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Studium Generale: Zeitschrift für die Einheit der Wissenchaften im Zusammenhang Ihrer Begriffsbildungen und Forschungmethoden PDF

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ISBN 978-3-662-37282-1 ISBN 978-3-662-38014-7 (eBook) DOI 10.1007/978-3-662-38014-7 Studium Generale erscheint vorerst etwa monatlich in einzeln berechneten Sonderdrucke : Den Verfassern von Original Heften von etwa 64 Seiten Umfing. Bestellungen nimmt beiträgen stehen 50 Sonderdrucke zur' Verfügung. jede Buchhandlung entgegen. Der Verlag behält sich das ausschließliche Recht der Ver Manuskriptsendungen sind an die Schriftleitung des vielfältigung und Verbreitung aller in dieser Zeitschrift zum Studium Generale, Heidelberg, Neuenheimer Landstraße 24, Druck gelangenden Beiträge sowie ihre Verwendung für zu richten. fremdsprachliche Ausgaben vor. S p r i n g e r -V e rl a g , H e i d e 1 b e r g u nd B e rl i n Heidelberg, Berlin W 35, Neuenheimer Landstraße 24 Reichpietschufer 20 Tel. 24 40 Tel. 24 92 51 Vertriebsvertretung im Ausland: Lange, Maxwell & Springer Ltd., 41-45 Neal Street, L o n d o n W. C. 2 STUDIUM GENERALE Heft 2 März 1952 5. Jahrgang über das Interpretieren deutscher Dichtungen. Von ERICH ·TRUNZ. "Interpretatio" ist ein lateinisches Wort und heißt nicht zu ihm greifen, doch man kann es. Das Kunst "Auslegung". Die Römer bezeichneten mit ihm die werk ist einmalig und bleibend, die Deutung aber - Auslegung juristischer Texte. In der Kirche des da sie aus der Fragestellung jeder Generation neu Mittelalters handelte es sich dann um die Exegese der erfolgen muß-veraltet und wird durch neue ersetzt. Heiligen Schrift. Der Humanismus des x6. Jahr Bis zum Ende des Mittelalters wurde Dichtung ge hunderts erklärte Texte des klassischen Altertums sungen und gesprochen und durch immer neues Um und machte das Wort zum Fachausdruck der neuen dichten jeder neuen Generation nahegebracht. Heute Wissenschaft der Philologie. - Im 1 9· Jahrhundert hat ein Werk, geschrieben und gedruckt, feste Ge machte Dilthey das Interpretieren selbst zum Gegen stalt. Wir können eine Klopstocksche Ode oder eine stand der Untersuchung. Alles menschliche geistige Goethesche Erzählung nicht für unsere Gegenwart Leben setze Verstehen voraus. Ein V erstehen, ins umdichten, wir'können sie aber interpretieren. Jenes · Kunstmäßige gesteigert, an eine schriftlich festgelegte ist die mittelalterliche, dieses die neuzeitliche Form geistige Äußerung anknüpfend, sei das Interpretie des Gegenwärtig-Machens von Dichtung. Funktio ren. Das Interpretieren sei eine zentrale Methode der nen, welche einst verbunden waren - Dichten, Dich Geisteswissenschaften. tung verstehen, Dichtung umarbeiten, Dichtung vor Bis dahin hatte man Denkgebilde interpretiert: tragen, über Dichtung sprechen usw. -,sind im mo juristische, theologische, philosophische Texte. Seit dernen Kulturgefüge auseinandergetreten; demgemäß der Goethezeit interpretiert man auch Kunstgebilde hat in ihm der Meister der Interpretation seine Stelle und versucht sie in ihrem besonderen Kurist-Sein zu erhalten, ähnlich wie der des Vortrags. erfassen. Infolgedessen bildete sich nun eine neue Dichtung als geschriebenes, bleibendes Werk ob Art von Auslegung heraus. jektiviert einmaliges Leben (und insofern vollzieht Beim Interpretieren ist ein feststehender Text da, sie einen Triumph des Menschengeistes); sie bringt jemand, der über ihn spricht, und ander~, zu denen die Zeit zum Stehen, sie macht aus dem Fließenden er spricht. Der klassische Philologe, .d er Romanist, das Feste. (Darum haben wir tieferen Einblick erst der Anglist führt seine Schüler in eine Welt e.in, die in die Zeit, da man schrieb.) Doch das Feste wird er kennt und die ihnen noch fremd ist. Soll man zum Starren: spätere Geschlechter entwickeln sich aber auch die Dichtung des eigenen Volkes interpre von ihm fort. Hier nun will das geschichtliche Ver tieren? Interpretation ist unnötig für den, welchem stehen Freiheit schaffen, soweit sie dem Menschen eine Dichtung zum Besitz geworden ist. Für den möglich ist; hier beginnt die Interpretation. Fall aber, daß jemand nach einer Deutung, einer Die Schwierigkeit eines Werkes, die zu der Frage Hilfe beim Lesen sucht, ist es gut, wenn eine solche nach der Deutung Anlaß gibt, beruht aber keines vorhanden ist. - Hellingrath hat seinerzeit eine wegs nur auf dem historischen Abstand. Oft liegt sie völlig neue Hölderlin-Interpretation gegeben, und im Wesen des Werkes selbst. Das Nibelungenlied, dann fiel es anderen wie Schuppen von den Augen, obgleich es uns geschichtlich fernsteht, bereitet