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Suchtkultur und Gruppentherapie: Vom anonymen Ich zum anonymen Wir PDF

400 Pages·2017·4.174 MB·German
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Paula Helm Suchtkultur und Gruppentherapie Vom anonymen Ich zum anonymen Wir Suchtkultur und Gruppentherapie Paula Helm Suchtkultur und Gruppentherapie Vom anonymen Ich zum anonymen Wir Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Karsten Fitz PaulaHelm Frankfurtam Main,Deutschland Dissertation UniversitätPassau, 2015 ISBN978-3-658-14948-2 ISBN978-3-658-14949-9 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-14949-9 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National- bibliografie;detailliertebibliografischeDatensindimInternetüberhttp://dnb.d-nb.deabrufbar. SpringerVS ©SpringerFachmedienWiesbaden2017 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, MikroverfilmungenunddieEinspeicherungundVerarbeitunginelektronischenSystemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wärenunddahervonjedermannbenutztwerdendürften. DerVerlag,dieAutorenunddieHerausgebergehendavonaus,dassdieAngabenundInforma- tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit,GewährfürdenInhaltdesWerkes,etwaigeFehleroderÄußerungen. GedrucktaufsäurefreiemundchlorfreigebleichtemPapier SpringerVSistTeilvonSpringerNature DieeingetrageneGesellschaftistSpringerFachmedienWiesbadenGmbH Geleitwort Frau Dr. Paula Helm gehört zur ersten Kohorte von Promovierenden im DFG- Graduiertenkolleg 1681 „Privatheit: Formen, Funktionen, Transformationen“ an der Universität Passau. Ihre vorgelegte Dissertation mit dem Titel Anonymität und Autonomie – Eine Ethnographie der Suchttherapie ist, ganz der Denkweise und Vorbildung ihrer Verfasserin verpflichtet, eine konsequent interdisziplinär ausgerichtete Studie. Dass das Ausbalancieren der verschiedenen sich gegensei- tig beeinflussenden, interdiziplinären Ansätze aus der Ethnologie, der Literatur- und Kultursemiotik, der Psychoanalyse und der Empirischen Sozialforschung am Ende so überzeugend gelingen würde, war nie eine Selbstverständlichkeit. Diese konsequent interdisziplinäre Ausrichtung hat auch mich als Betreuer immer wieder sehr Gewinn bringend ‚gezwungen‘, weit über den fachlichen Tellerrand zu blicken. Dies war stets eine bereichernde Erfahrung! Das Projekt befasst sich mit den kulturellen Wurzeln von Suchtkrankheiten und den sozialen Bedingungen, die notwendig sind, damit sich Suchtkranke selbstständig von ihrem Leiden emanzipieren und sich als Souveräne ihres eige- nen Handelns neu konstituieren können. Zu diesem Zweck haben Gruppierun- gen, die auf der Grundlage von sogenannten 12-Step Netzwerken operieren, wie eben die Anonymen Alkoholiker, ein höchst komplexes Anonymitätskonzept entwickelt, welches es möglich macht, die Widersprüche und Gegensätze zwi- schen den sozialen Anforderungen des Alltags und der Notwendigkeit individu- eller Autonomie in Einklang zu bringen. An dieser diffizilen Schnittstelle setzt Frau Dr. Helms für die Privatheitsforschung besonders interessanter und höchst innovativer Beitrag ein, denn Anonymität als Schlüsselkonzept der Privatheits- forschung hat bis dato als Untersuchungskategorie wenig Aufmerksamkeit erhal- ten. Zum einen dient das Anonymitätskonzept der Gewährleistung der „informa- tionellen Privatheit“ des Einzelnen, zum anderen hat es v. a. einen erzieherischen Effekt auf das jeweilige Verhältnis des Individuums zu Fragen der „dezisionalen Privatheit“. So erarbeitet die Dissertation ein genuin interdisziplinär ausgerichte- tes, theoretisches Modell zur Erfassung und Rationalisierung der Interdependenz von Sucht, Anonymität und, über die Erlangung dezisionaler Privatheit, Auto- nomie. Sie kommt dabei zu der Erkenntnis, dass der Schlüssel der Anonymous- Gruppierungen zum „Leben in Genesung“ darin besteht, den klassischen, aber 6 Geleitwort sehr engen und einseitigen Autonomiebegriff durch einen relationalen Autono- miebegriff ersetzt zu haben. Aber Selbstverständlich hält die Arbeit auch für den eher klassischen Ame- rikanisten einige erhellende Erkenntnisse parat. Dass z.B. das amerikanische Streben nach Unabhängigkeit, Freiheit und Glückseligkeit – Life, Liberty, and the