THEORETISCHE BIOLOGIE YOM STANDPUNKT DER IRREVERSIBILITAT DES ELEMENTAREN LEBENSVORGANGES VON PROFESSOR DR. RUDOLF EHRENBERG PRIVATDOZENT FOR PHYSIOLOGIE AN DER UNIVERSITAT GOTTINGEN BERLIN VERLAG VON JULIUS SPRINGER 192 3 ISBN 978-3-642-49578-6 ISBN 978-3-642-49869-5 (eBaak) DOl 10.1007/978-3-642-49869-5 ALLE RECHTE,JNSBESONDERE DAS DER OBERSETZUNG IN FREMDE SPRACHEN, VORBEHALTEN. COPYRIGHT 1923 BY JULIUS SPRINGER IN BE,RLIN. SOFTCOVER REPRINT OF THE HARDCOVER 1S T EDITION 1923 HERMANN HECHT DEM FREUNDE UND FORDERER MEINER ARBEIT Inhaltsverzeichnis. Seite Einleitung ........•................... Der biologische Geschichtstrager. - Das biologische Grundgesetz. - Das Todesproblem. - Biologische Irreversibilitat. - Materialistische Biologie. Biologische Atomistik? - Der Elementarablauf (Biorheuse). Tod und Zellteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . • . . . 17 Der "physiologische Tod". - Die "potentielle Unsterblichkeit". - Ver jiingung. - Struktur und Lebenshemmung. - Strukturbildung. - Akti vitat oder Gefalle? - Gleichgewicht und Ablauf. - Die Rolle der Oxyda tionen. - Struktur und Funktion. - Autolyse. - Die Kern-Plasma-Re lation. - Oxydationen und Zellteilung. Enzym und Ablauf . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 45 Der Katalysator. - Das reine Enzym. - Enzyme und Biorheuse. - Arbeitsquotient oder Geschwindigkeitsquotient. - Die biorheutische Enzymhypothese. - Enzymablauf und Bakterienwachstum. - Thermo labilitat und Enzymwirkung. - Kiinstliche Spezifizierung. - Casein Autolyse. - Proteolyse und Synthese. - Das biorheutische Modell. - Antitrypsin und Hemmung. - Probleme des Enzymablaufs. - Das biorheutische System. Altern, Wachstum und cell ulare Excretion. . . . . . . . . . . 75 Histologische Altersveranderungen. - Altern undPigmente. - Die cycli schen Gruppen. - Das Altern der Organe. - Verbrauch oder Hemmung? - Stapelorgane. - Altern der Pflanzen. - Das Korperwachstum. - Das Wachstumsende. - Das dynamische Gleichgewicht. - Blutdriisen und Zeitmarkierung. - Regeneration und Formgleichgewicht. - Chemie des Wachstums. - Increte und Wachstum. - Die cellulare Excretion. - Hautung und Mauser. - Stapelorgane. Assimilation und Autonomie ................... II2 Das Ausgangsmaterial. - Das Assimilationsgefalle. - Resorption als Wachstum. - Die Leukocyten. - Das Darmlymphgewebe. - Der Beginn des Assimilationsgefalles. - Die arteigene Spezifizierung. - Verdauungs probleme. - Die Vitamine. - Vitamine und Biorheuse. - Der EiweiB stoffwechsel. - Die Assimilationsbreite. - Der Hungerstoffwechsel. - Hunger und Autonomie. - Autonomie als Funktion des Ablaufs. - Stoff wechselgifte. - Die experimentellen Glykosurien. - Der Diabetes mellitus. - Diabetes und Assimilation. Immunitat und Individualitat .................. 153 Serumbakterizidie (Alexin). - Komplement und Amboceptor. - Sero toxinbildung. - Immunstoff und Enzymcharakter. - Die Abderhalden sche Reaktion. - Die biorheutische Immunitatstheorie. - Die natiirliche VI Inhaltsverzeichnis. Immunitat. - Die Pracipitation. - Die Anaphylaxie. - Anaphylaxie und Ablauf. - Die bakteriellen Immunitaten. - Toxin - Antitoxin. - Die Endotoxine. - D'Herelle-Phanomen. "Protoplasmaaktivierung." - Individualitat als Ablaufrichtung. Konstitution u~d Disposition .................. 186 Das Gesundungsproblem. - Das individuelle vitale Gefalle. - Resistenz und Ablauf. - Assimilationshemmung. - Increte und Ablauf. - Endo krine Drusen und Konstitution. - Kumulation und Hemmung. - Die Atrophien. - Muskularer Ablaufrhythmus. - Ablauf des Nerven. - Die Entzundung. - Das Fieber. - Einstellung und Regulation. - Die Fieberursachen. - Mechanismus und "Sinn" des Fiebers. - Das Krebs problem. - Krebsdisposition. - Chemische Abartung der Krebszelle. - Biorheutische Krebshypothese. - Krebsimmunitat. - Krebsatiologie. Formbildung und Vererbung ................... 