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Szenographien des Subjekts PDF

177 Pages·2018·4.349 MB·German
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Lars Friedrich Karin Harrasser Céline Kaiser Hrsg. Szenographien des Subjekts Szenographien des Subjekts Lars Friedrich · Karin Harrasser Céline Kaiser (Hrsg.) Szenographien des Subjekts Herausgeber Lars Friedrich Céline Kaiser Frankfurt am Main, Deutschland Ottersberg, Deutschland Karin Harrasser Linz, Österreich Der Druck dieses Buches wurde aus Mitteln der DFG (Nachwuchswissenschaftlernetzwerk „Szenographien des Subjekts“, KA 3820/1-1) finanziert. ISBN 978-3-658-19207-5 ISBN 978-3-658-19208-2 (eBook) https://doi.org/10.1007/978-3-658-19208-2 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National- bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa- tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Der Verlag bleibt im Hinblick auf geografische Zuordnungen und Gebietsbezeichnungen in veröffentlichten Karten und Institutionsadressen neutral. Coverabbildung: Atelier Günter Brus Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer VS ist Teil von Springer Nature Die eingetragene Gesellschaft ist Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH Die Anschrift der Gesellschaft ist: Abraham-Lincoln-Str. 46, 65189 Wiesbaden, Germany Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Lars Friedrich und Karin Harrasser Gründungsszenen Das Zelt des Aias . Zum Wechsel der Szene zwischen Sophokles und Heiner Müller . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 Lars Friedrich Das Drama der Politik . Antagonismus und Wiederholung . . . . . . . . . . . . . . . . 33 Leander Scholz Therapieszenen Horizontale Szenographien . Das Krankenbett als Schauplatz psychiatrischer Subjektivation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 Monika Ankele Zur Magie der Szene . Martha Muchows Szenographien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 Katja Rothe Die fiktive Bushaltestelle . Oder: Szenographien dementieller Subjektivationen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Céline Kaiser V VI Inhalt Transgressionsszenen Subjektivation im Gegenlicht . Szenen der Evidenzproduktion, Ellis Island 1908 . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 99 Sarah Sander Das fehlende Bild . Die filmische Szene und die Abwesenheit des autobiographischen Subjekts bei Bewegtbildmedien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Robin Curtis Szenen der schwindenden Souveränität . Alternative Männlichkeitsbilder in der Performancefotografie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 137 Adam Czirak Theorieszenen Subjektivierung als Intussuszeption. Mit Adorno und Chaplin auf einer Party in Malibu . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 155 Karin Harrasser Dividuationen – des Films, des menschlichen Subjekts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 167 Michaela Ott Autorinnen und Autoren . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 179 Einleitung Lars Friedrich und Karin Harrasser Um in eine „Szenographie der Subjektivität“ und damit in die beiden zentralen Begriffe einzuführen, die in den Beiträgen dieses Bandes zusammengedacht werden, scheint es sinnvoll, zunächst bei der Szenographie anstatt bei dem überdeterminier- ten Terminus der Subjektivität anzusetzen . Was sich wie ein kühner Neologismus anhört, ist im Griechischen nichts anderes als der Fachbegriff für Kulissenmalerei . Der Begriff der Szenographie ist zum ersten Mal in einem Text belegt, der über 200 Jahre nach der Entstehung des griechischen Theaters entstanden ist und der durch