pursuit of Happiness –, welches im kulturellen Selbstbild des self-made man so tief verwurzelt ist, in besonderem Maße kein Eingeständnis von „Schwäche“ erlaubt, so dass es dazu kommt, sich selbst und Andere (also das Umfeld) zu täuschen, ist eine ebenso wichtige wie einleuchtende Erkenntnis. Bereits das erste große Hauptkapitel der vorgelegten Dissertation füllt schon eine Forschungslücke, indem es eine moderne Kulturgeschichte der Suchtgenese seit den 1930er Jahren, also seitdem „Sucht“ als Krankheitsbild verstanden wird, nachvollzieht. Somit hat Frau Dr. Helm auch eine kompakte und detaillierte Kulturgeschichte vorgelegt, die mit großem Sach- und Fachverstand und mit einem hohen Maß an Einfühlungsvermögen die schrittweise und mühselige Ent- wicklung des ‚Zustands‘ Alkoholismus aufarbeitet. Als solches versteht die Ver- fasserin ihre Studie dann auch völlig zu Recht als eine „emotionshistorische Untersuchung“. Die vorliegende Arbeit ist damit einhergehend zusätzlich als Geschichte der Institutionalisierung von dezentralen Netzwerken mit Mutual Support Group-Strukturen von Bedeutung, wobei die Verfasserin das Outen als Alkoholiker/in als Auf- bzw. Preisgabe der informationellen Privatheit und Schritt hin zu mehr dezisionaler Privatheit betrachtet – und somit zentrale Kon- zepte des Privatheitsdiskurses zur Anwendung kommen. Frau Dr. Paula Helm plädiert aus den oben genannten Gründen mit Nach- druck dafür, dass der Anonymität eine viel größere Bedeutung zugeschrieben werden sollte, als dies in der Forschung und im öffentlichen Diskurs bisher der Fall ist. Die vorliegende Dissertation ist ein wegweisender Beitrag dazu. Passau, im Mai 2016 Prof. Dr. Karsten Fitz Inhaltsverzeichnis 1 Einleitung ................................................................................................... 11 2 Begriffe und Konzepte von Sucht bis Autonomie .................................. 17 2.1 Mutual Support statt Self-Help ............................................................... 17 2.2 Geistes- und sozialgeschichtliche Einordnung der Suchtproblematik .... 20 2.3 12-Stepper – Betroffene und kulturelle Akteure zugleich ...................... 28 2.4 Anonymität früher und heute .................................................................. 31 2.5 Ein praxeologischer Blick auf Sucht und Genesung .............................. 35 2.6 Gesundheit, Krankheit und Autonomie .................................................. 38 2.7 Bedingungen personaler Autonomie – Probleme und Ambivalenzen .... 42 2.8 Aufbau und Struktur der Analyse ........................................................... 50 3 Zur Kulturgeschichte der Suchtgenesung ............................................... 55 3.1 Methodische Vorbemerkung I ................................................................ 55 3.1.1 Zur Analyse diskursiver Praktiken ................................................ 57 3.1.2 Grenzen und Konturen des Diskursstranges zur Suchtgenesung .. 59 3.1.3 Quellenlage, Erhebungsmethoden und Quellenkritik ................... 61 3.1.4 Ein sozialer Schwarm im Netz von Sucht und Genesung ............. 65 3.2 Zu den Entstehungsbedingungen eines neuen Krankheitsverständnisses ........................................................................ 68 3.2.1 Als es Alkoholismus, aber noch keine Alkoholiker gab – The Golden Twenties ........................................................................... 68 3.2.2 Ideologisierung und Desillusionierung – The Great Depression .. 72 3.2.3 Suche nach Alternativen – Einflüsse der europäischen Psychoanalyse ............................................................................... 79 3.2.4 Krankheit und Moral – Einflüsse der christlichen Kirche ............ 82 8 Inhaltsverzeichnis 3.2.5 Identifizieren statt Missionieren – Geburt des Mutual Support .... 88 3.2.6 Zwischenfazit: Anonymität als Medizin gegen eine Beziehungskrankheit ..................................................................... 93 3.3 Zur Entstehung einer kollektiven Identität durch Anonymität ............... 95 3.3.1 Eine Geschichte des Trial-and-Errors – Zur Quellenlage ............. 