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Synthesis bei Kant PDF

257 Pages·1983·7.163 MB·German
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Synthesis bei Kant Das Problem der Verbindung von Vorstellungen und ihrer Gegenstandsbeziehung in der „Kritik der reinen Vernunft" von Hansgeorg Hoppe Walter de Gruyter • Berlin • New York 1983 Unauthenticated Download Date | 3/15/16 12:29 PM CIP-Kurztitelanfnahme der Deutschen Bibliothek Hoppe, Hansgeorg: Synthesis bei Kant : d. Problem d. Verbindung von Vorstellungen u. ihrer Gegenstandsbeziehung in d. „Kritik der reinen Vernunft" / von Hansgeorg Hoppe. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1983. (Quellen und Studien zur Philosophie ; Bd. 19) ISBN 3-11-008981-5 NE: GT © 1983 by Walter de Gruyter Sc Co., vormals G. J. Göschen'sche Verlagshandlung • J. Gutten- tag, Verlagsbuchhandlung • Georg Reimer • Karl J. Trübner • Veit Sc Comp., Berlin 30, Genthiner Straße 13. Printed in Germany Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Genehmigung des Verlages ist es auch nicht gestattet, dieses Buch oder Teile daraus auf photomechanischem Wege (Photokopie, Mikrokopie, Xerokopie) zu vervielfältigen Satz und Druck: Arthur Collignon GmbH, Berlin Einband: Lüderitz & Bauer, Berlin Unauthenticated Download Date | 3/15/16 12:29 PM Vorwort Die vorliegende Untersuchung wurde im Wintersemester 1978/79 von der Philosophischen Fakultät der Universität Saarbrücken als Habilitations- schrift angenommen und danach geringfügig überarbeitet. Mein besonderer Dank gilt Herrn Prof. Dr. Karl-Heinz Iking; durch Gespräche mit ihm ist die Arbeit wesentlich gefördert worden. Danken möchte ich ebenfalls der DFG für die Gewährung eines Habilitationsstipendiums in den Jahren 1966 bis 1969. Saarbrücken, den 31. Juli 1983 H.H. Brought to you by | Stockholms Universitet Authenticated Download Date | 8/22/15 8:41 PM Inhaltsverzeichnis Einleitung 1. Das Thema der „Kritik der reinen Vernunft" 1 2. Kants transzendentale Psychologie 9 3. Inhalt und Gang der Untersuchung 22 I. Die Mehrdeutigkeit des kantischen Erfahrungsproblems 4. Wahrnehmungs- und Erfahrungsuiteile 29 5. Das Verhältnis von kategorialen und faktischen Bestimmungen . . 45 II. Transzendentale Synthesis und Assoziation 6. Kants Stellung zum englischen Empirismus 59 7. Die Erkennbarkeit von Sachzusammenhängen bei Locke und Hume 66 8. Atomismus und Gestalttheorie 77 9. Die intentionale Gegenstandsbeziehung einfacher Vorstellungen 82 10. Assoziation und Synthesis als faktische Verbindungen 92 11. Die kategoriale Kennzeichnung von Assoziation und Synthesis 104 III. Objektive Einheit der Apperzeption und intentionale Gegenstandsbeziehung 12. Verbindung als Verstandeshandlung 113 13. Die objektive Einheit des Selbstbewußtseins 119 14. Das „Gewühle der Erscheinungen" 129 14a. Exkurs: Entgleitungen und Entgleisungen in pathologischen Zu- ständen und Verläufen 140 15. Denken und Gegenstandsbeziehung 147 16. Der Gegenstand der Erkenntnis 157 17. Die Kategorien als Alternativen von Begriffen 169 Unauthenticated Download Date | 3/15/16 10:29 AM X Inhaltsverzeichnis 18. Die drei Synthesen 176 a) Synthesis der Apprehension in der Anschauung 179 b) Synthesis der Reproduktion in der Einbildung 181 c) Synthesis der Rekognition im Begriff 185 19. Kants Lehre vom transzendentalen Gegenstand 194 20. Die synthetische Einheit von