The contribution of intonation to the perception of foreign accent Identifying intonational deviations by means of F generation and resynthesis 0 Matthias Jilka Dissertationsschrift zur Erlangung der Würde eines Doktors der Philosophie (Dr. phil), eingereicht bei der Fakultät für Philosophie der Universtität Stuttgart Juni 2000 Gutachter: Prof. Dr. Grzegorz Dogil, Universität Stuttgart Prof. Dr. Robert McAllister, Stockholm University Mündliche Prüfung 21.07.2000 i Ich erkläre hiermit, daß ich unter Verwendung der im Literaturverzeichnis aufge- führten Quellen und unter fachlicher Betreuung diese Dissertation selbständig ver- faßt habe. (Matthias Jilka) ii All there is to say about foreign accent (Well, almost - the rest follows in this study) How do you say: Speak ? (from: Astérix chez Cléopatre - Goscinny and Uderzo, 1961) iii Zusammenfassung 1. Einführende Bemerkungen Das Phänomen des fremdsprachlichen Akzents begegnet uns jeden Tag. Jeder erkennt es, wenn der Gesprächspartner nicht ganz unserer Muttersprache mächtig ist. Und während es natürlich möglich ist, daß wir einen fremdsprachlichen Akzent nicht erkennen oder daß ein Nicht-Muttersprachler keinen Akzent erkennen läßt, so ist es doch sicher, daß wir selbst, daß jeder Sprecher in irgendeiner Sprache einen fremdsprachlichen Akzent aufweist. Es ist auch klar, daß der fremdsprachliche Akzent, indem er gewisse Eigenschaften der Muttersprache deutlich macht, Hinweise auf die zu- grundeliegenden Repräsentationen von Sprachlauten und anderen wichtigen linguistischen Strukturen gibt. Zumeist sind es Fehler, welche die Aussprache von Segmenten betreffen, die als typische Charakteristika eines bestimmten fremdsprachlichen Akzents wahrgenommen werden, etwa die Produktion eines alveolaren retroflexen /r/ im Deutsch eines Amerikaners oder die Probleme deutscher Muttersprachler mit den dentalen Frikativen des Englischen. Nur bei verhältnismäßig auffälligen Phänomenen, wie zum Beispiel der Endbetonung im Französischen, zählen prosodische Charakteristika zu den Haupterkennungszeichen einer Sprache bzw. eines fremdsprachlichen Akzents. Man kann durchaus davon ausgehen, daß im allgemeinen auch wichtige Merkmale der sprachspezifischen Satzintonation selten wahrgenommen und auch nicht im formalen Fremdsprachenunterricht berücksichtigt werden. Dementsprechend gab es bisher auch nur sehr wenige Untersuchungen, die sich explizit mit intonatorischem fremdsprachlichem Akzent aus- einandersetzen (z.B. Willems 1982 analysiert Britisches Englisch, gesprochen von Muttersprachlern des Niederländi- schen). Andere Studien vergleichen die Intonation zweier Sprachen (z.B. Grabe 1997 und 1998 für Deutsch und Eng- lisch), was Rückschlüsse auf den zu erwartenden fremdsprachlichen Akzent zuläßt. Daher hat diese Arbeit sehr grund- legende Ziele. Am Beispiel deutscher Äußerungen von Muttersprachlern des Amerikanischen Englisch und umgekehrt englischer Äußerungen von Muttersprachlern des Deutschen wird zuerst gezeigt werden, daß intonatorischer fremd- sprachlicher Akzent tatsächlich existiert und einen substantiellen Beitrag zur Wahrnehmung fremdsprachlichen Ak- zents leistet. Weiterführend sollen dann konkrete linguistische Korrelate intonatorischen fremdsprachlichen Akzents beschrieben und klassifiziert werden. Dabei wird ebenfalls gezeigt werden, daß der Einsatz von Sprachtechnologie, speziell F -Generierung und Resynthese, bei einer derartigen Aufgabenstellung von großem Nutzen ist. Die Resultate 0 werden im Hinblick auf die gängigen, segmentbasierten Theorien des Zweitspracherwerbs interpretiert. Desweiteren werden die gewonnenen Erkennnisse in Perzeptionstests überprüft und bestätigt und der Beitrag von Prosodie im all- gemeinen und Intonation im besonderen zur Wahrnehmung fremsprachlichen Akzents untersucht. 