230 Das Problem der Formsystematik. - Stofffiche Formbildungsanalyse. - Evolution und Epigenese. - Biorheutische Entwicklungstheorie. - Die Chromosomsubstanzen (Gene). - Differenzierende Entwicklung. - Erb gleiche Teilung. - Biorheutische Differenzierung. - Biokymsejunktion. - Negative Entwicklungsbestimmung. - Induzierende Entwicklung. - Regeneration. - Mendelismus. - Genotyp und Phanotyp. - ,',Crossing over." - Dominant - Rezessiv. - Die Geschlechtsbestimmung. - Erbauswirkung der Allelomorphen. Individuum und Art ......... . 266 Das Problem der Geschichte des Lebens. - \Vahrscheilllichkeitsansatze. - Anfang und Fortgang. - Artgeschichte. - Die Mutation. - Experimen telle idioplasmatische Anderung. - Somatische Keiminduktion. - Mu tation bei Bakterien. - Mutation und Biokymsejunktion. - Der quanti tative Charakter der Erbfaktoren. - Hemmung und Ausweg. - Art erhaltung und Artverjungung. - Abstammungsprobleme. Gehirn und BewuBtsein ..................... 293 Physiologie und Psychologie. - Reizbarkeit. - Einfachste zentrale Funk tionen. - Leitung und 'Erregung im Zentrum. - Biorheutische Stellung des Zentralorgans. - Erregung und Tatigkeit des Gehirns. - Biorheu tische Basis des Gehirns. - Schlaf. - Winterschlaf. - Narkose. - Er regung als Assimilationssteigerung. - Die Neuronentheorie. - Biorheu tische Reiztheorie. - Innerbiorheutische Rhythmik. - Muskeltonus. - Theorien der Funktion des Zentralorgans. - Hirndruck. - Reflexphano mene. - Zentrale Hemmung. - Reflexhemmung. - Rhythmische Re flexe. - Das Seelenproblem. - Das BewuBtsein. - Strukturbildung und Maschinellwerden. - Psychogenie. - Biorheutische Denklehre. - Produktives Denken. Einleitung. Der Versueh einer "Theoretisehen Biologie" kann in zweierlei Sinne gemeint sein. Einmal entstammt er der Fragestellung: welche theoretisehen Elemente lassen sieh in den Begriffen und Vorstellungen aufzeigen, die die biologisehe Forsehung und Lehre tatsaehlieh verwendet? Es wird ihre philosophisehe Einordnung, ihre methodologisehe Klarung unternommen, es wird untersueht, was darin spezifiseh biologisehe Elemente sind, was Dbertragungen aus den NachbarwissenschaIten, was allgemeine Erkenntnisprinzipien. Dieser "philosophischen Selbstbesinnung" der Biologie dienen heute zahlreiche Veroffentlichungen, sowohl von seiten der Philosophen wie auch von Fachbiologen. Diesem Zwecke wollen die nachfolgenden Darlegungen nicht dienen. Vielmehr ist hier das Beiwort "Theoretisch" so gemeint wie in der Zu sammenstellung "Theoretische Physik", "Theoretische Chemie". Es solI nicht Wissenschaftstheorie getrieben, nicht Erkenntnisprinzipien sollen erortert werden, der Versuch gilt der Errichtung eines Gebaudes, nicht urn der abgrenzenden Mauern, sondern urn der Raume und ihrer Inhalte willen. Vielleicht wird entgegnet werden, daB diese Aufgabe ja jene Dar stellungen erftillten, die sich "Allgemeine" Biologie oder Physiclogie nennen, aber der Name wie auch die unter ihm tatsachlich erschienenen Werke stellen doch etwas anderes dar. Sie suchen das Allgemeine, Prinzipiell-Gleichartige in den verschiedenen, speziellen Erscheinungen auf, also etwa die allgemeinen Charaktere der Zellteilungen, der Reiz erscheinungen, der Entwicklungsvorgange, der Stoffweehselprozesse. Ihre Methode ist die der Vergleichung eines moglichst umfassenden Materials von verschiedenen Lebens:verwirklichungen . .5ie gehen nicht von einer "Theorie des Lebens" aus, wenigstens nicht notwendigerweise, und wenn sie tiberhaupt zu einer Theorie, nicht zu einzelnen Theorien fUhren, so tragt diese deutliche Zeichen der Abkunft von einem, jeweils bevorzugten, Teilgebiete der biologischen Forschung an sich, so der Ehrenberg, Biologie. 