Vorstellungen in der 2. Auflage der „Kritik" 204 IV. Apperzeption und Selbstbewußtsein 21. Empirisches und reines Ich 210 22. Die Einheit des Selbstbewußtseins 217 V. Synthesis und Naturgesetzgebung 23. Die Objektivität der Kategorien 224 24. Das Problem der Gegenstandsbeziehung in den Grundsätzen des reinen Verstandes 229 Literaturverzeichnis 242 Personenregister 247 Sachregister 249 Unauthenticated Download Date | 3/15/16 10:29 AM Einleitung 1. Das Thema der „Kritik der reinen Vernunft" Im wesentlichen sind es zwei Probleme, vor die die „Kritik der reinen Vernunft" die Interpretation heute stellt: zu klären ist erstens, welches Kants Beweisziele sind, und zweitens ist zu entscheiden, ob,zur Sicherung der von Kant gewünschten Ergebnisse die von ihm verwendeten Beweis- mittel überhaupt geeignet sind. Von diesen Problemen ist das erste im Grunde nicht neu, es ist aber unter der Herrschaft einer auf sehr einseitige Weise „wissenschaftstheore- tisch"1 orientierten Auffassung vom Wesen der Kantischen Transzenden- talphilosophie lange Zeit nicht aktuell gewesen. Worum geht es Kant, wenn er nach den Bedingungen der Möglichkeit der Erfahrung fragt? Für die wis- senschaftstheoretische Kant-Interpretation, die sich auf viele Äußerungen Kants stützen kann, ist die Antwort nicht schwer: eigentliches Thema der „Kritik der reinen Vernunft" ist die philosophische Grundlegung der ob- jektiven, in letzter Konsequenz wissenschaftlichen Erkenntnis, und dabei ist häufig mitgemeint und manchmal ausdrücklich betont, daß es Kant auch um die philosophische Begründung der Prinzipien der Newtonschen Phy- sik gegangen sei.2 Enthalten ist darin die These einer starken Zeitgebunden- 1 Ich verwende den Ausdruck „wissenschaftstheoretisch" (in einem vom heute üblichen Sprachgebrauch abweichenden Sinn) zur Bezeichnung all jener Ansätze in der Kant-Ausle- gung, nach denen der für Kants erkenntnistheoretische Problematik entscheidende Ge- sichtspunkt die Frage nach der Möglichkeit und Begründung einer objektiven, d. h. letzt- lich wissenschaftlichen Erkenntnis ist. Hierher gehört die ausdrücklich am Problem der Möglichkeit der wissenschaftlichen Erkenntnis orientierte Auffassung Cohens, Natorps und Philonenkos, aber auch die Auffassung, etwa von Wolff (S. 112), daß es Kant um die Be- gründung von objektiven Erkenntnissen im Gegensatz zu bloß subjektiver Einbildung (me- re subjective fancy) gehe. — Dagegen hat es die „Wissenschaftstheorie" im Sinne der Philo- sophy of Science mit der Untersuchung des Aufbaus und der Interpretation von empiri- schen Wissenschaften sowie der in ihnen angewendeten Begründungs- und Überprüfungs- verfahren und der für sie typischen Begriffsbildungen zu tun. Eigentlich erkenntnistheoreti- sche Probleme, wie z. B. das der Begründung von Beobachtungssätzen, werden in ihr nicht behandelt (vgl. von Kutschera 11—3). 2 Mehr oder weniger abgewandelt ist diese Auffassung auch in der neueren Kant-Literatur immer wieder vertreten worden, etwa von Zocher, wenn er den Beweis für die objektive Brought to you by | Cambridge University Library Authenticated Download Date | 8/22/15 6:17 PM 2 Einleitung heit der Kantischen Transzendentalphilosophie, und das hat angesichts ei- ner inzwischen grundlegend geänderten Wissenschaftssituation dazu ge- führt, daß man starke Einwände gegen Kants Erfahrungstheorie insgesamt u. a. schon von deren