Gert Rickheit (Hrsg.) Studien zur Klinischen Linguistik Psycholinguistische Studien Herausgegeben von Gert Rickheit und Dieter M etzing In der Reihe "Psycholinguistische Studien: Normale und patho logische Sprache und Sprachentwicklung" werden Arbeiten veröffent licht, welche die Forschung in diesen Bereichen theoretisch oder empirisch vorantreiben. Dabei gibt es grundsätzlich keine Beschrän kung in der Wahl des theoretischen Ansatzes oder der empirischen Methoden. Sowohl Beobachtungs- als auch experimentelle Studien sollen in dieser Reihe erscheinen, ebenso Arbeiten, die Sprachver arbeitungsprozesse mit Hilfe von Computern simulieren, sofern sie nicht nur lauffähige Systeme darstellen, sondern auch deren empi rische Validität aufzeigen. Im Bereich der pathologischen Sprache sollen neue Diagnose- und Therapieverfahren sowie Erklärungsansätze für bestimmte Formen sprachlicher Abweichungen oder abweichender Entwicklungen in die Reihe aufgenommen werden. Arbeiten, die die normale Sprach verwendung thematisieren, sollen neue Einsichten in die Mechanis men und das Funktionieren der sprachlichen Kommunikation ver mitteln. Die Studien, die die Sprachentwicklung zum Gegenstand haben, sollten sich thematisch auf die normale oder auf die gestörte Ent wicklung der Sprache konzentrieren und die empirischen Befunde auf entsprechende theoretische Konzepte beziehen. Gert Rickheit (Hrsg.) Studien zur Klinischen Linguistik M adelte, Methoden, Intervention Westdeutscher Verlag Alle Rechte vorbehalten © 1997 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen Der Westdeutsche Verlag ist ein Unternehmen der Bertelsmann Fachinformation. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzu lässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. http://www.westdeutschervlg.de Umschlaggestaltung: Christine Huth, Wiesbaden Gedruckt auf säurefreiem Papier ISBN 978-3-531-12925-9 ISBN 978-3-322-90938-1 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-90938-1 Inhalt Vorwort. . ... . . . . . ..................... . .. ..... . . ... . ... ... . 9 Gert Rickheit Ergebnisse und Perspektive der Klinischen Linguistik 11 Teil I: Modelle Ulrich Schade Die Klassifikation von Benennstörungen in einem konnektionistischen Produktionsmodell ........................... 27 Günther Kochendäifer und Michael Schecker Assoziationen und Kontextverarbeitung. Ansätze zu einer Simulation schizophrenen Sprachverhaltens ................. 49 Martina Hielscher und Uwe Laubenstein Störungen des Satzverstehens bei Aphasie. Empirische Rätsel und Simulation ............................... 67 Teil 11: Methoden Hennric lokeit Interhemisphärische Dissoziation von Sprach-und episodischen Gedächtnisfunktionen (als Folge zerebraler Reorganisation nach früher linksseitiger Temporallappen schädigung. Ergebnisse einer Studie zum intrakarotidalen Amyltaltest (Wada Test» ...................................... 107 6 Inhalt Sabine Weiss EEG-Kohärenz und Sprachverarbeitung. Die funktionelle Verkopplung von Gehimregionen während der Verarbeitung unterschiedlicher Nomina ...................................... 125 Horst M. Müller und Marta Kutas Die Verarbeitung von Eigennamen und Gattungsbezeichnungen. Eine elektrophysiologische Studie ............................... 147 Susanne Schmidt Die Kognitive Verarbeitung von Farbe als Objektmerkmal. Wie beeinflußt die Objektfarbinformation das Benennen von Objekten? ............................................... 171 Gerhard Blanken Simplizia -Ja! Komposita -nein! Aphasische Fehler bei der Produktion von Nomina Komposita. Eine Einzelfallstudie 195 Klaus-Jürgen Schlenck Phonologische Störungen bei Aphasie ............................ 217 Kerstin Vollmer Koartikulation bei gestörter Sprache. Eine Experimentalstudie ....................................... 231 Martina Hielscher Aphasie und Textrezeption. Störungen affektiver Inferenzleistungen ............................................ 257 Tim Breßmann Verständnis für verbalen und nonverbalen Humor nach unilateralen Himschädigungen. Überblick und neue Ergebnisse ........ 291 Teil III: Intervention Julia Litz und Anke Oguntke Melodische Intonationstherapie. Theoretische Grundlagen und therapeutische Anwendung ................................. 321 Inhalt 7 Berthold Simons Bausteine für eine dialogzentrierte Aphasietherapie .................. 359 Jacqueline Ann Stark ELA "Everyday Life Activities" -Photoserie im kreativen Einsatz bei der Diagnose und Therapie von Sprachstörungen .......... 379 Joachim Hüttemann Struktur und Qualität sprachtherapeutischer Materialien .............. 411 Autorinnen und Autoren ....................................... 