seinen Fokus auf einen dramatischen Handlungsbegriff die Aufführungsbedin- gungen und -praktiken der griechischen Tragödie eher marginalisiert als betont hat . In dem Teil seiner Poetik, der sich der Entstehungsgeschichte der Tragödie widmet, vermerkt Aristoteles, dass Sophokles „den dritten Schauspieler und die Bühnenbilder [skenographia] hinzugefügt“ habe (Aristoteles 1982, 1449a) . Dieser knappen Erwähnung ist kaum zu entnehmen, dass die Einführung szenographi- scher Kulissenmalerei mit einem fundamentalen Umbau des griechischen Tragö- dientheaters einhergeht (vgl . Melchinger 1990 [1974], 25–36) . Denn das Theater am Akropolishang, in dem Aischylos seine ersten Stücke aufgeführt hat, kennt noch kein permanentes Kulissengebäude, das mit Bemalungen hätte versehen werden können . Diese alte Bühne wurde vielmehr dominiert von Felsformationen (pagos) auf der Ostseite, auf denen aber nur provisorische Bauten, wie bewegliche Zelte, aufgeschlagen werden konnten . Die Institutionalisierung eines festen Kulissengebäudes und damit die Mög- lichkeit szenographischer Dekorationsmalerei ist erst in dem Moment gegeben, in dem das gesamte Theater nach symmetrischen Grundsätzen und damit aus der Beobachterperspektive des Zuschauers neu organisiert wird . Die Verlegung der orchestra nach Norden geht einher mit der Errichtung eines Kulissengebäudes in der Hintergrundmitte, so dass das ganze Theater gemäß einer zentralen Sichtachse des bis zum Meer reichenden Zuschauerblicks ausgerichtet ist . Deswegen eignet 1 © Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH 2018 L. Friedrich et al. (Hrsg.), Szenographien des Subjekts, https://doi.org/10.1007/978-3-658-19208-2_1 2 Lars Friedrich und Karin Harrasser den szenographischen Bühnenbildern nicht nur eine dekorative Funktion; die Bemalungen der Gebäude folgen vielmehr den Gesetzen einer perspektivischen Optik und stehen derart im Dienst einer einheitlichen raumplastischen Wirkung, an der das gesamte Theater nach seinem Umbau orientiert ist (vgl . Melchinger 1990 [1974], S . 162–164) . Mit der spezifischen Funktion theatraler Szenographie steht daher nicht weniger auf dem Spiel als die grundsätzliche Frage, ob das Theater der griechischen Tragödie als eine vom Zuschauerblick beherrschte Raumorganisati- on oder als ein Naturtheater zu verstehen ist, in dem der Zuschauer elementaren Gewalten ausgesetzt ist und gerade durch die Ausrichtung des Theaters auf seinen Blick sein Subjektstatus dezentriert wird . Als griechischer terminus technicus für die Wissenschaft der Perspektive impliziert die szenographische Kunst der Blick- und Raumorganisation also von Anfang an die Frage der Subjektkonstitution . Eine der wenigen Stellen, die auf die griechische Kunst szenographischer Büh- nenmalerei Bezug nehmen und zugleich ihren ambivalenten Perspektivbegriff ins Spiel bringen, findet sich im Architektur-Lehrbuch des römischen Schriftstellers Vitruv (ca . 80–15 v . Chr .): Zuerst nämlich schuf Agatharchos in Athen, als Aeschylos eine Tragödie aufführte, eine Dekoration [scaenam] und hinterließ darüber eine Schrift . Von ihm angeregt, schrieben Demokrit und Anaxagoras über den gleichen Stoff, wie dem Blick der Augen und der geradlinigen Ausdehnung der Strahlen, wenn eine bestimmte Stelle als Mittelpunkt festgelegt ist, nach einem Naturgesetz Linien entsprechen müssen, damit von der undeutlichen Sache her deutliche Bilder den Anblick von Gebäuden bei den Bühnenmalereien [scaenarum picturis] wiedergeben und von dem, was auf senkrechten und ebenen Oberflächen gemalt ist, das eine zurücktretend, anderes hervortretend zu sein scheint . (Vitruv 1987, VII, 11 [praef .], S . 