dem und sie erkannten den bisher Mißverstandenen neu; Verstehen weniger Schwierigkeiten als neuere, sym dies ist das vielleicht schönste Beispiel für die Frucht boltiefe Werke wie Goethes "Faust", Hölderlins barkeit einer Auslegung. späte Hymnen und Rilkes "Duineser Elegien". An Dichtung ist Deutung der Welt, Interpretation ist Dichtungen dieser Art hat sich daher die moderne Deutung der Dichtung. Kunst gehört im Aufbau un literarische Interpretation vorwiegend entwickelt. seter geistigen Welt zu den Grundelementen. Da Interpretation versucht nicht nur den geschicht gegen bleibt die Interpretation immer etwas Sekun lichen Abstand zu überwinden, sondern zugleich an däres, Mittelbares, nur ein Hilfsmittel; man muß zudeuten, warum ein Werk groß oder klein sei. 5 Studium Generale, 5. Jahr~. 66 ERICH TRUNZ: über das Interpretieren deutscher Dichtungen. Studium Generale Historisches Verstehen und kritischesWerten gehören weit genug sein, um in seiner Auslegung alle Arten zusammen; Geschichte ist nur möglich, wenn man der Betrachtung zu vereinigen; um dabei diejenigen wertet. Interpretation ist aber nicht Zuteilung einer Sektoren, die ihm ferner stehen, sachgerecht auszu Zensur, sondern Aufhellung der künstlerischen füllen, hilft ihm seine. methodische Geschultheit und Struktur. Gelingt diese, so zeigt sie des Werkes seine vollständige Kenntnis dessen, was andere Inter Größ.e und Mängel und .damit unausgesprochen auch preten auf eben diesem Gebiet geleistet haben. den Rang. Interpretation soll nicht das, was das Werk selbst In der Interpretation spricht nur der Philologe, sagt, noch einmal sagen (Inhaltsnacherzählung), auch in der Edition nur die Dichtung. Was die Edition nicht des Betrachters persönliche Stimmungen beim darbietet, muß die Interpretation erschließen. Seit Lesen schildern(Sache des Tagebuchs oder der Dich 175 8 bestand eine Edition des Nibelungenliedes, aber tung), sondern Sachliches im Werk aufzeigen; sie niemand kümmerte sich darum, bis 50 Jahre später zeigt z. B. in "Faust II" die Beziehung der metrischen die Romantiker ·es interpretierten. Umgekehrt: Was Form zum Gehalt. Hierüber sagt die Dichtung selbst die Interpretation erschließt, muß ·die Edition zu nichts. Es ist eine der wesentlichen Verbindungen in gänglich machen. Seit 1932 besitzen wir eine Inter ihrem Gefüge. In dieser Schicht liegen die Aufgaben pretation des spätbarocken Schriftstellers Beer, aber der Interpretation. wir können sie nicht voll ausnutzen, weil wir keine Die Auslegung (als sprachliches Gebilde) kann nur Ausgabe seiner Werke haben. eins nach dem anderen abhandeln. Da sie aber ver Die Interpretation ist etwas anderes als ein Kom sucht, das Werk als Struktur zu erfassen und den mentar. Der Kommentar erläutert Einzelheiten sach inneren Zusammenhang von Stoff, Stil, Gehalt usw. licher Art. Die lnterpr·etation bemüht sich um die aufzuzeig·en, besteht ihre besondere· Kunst darin, in Ganzheit; sofern sie von Einzdheiten spricht, gilt ihrem Nacheinander· das Gleichzeitige und Ganze ihre Frage nur deren Funktion im Gesamtwerk. deutlich zu machen, so daß alle Elemente als einan: (Zwischenformen von Kommentar und Interpretation der wechselseitig bedingend erscheinen. sind etwas Häufiges.) Nun sind in jedem Werk die Elemente verschie Ebenso deutlich ist der Unterschied zur literatur den gemischt, und die Deutung muß diese jeweilig geschichtlichen Abhandlung. Diese sieht das Einzd so, wie es dem Gegenstande entspricht, hervortreten werk als Glied der geschichtlichen Entwicklung. Sie lassen. Sie muß also nicht nur die wechselseitige Be fragt z. B. nach der Geschichte der deutschen Ballade dingtheit aufzeigen, sondern dabei auch die richtigen oder nach der Auffassung des Todes in den verschie Proportionen treffen. So ist z. B. bei Goethes "Pan denen Epochen der deutschen Dichtung. Sie unter dora" mehr über Rhythmus und Sprache zu sagen sucht eine Idee,. einen Stil, eine Gattung, ·eine als bei den "Lehrjahren". Dichterpersönlichkeit usw. und befragt dabei viele Aus diesem Grunde sind Interpretationen auch in Dichtungen, aber meist nur in einer Richtung. Die ihrem Aufbau verschieden. Manche Gedichte inter Interpretation befragt nur eine Dichtung, aber in pretiert man am besten von Zeile zu Zeile, von allen Richtungen. Strophe zu Strophe und endet mit de·m Gesamtein Die Interpretation ist auch nicht das, was man be druck; bei anderen wird man den Gesamteindruck zeichnen kann als Gedanken zu einem Kunstwerk, an .den Anfang stellen; man wird bei dem einen vom Aphorismen, Einfälle, Apers:us; in solchen greift der Klang, bei dem anderen vom Inhalt ausgehen. Betracluer