2. Fremdsprachlicher Akzent und Zweitspracherwerb Fremdsprachlicher Akzent in allen seinen Formen ist offensichtlich das Ergebnis des Erwerbs einer Sprache als Nicht- Muttersprache. Die Qualität des Zweitspracherwerbs und damit das Vorkommen fremdsprachlichen Akzents wird zum Teil durch extralinguistische Faktoren bestimmt. Die Untersuchung der neurophysiologischen Basis des Spracherwerbs weist dem Alter beim Spracherwerb eine ent- scheidende Rolle zu, indem es als Hauptkriterium bei der Unterscheidung von Erst- und Zweitspracherwerb verstan- iv den wird. Die vorherrschende Theorie, die diesen fundamentalen Unterschied zu erklären versucht, ist die sogenannte Critical Period Hypothesis (Lenneberg, 1967). Diese Hypothese besagt, daß beim Spracherwerb ein Alter von Vorteil ist, in dem das Gehirn noch in der Lage ist, seine Strukturen den Erfordernissen der zu erwerbenden Sprache anzupas- sen. Muttersprachler werden dadurch definiert, daß sie eine Sprache in dieser Periode erworben haben. Später verliert das Gehirn die beschriebene Fähigkeit, und der Spracherwerb wird weit weniger effizient. Im Gegensatz zu dieser elementaren Einordnung verschiedener Typen des Spracherwerbs versuchen soziopsycholo- gische Theorien des Spracherwerbs die verschiedenen Kriterien, die die sprecherabhängige Qualität des jeweiligen Zweitspracherwerbs bestimmen, zu erklären. In den zahlreichen Modellen werden vor allem Motivation, Wahrneh- mung der eigenen kulturellen Identität, Anpassung an die neue Kultur, sowie wahrgenommene und tatsächliche Un- terschiede zwischen den Kulturen der Ausgangs- und der Zielsprache als wichtigste Kriterien genannt. Das sogenannte Optimal Distance Model (Brown, 1980) vereinigt die meisten dieser Kriterien. Es postuliert das bestmögliche Erlernen einer Zweitsprache (L2) unter der Voraussetzung einer optimalen Distanz des Sprechers/der Sprecherin zur Zielspra- che. Diese muß so gestaltet sein, daß er/sie sich in der Zielkultur nicht bereits so wohl fühlt, daß er/sie keine Motivation mehr aufbringt, sich weiter zu verbessern, sondern sich stattdessen auf einem niedrigen Niveau stabilisiert. Anderer- seits, muß der/die Lernende der Zielkultur auch nahe genug sein, um sich nicht vollkommen vom Spracherwerb zu- rückzuziehen. Die Ursache fremdsprachlichen Akzents wird aber wird als eine Frage der linguistischen Repräsentation gesehen, da fremdsprachlicher Akzent dadurch entsteht, daß die L2 auf die vom Sprecher beim Erwerb der Muttersprache (L1) gebildeten Repäsentationen/Strukturen trifft. Theorien der phonologischen Repräsentation wie zum Beispiel die Nati- ve Language Magnet Theory (NLM) sind in erster Linie segmentorientiert. Die NLM (Kuhl und Iverson, 1995) geht davon aus, das Sprachlaute in Form von Prototypen repräsentiert sind, die wie Magneten den perzeptuellen Raum um sich herum verzerren, so daß konkrete phonetische Stimuli, die in der Nähe eines Prototypen wahrgenommen werden als zu dessen Kategorie gehörig interpretiert werden. Die eigentlichen Theorien fremdsprachlichen Akzents wie das Speech Learning Model (Flege, 1995) oder das Perceptual