95 3.3.2 Erste Keime einer Graswurzelbewegung – Die Twelve Steps entstehen ........................................................................................ 97 3.3.3 Ein Buch, viele Autoren, eine Identität – Alcoholics Anonymous ................................................................................. 103 3.4 Etablierung von Mutual Support über das Prinzip der Anonymität ..... 114 3.4.1 Prelude: Ambivalenzen der Anonymität ..................................... 114 3.4.2 Zur Quellenlage im Zeitraum 1940-1960 ................................... 116 3.4.3 Ein privates und ein öffentliches Selbst ...................................... 119 3.4.4 Zwischenfazit: Anonymitätsschutz in drei Stufen ...................... 128 3.5 Wege in die kollektive Autonomie durch Anonymität ......................... 130 3.5.1 Ende einer Anarchie .................................................................... 130 3.5.2 Copyleft – Mechanismus dezentraler Steuerung ......................... 135 3.5.3 Special oder Primary Purpose? ................................................... 137 3.6 Mutual Support als symptomübergreifende Medizin gegen Sucht ....... 138 3.6.1 Eine Familienkrankheit ............................................................... 138 3.6.2 Addicts Anonymous? .................................................................. 142 3.6.3 Von Abstinenz zu Nüchternheit .................................................. 149 3.7 Fazit I: Anonymität als Faktor kollektiver Autonomie ......................... 152 4 Transformationen des Selbst im Kontext von Sucht und Genesung .. 161 4.1 Methodische Vorbemerkung II ............................................................. 161 4.1.1 Teilnehmende Beobachtung ........................................................ 164 4.1.2 Sampling ..................................................................................... 167 4.1.3 Bildung von Codes ...................................................................... 170 4.1.4 Praxeologische Perspektive ......................................................... 173 4.1.5 Mutual Support als Rite de Passage ............................................ 175 4.2 Zum Verfall personaler Autonomie – Stadien der Sucht ...................... 179 4.2.1 Automanipulation als soziale Strategie ....................................... 180 4.2.2 Autonomie- und Selbstverlust ..................................................... 183 4.2.3 Sinn-und Machtlosigkeit ............................................................. 185 4.3 Ernüchterungserfahrungen – Ent-Täuschungen .................................... 188 Inhaltsverzeichnis 9 4.3.1 Sozialer Tiefpunkt ....................................................................... 189 4.3.2 Emotionaler Tiefpunkt ................................................................ 196 4.3.3 Kapitulation ................................................................................. 200 4.4 Einstieg in den Liminal Space – Rituale der Genesung ........................ 205 4.4.1 Trennung von der Alltagsstruktur ............................................... 205 4.4.2 Tod und Wiedergeburt ................................................................ 208 4.4.3 Ein Kreis als Anfang und als Ende ............................................. 211 4.5 Im Liminal Space – Werkzeuge der Genesung .................................... 214 4.5.1 Identifikation, Vertrauensbildung und das ethische Moment der Anonymität ............................................................................ 214 4.5.2 Mimetische Bezugs- und Abgrenzungsprozesse in der Sponsorschaft .............................................................................. 219 4.5.3 Katharsis und Autonom-Werdung .............................................. 224 4.6 Wiedereinstieg in die Alltagsstruktur – Leben in Genesung ................ 231 4.6.1 Die Haltung der Anonymität als Bündel sozialer Fähigkeiten .... 231 4.6.2 Genesungspraxis und Alltagsleben ............................................. 232 4.7 Fazit II: Zur performativen Macht der Anonymität .............................. 240 4.7.1 Zusammenfassung zum Transformationsprozess von Sucht zu Genesung ..................................................................................... 