Einzelheiten heraus, welche für ihn be Drama und Roman erfordern andere Aus1egung als sonders fruchtbar sind, und knüpft eigene Gedanken ein Gedicht; in sehr verschiedener Folge können da daran. Die Interpretation will das Werk als Ganz bei Stoff, Idee, Aufbau, Sprache usw. zu Worte kom heit fassen, keine Seite von ihm übergehen und da men. Immer aber muß jede Einzelheit als Glied des bei tunliehst das Subjektive vermeiden. Ganzen erscheinen. Die Interpretation spricht über das Werk als Diese Forderung an die Interpretation hat ihre Werk. Sie setzt sich also in die Beziehung, für welche Grundlage in dem in der Goethezeit geprägten - das Werk eigentlich geschrieben ist, die von Werk und noch heute gültigen - Gedanke.n der "inneren und Betrachter. Ihre Wissenschaftlichkeit besteht nur Form", d. h. in der Auffassung, im Kunstwerk sei darin, .daß sie die menschlich bedingte Einseitigkeit alles Außerliehe ein Innerliches, und alles Innerliche durch systematische U~sicht möglichst weitg·ehend zu erscheine, indem es nach außen tritt, als Form; dar überwinden versucht. Zwar interessiert den einen um sei auch die dichterische Sprache eine genauerc Philologen vorwiegend die Idee, den anderen der Sprache als jede andere, denn sie sage nicht nur aus, Stil, einen dritten der psychologisch-biographische sondern symbolisiere zugleich. Dieses "Zugleich" ver Zusammenhang usw., aber als Interpret muß jeder sucht der Interpret zu erhelle.n. Jg. 5, Heft 2 ERICH TRUNZ: Ober das Interpretieren deutscher Dichtungen. 67 März 1952 Erfaßt die Auslegung diesen Zusammenhang, so seits den größten methodischen Gegensatz zu dem ist sie nicht nur Auflösung in Elemente, sondern allgemeinen geschichtlichen überblick, anderseits ist auch Zusammenschau der Ganzheit. Wenn ein Durch sie ohne ihn gar nicht möglich. Es sind zwei Pole, schnittsleser eine Dichtung einmal durchliest, kann die in dauernder Beziehung stehen. Wer ein Bild es geschehen, daß er vorwiegend beim Inhalt bleibt, der Literatur haben will, muß Hunderte von Einzel nur ganz allgemein die Beziehung von Inhalt und werken interpretieren; und wer ein Einzelwerk inter Form empfindet und mehr die Einzelheiten als das pretiert, muß Literaturgeschichte kennen. Ganze ins Auge faßt. Hat solches Lesen nicht eher Man braucht also beim Interpretieren auch eine den Namen Analyse ("Auflösung") verdient als das Kenntnis des Umkreises. Daraus ergibt sich die des Interpreten, dieses wiederholte, um die Ganz Frage: Was davon soll man beim Interpretieren heit bemühte, jede Einzelheit in ihrer Funktion ab nennen? Möglichst wenig; nur das, was zur Erhel wägende Lesen? Was diesem im Vergleich mit jenem lung des. Einzelwerks unentbehrlich ist. Bei einem vielleicht an Ursprünglichkeit mangelt, wird durch Gedicht aus einem Zyklus ist es meist notwendig, die Gründlichkeit liebenden Erfassens gewißlich Hinweise auf den Zusammenhang zu geben, z. B. im aufgewogen. "Westöstlichen Divan". Jeder Dichter hat seine Offensein für ein Kunstwerk erfordert innere geistige Welt und seine Sprache. Vorstellungen, die Kraft, Anspannung, Tätigkeit. Auch Lesen will ge ihm geläufig sind, werden oft aufs knappste zu lernt sein. Wer lesen kann, muß nicht auch inter sammengezogen zur Formel. Solche Formelwörter pretieren. Wer interpretieren kann, hat auch lesen sind etwa bei Goethe "bedingt", "trüb", "Abglanz"; gelernt. Wer interpretiert, muß fein hinhorchen kön bei Hölderlin "stiften", "Ather"; bei Rilke "das nen; aber er soll nicht das Gras wachsen hören. Offene", "der Engel". Weil hier eine einzige Stelle Er muß ein reines Empfinden haben, und das heißt oftmals nicht den ganzen Wortinhalt deutlich macht, auch: er muß die Selbstkritik haben, um das, was können Parallelstellen erhellend wirken. Doch muß nicht sachgerecht ist, wegzulassen. Man kann nicht man damit bei einer Auslegung sparsam sein. Der jeden Vokal symbolisch erklären. Wenn ein Dich Ort für Parallden ist die Spezialuntersuchung, auch ter schreibt "Ich ging", braucht das nicht Ausdruck der Kommentar. - Wer genaue Kenntnis erstrebt, heiterer Stimmung durch I-Laute zu sein, sondern wird immer wieder von dem Einzelwerk zu dessen nur ein möglichst knapper und einfacher Ausdruck Umgebung (zu dem Gesamtwerk des Dichters oder ·des Sachverhalts "profectus sum". Die Sorgfalt im dem Schrifttum seiner Zeit) hinüberschauen. Hierbei kleinen vereinigen mit dem Blick auf das Große - ergibt sich mit einiger Sicherheit die Probe auf das ·das ist letztlich mehr als ein philologisch-methodi Exempel der Einzelinterpretation. Aber er wird bei scher Grundsatz, es ist die persönliche Kultur des der Auslegung des