Dieter Specht (Hrsg.) Strategische Bedeutung der Produktion GABLER EDITION WISSENSCHAFT Beiträge zur Produktionswirtschaft Herausgegeben von Professor Dr.-Ing. habil. Dieter Specht Die Reihe enthält Forschungsarbeiten und praxisrelevante Schriften zu aktuellen Themenstellungen in der Produktion. Sie unterstützen Management und Forschung bei der Aufgabe, die Produktion in Pla- nung, Organisation, Prozessen und Logistik zu optimieren und weiter zu entwickeln. Behandelt werden sowohl das Management des Be- triebes als auch methodische und betriebswirtschaftliche Fragestel- lungen einschließlich der Schnittstelle zur Technik. Die Schriftenreihe ist als offene Plattform für hervorragende Arbeiten in den genannten Gebieten konzipiert. Dieter Specht (Hrsg.) Strategische Bedeutung der Produktion Tagungsband der Herbsttagung 2006 der Wissenschaftlichen Kommission Produktionswirtschaft im VHB Deutscher Universitäts-Verlag Bibliografische Information Der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http://dnb.d-nb.de> abrufbar. 1. Auflage Oktober 2007 Alle Rechte vorbehalten © Deutscher Universitäts-Verlag | GWVFachverlage GmbH, Wiesbaden 2007 Lektorat: Frauke Schindler /Nicole Schweitzer Der Deutsche Universitäts-Verlag ist ein Unternehmen von Springer Science+Business Media. www.duv.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbe- sondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. indiesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Regine Zimmer, Dipl.-Designerin, Frankfurt/Main Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Printed in Germany ISBN 978-3-8350-0932-5 Vorwort V _______________________________________________________________________________________________________________________________________________________ Vorwort Während im Tagesgeschäft operative Aufgaben in der Abwicklung der Produktion im Vordergrund stehen, erfordert eine Vielzahl von Entscheidungen langfristige und damit strategische Festlegungen. Als Beispiele können etwa der Aufbau von Betrie- ben, die Auswahl ihrer Ausstattung mit Maschinen und Anlagen sowie die Festle- gung von Produktionsprogrammen genannt werden. Die Verknüpfung von Aufgaben der strategischen Planung mit der Produktion und die Ableitung von Lösungen, die beiden Anforderungen gerecht werden, ist ein Thema, das während der Tagung der Kommission für Produktionswirtschaft im Verband für Hochschullehrer für Betriebs- wirtschaftslehre im Jahr 2006 in Cottbus analysiert wurde. Das vorliegende Buch enthält die schriftlichen Fassungen der Vorträge während der Sitzung der Wissenschaftlichen Kommission Produktionswirtschaft im Verband der Hochschullehrer für Betriebswirtschaftslehre e. V. in Cottbus. In den Beiträgen werden Themen behandelt, die aus der Verknüpfung von strategischen Fragestellun- gen mit der Produktion entstehen. Das Buch bietet sowohl Ergebnisse der betriebs- wirtschaftlichen Forschung als auch Anregungen für die praktische Umsetzung der gewonnenen Erkenntnisse in der täglichen Praxis. Allen Kollegen und Autoren, die an der Erstellung der Beiträge beteiligt waren, danke ich für ihr nachhaltiges Engagement und die Anfertigung der Beiträge. Dieter Specht Inhaltsverzeichnis VII _______________________________________________________________________________________________________________________________________________________ Inhaltsverzeichnis Hans-Christian Krcal Konsequenzen der Strategiedebatte für die Produktion....................................................1 Jörn-Henrik Thun Eine empirische Analyse von Fertigungsstrategien.........................................................23 Wolfgang Kersten, Philipp Hohrath Supply Chain Risk Management als Element der Produktionsstrategie........................43 Dieter Specht, Christian M. F. Gruß Revenue