437 Vorwort Der vorliegende Band enthält vorwiegend Beiträge, die auf der 26. Tagung der Gesellschaft fUr Angewandte Linguistik, die vom 28. bis 30. September 1995 in Kassel stattfand, vorgetragen worden sind. Aufgrund der intensiven und konstruktiven Diskussion wurden die Vorträge zum Teil gründlich überarbeitet. Außerdem sind einzelne Beiträge aufgenommen worden, die die drei thematischen Bereiche ergänzen. In allen Beiträgen wird das generische Maskulinum verwendet, wobei der Gebrauch dieses Genus keine geschlechtsspezifischen Aussagen beinhaltet. Der Herausgeber dankt Grainne Delany, Bielefeld, fUr das sorgfältige An fertigen der Druckvorlage. Sowohl die Autorinnen und Autoren als auch der Herausgeber würden sich freuen, wenn die Beiträge dieses Bandes die Diskussion in der Klinischen Linguistik stimulieren und intensivieren würden, so daß weitere Fortschritte erzielt werden können, von denen die betroffenen Patienten profitieren werden. Bielefeld, im März 1997 Gert Rickheit Ergebnisse und Perspektiven der Klinischen Linguistik Ger! Rickheit Im deutschsprachigen Raum hat sich die Neuro- bzw. Klinische Linguistik vor allem durch Untersuchungen sowohl zu bestimmten sprachlichen Leistungen bei aphasischen oder dysarthrischen Störungen als auch deren Diagnose und Therapie hervorgetan. Aufgrund dieser Studien liegen inzwischen differenzierte Syndrombeschreibungen dieser Krankheitsbilder vor. Bei den empirischen Untersuchungen handelt es sich zum einen um Fallstudien, die spezifische sprachliche Ausfälle, die im klinischen Alltag aufgefallen waren, detailliert beschreiben, und zum anderen um Gruppenuntersuchungen, die systematische Unterschiede zwischen Gesunden und einzelnen Krankheitsbildern feststellten. Im allgemeinen wurden diese Studien durchgeführt, um bessere Voraus setzungen für die Diagnose und Therapie von Aphasie und Dysarthrie zu schaffen. Allerdings ist es im Bereich der Diagnose in den meisten Fällen bei der Absichtserklärung geblieben, weil die Entwicklung standardisierter Testverfahren äußerst aufwendig ist und wohl nur von interdisziplinär arbeitenden Forschungsteams geleistet werden kann, was die Vergangenheit bei der Entwicklung des Aachener Aphasie-Tests (Huber et al., 1983) auch gezeigt hat. Hinsichtlich therapeutischer Interventionen ist die Problemlage grund sätzlich anders zu bewerten, da hier einzelne, positiv verlaufene Therapie ansätze als Anregungen für die Weiterentwickung bestimmter Therapiever fahren dienen können. Allerdings bleibt der wissenschaftliche Erkenntnisgewinn gering, wenn die empirische Durchführung nicht den dafür geltenden statistischen Ansprüchen genügt. Es gibt immer wieder Studien, die an einzel nen Fällen die erfolgreiche Anwendung bestimmter Interventionen belegen wollen, ohne dabei zu berücksichtigen, ob bzw. inwiefern der Erfolg durch 12 G.Rickheit Spontanremission oder durch die spezifische Interventionsform zustande ge kommen ist. Dieser kritische Einwand soll nicht die Notwendigkeit von Ein zelfallstudien grundsätzlich in Frage stellen, vor allem dann nicht, wenn diese Studien Neuland betreten und somit Denkanstöße fiir weitere Untersuchungen darstellen. Gerade derartige Fallstudien, die in der Regel aus der klinischen Praxis kommen und die Vielfalt der Krankheitsbilder belegen, sollten in Zukunft stärker von wissenschaftlichen Teams als Grundlage für die systemati sche Erforschung sowohl der einzelnen Krankheitsbilder als auch der ver schiedenen Interventionsansätze dienen. Denn zur Legitimation der Sprach therapie gehört vor allem eine statistisch abgesicherte Evaluation sprach therapeutischen HandeIns. Nur durch den Nachweis der Effektivität der Sprachtherapie mit Hilfe systematischer Methoden kann vermutlich auch unter erhöhtem Kostendruck der Leistungsträger eine patientenorientierte Sprach therapie gewährleistet werden. Im Fokus der bisherigen Diskussion im Rahmen der Neuro- bzw. Klinischen Linguistik standen fast ausschließlich Probleme der Diagnose und Therapie, wobei methodologische Fragen wenig Beachtung fanden. Was bisher zu kurz gekommen ist, ist eine wissenschaftstheoretische Standortbestimmung dieser Disziplin. Will sie sich etwa als eigenständige Disziplin zwischen Neurologie und Linguistik oder zwischen Neuropsychologie und Linguistik etablieren? Aufgrund der beachtlichen Forschungsaktivitäten ist es sicher nicht zu früh, wenn die Scientific Community auch über diese theoretischen Fragen in eine Diskussion eintritt. Man könnte die Neuro- bzw. Klinische Linguistik als Teildisziplin einer umfassenden Kognitionswissenschaft (vgl. HabeI, Kanngießer & Rickheit, 1996) definieren. Eine derartige Standortbestimmung hätte den Vorteil, daß sowohl der theoretische Rahmen als auch das methodische Vorgehen aufeinander abgestimmt sind. Das Erkenntnisinteresse der Kognitionswissen schaft besteht vor allem darin, die kognitiven Fähigkeiten und Mechanismen des Menschen zu erforschen. In dieser sehr weitgesteckten Zielangabe geben gerade gestörte Funktionen Aufschluß über die Tektonik und Dynamik des menschlichen Sprachverarbeitungssystems (Rickheit & Strohner, 1992). Gerade diesbezüglich kann die Neuro- bzw. Klinische Linguistik wertvolle Erkennt nisse einbringen. Andererseits können die in der Kognitionswissenschaft entwickelten Verfahren, wie z.B. die Modellierung und Implementierung von Sprachverarbeitungsprozessen, auch fruchtbringend von der Neuro-bzw. Klini schen Linguistik übernommen werden. Gerade bei der Entwicklung von Modellen, die die Rezeption oder Produktion von Sprache zum Gegenstand