Einzelwerks nicht diesen ganzen großen Philologen, die er durch sein Vorbild weiter Umweg sichtbar machen, denn dadurch würde die gibt. Interpretation gesprengt. Will der Interpret seiner Auslegung die Stilreinheit bewahren, so muß er den Interpretation in strengster Form spricht nur von Mut und die Kraft haben, vieles, was an sich wert einem einzigen Werk, aber sie erfordert viel mehr voll sein mag, aber nur in eine Abhandlung gehört, als die Kenntnis nur dies·es einen Werkes. "Artis monurnenturn qui unum vidit nullum vidit, qui mille beiseite zu lassen. vidit, unum vidit." (Eduard Gerhard.) Es ist nötig, Der Interpret ist kein Künstler, und doch kann um ein einzelnes Werk Grimmeishausens zu ver seine Arbeit des Künstlerischen nicht entbehren. Er stehen, gewisse allgemeine Kenntnisse von dem spricht aus Liebe zum Werk, und doch spricht er nie 17. Jahrhundert zu haben. Nimmt man ein Werk von dieser Liebe unmittelbar. Der Hörer soll nicht aus dem geschichtlichen Zusammenhange heraus, so etwas erfahren über des Interpreten persönliche Be ergeben sich Mißdeutungen in der Sprache, im Stil, geisterung und Stimmung, sondern über das Werk im Gehalt. Man muß wissen, daß das Wort "Mensch und seine Struktur. Doch auch die sachliche Aussage heit" im 18. Jahrhundert "Menschliches W·esen" be enthält in Nuancen des Klanges noch des Deuters deutet, im 19. Jahrhundert "Summe der Menschen". persönliche Haltung.- Es gibt auch den Dithyram Man muß wissen, daß die Stilfigur der Häufung im bus der Verehrung (z. B. Goethes Sendschreiben Barock anders zu werten ist als in der Goethezeit "Zum Shakespearestag"), und es gibt das Gedicht (dort mehr dekorativ-rhetorisch, hier mehr durch auf das Kunstwerk (etwa bei George und Rilke). Die Sachfülle oder Emphase bedingt). Man muß wissen, Interpretation des Philologen ist kein Kunstwerk, daß die Liebe im Minnesang eine objektiv-konven und die Deutung des Künstlers keine Interpretation. tionelle Formsprache besaß, die bei Hölderlin un Goethes Erläuterungen zu eigenen Gedichten ("Harz denkbar wäre. Die Einzelinterpretation bildet einer- reise", "Ballade", "Ur worte") sind erklärende An- 5o 68 ERICH TRUNZ: über das Interpretieren deutscher Dichtungen. Studium Generale merkungen, hauptsächlich inhaltlicher Art; absicht Die moderne Interpretation hat sich entwickelt lich rühren sie nicht an das Geheimnis der Kunst im akademischen Unterricht, in den literaturwissen (zumal es sich um eigene Werke handelt). Was schaftliehen Seminaren. Sie ist mehr eine Sache des Künstler über fremde Werke sagen, sind- oft sehr Sprechens als des Schreibens, auch heute in der Zeit bedeutsame- Bemerkungen über das Ethos der Ar des Druckens und Lesens. Bei manchen Hochschul beit und das Technische des Handwerks, aber es ist lehrern tritt sie unter allen Arbeitsweisen im Unter selten Auslegung. Das ist auch nicht ihre Aufgabe. richt am meisten hervor, im Druck am wenigsten. Weil sie selbst schöpferisch sind, greifen sie dasjenige Sie hängt zusammen mit dem lebendigen pädagogi heraus, was für sie selber fruchtbar und wahr ist. schen Wirken. Goethe als der Schaffende hat viele Mitlebende und Die Interpretation, wie sie sich an den Hoch Gewesene mißverstanden. Herder und Wilhelm schulen entwickelt hat, zieht mit möglichster Voll Schlegel als die Verstehenden hatten hierin mehr ständigkeit die vorhandenen Hilfsmittel heran (ein Weite als er, aber sie scheiterten wiederum im eige schlägige Literatur); sie ist aber ihrem Wesen nach nen Dichten. Liegt hier eine allgemeine Polarität kein Vorgehen besonderer Art. Jeder, der Sinn für vor, die jedem seine Grenzen setzt? Der Philologe Dichtung und Deutung hat, kann sie begreifen. Es sollte ein Meister vielseitigen Verstehens und Aus hat sich in ihr eine Tradition herausgebildet, die in legens sein; doch eben deswegen mangelt ihm die Grenzen lehrbar und lernbar ist. Sie läßt sich leicht Kraft zum eigenen Schaffen. Philologie von Dich übertragen auf die etwas anders geartete Arbeits tern ist meist ebenso schwach wie Dichtung von weise der Schule. Und ebenso kann sie die Grund Philologen. lage für Rezensionen gegenwärtigen Schrifttums sein. Jede Besprechung ist, wenn sie gut ist, auch Jedes Werk bleibt unerschöpflich. Wenn man es eine kurze Interpretation. betrachtet, fühlt man sich wie mit Flügeln versehen; Die Interpretation ist das Zeichen des Verstehens, aber man fühlt sich wie mit Bleigewichten behängt, und das V erstehen ist die Grundbedingung geistiger sobald man darüber zu sprechen beginnt~ Die Inter Kultur. Wo ein Dichtwerk nicht mehr verstanden preten lieben den Zauber des Kunstwerks, und was wird, scheidet