Management – eine Strategie für die Produktion in der Automobilindustrie?..............................................................................................................61 Andreas Größler System Dynamics zur Strategiesimulation im Produktionsmanagement.......................73 Horst Wildemann Führungsverantwortung in Unternehmen.........................................................................89 Christian Mieke Beitrag von Servicebereichen zum Innovationsmanagement.......................................111 Evi Hartmann, Aiko Entchelmeier, Michael Henke, Christopher Jahns A Theory-Based Framework for Integrated Supply Performance Measurement.......129 Norbert Gronau, Marcus Lindemann Ableitung von IT-Strategien für die Produktion.............................................................147 Kai-Ingo Voigt, Lothar Czaja Notwendigkeit und Gestaltungsmöglichkeiten eines Qualitätsfrühwarnsystems für die Automobilindustrie.................................................................................................163 Bernd H. Kortschak Von der Massenfertigung zur Variantenvielfalt – Was sagen Gutenberg und Heinen dazu?................................................................................................................181 Konsequenzen der Strategiedebatte für die Produktion 1 _______________________________________________________________________________________________________________________________________________________ Konsequenzen der Strategiedebatte für die Produktion Hans-Christian Krcal Eine These zur anhaltenden Strategiedebatte Seit der Grieche Onasander 49/59 n. Chr. sein Lehrbuch „Strategos“ („der in der Feldherrnkunst Erfahrene“) verfasste1 haben sich viele Fürsten, Politiker und Militärs Gedanken über das Wesen der Strategie gemacht. Ein Zitat des preußischen General- stabschefs Helmut von Moltke dem Älteren (1800-1891) führt in eine Richtung, die auch für den Bereich der Produktion bereits als charakteristisch gelten könnte: „Die Strategie ist ein System der Aushilfen. Sie ist mehr als Wissenschaft, ist die Übertra- gung des Wissens auf das praktische Leben, die Fortbildung des ursprünglich lei- tenden Gedankens entsprechend den stets sich ändernden Verhältnissen, ist die Kunst des Handelns unter dem Druck der schwierigen Bedingungen.“2 Mit diesem Verständnis ist eine Position erkennbar, die von der Vorstellung einer dominanten Plangebundenheit der Strategie durchaus abweicht. Bei vielen anderen Varianten und Betonungen steht häufig im Zentrum des Strategieverständnisses die rationale Be- ziehung eines Ziel-Mittel-Einsatzes.3 Auch eine derartige Beziehung kennt der Pro- duktionsbereich gut. Die Behandlung strategischer Themen ist sehr alt und steht nicht im Verdacht einer Mode nachzuhängen. Für die Betriebswirtschaftslehre allerdings ist sie als eigen- ständiges Paradigma erst sehr spät aufgegriffen worden. Mit dem Erscheinen des Werkes von Hofer/Schendel „Strategy Formulation: Analytical Concepts“ 1978 und seit der Gründung der Fachzeitschrift „Strategic Management Journal“ im Jahr 1980 ist das Thema „Strategisches Management“ in der Betriebswirtschaftslehre als Para- digma fest verankert.4 Eine Strategie ist, so eine gängige Vorstellung, für die Objekte zuständig, die das wirtschaftliche Überleben der Unternehmung gewährleisten, vor- nehmste Aufgabe der obersten Führungskräfte und auf einen langen Zeitraum bezo- gen. Strategie ist jedoch kein, wie in der öffentlichen Diskussion häufig zu hörender, ausschließlich synonymer Begriff für strategisch relevante Themenfelder, wie etwa „die Bewältigung der Globalisierung“ oder „die Vermeidung der Abhängigkeit vom Öl“. 1 Vgl. Stahel, (2003), S.3. 2 Stahel (2003), S. 5. 3 Vgl. Stahel (2003), S.3. 4 Vgl. Hofer/Schendel (1978). 