Assimilation Model (Best, 1995) - der Unterschied zwi- schen beiden liegt hauptsächlich in verschiedenen Vorstellungen über die Wahrnehmung von Sprachlauten - teilen die- se kategoriebasierte Sichtweise. Laute, die keine Entsprechung in der L1 haben, erlauben die Bildung einer völlig neuen Kategorie, was zu einer relativ unakzentuierten Produktion des neu erlernten Lauts führt. Laute, die andererseits als einer muttersprachlichen Kategorie zugehörig wahrgenommen wurden, werden falsch repräsentiert. Aus diesem Grund werden sie phonetisch genauso realisiert wie entsprechenden muttersprachliche Laute und fremdsprachlicher Akzent entsteht. 3. Intonation Die Untersuchung intonatorischen fremdsprachlichen Akzents bringt einige Probleme mit sich, die bei der Beschrei- bung segmentalen fremdsprachlichen Akzents nicht oder in geringerem Ausmaß auftreten. Aus diesem Grund ist es notwendig, einige Annahmen über Intonation im allgemeinen zu postulieren, welche die Grundlage bilden, auf denen diese Arbeit intonatorischen fremdsprachlichen Akzent identifiziert und analysiert. v Satzintonation erlaubt eine weitaus höhere Variationsbreite als die eigentliche Lautproduktion. Bei einem isolierten Satz ist es extrem schwierig festzustellen, ob ein bestimmter Intonationsverlauf “normal” ist oder so weit abweicht, daß man von einem Intonationsfehler sprechen kann, der tatsächlich ein Anzeichen von intonatorischem fremdsprach- lichem Akzent darstellt. In vielen Fällen werden Abweichungen in der Intonation gar nicht wahrgenommen oder es wird durch sie eine geringe Veränderung der Interpretation der betroffenen Äußerung ausgelöst, die aber nicht als fremdsprachlich empfunden wird. Aus diesem Grund wird im Rahmen dieser Arbeit eine Abweichung vom zu erwar- tenden Intonationsverlauf nur dann als Fall von intonatorischem fremdsprachlichem Akzent identifiziert, wenn die rea- lisierte Intonation unter Berücksichtigung des Kontexts der Äußerung offensichtlich unpassend ist und keine andere sinnvolle Interpretation erlaubt. Dieses Prinzip gilt sowohl für die Auswahl der tonalen Kategorien (Pitchakzente und Phrasentöne) als auch die phonetische Realisierung der Kategorien. Weitere Aspekte der Variation in der Intonation haben Einfluß auf die Wahrnehmung von intonatorischem fremdsprachlichem Akzent. Zum einen betrifft dies die Va- riation innerhalb der Realisierung einer tonalen Kategorie. Es ist anzunehmen, daß sowohl Muttersprachler als auch Nicht-Muttersprachler eine bestimmte tonale Kategorie nicht konsistent und ohne Variation realisieren. Es kann davon ausgegangen werden, daß ein Unterschied im Grad der Abweichung von einer “prototypischen” Realisierung der Ka- tegorie, eine Art “Intravariabilität”, besteht, der ebenfalls zum Eindruck eines fremdsprachlichen Akzents beiträgt. Letztgenanntes Phänomen sowie andere, übergeordnete Abweichungen von der Norm, die im Einzelfall nicht als fremdsprachlicher Akzent wahrgenommen würden, tragen trotzdem wesentlich zu dessen Wahrnehmung bei, indem sie durch häufiges Vorkommen einen Akkumulationseffekt hervorrufen, der dem Hörer auf Dauer den Eindruck ak- zentuierter Sprache vermittelt. Dieser Effekt ist möglicherweise einer der wichtigsten Hinweise für Hörer beim Erken- nen fremdsprachlichen Akzents, ohne daß dieser bewußt mit einem bestimmten linguistischen Merkmal verbunden wird. Ein weiterer wichtiger Punkt betrifft den Einfluß des verwendeten Systems der Intonationsbeschreibung