2 Einleitung. Morphologie in VERWORNS Zellularphysiologie, der Entwicklungslehre in OSKAR HERTWIGS Biogenhypothese. Der Unterschied von dem, was hier beabsichtigt ist, wird deutlich, wenn man sich des Titels des klassischen Lehrbuchs der "Theoretischen Chemie", des NERNsTschen erinnert. Dort heiBt es im Untertitel: "Vom Standpunkt der AvoGADRoschen Regel und der Thermodynamik", dort werden also ausdriicklich die Fundamente genannt, auf denen das Ge baude lUht, und die Einheit des Ganzen entsteht dadurch, daB alles letztlich Variationen iiber einige wenige Themen sind. 1st die Biologie eine Wissenschaft sui generis und nicht nur ange wandte Physik und Chemie, so muB sie sich auch als solche "Variationeil iiber ein Thema" darstellen lassen, und cliesem Versuche ist die vorlie gende Arbeit gewidmet. Aber will das nicht auch der Vitalismus? Man braucht nur alle vitalistischen Formulierungen mit den beiden Hauptsatzen der Thermodynamik und der Regel von AVOGADRO zu ver gleichen, um den Unterschied zu sehen. Der Vitalismus ist Philosophie, und es ist kaum ein Zufall, daB die Mehrzahl seiner Vertretel' in neuerer Zeit ,Philosophen waren oder es. wulden. SoU das Thema der Biologie auf einer Ebene mit jenen erwahnten der Physik und Chemie liegen, so ist zu verlangen, daB es sich variieren laBt, d. h. es muB sich ebenso heuristisch fruchtbar erweisen, zu einer ahnlichen Fiille von expel'imentell zuganglichen Fragestellungen fiihren :wie jene. Und das Thema, das oder die Grundgesetze miissen del' Biologie selbst entnommen sein, sie diirfen nicht irgendwelche biologisch, naturwissen schaftlich transzendente Prinzipien oder Begriffe einfiihren, wie es aIle psychologistisch gefarbten Theorien tun; sie diirfen iiber das Spezial gebiet ihrer Anwendung hinausweisen, wie die Energiesatze ja auch, abel' sie diirfen nichts von drauBen hereinholen. Und eine Theorie, gegen die man den Einwand del' heuristischen Unfruchtbarkeit erheben muB, mag sie so viel und so schon "erklaren" wie nur immel', hat bei dem Forscher kein Recht auf Beriicksichtigung. Die Aufgabe einer theoretischen Biologie in dem hier gemeinten Sinne wiirde also einmal die F ormulierung von Grundgesetzen verlangen und dann in del' Durchfiihrung und Anwendung ihre Fruchtbarkeit zu bewahren haben. Dabei ist aber sehr zu betonen, was von solchen Grund gesetzen gefordert werden darf und was nicht. Niemand verwirft die kinetisc~e Gastheorie, weil er nicht unmittel bar aus ihr die Dampfmaschine in allen Einzelheiten ablesen kann; was mit Recht von ihr zu fordern ist, das ist, daB sie die Moglichkeit del' Dampfmaschine in sich birgt, und dem geniigt sie ja wirklich. Ebensowenig ist von einer "Theorie des Lebens" zu fordern, daB Der biologische Geschichtstrll.ger. 3 sie etwa die Entstehung der Gattung Homo postuliert, wohl aber, daB sie die Moglichkeit ihrer Existenz verstandlich erscheinen HiBt. Wenn man die Geschichte der biologischen Theorien studiert, wo bei RADELS Werk der in Darstellung und Urteil vortreffliche Fiihrer ist, so muB einem auffallen, wie sehr das Formproblem, das Problem der Entstehung dieser bestimmten Formen das biologische Denken beherrschte. Die funktionale Bedeutung des Morphologischen diente selbst wiederum dazu, die spezielle Formbildung zu erklaren, sei es direkt wie im Lamarckismus als Entstehensursache, sei es indirekt wie im Darwinismus als Erhaltungsgrund. Die physiologische Richtung wiederum sah ihre Aufgabe darin, jedes funktionelle Einzelproblem zu entbiologisieren, sie lOste diese Aufgabe in zahllosen Fallen und iiberlieB die Sorge fiir das Ganze der Entwicklungstheorie. Obwohl