es aus dem geistigen Besitz aus, auch sie tun, klingt nur allzuoft nach Entzauberung. Sach wenn es als Buch noch vorhanden ist. Die, welche lich sein, aber nicht entzaubern, das ist Philologen das Verstehen bewahren, sind nur ein kleiner Hun kunst - eine Gratwanderung. - Manier ist leichter dertsatz, ein Schiff einsamer Segler; wenn das Meer zu beschreiben als Stil, Kunstgewerbe leichter als sie verschlingt, kann es Jahrhunderte dauern, bis Kunst. Interpretation erfaßt bestenfalls etwas von neue Schiffer kommen und einen Rest von Strand der Struktur eines Werkes, niemals sein Wesen. gut bergen. Das allgemeine Leben würde auch ohne Da ein großes Kunstwerk unerschöpflich ist und Hölderlin und ohne Goethe weitergehen - man jede Generation Neues an ihm bemerkt, äußern würde ihr Fehlen gar nicht bemerken. Aber die Phi sich die Interpreten verschieden. Insofern aber eine lologen glauben, daß die Kunst zu den wenigen sachgerechte Deutung die Struktur erfaßt, stimmen großen Dingen gehöre, durch die das Leben wertvoll sie wiederum überein. In der gegenwärtigen Lite sei. Sie wollen die Dichtung lebendig halten durch raturwissenschaft gibt es keineswegs nur sich be ihr Verstehen. Und ein Hilfsmittel bei diesem Be kämpfende Meinungen, sondern viele Zusammen streben ist die Interpretation. klänge und Ergänzungen. Als Beispiele moderner Interpretation sind besonders her vorzuheben die beiden Aufsatzbände von M. Kommerell, "Geist Das 19. Jahrhundert behandelte vorwiegend stoff und Buchstabe der Dichtung", Frankf. a. M., 1939, 3· Auil. geschichtliche, grammatisch-stilistische und biogra 1944; und "Gedanken über Gedichte", Frankf. a. M., 1943; phisch-psychologische Fragen. Das 20. Jahrhundert und der Aufsatzband von Emil Staiger, "Meisterwerke deut scher Sprache", Zürich 1943, 2. Aufl. 1948. - Eine Samm entwickelte die W erkinterpretation. Man hat über lung von nach Art und Wert sehr unterschiedlichen Inter die Trockenheit in den Arbeiten des 19. Jahrhun pretationsversuchen ist: "Gedicht und Gedanke". Hrsg. von derts gespottet, doch man muß sich fragen, ob das H. 0. Burger. Halle 1942. - Lyrikinterpretation: Elizabeth M. Wilkinson und L. A. Willoughby, "Wandrers Sturmlied". 20. Jahrhundert es besser macht. Trockene Tat German Life and Lettres 1948, S. 102-116. - P. Stöcklein, sachenphilologie kann noch nützlich sein; falsche "Wege zum späten Goethe". Harnburg 1949. -Auch: "Vom Deutung ist nur schädlich. Ein Mißgriff hier ist Geist der Dichtung". Gedenkschrift für R. Petsch. Harnburg 1949, S. 180-205. Und: Dt. Vierteljahresschr. f. Lit.Wiss. u. schlimmer als ein Mißgriff dort, denn Auslegung Geistesgeschichte 21, 1943, S. 99-112. - Verbindung von greift in das Werk-Verständnis ein. Sie ist darum Interpretation und Kommentar: Hamburger Goethe-Augabe, das Verantwortungsvollste und wohl auch das Bd. 8, 1950, S. 579-724. - Als neueste Sammlung von Lyrik-Interpretationen ist hervorzuheben: johannes Pfeiffer, Schwerste in der Philologie. Wege zur Dichtung. Harnburg 1952. (Prof. Dr. E. Trunz, Münster/West/., Breul23.) Jg. 5, Hefl2 lNGRID KOHRS: Ein Gedicht Georg Trakls. 69 März 1952 Ein Gedicht Georg Trakls. Von INGRID KOHRS. " ... und die Sterne erglänzten über 1909 spricht von jenem Vernehmen, in dem das seiner sprachlosen Trauer." (I 57) eigene Ich immer mehr zurücktritt: . Die Sprache Trakls ist Chiffre. Sie steht - wie "Alles ist so ganz anders geworden. Man schaut und schaut - und die geringsten Dinge sind ohne Ende. Rilke sagt - in einem "unbetretbaren Raum" 1, zu Und man wird immer ärmer, je reicher man wird." a dem die Worte nicht in Mitteilung und Gedanken Die Frage, die auch diese Interpretation begleitet, hinführen, sondern in dem ein Ungesprochenes in gilt also dem "Mehr", das über Stimmung und sub Worten ersteht. - Alle die Stilelemente, die sonst jektive Aussage hinaus in der Sprache Trakls ver einem Verstehen helfend entgegenkommen: die tra nehmbar wird. dierten Formen des Gesamtbaus und der Strophen Rilke, dem vielleicht Ähnliches wie Trakl wider fügung, Reim, Redefigur und metrische Fassung, sie fuhr, spricht mit der Sicherheit der Intuition von fehlen zumeist in seiner Lyrik, und es scheint keine dem, was eben hier zu fragen versucht werden soll: faßbaren Brücken zu geben, die den inneren Raum "Eine neue Dimension des geistigen Raums scheint mit des Gedichts erschließen. Das hat dazu beigetragen, ihnen (den Büchern Trakts) ausgemessen und das gefühls das Lebensgefühl des Dichters als alleinigen Schlüs stoffliche Vorurteil widerlegt, als ob in der Richtung der sel des Verstehens zu nennen und die Frage nach Klage nur Klage sei -: auch dort ist