auf die Ein- ordnung und Form ermittelter Fälle von intonatorischem fremdsprachlichem Akzent. Zum Zwecke einer präzisen Be- schreibung und Einordnung der festgestellten einzelnen Fälle intonatorischen fremdsprachlichen Akzents ist es notwendig, ein System der Intonationsbeschreibung zur Verfügung zu haben, mittels dessen die zu untersuchenden Intonationsmuster einheitlich analysiert werden können. Es sollen dadurch klar umrissene Intonationseinheiten entste- hen, deren konkrete Form und somit auch die Form der entdeckten intonatorischen Unterschiede bzw. Fehler aller- dings vollständig von der gewählten Sichtweise der Intonation abhängen. In einer durch Superpositionsmodelle (Fujisaki 1983 und 1988) geprägten Sichtweise zum Beispiel würden akzentbedingte intonatorische Fehler wahr- scheinlich über den gesamten Verlauf einer Äußerung, aber im Rahmen der verschiedenen hierarchisch geordneten Schichten (Phrasenkomponente, Akzentkomponente) interpretiert werden. Andererseits wird in Ansätzen in der Tra- dition des Tonsequenz-Modells (Pierrehumbert 1980) die Gesamtkontur einer Äußerung als lineare Aneinanderrei- hung diskreter tonaler Ereignisse begriffen. Wenn also in dieser Arbeit letztgenannter Ansatz verfolgt wird, so bedeutet dies, daß intonatorischer fremdsprachlicher Akzent nur in der Form von tonalen Ereignissen, die in verschie- denen tonalen Kategorien klassifiziert werden, erfaßt wird. Dies schließt aber nicht aus, daß relevante intonatorische Unterschiede zwischen Muttersprachlern und Nicht-Muttersprachlern in alternativen Modellen der Intonationsbe- vi schreibung, also dem erwähnten Superpositionsmodell und anderen Ansätzen, völlig anders dargestellt werden könn- ten. Für das Tonsequenz-Modell, das in Abschnitt 3 detailliert beschrieben wird, spricht, daß die Intonationsbeschreibung durch tonale Kategorien als kompatibel mit den etablierten segmentorientierten Theorien des Zweitspracherwerbs angesehen werden kann, da diese phonologische Kategorien zur Erklärung segmentalen fremd- sprachlichen Akzents annehmen. Das Tonsequenz-Modell analysiert eine F -Kontur als Folge von diskreten, sogenannten “target values”, zu deutsch 0 Zielpunkten oder auch Targetpunkten, definiert in den Dimensionen von Pitch Range und Zeit, die durch Transitions- funktionen miteinander verbunden sind. Durch diese entweder hohen (H) oder tiefen (L) Targetpunkte oder Kombi- nationen von Targetpunkten können bestimmte F -Konfigurationen nachvollzogen werden, die als übergeordnete 0 tonale Ereignisse im Verlauf der Gesamtkontur erkennbar sind. Die Intonationskontur einer Äußerung setzt sich also aus einer linearen Folge einzelner Elemente, nämlich der Intonationsereignisse, zusammen. Diese Intonationsereignis- se werden als tonale Kategorien interpretiert, die wiederum durch ToBI-Labels benannt werden. ToBI (Tones and Break Indices) ist ein System der Prosodietranskription (Silverman et al. 1992). Es wurde ursprünglich für die Tran- skription der Intonation des Amerikanischen Englisch entwickelt (Beckman und Hirschberg 1994), aber mittlerweile existiert auch ein Toninventar für das Deutsche (Féry 1993). 