doch das Experiment nicht in einem Falle den Beweis fiir LAMARCK oder DARWIN erbrachte, dagegen die gleichen Faktoren auf den erblichen Formwandel wirksam fand, we1che Intensitat und Moda litat der einzelnen Lebensvorgange beherrschen (Temperatur, Licht, Ernahrung), ward der Glaube, das Problem des Lebens sei nur von dem Artproblem aus zu losen, nicht erschiittert. In dem "Biogenetischen Grundgesetz", in der Konstatierung rudimentarer Organe oder atavi stischer Bildungen wirkte dieserGlaube bis zu dem Grade fort, daB man meinte, eine Erscheinung im Einzelleben hinreichend erklart zu haben, wenn man sie auf die Stammesgeschichte abgezogen hatte; und dieser Glaube ist immer noch machtig, trotz aller Kritik und Abkehr von speziellen Spielarten del- Entwicklungstheorie. Man muB sich einmaL das Absonderliche dieser Einstellung klar~ machen: der Anspruch, daB Biologie eine Wissenschaft sui generis sei, daB es spezifisch-biologische GesetzmaBigkeit gebe, solI sich nicht auf ein aller Lebenswirklichkeit Gemeinsames griinden, sondern auf die Konstruktion einer Geschichte des Lebens auf der Erde. Die Tatsache, daB die Mannigfaltigkeit der lebendigen Formen kein Chaos ist, fiihrt ja wohl mit Notwendigkeit zur Deszendenztheorie, aber sie muB ebenso notwendig weiter fiihren. Geschichte gibt es nur dort, wo ein Geschichtstrager ist, Menschheitsgeschichte ist mog lich, weil die Menschen zu allen Zeiten in ihrer geschichtemachenden Struktur wesentlich die gleichen sind. Und ein Geschichtstrager kann nur ein Wesen sein, ,das Geschichte machen muB, nicht das sie nur machen kann. Wenn es also eine Geschichte des Lebens gibt, so ist das eigentliche biologische Problem def Geschichtstrager. Zweierlei muB man nach der Analogie mit der Menschengeschichte von einem Geschichtstrager fordern: er muB selbst Geschichte haben - Biographie - und er muB von begrenzter Dauer sein, unsterbliche Wesen 1* 4 Einleitung. haben keine Geschichte. Die Formen selbst konnen nicht die Geschichts trager sein, sie sind ja die Geschichtstatsachen, die Epochen; machte man sie zu den Tragern, so miiBte man auBerdem folgern, daB die un teren jetzt lebenden auf dem Wege zu den rezenten hoheren seien. Das glaubt wohl kaum noch jemand. Verlegt man aber den ganzen Ge schichtsablauf in eine friihere Erdperiode, so wird die heutige Fauna und Flora der Erde zu einer Art lebendem Petrefakt, die Geschichte wird zu einer Nebenerscheinung, aus der iiber das Leben nichts Wesent lichstes zu lernen sein kann. Geschichte oder besser der auBere Anschein von Geschichte konnte aber noch auf eine ganz andere Weise entstehen: wenn eine gewisse begrenzte Summe von Moglichkeiten in der Zeit zur ersch6pfenden Realisierung gelangte und jede realisierte Moglichkeit mit der Reali sierung in der Zeit existenzunfahig wiirde, "sich auslebte". Es gibt eine Geschichte des Schachspiels, well die Zahl der moglichen Partien, wenn auch ungeheuer groB, doch begrenzt ist. Ordnete man die Schach meisterpartien nach dem A;hnlichkeitsgrade, so bekame man eine Systematik der Formen, die einen spaten Betrachter zur Aufstellung einer Deszendenztheorie des Schachspiels veranlassen konnte. Es ist klar, wie sich diese Art von Deszendenz von der DARwINschen in ihrer Erscheinungsform unterscheiden miiBte. Mit der zunehmenden Erschopfung der Moglichkeiten muB die Zahl der neu' auftretenden Formen und weiter auch die Zahl der gleichzeitig existenten abnehmen. In die Schachpartien kommt ein wirkliches historisches Moment dadurch hinein, daB die spateren Meister genotigt waren, neue Kombinationen zu ersinnen, weil die alten dem Gegner bekannt sind. Ebenso wiirde die geschilderte scheinbare Geschichte zu einer. wirklichen werden, wenn das Ende einer Moglichkeit, ihr Sichtotgelaufenhaben der AnstoB zur Realisierung einer neuen wiirde. Urn das Bild einer deszendenz theoretischen Systematik zu erhalten, wiirde offenbar eine der beiden Voraussetzungen - die begrenzte Moglichkeitensumme oder die be grenzte Realitatsdauer als Grund der neuen Realisierung - geniigen. 