309) Schon für die Aufführung einer Tragödie des Aischylos kamen nach diesem Zeug- nis szenographische Bühnenbilder zum Einsatz, die durch Bemalung entfernter Fassaden Effekte der Dreidimensionalität erzeugen konnten und derart Gesetze perspektivischer Illusion zur Anwendung brachten . Über die Baugeschichte des griechischen Theaters hinaus, wirft diese Vitruv-Stelle aber die Frage auf, ob die Verweise auf die optischen Gesetze der Sehstrahlen wie auf den „Mittelpunkt“ bereits eine einheitliche Raumkonstruktion durch den Augenpunkt des Betrach- ters implizieren und daher die erst in der Renaissance formulierte Geometrie der Zentralperspektive schon für die Antike vorausgesetzt werden kann (vgl . Panofsky 1974, S . 106, S . 138f .) . Diese Ambivalenz des Perspektivbegriffs zwischen Optik und Geometrie hat die europäische Theaterbühne und die Geschichte ihrer Architektur tief geprägt . Wenn im Barock der Hintergrundprospekt der Bühne und damit die gesamte Szene auf einen einheitlichen Fluchtpunkt entworfen wird (Sabbatini 1926 Einleitung 3 [1638], S . 46f .), so dient diese Anwendung zentralperspektivischer Technik nicht der Konstruktion einer autonomen Ordnung, sondern dem Effekt eines Illusionsthea- ters, das den Zuschauer/die Zuschauerin in die Tiefe des Raumes zieht, die Grenze zwischen Schein und Wirklichkeit dekonturiert und dadurch die Sinne mit ihrem Anspruch auf Wirklichkeitserfassung fortwährend derealisiert (Alewyn 1985, S . 79) . Der mit der Perspektive eröffnete Spielraum zwischen Orientierungsgewinn und Orientierungsverlust zeitigt dabei Rückwirkungen auf die ambivalente Art und Weise, wie diese Technik bewertet und historisch situiert wird . So rekonstruiert Charles Perrault innerhalb der Auseinandersetzung um die sogenannte Querelle des Anciens et des Modernes die Geschichte der Malerei als Fortschritt ihrer Illusi- onsmittel und reklamiert die Technik der Perspektive entsprechend als irreduzible Errungenschaft der Moderne (vgl . Perrault 1964 [1688], I S . 209; I S . 219); doch einmal zum Gegenstand der Querelle gemacht, bleibt fraglich, ob diese Verein- nahmung der Perspektive als Modernitätsindikator nicht ihrerseits eine hybride Illusion ist . Noch Lessing unterscheidet bezüglich dieses Streits zwischen einem allgemeinen Perspektivbegriff, der für jede, also auch für die griechische Malerei vorauszusetzen ist, und einer spezifischen Technik der Perspektive, die erst Künstler der Neuzeit entwickelt haben . Besteht der allgemeine Begriff darin, „Gegenstände auf einer Fläche so vorzustellen, wie sie sich in einem gewissen Abstande unserm Auge zeigen“, so kommt es der modernen Perspektivtechnik darauf an, „mehrere Gegenstände mit einem Teile des Raums, in welchem sie sich befinden, so vorzu- stellen, wie diese Gegenstände, auf verschiedne Plane des Raums verstreuet, mit samt dem Raume, dem Auge aus einem und eben demselben Standorte erscheinen würden“ (Lessing 1990, S . 380f .) . Allein die Tatsache, dass ein einzelner Gegenstand in der Ferne kleiner erscheint als in der Nähe, macht ein Gemälde also noch nicht perspektivisch; perspektivisch im engeren Sinne ist ein Gemälde erst dann, wenn die Koordinaten aller in ihm möglichen Gegenstände durch ihre Ausrichtung auf einen einheitlichen Gesichtspunkt des Betrachters ausgerichtet und festgelegt sind . Schwerlich anwendbar ist dieser Perspektivbegriff auf die griechische Szenographie nicht deswegen, weil der Effekt „hervor-“ und „zurücktretender“ Gegenstände nicht mit der Gesamtperspektive des Theaters verglichen werden kann, sondern weil dieses Naturtheater nicht im geometrisch konstruierten, unendlichen und homogenen Raum eines