2 Hans-Christian Krcal _______________________________________________________________________________________________________________________________________________________ Der 2005 im Strategic Management Journal erschienene Artikel von Boyd/Finkelstein/Gore5 geht der Frage nach: „How advanced is the strategy para- digm?“ Bei der Analyse der Forschungsergebnisse müssen die Autoren nach eigener Einschätzung feststellen, dass das Strategische Management viele Attribute einer nicht ausgereiften Disziplin, wie einen schwachen Konsens unter Fachvertretern (Particularism [Sonderbestrebungen] ), aber auch Attribute einer entwickelten Wis- senschaftsdiziplin, wie Zitationen von Artikeln (universalism [Universalismus] ), auf- weist. Die Rolle des Strategischen in der Unternehmung ist also nicht abschließend und eindeutig bewertet; die Aussprache (Debatte) darüber führt die Wissenschaft überwiegend im Bereich der Theorien zum Strategischen Management.6 (A) Das unmittelbare Strategieverständnis (Funktion der Strate- gie/Strategieinhalte): Was ist eine Strategie? Interpretationsvarianten: System der Aushilfen, Kunst des Handelns, rationaler Ziel-Mittel-Einsatz, (Handlungs-)Plan, Muster konsistenter Handlu- gen/Entscheidun-gen, Position im Wettbewerb, Perspektive, dominante Logik (B) Das mittelbare Strategieverständnis (Funktion des Strategischen im Mana- gement): Wann und wie wirkt eine Strategie im Managementkontext? Ansatzpunkte: Wirtschaftliche Überlebensfähigkeit der Unternehmung, langfristi- ger Bezugszeitraum, Initiativrecht der oberen/obersten Führungskräfte, Strategie- prozesse (Strategiefindung, -realisierung, und -kontrolle) (C) Das erweiterte Strategieverständnis (Die „Relativierung“ des Strategischen): Strategie als kreative Heuristik aus systemtheoretisch/konstruktivistischer und konstruktivistisch/postmoderner Perspektive Ansatzpunkte: Stärkere Betonung anderer Managementfunktionen (u.a. der Orga- nisation), Interventionsebene von Sprache und Kommunikation, Spannungsver- hältnis von objektiver und konstruierter Wirklichkeit Tab. 1: Aspekte der Strategiedebatte Die Strategiedebatte lässt sich in drei Hauptfelder klassifizieren (siehe Tabelle 1): das unmittelbare Strategieverständnis betont den Strategieinhalt, das mittelbare be- ruht auf dem Strategieprozess und das erweiterte relativiert die Bedeutung des Stra- tegischen hinsichtlich Inhalt und Prozess. Die Relativierung des Strategischen be- 5 Vgl. Boyd/Finkelstein/Gove (2005), S. 841-854, S. 852. 6 Vgl. Welge/Al-Laham (2004); Hungenberg (2004); Macharzina/Wolf (2005); Mintzberg (1995); Mintzberg (1994); Mintzberg (1978); Mintzberg/Wates (1985), S. 257-272. Konsequenzen der Strategiedebatte für die Produktion 3 _______________________________________________________________________________________________________________________________________________________ deutet nicht seine Abschwächung, sondern eine Verbreiterung des Bezugs- und Ent- stehungsrahmens in vertikaler (Detaillierung, Auswahl der Themenstellung) und ho- rizontaler (Stärkung anderer Managementfunktionen) Weise. Schwerpunkt der fol- genden Ausführungen ist das Feld des erweiterten Strategieverständnisses. Der Funktionsbereich Produktion kennt Strategien z.B. • in Bezug auf die Produktionsprogrammplanung oder die Strategische Pro- duktionstiefenbestimmung (Stichwort: Make or Buy) • als oberste Planungsebene in der Hierarchisierung der Produktionssteue- rungsabläufe • in der Kapazitätsplanung und Anlagenwirtschaft • im Rahmen der Auswahl der Produktionsstruktur von der Spartenorganisati- on über die Fertigungssegmentierung bis zu virtuellen weltweiten Produkti- onsnetzwerken. Gemeinsam ist diesen Feldern ihr deterministischer Charakter. Erzeugnisstruktur, Produktionsprogramm und Ablaufprozesse sind durch einen schriftlichen Plan bzw. eine