1m ersteren FaIle miiBten wir eine Zeitkurve dauernder Mannigfaltig keitszunahme, aber mit flacher werdendem Endstiick erwarten. 1m zweiten FaIle hatten wir eine unbegrenzte Mannigfaltigkeit im Nach einander bei gleichbleibender Formenzahl im Nebeneinander zu fordern. Beides trifft nicht zu, es wird aber sehr anders in Kombination beider Momente, und damit ist das Problem des Geschichtstragers wiederum gestellt. Die· Form als solche, die der Verwirklichung des Lebens einmal geniigte, kann bei gleichbleibenden AuBenbedingungen nicht spater dazu untauglich sein. Eine begrenzte Zahl der moglichen Formen ist von der Morphologie aus nicht einzusehen. Das Problem des Formenreichtums und des Formenwandels muB Das biologische Gruudgesetz. 5 auf den FormbildungsprozeB selbst und seine untermorphologischen GesetzmaBigkeiten zuruckverfolgt, in ihm mussen Momente gefunden werden, we1che die Moglichkeit zeitlicher Grenzsetzungen bieten. Wenn das gelange, so wurde man damit ganz gewiB nicht die Entstehung dieser Arten erklaren konnen, aber man wurde vielleicht sehen, ob jene Erschopfung del' Moglichkeiten als eine zeitliche Abfolge wirklich vor liegt, man wurde an der "Selbsthemmung"-der Lebensprozesse im Indi viduum die Moglichkeit von "Auswegen" im Sinne jener zweiten An nahme studieren, man wurde so vielleicht erfahren konnen, in we1chem Umfange ·die Entstehung von Arten uberhaupt moglich ist. Das aJles kann aber erst sekundar geschehen. Fur die Grund legung zu einer theoretischen Biologie ist die Entstehung der Arten schon ein viel zu spezielles Problem. Selbst wenn die Deszendenztheorie nicht Theorie ware, sondern in ihrer echten Aufeinanderfolgegestalt erwiesene nackte Tatsache, so konnte sie doch nie das Fundament des biologischen Wissenschafts systems bilden, sondern sie muBte die Kronung sein. Sie muBte sich aus den Grundgesetzen des individuellen, realen Lebens ergeben wie etwa die Gesetze der Aggregatzustande aus der Molekularkinetik. Das gleiche gilt mutatis mutandis von den anderen, z. T. schon er wahnten theoretischen Systemen, die aus einem Teilgebiet des Biolo gischen - Reizbarkeit, Vererbung, Periodizitat, Sexualitat usw. - das Wesen des Lebens entnehmen und mit viel Scharfsinn und haufigem Bedeutungswechsel der Nomenklatur durchfiihren. Erst recht aber gilt es naturlich von den modernen biologistischen Philosophien von BERGSON bis SPENGLER. Es gibt ja kaum eine Naturwissenschaft, deren Begriffe eifriger entliehen wurden als die der Biologie, aber nir gends auch laBt man den Verleiher weniger dreinreden. Das kann nicht ohne Verschulden der Biologie so geworden sein, die Grunde zu erortern, ist hier nicht die Aufgabe. Das biologische Grundgesetz, das alles Weitere zu tragen haben wird, solI bezeichnet werden als "Das Gesetz von der N ot wendigkeit des Todes". Die Geschichte der naturwissenschaftlichen Auffassung des Todes hat eine gewisse Ahnlichkeit mit del' Geschichte des Perpetuum mobile. Dem jahrhundertelangen Glauben an die Arbeit allS nichts entsprache der ja heute noch verbreitete Unglaube an die Notwendigkeit des Todes. Dem Ernstnehmen der Unmoglichkeit des Perpetuum mobile wurde also das Ernstnehmen der Notwendigkeit des Todes entsprechen. Tatsachlich hat die Wissenschaft diese Notwendigkeit nicht ernst genommen. Es ist ja kein Ernstnehmen, wenn man den Tod nur als unvermeidlich ansieht, als Abnutzungsvorgang der lebendigen Maschi-