240 4.7.2 Wie aus der praktizierten Anonymität eine Haltung werden kann ............................................................................................. 244 5 Anonymität, Autonomie und die Mythen der Genesung ..................... 249 5.1 Genesung .............................................................................................. 251 5.1.1 Was es bedeutet, zu genesen ....................................................... 251 5.1.2 Das Konzept lebenslanger Genesung .......................................... 254 5.1.3 Genesung gleich Autonomie durch Nüchternheit ....................... 260 5.2 Ego ........................................................................................................ 262 5.2.1 Historische Hintergründe zum Begriff des Ego .......................... 262 5.2.2 Ego der Psychoanalyse ................................................................ 263 5.2.3 Buddhistische Einflüsse .............................................................. 269 5.2.4 Das Ego als Träger von Ideologie und Kulturkritik .................... 276 5.2.5 Bewertung des Ego-Begriffs im Kontext von Sucht und Genesung ..................................................................................... 282 5.3 Mythos .................................................................................................. 283 5.3.1 Die Rolle des Mythos im Mutual Support .................................. 283 10 Inhaltsverzeichnis 5.3.2 Der Genesungsmythos ................................................................ 285 5.3.3 Aneignung und Pluralisierung des Genesungsmythos ................ 289 5.3.4 Mythos und Autonomie ............................................................... 293 5.3.5 Bewertung des Mythos im Kontext von Sucht und Genesung ... 296 5.4 Fazit III: Die beiden großen A’s ........................................................... 297 5.4.1 Differenzen: Anonymität als säkulares Konzept praktizierter Spiritualität .................................................................................. 297 5.4.2 Best Practice: Autonomie und Anonymität auf einem Kontinuum von Sucht und Genesung ......................................... 303 6 Abschlussreflexion: Zur Interdependenz von Sucht, Genesung, Anonymität und Autonomie ................................................................... 313 7 Bibliografie ............................................................................................... 321 7.1 Primärliteratur ....................................................................................... 321 7.2 Sekundärliteratur ................................................................................... 323 8 Anhang ..................................................................................................... 331 8.1 Twelve Steps, Twelve Traditions and Twelve Concept of Alcoholics Anonymous ........................................................................................... 331 8.2 Besuchte Meetings im Zusammenhang mit der Teilnehmenden Beobachtung ......................................................................................... 335 8.3 Transkriptionen der Experteninterviews ............................................... 337 8.3.1 Steven S. ...................................................................................... 337 8.3.2 Mary C. ....................................................................................... 339 8.4 Inventuren von 12-StepperInnen .......................................................... 341 8.4.1 Mel T., Underearners Anonymous .............................................. 341 8.4.2 Helen S., Al-Anon ....................................................................... 369 8.4.3 Grace M., Overeaters Anonymous .............................................. 380 8.5 Tabellen zur Verbreitung von Mutual Support-Gruppen weltweit ....... 383 8.6 Graphik zur Genealogie der Mutual Support-Gruppen ........................ 388 8.7 Graphik zum Verlauf von Sucht und Genesung ................................... 389 8.8 Round Table-Protokoll „Scientists and Narcotics Anonymous“ .......... 389

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