4. Analyse intonatorischen fremdsprachlichen Akzents Intonatorischer fremdsprachlicher Akzent wurde in den deutschen Äußerungen von zehn Muttersprachlern des Ame- rikanischen Englisch und umgekehrt im Englisch von zehn Muttersprachlern des Deutschen untersucht. Die Mutter- sprachler des Amerikanischen Englisch, alle mit guten Kenntnissen des Deutschen, akademischem Hintergrund und einem Aufenthalt in Deutschland von mindestens einem halben Jahr, wurden gebeten, zwei Kurzgeschichten, “Die Buttergeschichte” (240 Wörter) und “Das dicke Kind” (100 Wörter), vorzulesen und kurze Sätze aus Nachrichtenmel- dungen sowie dem Verbmobilkorpus (Wahlster 1997) zu wiederholen. Die explizite Instruktion des Wiederholens bzw. Nachsprechens erfolgte, um direkte Imitationen zu verhindern. Die deutschen Sprecher erfüllten die entsprechen- den Kriterien für Amerikanisches Englisch und lasen Nachrichtenmeldungen (ca. 350 Wörter) aus dem Boston Radio News Corpus (Ostendorf et al. 1995) und wiederholten ebenfalls kurze Sätze aus dem BRNC und dem ToBI Trainings- korpus (Beckman und Ayers 1994), die ihnen vorgespielt wurden. Im Dialog mit dem Versuchsleiter produzierten alle Sprecher auch Spontansprache. Eine Aufnahmesitzung dauerte ungefähr 30 Minuten. Die Aufnahmen wurden im re- flexionsarmen Raum des Instituts für Experimentelle Phonetik Stuttgart auf DAT (Abtastrate 48 KHz) gemacht. Die Identifikation intonatorischer Abweichungen erfolgt nach dem Analysis-by-Synthesis Prinzip, indem mittels re- gelbasierter F -Generierung auf der Grundlage der ToBI-Labels die jeweiligen F Konturen gezielt verbessert werden. 0 0 Durch Resynthese können Original und generierte Version, die sich nur im Hinblick auf ein einziges tonales Ereignis voneinander unterscheiden, auditiv miteinander verglichen werden. Weist die generierte Version weniger fremd- sprachlichen Akzent auf, so gilt die verbesserte tonale Abweichungen als Beispiel für intonatorischen fremdsprachli- chen Akzent. Die genaue Beschreibung der Positionen der Targetpunkte im Rahmen des Ton-Sequenz Modells dient also sowohl vii der Beschreibung der phonetischen Realisierungen der einzelnen Tonkategorien als auch dem Aufbau der Kontur zum Zwecke der Generierung. In einem Satz von Intonationsregeln wird jede Tonkategorie mit mehreren phonetischen Ausprägungen dargestellt, sollten diese sich durch die unterschiedliche tonale oder phrasale (Position in der Intonati- onsphrase) Umgebung ergeben. Die Targetpunkte werden relativ zu den Dimensionen von Pitch Range und Zeit re- präsentiert. Dabei betrachtet man den Pitch Range als die Distanz zwischen Top- und Baseline, die die Ober- und Untergrenze der F -Kontur darstellen, und die Position eines Targetpunkts wird im Verhältnis zu diesen beiden Extre- 0 men angegeben. Ähnlich wird auch die zeitliche Position prozentual im Verhältnis zum relevanten Zeitraum innerhalb der gelabelten Silbe ausgedrückt, nämlich dem stimmhaften Anteil. Der Vorgang der F -Generierung besteht also in 0 der Hauptsache in der Anwendung der Intonationsregeln für jedes mit einem Label versehene tonale Ereignis. Der Ge- nerierungsprozeß ist in Abbildung 1. zusammengefaßt. L*H H% Eingabe: Ton-, Silben- und Phonemlabels <P> $ $ $ g u: t @ n t a: k topline Setzen der Targetpunkte nach den Intonationsregeln (in theoretischem Pitch Range) baseline Anpassung an konkreten Pitch Range Lineare Interpolation (nicht durch stimmlose Segmente) F0 Ausgabe: Generierte F0-Kontur t Abbildung 1. Prozeß der kategoriebasierten F -Generierung 0 Die Analyse ergab verschiedene Grundtypen intonatorischen fremdsprachlichen Akzents. Zuerst genannt werden soll- ten Abweichungen, die ganz allgemein intonatorische Fehler betreffen, die aber nicht direkt aus der Muttersprache des Sprechers motiviert