eindeutige Ordnung ex ante vorgegeben. Das Stichwort Plan als Strategieele- ment verweist auf den Zusammenhang zum Strategischen Management, das als Funktion neben Organisation, Personaleinsatz, Kontrolle, eben Planung als Element für die Unternehmensführung aufweist. In jüngster Zeit erfolgt in der Literatur zum Strategischen Management eine Betonung des Nicht-Deterministischen im Pla- nungsverständnis.7 These des Beitrags ist, dass in der Produktion Organisationsformen auf Gruppen- ebene, wie Qualitätszirkel, Lernstatt und Projektteams das erweiterte Strategiever- ständnis konstruktivistischer und postmoderner Ansätze im Strategischen Manage- ment, das nicht den plandeterministischen Aspekt von Strategie betont, in besonde- rer Weise berücksichtigen. Arbeitsgruppen tangieren aufgrund ihrer Handlungsspiel- räume Aspekte der aktuellen Strategiedebatte. Wenn die aufgeführten Gruppenstruk- turen stärker in die Primärorganisation integriert werden, ist zudem im Rahmen der Strategieprozesse eine höhere Gewichtung des Produktionsbereiches in der Gesamt- unternehmung denkbar. 7 Vgl. Schreyögg (2004); Schreyögg (1991); Wolf (2005). 4 Hans-Christian Krcal _______________________________________________________________________________________________________________________________________________________ Strukturelle Herausforderungen an die Strategiefindung Die Zuständigkeit für strategische Steuerungsfragen Der plandeterministische Aspekt des Strategieprozesses behandelt im Kern die Steuerungsmöglichkeiten der Entscheidungsträger nach dem Hierarchieprinzip. Zu- sätzlich führen die begrenzte Rationalität Einzelner und die Anforderungen der Steue- rungsrationalität des Strategieprozesses zu einer Behandlung kogni- tiv/konstruktivistischer Perspektiven und Rückwirkungen auf Organisationsstruktu- ren, wie die Produktion durch die Erweiterung der Entscheidungsbeteiligung auf de- zentrale, kollektive Struktureinheiten (Gruppe, Team). Strategische Entscheidungen gelten als vornehme Planungs- und Realisierungs- aufgabe der obersten Führungskräfte. Strategieausübung ist danach zentralisiert. Erich Gutenberg hat 1962 die Entscheidungshierarchie unterstrichen, als er von „ech- ten Führungsentscheidungen“ der obersten Führungsebene sprach, die wegen der weitreichenden Konsequenzen für den Bestand der Unternehmung nicht delegiert werden dürften.8 Dazu zählen neben Feldern, wie der Beseitigung außergewöhnlicher Betriebsstörungen und der Durchführung von geschäftlichen Maßnahmen mit im- menser Betriebsbedeutung, die Festlegung der Unternehmenspolitik, die Koordinati- on der betrieblichen Funktionsbereiche und die Besetzung der Führungsstellen. Das strategische Entscheidungsobjekt ist damit sowohl durch die hierarchisch legitimierte Entscheidungszuständigkeit der oberen Führungsebenen des Unternehmens und zum anderen durch die fachbereichsübergreifende Beschaffenheit der Entschei- dungsfelder, gekennzeichnet. Die Strategie ist in der Planungshierarchie als oberste Planungsebene verortet. Plu- ralistische Modelle (konstruktivistischer, postmoderner Prägung) sehen in der Fra- ge der Planungszuständigkeit, hingegen grundsätzlich mit gewissen Einschränkun- gen in allen Mitarbeitern oder Organisationsmitgliedern potenzielle Planungsträger. Mit der Betonung des logischen Inkrementalismus und der Emergenz von Strategien ist in der Literatur eine Abkehr vom linearen Strategieplanungs- bzw. Steuerungsmo- dell erfolgt.9 In Konsequenz kommen den Subsystemen der Unternehmung, wie dem Produktionsbereich, u.a. stärkere Initiativrechte bei der Strategieformulierung zu. Al- 8 Vgl. Gutenberg (1962); Gutenberg (1983); von Werder (1997), S. 901-922; Schreyögg (2004), Sp. 1523. 9 Vgl. Lindblom (1965); Lindblom (1959), S.79-88; Mintzberg/Wates (1985), S. 257-272; Quinn (1980).