wieder Welt." 4 dem einzelnen Gedicht zurücktreten zu lassen. . Die Frage der Interpretation geht also auf ein Ge- Man vernahm in einem Gedicht Trakls die Stim schehen zu, das sich in jenem "unbetretbaren" Bezirk mung des Dichters, seinen subjektiven, vielleicht gar des Gedichtes ereignet. Sie ist keine Position, sondern willkürlichen Ausdruck, weil es deutlich schien, "daß ein mitgehendes, vorläufiges Verstehen an der Stelle es nicht mehr um Welterfahrung geht, sondern um des hermeneutischen Zirkels, wo nur die Richtung und Selbstsdarstellung" -, daß "das Ich wichtiger Offenheit des Fragens zu nennen sind, das sich der (wurde) als das Ding". Es schien, als seien seine inneren Dimension des Gedichts zu nähern versucht. Worte nur noch "der ekstatische Gesang eines Einzel Das Gedicht, dem wir uns zuwenden, gehört unter nen ..., ein einziger Song of Myself" 2• allen Trakl-Gedichten zu den stillsten und schlich So ließ sich das Rätsel dieser Sprache überschrei testen, und doch weist es vernehmbar für das ge ben nur noch mit dem Namen: Trakl, oder man ver nannte vor-laufende Verstehen auf jenen Bezirk, in suchte, Ausdrucksformen und übergreifende Stilprin dem sich menschliches Sprechen und objektives Ge zipien im Zusammenhang mit dem Expressionismus schehen zu einem einzigen Vorgang zusammen zu sehen und ihnen eine Stelle in diesem Zusam schließen 5• menhang anzuweisen. Die meisten dieser Hinweise In ein altes Stammbuch aber bleiben vor dem einzelnen Gedicht stehen, neh Immer wieder kehrst du Melancholie, 0 Sanftmut der einsamen Seele. men nur Teile daraus zum Beleg der Gesamtstim Zu Ende glüht ein goldener Tag. mung und Ausdruckshaltung des Dichters. Demutsvoll beugt sich dem Schmerz der Geduldige Sollte die Dunkelheit der Sprache Trakls es ver Tönend von Wohllaut und weichem Wahnsinn. Siehe! es dämmert schon. wehren, das einzelne Gedicht in seiner Eigenheit und Wieder kehrt die Nacht und klagt ein Sterbliches Ganzheit zu verstehen und zu deuten? Gewiß wird Und es leidet ein anderes mit. jeder Versuch der Interpretation unüberschreitbare Schaudernd unter herbstlichen Sternen Grenzen erkennen und wahren müssen. Aber eine Neigt sich jährlich tiefer das Haupt. (55) Interpretation hat auch danach zu fragen, ob nicht 3 Gesammelte Werke, Bd. 3; Nachlaß und Biographie. S. 20. Trakls Dichtung noch in einem anderen Sinne Chiffre 4 Rilke an Erhard Buschbeck, 22. Februar t9I7. ist als nur für den Ausdruck eines Lebensgefühls. 5 Man mag einwenden wollen, das hier für Trakls Lyrik allgemein Genannte, die Erhaltung eines Objektiven, sei nur Lauscht nicht gerade dieser Dichter einem Geschehen, einer Stufe der Traklschen Dichtung zuzusprechen, der frühen das ihn einbezieht, das nicht nur dem eigenen Innen und vielleicht noch mittleren Periode. - Ich bin der Über zeugung, daß eine Einsicht in den übersubjektiven Geschehnis raum entstammt? Ein Brief Trakls aus dem Jahre zusammenhang in Trakls Sprache diesen als ein bleibendes In grediens seiner Dichtung zeigt. Auch auf der Stufe, auf der 1 Rilke an Ludwig von Ficker, Februar I9I5. das Geschehen der menschlichen Seele immer ausschließlicher 2 Her.bert Singer, Georg Trakl. Trivium IX, Heft I, S. 48, das Thema der Lyrik wird. Auch und gerade hier mehr als s. 57· Subjektivität zu vernehmen, ist von entscheidender Bedeutung. 70 lNGRID KOHRS: Ein Gedicht Georg Trakls. Studium Generale Das Gesamtgefüge. Strophenganges ist rhythmisch unterstrichen: kein Element wird ausgelöscht, das schwere Wort wahrt Dieses Gedicht steht ohne Reim und jenseits der seinen Raum. überlieferten festen Formen. Doch es entbehrt nicht Das zweite Stilprinzip, das der Intensivierung, ist des klaren inneren Gefüges. Die freien Rhythmen rein formal schwer zu fassen; es bestimmt vornehm erscheinen in einem regelmäßigen Gebinde; sie fü lich das Sinngefüge des Gedichts. Doch es seien vor gen sich nicht einer nur lockeren Ordnung, sondern sichtig einige Züge innerhalb des Gesamtbaus zu einer inneren Gesetzmäßigkeit des Baus. Dieses Bau nennen versucht. gesetz enthält im Ge~amtgefüge des Gedichtes als Die syntaktische Fügung zeigt neben dem genann Strukturprinzip gleich recht beides: ausgewogenes ten Gleichlauf unverkennbar auch die Intensivierung .. Gleichmaß und steigende Intensivierung. Die beiden letzten Strophen zeigen nicht nur Glei Das strophische Gefüge zeigt in der Abfolge von ches im syntaktischen Bau. Wohl ist jede eine syn zweimal drei und zweimal zwei Versen den Gleich taktische Einheit, doch die erste koordiniert in Vers 7 lauf eines Parallelbaus, dem zunächst keine tiefere und 8 parataktisch zwei Glieder, verbindet zwei Satz Bedeutung