Problemstellung her hat erheben können.3 Aber um- Gültigkeit der Kategorien darin erblickt, daß sie von Kant als das Fundament geltender positiver Wissenschaft erwiesen werden (S. 13); nach Zocher ist der Ausdruck .Natur' bei Kant „im Sinne des Objekts der mathematischen Physik" verwendet (S. 23). Nach Ewing besteht der Hauptzweck der transzendentalen Kategorien-Deduktion darin „to justify science philosophically" (S. 68). Für Kambartel richtet sich „Kants transzendentaler An- satz . . . zwar nicht zuerst auf eine Grundlegung der Naturwissenschaften, sondern auf eine Kritik der Metaphysik", dieses metaphysikkritische Programm setze aber eine Klärung der Konstitution des Bereichs möglicher Erfahrung voraus, wobei Kant „unter der Uberschrift .Erfahrung' sogleich den für die exakten Naturwissenschaften konstitutiven Operationsbe- reich" abgrenze (S. 88). Ahnlich ist nach G. Martin die Natur bei Kant Newtonsche Natur; wenn Kant von Erfahrung spricht, meine er das Verfahren der klassischen Physik (S. 94). Für Lauener stellt Kant den ,Wahrnehmungsurteilen' Humes, die höchstens im alltäglichen Leben brauchbar seien (S. 113), ,Erfahrungsurteile' entgegen, „die, weil sie für ein Be- wußtsein überhaupt gelten, apodiktische Notwendigkeit haben" (S. 78) und die deshalb „Tatsachen der wissenschaftlichen Erkenntnis" ausdrücken; in der transzendentalen De- duktion soll es Kant allein um diese „Erfahrung im strengen Sinne" gehen, die in Erfah- rungsurteilen Ausdruck findet (S. 105). Ähnlich sagt Bröcker-. „Die Erfahrung, von der er redet, ist für Kant in erster Linie die Erfahrung im Stile der Physik Newtons" (S. 32), und noch Hossenfelder führt seine kritische Auseinandersetzung mit Kant ausschließlich unter dem Gesichtspunkt der Frage, ob es Kant gelungen sei, die Wahrheit bestimmter Gesetzes- aussagen a priori zu beweisen (S. 1). Hierher gehört auch die Auffassung von Karen Gloy, nach der Kant den Ausdruck ,Erfahrung' so gebraucht, daß er „nicht das vorwissenschaftli- che, natürliche oder auch alltägliche Verständnis der Erfahrung . . . meint, sondern das . . . wissenschaftliche Verständnis einer objektiven und gesetzmäßigen Erfahrung" (S. 87—8). — Wie stark diese Auffassung auch heute noch nachwirkt, ergibt sich daraus, daß das Ver- ständnis Kants außerhalb der eigentlichen Kant-Philologie entscheidend durch sie bestimmt ist. Als Beispiel erwähne ich Tugendbat; nach ihm ist Kants Frage „nicht, wie es dazu kommt, daß wir uns auf Dinge beziehen, auf solches, was jeweils etwas (ein Gegenstand) ist, sondern inwiefern die Zusammenhänge unserer Vorstellungen nicht bloß subjektiv, sondern objektiv sind" (S. 359—60), wobei „objektiv" hier im Sinne von „nicht-scheinbar" verstanden ist (S. 360). 3 Das tut z. B. Delekat, der in Kants transzendentaler Logik eine „Lehre von den konstituti- ven Prinzipien der wissenschaftlichen Erfahrung" sieht (S. 75—76); für ihn besteht wegen der inzwischen erfolgten tiefgreifenden Änderungen im Wissenschaftsverständnis heute deshalb nicht einmal mehr das Problem der transzendentalen Deduktion in seiner damali- gen Form (S. 105). Aus demselben Grunde ist auch für Philonenko Kant heute nicht mehr aktuell (S. 336). Nach Popper ist Kants Problem „not only insoluble, but also misconcei- ved", obwohl es in gewisser Weise „inescapable" sei. Aber da es „arose out of the contem- porary Situation in sience", sei es