werden können. Dabei gibt es die folgenden Möglichkeiten: ein unangemessener Typ von tonaler Kategorie (Pitchakzent oder Grenzkonfiguration) wird verwendet, eine Kategorie wird falsch plaziert (mit anderen Worten: die falsche Silbe wird betont), oder die beiden erstgenannten Möglichkeiten fallen zusammen. In der Tat sind die meisten Vorkommen von intonatorischem fremdsprachlichem Akzent nicht direkt erklärbar, sondern müssen als simple Fehler angesehen werden, die mehr oder weniger zufällig aufgrund von mangelndem Wissen oder Überforde- rung bei einer komplexen Aufgabe entstehen. Eine potentielle Ursache könnte in einer konsistent vereinfachten Zu- viii weisung intonatorischer Kategorien, also einer Art Default-Akzent, liegen. Einzelne Fälle von intonatorischem fremdsprachlichem Akzent wirken besonders in kürzeren Äußerungen “unmotiviert”, also ohne unmittelbaren Einfluß der Muttersprache. Eine Häufung in längeren Äußerungen oder überhaupt längeren Abschnitten führt jedoch zu dem Eindruck, daß übergeordnete Charakteristika der Muttersprache in der Auswahl und Realisierung tonaler Kategorien widergespiegelt werden. Beispielsweise ist dann zu erkennen, daß die inkorrekte Plazierung von Pitchakzenten dazu führt, daß in den deutschen Äußerungen von Mutterprachlern des Amerikanischen Englisch eine deutlich höhere An- zahl von Pitchakzenten zu finden ist als in den entsprechenden Äußerungen von Muttersprachlern des Deutschen. Der Einfluß der Muttersprache der amerikanischen Sprecher manifestiert sich also in einem größeren Reichtum an Pitchak- zenten, der wiederum für mehr Auf-und Abbewegung im globalen Verlauf der Kontur sorgt. Die Hypothese liegt nahe, daß die geschilderten, den gesamten Verlauf der Kontur umfassenden Unterschiede eine zumeist unbewußte Wahr- nehmung von intonatorischem fremdsprachlichem Akzent bewirken. Die Hörer würden realisieren, daß etwas unge- wöhnlich ist, ohne die direkte Ursache zu identifizieren. Es gibt natürlich auch klare Beispiele für den unmittelbaren Einfluß der Muttersprache eines Sprechers (L1) auf dessen Produktion tonaler Kategorien in der später erlernten Sprache (L2). Eine offensichtliche Voraussetzung dafür ist, daß betroffene Kategorien in zwei Sprachen erkennbar unterschiedlich sind, so daß die abweichende Intonation auch ent- sprechend auffällt. Der Transfer einer tonalen Kategorie definiert sich in Abhängigkeit von der Diskurssituation, in der die betroffene Kategorie zur Anwendung kommt. Ein besonders deutlicher Unterschied besteht zwischen dem Deutschen und dem Amerikanischen Englisch in der Realisierung des Diskursphänomens des sogenanntenContinua- tion Rise, einer speziellen Grenzkonfiguration am Ende der Intonationsphrase, die anzeigt, daß noch weitere Informa- tionen zum gerade Gesagten hinzugefügt werden sollen, daß das Thema also noch nicht beendet ist. Im Deutschen wird das Phänomen durch einen steigenden nuklearen Pitchakzent (L*H) signalisiert, dessen Anstieg bis zum Default- Grenzton (%) fortgesetzt wird (“spreading”). Im Amerikanischen Englisch dagegen äußert sich der Continuation Rise nicht durch einen Pitchakzent, sondern durch die weitaus komplexere Phrasierungsstruktur. Eine Äußerung besteht aus zumindest einer Intonationsphrase (IP), die wiederum aus zumindest einer intermediären Phrase (ip) besteht. Sowohl ip als auch IP haben einen entweder hohen oder tiefen Grenzton, so daß an jeder IP-Grenze eine von vier Möglichkei- ten der Kombination