- wichte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 160 14.3 Phasenübergangimvan-der-Waals-Gas . . . . . . . . 161 14.3.1 DiefreieEnthalpie . . . . . . . . . . . . . . . 161 14.3.2 LatenteWärme . . . . . . . . . . . . . . . . . 163 15 IdealeHydrodynamik 165 15.1 Grundgleichungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 15.1.1 Vorbemerkung . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 15.1.2 DieKontinuitätsgleichung . . . . . . . . . . . 166 15.1.3 DieEulerscheGleichung . . . . . . . . . . . . 167 15.1.4 Energieerhaltung . . . . . . . . . . . . . . . . 168 15.1.5 Zusammenfassung . . . . . . . . . . . . . . . 171 15.2 EinfacheAnwendungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 172 15.2.1 DieBernoullischeGleichung . . . . . . . . . . 172 15.2.2 Schallwellen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 173 15.2.3 DiebarometrischeHöhenformel . . . . . . . . 175 Kapitel 1 Systeme mit Nebenbedingungen 1.1 Vorbereitung 1.1.1 Zwangsbedingungen und verallgemeinerte Koor- dinaten • Bereits in der Punktmechanik im ersten Teil der Vorlesung wur- de erwähnt, dass physikalische Systeme oft durch besondere Be- dingungen in ihrer Bewegung eingeschränkt werden. Ein einfa- chesBeispielwardasmathematischePendel,dessenPendelkörper durch seine Pendelachse auf eine Ebene und durch die konstan- te Pendellänge auf die Bewegung längs einer Kreislinie einge- schränktwird.WirkönnendiesenSachverhaltdadurchausdrücken, dass die ursprünglichendrei Freiheitsgradedes Massenpunkts im mathematischenPendeldurchzweiBedingungenauf einenredu- ziertwerden. • Weitere naheliegende und alltägliche Beispiele für Nebenbedin- gungen sind Kinder, die auf einer Rutschbahn rutschen; zwei Massenpunkte, die durch eine Stange zu einer Hantel verbunden sind;Kugelbahnen, indeneneine herabrollendeKugel durcheine Schienegeführtwird;einPlanet,dessenBewegungdurchdieDre- himpulserhaltungaufeineBahnebeneeingeschränktwird,usw. • BisherhattenwirdieFreiheitsgradevonKörpernmeistensdurch kartesischeKoordinatenbeschrieben.AllgemeinkönnenFreiheits- gradeaberdurchweitgehendbeliebige,unabhängigeLageparame- terbeschriebenwerden,diezurvollständigenCharakterisierung der Lage des Systems notwendig (und hinreichend) sind. So hat einSystemvon N MassenpunktenohneeinschränkendeNebenbe- dingungen f = 3N Freiheitsgrade,diedurchdie N Ortsvektoren (cid:126)x mitihrenjeweilsdreiKomponentendargestelltwerdenkönnen. i Zwei Massenpunkte an einer Stange haben f = 3 × 2 − 1 = 5 1 2 KAPITEL1. SYSTEMEMITNEBENBEDINGUNGEN Freiheitsgrade,weildieStangeeineNebenbedingungdarstellt.Ein starrerKörperhat f = 6Freiheitsgrade,nämlichdie Lageseines SchwerpunktsunddiedreiEulerwinkel,dieseineOrientierungim Raumangeben. • Nebenbedingungen,diedieAnzahlder Freiheitsgradeeinschrän- ken, werden auch Zwangsbedingungen genannt. Sie können auf verschiedene Weisen formuliert werden. Oft ist es möglich, sie durchGleichungenderArt f((cid:126)x ,...,(cid:126)x ,t) = 0 , 1 ≤ i ≤ r (1.1) i 1 N auszudrücken,dier Bedingungenandie N OrtsvektorenderMas- senpunktestellen.WirnehmenimFolgendenan,dassdier Funk- tionen f genügendoftdifferenzierbarsindunddassdieMatrix i ∂∂∂x...ff11r1 ∂∂∂x...ff11r2 ...... ∂∂∂x...f3f1rN (1.2) ∂x11 ∂x12 ∂x3N dort den Rang r hat, wo f((cid:126)x ,t) = 0 erfüllt ist1 Beispiele für i j NebenbedingungendieserArtsind: – EineBewegungaufeinerEbeneerfülltdieBedingung(cid:126)x·(cid:126)n = 0,wenn(cid:126)nderNormalenvektorderEbeneist. – Eine Bewegung auf einer Kugel stellt die Bedingung |(cid:126)x| = R = konst,also|(cid:126)x|−R = 0. ZwangsbedingungendesTyps(1.1)heißenholonom,anderenTyps nichtholonom.EinBeispielfüreinenichtholonomeZwangsbedin- gung ist die für die Bewegung innerhalb einer Kugel, also mit |(cid:126)x| ≤ R. Bedingungen,die dieZeit explizitenthalten, heißenrheo- nom,anderenfallsskleronom(griechischrheos=fließend;skleros = starr).Bei r Zwangsbedingungenfür N Massenpunktereduziert sichdieAnzahlderFreiheitsgradeauf f = 3N −r. • Der Konfigurationsraum eines Systems ist der Teil des 3N- dimensionalen Raums, der von den Koordinaten oder Lagepara- metern der N Massenpunkteaufgespannt wird. Dier Bedingungs- gleichungen f definiereneine(3N −r)-dimensionalesogenannte i Untermannigfaltigkeit im Konfigurationsraum2. Zum Beispielist derKonfigurationsraumeinesfreienMassenpunktsderdreidimen- sionale reelle Raum R3. Die Zwangsbedingung |(cid:126)x| = R definiert 1DerRangeinerlinearenAbbildungA:V →W auseinemVektorraumV ineinen VektorraumW istdieDimensionihresBildraums,d.h.dieDimensiondesRaums,der vondenBildvektorenallerVektorenausdemVektorraumV aufgespanntwird. 2n-dimensionaleMannigfaltigkeitensindstetige,genügendglatteRäume,deren GeometrieallgemeineralsdiedesRnseinkann.EinegenauereDefinitionisthiernicht notwendig.
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