heute nicht mehr aktuell (S. 93). In ähnlichem Sinne wer- den bei Körner (S. 72) Kants Ergebnisse, z. B. der Beweis des allgemeinen Kausalitätsgeset- zes, als ungültig angesehen, weil sie im Widerspruch zu bestimmten modernen wissen- schaftlichen Theorien stehen. Auch Hossenfelder ist der Ansicht, daß die Einwände gegen Kant, die sich auf die Entdeckung nichteuklidischer Geometrien und auf die Quantenphy- sik stützen, „wirklich treffen" (S. 15-6) und ernst zu nehmen seien (S. 15—6); allerdings kritisiert Hossenfelder selbst Kant nur immanent. Brought to you by | Cambridge University Library Authenticated Download Date | 8/22/15 6:17 PM Das Thema der „Kritik der reinen Vernunft" 3 gekehrt ist es auch gerade die wissenschaftstheoretische Kant-Auffassung, der es zu verdanken ist, daß die Aktualität Kants heute fraglos andauert. Vor allem in der wissenschaftstheoretischen Auffassung ist die „Kritik der reinen Vernunft" der immerwährende Anstoß gewesen, auch transzenden- tale Gesichtspunkte und Argumente in die erkenntnistheoretische Diskus- sion um die Grundlagen der exakten Wissenschaften einzubringen. Zweifelhaft ist allerdings, ob Kant im angegebenen Sinne überhaupt Wissenschaftstheoretiker ist. Das hat in neuerer Zeit nachdrücklich zuerst Heidegger bestritten; in seinem Kant-Buch vertritt er die Auffassung, daß die „Kritik der reinen Vernunft" in ihrer Absicht vollkommen verkannt werde, wenn man sie als .Theorie der Erfahrung' oder gar als Theorie der positiven Wissenschaften auslegt.4 Seine Auffassung hatte 1928 noch als be- sonders unkantisch gelten können,5 denn tatsächlich war hier etwas in Ab- rede gestellt, was damals weithin für ganz selbstverständlich angesehen wurde. Inzwischen jedoch scheinen sich die Fronten genau umgekehrt zu haben, und vorherrschend ist heute eher die Ansicht, daß Kant es über- haupt nicht mit Problemen der wissenschaftlichen Erfahrung zu tun gehabt habe.6 So ist z. B. Strawson der Meinung, daß Kant subjektiv zwar häufig der Versuchung erlegen sei, die von ihm herausgestellten notwendigen Be- dingungen der Möglichkeit der Erfahrung zugleich auch als die notwendi- gen Voraussetzungen der Physik aufzufassen.7 Aber für Strawson kann es 4 Heidegger, Kant und das Problem der Metaphysik 25, vgl. 21. 5 Vgl. z. B. Levy 13. 6 Daß Kant keineswegs in erster Linie an wissenschaftstheoretischen Fragen interessiert ist, ist die Meinung von Bird: „It would be wrong ... to think that in the Transcendental Deduction Kant is primarily engaged in what we should call ,philosophy of science'" (S. 87, vgl. 130). Im gleichen Sinne heißt es unter Berufung auf Riehl bei Jahnsohn-. „Es kann aber als gesichert gelten, daß . . . der Erfahrungsbegriff Kants nicht beschränkt ist auf den von Cohen besonders betonten Inbegriff der mathematisch-naturwissenschaftlichen Erkenntnisse, sondern daß tatsächlich auch noch nichtwissenschaftliche ,Erfahrung' Erfah- rung im Kantischen Sinne ist" (S. 215). Ähnlich auch Buchdahl; er nennt Kant zwar den „philosopher of science par excellence" (S. 471), aber nach Buchdahl ist es „important to realise that he (Kant) embarks on the object of ,laying foundations' for science in a very roundabout way, the most exciting aspects of which have very little to do with the founda- tions of science as such, but rather with empirical knowledge in general" (S. 480); nach- drücklich sagt Buchdahl: „Kant's pregnant question: How is knowledge of objects (Er- kenntnis, cognitive grasp of what is objective as such) possible? must be understood, not as scientifically orientated but as asking what the components of the logical structure of .phe- nomena' and of .experience' have to be so as to yield, cognitively, an object, corresponding to our concept of such an object" (S. 620). Besonders bezeichnend für die geänderte Auffas- sung vom Wesen der Kantischen Transzendentalphilosophie ist die Tatsache, daß bei Prauss und Henrich das Problem der Wissenschaftsbegründung nicht einmal mehr erwähnt ist. 7 Strawson, Bounds of Sense 120—1, vgl. 128—9. Brought to you by | Cambridge University Library Authenticated Download Date | 8/22/15 6:17 PM 4 Einleitung keinen Zweifel geben, daß Kant im Grunde dennoch gerade nicht nach den Bedingungen der wissenschaftlichen Erfahrung fragt, und zwar weder der wissenschaftlichen Erfahrung seiner Zeit noch der wissenschaftlichen Er- fahrung überhaupt.8 Nach Strawson geht es Kant allein um das ,limiting framework' jener Vorstellungen und Prinzipien, die wesentlich für alle em- pirische Erkenntnis sind. Worauf es Kant allein ankomme, sei, die ,begriff- liche Struktur' herauszuarbeiten, die in allen empirischen Untersuchungen und in jedem kohärenten Begriff von Erfahrung, den wir vernünftigerweise überhaupt haben können, vorausgesetzt ist.9 Zweifellos ist die Herausstellung solcher Züge gegenüber der alten ein- seitigen wissenschaftstheoretischen Auffassung ein Fortschritt. Aber den- noch läßt sich auch nicht übersehen, daß die radikale Leugnung jeder wis- senschaftstheoretischen Orientierung von Kants „Kritik" nicht weniger einseitig ist als jene Position, gegen die sie sich ausdrücklich oder unaus- drücklich wendet. Denn tatsächlich hat Kant selber sich sowohl im Ansatz seiner Untersuchungen als auch in der Interpretation der Ergebnisse stets an der Frage nach der Möglichkeit von apodiktisch gewissen, intersubjektiv gültigen und wissenschaftlichen Erkenntnissen orientiert, und trotz aller tiefgreifenden Veränderungen, denen dabei insbesondere der Begriff der Erfahrung selber unterliegt, hat er zweifellos an dieser wissenschaftstheore- tischen Fragestellung auch immer festgehalten. Die wissenschaftstheoreti- sche Orientierung von Kants Fragen ist also sicher objektiv kennzeichnend für einen wichtigen Problembestand der „Kritik der reinen Vernunft". Aber andererseits ist es ebenfalls richtig, daß Kants Fragestellungen auf wissenschaftstheoretische Probleme eben nicht beschränkt sind. Vielmehr läßt sich zeigen, daß es gerade die Ausgangsfrage nach der Möglichkeit ei- ner objektiven Erfahrung und ihren apodiktisch gewissen apriorischen Prinzipien ist, wodurch Kants Problemstellung schließlich über den Be- reich rein wissenschaftstheoretischer Zielsetzungen auch gänzlich hinausge- führt wird. Dabei tritt neben einen engeren Begriff der Erfahrung, wonach diese die wahre und streng intersubjektiv gültige Erkenntnis von „objekti- ven" Sachverhalten ist, die Auffassung, daß Erfahrung (in einem weiteren 8 Ebd. 121. 