dieser Grenztöne auftritt (L-L%, H-H%, L-H%, H-L%). Alle Grenzkonfigurationen sind mit be- stimmten Diskursphänomenen verbunden, wobei der Continuation Rise durch L-H% signalisiert wird. Produziert ein Sprecher nun einen solchen amerikanischenContinuation Rise im Deutschen, so ergibt sich zusammen mit dem vor- hergehenden Pitchakzent eine Anstieg-Fall-Anstieg-Bewegung, die deutlich komplexer ist als der bloße Anstieg in der Version eines deutschen Muttersprachlers. Beispiele für diese Formen intonatorischen fremdsprachlichen Akzents sind in der Äußerung "... denn man hatte dort am Abend vorher auf einem Schild schon lesen können, daß frische Butter eingetroffen sei” durch einen Muttersprach- ler des Amerikanischen Englisch zu finden. Die Darstellung in Abbildung 2 zeigt die Version des amerikanischen Sprechers in der obersten, die eines deutschen Sprechers in der mittleren Kontur. In der untersten Kontur ist die nach dem Vorbild des deutschen Sprechers durch Generierung verbesserte Version des amerikanischen Sprechers zu sehen. ix Abbildung 2. F Kontur der Äußerung "... denn man hatte dort am Abend vorher auf einem Schild schon lesen können, 0 daß frische Butter eingetroffen sei.” Oberste Kontur: Version eines Muttersprachlers des Amerikanischen Englisch; Mittlere Kontur: Version eines deutschen Sprechers; Unterste Kontur: generierte Version der Originaläußerung des Amerikanischen Sprechers nach dem Vorbild der Intonationsbeschreibung durch ToBI-Labels der Version des deut- schen Sprechers. Die Beispielsäußerung enthält den Transfer einesContinuation Rise aus dem Amerikanischen Englisch auf “lesen kön- nen”, der hier durch eine Anstieg-Fall-Anstieg-Bewegung realisiert wird, wohingegen die deutsche Version nur einen einfachen Anstieg auf “lesen” aufweist, der sich bis zur Phrasengrenze ausdehnt. Das Beispiel illustriert auch Unter- schiede in Plazierung und Auswahl tonaler Kategorien (z.B. ein steigender Pitchakzent auf "Butter" (L+!H*) in der amerikanischen Version gegenüber einem fallenden Pitchakzent (H*L) in der deutschen Version). Dieses Phänomen weitet sich durch die zusätzlichen L*H-Pitchakzente auf "dort" und "Abend" zu einem Gesamteindruck von mehr to- naler Bewegung in der Version des amerikanischen Sprechers aus. Zu einem Transfer auf niedrigerer Ebene kann es auch bei äquivalenten tonalen Kategorien in L1 und L2 , indem ein Nicht-Muttersprachler die in seiner eigenen Muttersprache vorkommende phonetische Realisierung der Kategorie in die Zielsprache überträgt. Die Identifizierung solcher phonetischer Abweichungen auf der tonalen Ebene gestaltet sich allerdings relativ komplex. Ein Grund dafür liegt in der Tatsache, daß die Benennung einzelner Tonkategorien in den sprachspezifischen Toninventaren nicht zwischen den verschiedenen Autoren abgestimmt ist, so daß die Frage, ob zum Beispiel H* im Amerikanischen Englisch und H*L im Deutschen wirklich verschiedene tonale Kategorien dar- stellen, auf eher willkürliche Weise geregelt ist, insbesondere wenn man zusätzliche Probleme der Klassifizierung im Sprachfluß mit in Betracht zieht (z.B. H* L*H oder H*L H* oder H*L L*H). Des Weiteren ist auch das Instrumenta- rium zur detaillierten Beschreibung von Unterschieden in der phonetischen Realisierung entsprechender Kategorien nicht optimal. Die eine bestimmte tonale Kategorie definierenden Targetpunkte werden durch zwei Parameter reprä- x
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