zuzukommen scheint als die der möglichst aussagen mit einem "und". Der zweite Vers vollzieht harmonischen Einteilung. Ist doch der Parallelbau mit einem neuen Subjekt "es" und mit dem Verb der Versgruppen keineswegs von dem streng archi "leidet" einen gewichtigen neuen Einsatz. Hiermit tektonischen Charakter wie etwa im Sonett-, und gleichwohl ist er doch von hinreichender Kraft und steht die erste der 2-Vers~Strophen mit ihrer klaren Zweiteilung im syntaktischen Bau noch in der Nähe Klarheit, die Worte nicht einer verschwebenden Mo zum Gefüge der 3-Vers-Strophen. Die beiden letzten notonie auszuliefern, sondern jedes in seinem vollen Verse des Gedichtes dagegen werden in einem einzi Gewicht zu erhalten und zu festigen. Wohl fehlt hier gen Verb "neigt" und in dem einzigen echten e~jambe­ der. Reim; die ungleiche Verslänge hindert das Ent ment des Gedichtes zur vollen Einheit zusammenge stehen einer festen Strophenkontur, und es scheint, nommen. Die Satzbewegung ist intensiviert. Doch . als bedinge der im .Außeren völlig gesetzfreie Rhyth mus die a-tektonische Gedichtform. Wenn also nicht nicht nur die Satzbewegung, mit ihr die ~wortfügung nimmt im Fortgang des Gedichtes zu an Gewichtig diese Formprinzipien den Grund bilden für jenes keit und Intensität: Die Apposition der ersten durchgehende Stilelement des Gleichmaßes und des Strophe in Vers 2 ist reine Apposition, ist substanti Gleichgewichtes, welche sind es dann, die diese un verkennbare Sprachgebärde des Gedichtes bedingen? visch 6• Die entsprechende Verszeile der zweiten Strophe: Vers 5 steht nur noch schwach einer Appo Sichtbares Zeichen des Gleichlaufs innerhalb des sition nahe; sie zeigt mit dem Einsatz des Verbs "tö Strophengefüges ist nicht allein -die Wiederaufnahme nend" einen Vorgang, steht mit dem Wort eines Ge des Wortes "wiederkehren", das in Vers 1 und 7 die schehens in neuer Bewegung. In den beiden letzten beiden Strophengruppen parallel fügt, es liegt zu Strophen ist die Wortfügung am stärksten intensi gleich auch in der Syntaxordnung: In den beiden viert. Die Adjektive treten zurück; der Satzbogen · Strophen zu je drei Versen bilden die beiden ersten wölbt sich schwerer um das gewichtige Wort, zumal Verse eine Satzeinheit, ohne daß der einzelne Vers in den Schlußversen; Anrede und Apposition gibt es, durch ein ausgeprägtes enjambement seine Kontur in diesen Versen nicht mehr. Stehen Adverb und Verb preisgibt. Sie bleiben gleichlaufend in der syntakti in Vers 4 noch nah beieinander, so sind sie in den schen Einheit nebeneinander. Der dritte Vers steht Versen 9 und 10 getrennt und hart gefügt über eine in diesen Strophen für sich, klar konturiert und ein große Spannung, die jedem der Worte den Eigen-: fach. Die beiden Strophen von. jeweils zwei Versen raum und die Schwere bewahrt. dagegen stehen in einer durchgehenden Syntax. - Entspricht nun dieser Sprachfügung und Innen Ein nicht ungewichtiges Merkmal des Gleichlaufs liegt . gliederung des Gedichtes, die zunächst nur als Signa außerdem im rhythmischen Schluß jedes strophen turen hingenommen wurden, ein Geschehnisgehalt schließenden Verses: die einsilbig stumpfen Verse . und Sinnbezug, den die Einzelinterpretation zu sa (V. 3: Tag; V. 6: schon; V. 8: mit; V. 10: Haupt) gen vermöchte? führen die Strophe nicht in fallender Bewegung zu Ende, steigern das Versgefüge auch nicht mit neuen Deutung. Elementen zu ekstatischer Bewegung, sondern das Das Gedicht setzt ein mit einer Anrede, die nichts ton-und bedeutungsschwere Wort am Versende gibt Beschwörend-Persönliches hat, sondern als reines Ausgewogenheit. Keine der Strophen, keines der Worte wird überspült oder in ein Verschweben ge 6 D~ß in diesem Vers mehr als eine Beifügung geschieht, kann h1er, wo es zunächst um das Auffinden der Elemente des bracht, sie bewahren ihr Eigengewicht und ihre Be Wortgefüges geht, noch nicht gesagt werden. Das muß der deutung. Der Gleichlauf, das Gleichgewichtige des Gehaltsdeutung vorbehalten bleiben. Jg. 5, Heft 2 INGRID KOHRS: Ein Gedicht Georg Trakls. 