9 Ebd. 18. — Im selben Sinne beklagt auch Walsh, daß Kant die Kategoriendeduktion mit Fragen der reinen Physik in Zusammenhang bringt: „His account of the function of catego- ries in the Transcendental Deduction is sound enough, but his association of them with ,pure physics' is far from happy" (S. 42); für Walsh ist unabhängig von wissenschaftstheo- retischen Problemen die Deduktion deshalb richtig, weil in ihr die Kategorien als notwendi- ge Bedingung dafür erwiesen werden, daß wir überhaupt Erfahrung haben (if we are to have objective experience of any kind — S. 48). Brought to you by | Cambridge University Library Authenticated Download Date | 8/22/15 6:17 PM Das Thema der „Kritik der reinen Vernunft" 5 Sinne) nur das kognitive Haben von „Welt" bedeutet — im Sinne eines bloß vermeinenden (und u. U. auch falschen) Sich-Beziehens überhaupt auf et- was Gegenständliches. Da Kant dabei an seinen wissenschaftstheoretischen Intentionen allerdings festhält, ergibt sich freilich, daß so das Ziel seiner transzendentalphilosophischen Untersuchungen insgesamt nicht mehr ein- deutig bestimmt ist, ja, daß streng genommen, das Kantische Gesamtpro- gramm in sich widersprüchlich wird. Aber trotz solcher Widersprüchlich- keiten ist unverkennbar, daß im Interesse der Lösung eines wissenschafts- theoretischen Problems Kant schließlich positiv zu neuen, in sich sinnvol- len und stimmigen Fragestellungen gelangt und daß er diese Fragestellungen für sich weiterverfolgt, auch wenn das oft in einem Kontext geschieht, der ihnen streng genommen fremd ist.10 So haben wir einerseits — als Ausgangspunkt — die Frage Kants nach der Möglichkeit synthetischer Urteile a priori und — damit unmittelbar zu- sammenhängend — das Programm, gegen Hume die Erfahrung als die ob- jektive Erkenntnis von notwendigen Sachzusammenhängen zu rehabilitie- ren. Hier geht es Kant um einen Begriff von Erfahrung, wonach diese sich von der bloß subjektiv gültigen Wahrnehmung wesentlich unter dem Ge- sichtspunkt der Wahrheit und der in ihr erreichten Objektivität ihrer Er- kenntnisse unterscheidet. — Zugleich aber haben wir es bei Kant auch mit der Frage nach der Möglichkeit des vermeinenden Habens überhaupt von Gegenständen zu tun. Aber dies Vermeinen von Gegenständen ist anders als das wahre und objektive Erkennen nun gerade nicht durch den Gegen- satz zu zufälligen oder bloß subjektiven und deshalb häufig falschen Wahr- nehmungs-Erkenntnissen bestimmt, sondern durch den Gegensatz zu Zu- ständen, in denen der intentionale Erkenntnisbezug auf Gegenständliches überhaupt fehlt. Die beiden Gesichtspunkte, unter denen die Erfahrung bei Kant thematisiert ist, sind sicher nicht völlig unabhängig voneinander — man kann die Frage nach der Möglichkeit der Erfahrung als wahrer Er- kenntnis als Spezialfall der allgemeineren Frage nach der Möglichkeit der Erfahrung als des Habens überhaupt von Gegenständen ansehen —, aber dennoch käme im Interesse sachlicher Klarheit natürlich alles darauf an, beide Ansätze in ihrer unterschiedlichen Intention und in ihrer unterschied- lichen Relevanz einander gerade auch entgegenzusetzen. 10 Es ist also nicht so, daß aufgrund von widersprüchlichen Bestimmungen bei Kant von ei- nem definiten Erkenntnisproblem nun gar nicht mehr die Rede sein könnte. Man kann in der „Kritik" auch sonst sehr viele widersprüchliche Bestimmungen finden, es zeugt aber von wenig Problem Verständnis, wenn man wie Rosenstock glaubt, Kant mit dem Hinweis darauf in Bausch und Bogen widerlegen zu können. Brought to you by | Cambridge University Library Authenticated Download Date | 8/22/15 6:17 PM

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