Zuschauerauges aufgeht . Dieser Unterschied zwischen antiker und moderner Perspektive schwindet mit der in der Romantik betriebenen Idealisierung griechischer Kunst . Insofern die Griechen die Gesetze des „natürlichen Sehens“ praktisch umsetzten, ohne sich um deren theoretische Begründung zu kümmern, bezeugt Lessings Vorbehalt gegenüber einem antiken Begriff der Zentralperspektive für August Wilhelm Schlegel eine völlige Verkennung des griechischen Genius, was zur Folge hat, dass 4 Lars Friedrich und Karin Harrasser sich in seiner Darstellung griechischer Bühnenmalerei antiker und moderner Perspektivbegriff beständig miteinander vermischen . Deutlich wird dies, wenn Schlegel angesichts mangelnder Quellen selbst in die Rolle eines Szenographen schlüpft und ein Kulissenbild des griechischen Theaters zu entwerfen sucht: In- dem er sich in die Mitte des Zuschauerraums versetzt, seinen Blick mit der Front des Bühnenhauses einen rechten Winkel bilden lässt und derart den Augenpunkt am Oberteil der Mitteltüre ausrichtet, konstruiert Schlegels Szenograph zunächst nach streng geometrischen Grundsätzen einen zentralperspektivischen Raum aus einem einheitlichen Gesichtspunkt (vgl . Schlegel 1967, S . 210f .) . Doch indem sich die Arbeit des Szenographen andererseits darauf beschränkt, durch Berechnung des Lichteinfalls auf seinen Kulissenbildern Schatten zu erzeugen und dadurch den Effekt räumlicher Illusion zu steigern, ist er nicht so sehr an den Potentialen eines nach geometrischen Gesetzen konstruierten Systemraumes als an den Möglich- keiten optischer Täuschungen interessiert . Der moderne Blick auf die griechische Kunst theatraler Szenographie mündet in einem Bild, in dem die Modernität dieses Blickes wieder ausgestrichen ist . Während Schlegels Verständnis des griechischen Theaters wesentlich am Ideal einer „szenischen Plastik“ (Schlegel 1967, S . 58) der Darsteller und Darstellerinnen orientiert ist und entsprechend das Problem szenographischer Perspektivmalerei in seiner monumentalen Geschichte des abendländischen Dramas nur im Anhang abgehandelt wird, erschließt sein eigener Rekonstruktionsversuch weniger das perspektivische Wissen der antiken Kulissenmaler als die Tatsache, dass für die Herausbildung neuzeitlicher Subjektivitätsmodelle die Technik der Zentralper- spektive konstitutiv ist . Dies gilt paradigmatisch für René Descartes’ Discours de la Méthode und damit einem Gründungstext der neuzeitlichen Subjektivitätsthe- orie . Indem die radikale Infragestellung aller traditionellen Wissensbestände wie Wissenszugänge nur den Zweifler selbst, der Zweifel an allen optischen Sinnes- eindrücken nur den Schein des Sehens übrig lässt, fällt die Konzeption des carte- sischen Subjekts zusammen mit der Konstruktion eines zentralperspektivischen Augenpunkts, von dem aus sich eine Welt nach einheitlichen Ordnungskriterien erst konstruieren lassen soll (vgl . Descartes 2013, 38f .; dazu Boehm 1969, S . 175) . Doch wenn einzig die Techniken optischer Illusion nicht dem Verdacht ausgesetzt sind, bloße Täuschungen zu sein, so bleibt das cartesische cogito auf eine Weise von den szenographischen Verfahren seiner Selbstexponierung abhängig, die dem Anspruch seiner autonomen Selbstgewissheit entgegenarbeitet . Mit der fingierten Situation, sich hinter seinem Selbstportrait verborgen zu haben, um sich von dort aus zu unterrichten, was die Betrachter des Bildes über ihn zu sagen haben (vgl . Descartes 2013, S . 4), etabliert Descartes eine für seinen Selbstaneignungsdiskurs verbindliche Modellszene, die das Subjekt durch seine Einsicht in Techniken op-

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