71 März 1952 Nennen auf einen Vorgang von fast anonymem Cha leise noch abwehrenden Einstimmen vor .einem erst rakter hinweist. Die alltäglich vertrauten Worte "im vague verstandenen "Es" ist nun die bereite, begrei mer wieder" geben zudem sowohl rhythmisch wie fende Bewegung gefolgt: "Demutsvoll beugt sich gehaltlieh eine Monotonie, die die Anrede des Dra dem Schmerz der Geduldige" .:._ein üben und Ant matischen und der Einmaligkeit enthebt. Ist nicht worten dessen, der Schmerz zu verstehen begann und darum gerade diese Anrede allein Stirnrnungsaus den Dernut erfüllt. drudd Es bedarf kaum eines Hinweises: das Vernehmen Anrede ist Rede eines Subjekts, ist Sprache in der des Vorgangs ist sinngleich dem der ersten Verse, Begegnung, in die der Sprechende voll eingeschlossen nur ist der Mensch tiefer in ihn verwoben. Er gibt ist. Aber jedes der ·Worte, selbst das vertrauende ihm nicht mehr nur Raum, sondern er antwortet dem "Du", wird gesprochen über eine Kluft, aus einem rnäd:ttigeren, ergreifenderen Anspruch, dem Schmerz, Getrenntsein: Anrede sagt nur Teilhabe, nicht lden in eigener Bewegung; er beugt sich ihm. In dieser Er tischsein. "Du Melancholie": das ist die Sprache eines, griffenheit ertönt der Geduldige angerührt von einer der nennt, was ihm begegnet und in ihm sich voll "Heimsuchung": "Tönend von Wohllaut und wei zieht. Der Mensch nennt hier ein auf ihn zukommen dlern Wahnsinn". Hat das Wort "tönen" die über des Geschehen. Es ist nicht ohne Gewicht, nach dem volle Wortmusik heraufbeschworen? Deckt die Al Charakter dieses 0-Rufes zu fragen, der so ,oft in literation alles Bedeuten und Geschehen dieses Verses Trakls Versen erklingt. Ist dieses 0 nur auf Klage zu? Nein, der Vorgang ist so gewichtig und ernst, gestimmt, wie es der elegische Ton der Anfangszeile daß selbst die süßeste Wortmusik ihn nicht auszulö _und das Wort "Melancholie" nahelegen möchten? schen vermag, sondern durch die unwillkürliche · Dieses "0" ist ein Laut des Ahnens im Augenblick Rhythrnusverlangsarnung seine ganze Schwere ver des Berührtwerdens: es ist Anruf und leise Abwehr nehmen läßt. -Wohllaut und Wahnsinn sind Bil zugleich. Das läßt aud:t aus der grammatischen Appo der seelisd:ten Seins, das im Berührtwerden die sition in Vers 2 einen Vorgang werden: "Oh, die du sd:twereSchönheit des Leids begreift: angerührt "tönt" wiederkehrst, Sanftmut der einsamen Seele". ___: der dem Schmerz demutsvoll sich Beugende. So mei Hier schon beginnt die geheime Bewegung des Ge nen die Wort "Wohllaut" und "weicher Wahnsinn" dichts: es kommen ein Mensch, dem etwas geschieht, die Akkorde des von weither berührten Instruments, und ein Geschehen aufeinander zu. Dom erst späte~e Klang und Ton schwingender Saiten: die erklingende Verse vermögen klarer zu sagen, daß nicht Stirn., Seele. "Wohllaut" wie "Wahnsinn" ist "Heim rnung allein in diesen Versen liegt, sondern ein Ge suchung", ein Berührtsein durch Größeres_: stimmt-werden, ein bewegendes Geschehen.- Doch "Doch wenn dunkler Wohllaut die Seele heimsucht, wollen nid:tt die beiden Worte "Sanftmut" und "ein Erscheinst du Weiße in des Freundes herbstlicher Land same Seele" das Gegenteil einer solchen Erfahrung schaft". (8 3) sagen? Bedeuten sie nicht verhaltene Abgesd:tlossen Das Wort "Wahnsinn" sagt bei Trakl nicht einen heit und Begrenzung, Zustand und gerade nicht be kranken Seelenzustand, sondern das durch die starke wegende Begegnung? Diese Worte stehen in Trakls Berührung geschehene Versunkensein in eine unbe Sprache an der Stelle, wo reines V ernehrneo möglich greifbar mächtige und wahre Wirklichkeit: wird, sie sind Zeid:ten der Stille und der Bereitung; "Denn strahlender immer erwacht aus schwarzen Minuten sie bezeid:tnen den Beginn eines V ernehrnens. des Wahnsinns Der Duldende ..." (178) So gehen die Worte der ersten Verse hervor aus "Auch zeigt sich sanftem Wahnsinn oft das Goldne, dem Erfahren eines Menschen, einem Erfahren, das Wahre". (33) nicht aus ihm selber stammt, ·sondern ihn als ein "Es" "Wo vordem der heilige Bruder gegangen, Versunken in das sanfte Saitenspiel seines Wahnsinns•. · ergreift. - Vers 3 nennt in einfachem neuern Aus (87) sagesatz einen anderen Vorgang: den im Draußen "Denn immer folgt, ein blaues Wild, Ein .7\ugendes unter dämmernden Bäumen, der Natur, das Tagesende. Beide Gesd:tehnisse sind Dieser dunkleren Pfaden klar nebeneinander vorhanden, nicht etwa aufeinan Wachend und bewegt von nächtigem Wohllaut, der bezogen, als sei die Melancholie erst Folge des Sanftem Wahnsinn". (146/7) Tagesendes. Das Gedicht beginnt also mit dem Gleich Wohllaut und Wahnsinn sind also rticht willkür- lauf zweier Bewegungen. lich erhobene Stimme eines Einzelnen, sondern sind Die zweite Strophe setzt ein wie die erste mit dem Heimsuchung, Freude und Schmerz, sie sind Antwort Nennen des Vorgangs im Innenraum der mensch in der Berührung durch Größeres. lichen Seele. Doch die Worte kommen jetzt anony Ist nicht schon hier aus der geheimnisvollen Be mer, ohne Anruf, und doch greifen sie ungleich tiefer. wegung, mit der das Gedicht begann: aus einem Auf Sie bezeichnen nicht mehr nur <f:ie Begegnung. Dem einander-Zukommen, eine Einheit entstanden, wie sie

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