Schriften zum Steuer-, Rechnungs- und Prüfungswesen Herausgegeben von L. Haegert, Berlin, Deutschland Th. Siegel, Berlin, Deutschland U. Schreiber, Mannheim, Deutschland F. W. Wagner, Tübingen, Deutschland D. Wellisch, Hamburg, Deutschland D ie Schriftenreihe möchte ein Forum für wissenschaftliche Beiträge aus den Be- reichen betriebswirtschaftliche Steuerlehre, Rechnungswesen und Wirtschaftsprü- fung schaffen. Ihr Ziel ist es, methodisch fundierte wissenschaftliche Arbeiten, Disser- tationen und Habilitat ionsschriften der betriebswirtschaftlichen Forschung aus diesen Gebieten zu veröffentlichen. Die Reihe wendet sich an Studenten und Wissen schaftler einschlägiger Fachrichtungen sowie an Steuerberater, Wirtschaftsprüfer und alle an- deren an dieser Thematik interessierten Personen. Herausgegeben von Professor Dr. Lutz Haegert, Professor Dr. Dr. h.c. Franz W. Wagner, Humboldt-Universität zu Berlin Universität Tübingen Professor Dr. Theodor Siegel, Professor Dr. Dietmar Wellisch, Humboldt-Universität zu Berlin Universität Hamburg Professor Dr. Ulrich Schreiber, Universität Mannheim Sabine Schmid Steuern, Wahrnehmung und Entscheidungs- prozesse Eine interdisziplinäre Analyse der Wirkungen menschlicher Informationsverarbeitung auf Steuersysteme Mit einem Geleitwort von Prof. Dr. Rolf König RESEARCH Sabine Schmid Herford, Deutschland Dissertation Universität Bielefeld, 2012 ISBN 978-3-8349-3973-9 ISBN 978-3-8349-3974-6 (eBook) DOI 10.1007/978-3-8349-3974-6 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen National- bibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer Gabler © Gabler Verlag | Springer Fachmedien Wiesbaden 2012 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zu- stimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Über- setzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Einbandentwurf: KünkelLopka GmbH, Heidelberg Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer Gabler ist eine Marke von Springer DE. Springer DE ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media www.springer-gabler.de Geleitwort DieBetriebswirtschaftlicheSteuerlehreundhierinsbesondereihrquantitativausgerichte- terZweigderSteuerwirkungslehrenimmtfürsichinAnspruch,aufderBasistheoretischer ModellesteuerlichinduzierteEinflüsseaufwirtschaftlicheEntscheidungenidentifizieren undanalysierenzukönnen(bzw.wenigstenszuwollen).AlsAusgangspunktdientdabei regelmäßig ein Verständnis von rationalem Entscheidungsverhalten, das auf dem Kon- struktdesnutzenmaximierendenhomooeconomicusfußt.DiesogewonnenenErgebnisse deckensichallerdingsnurseltenmitempirischenBeobachtungen.DieswirftdieFrageauf, obeinsolchermaßenunterstelltesEntscheidungsverhaltengerechtfertigtist,insbesondere wiesichEntscheidungsträgerverhalten,wennsiemitdensteuerlichenFolgenihrerEnt- scheidungenkonfrontiertwerden.HiersetztFrauSchmidmitihrerArbeitan,indemsie ininterdisziplinärausgerichtetenAnalysenWahrnehmungs-undEntscheidungsprozesse undderenZusammenwirkenmitsteuerrechtlichenSachverhaltenuntersucht.ImZentrum stehen dabei solche Entscheidungswirkungen, die durch eine veränderte Wahrnehmung hervorgerufenwerdenkönnen. Zunächstwirdanalysiert,welcheAspektedermenschlichenWahrnehmungfürEntschei- dungenrelevantseinkönnen.IndenWirtschaftswissenschaftenist„Wahrnehmung“ bis- langnichtGegenstandintensiverwissenschaftlicherUntersuchungen.FrauSchmidgreift deshalb auf kognitionspsychologische Erkenntnisse zurück. Die wichtigsten Ergebnisse sind,dassderProzessderWahrnehmungaufGrundderbegrenztenAufnahmefähigkeit desMenscheneineKlassifikations-undeineSelektionsphasebeinhaltet. FrauSchmididentifiziertmitHilfevonUntersuchungsergebnissenderNeuroökonomiedie ProspectTheoriealseineadäquateEntscheidungstheorie,ummenschlichesVerhaltenab- zubilden.VonbesondererRelevanzistdabei,dassEntscheidungsträgereine(monetäre) EntscheidungssituationimmerinRelationzueinemReferenzpunktbewerten,somitalso einzustandsabhängigesAuskommenauseinerAktioneinenGewinnodereinenVerlust im Vergleich zu diesem Referenzpunkt darstellt. Dies führt zu einer differenzierten Be- VI Geleitwort trachtung der Steuerwahrnehmung. Sobald ein Entscheidungsträger seinen Gewinn vor SteuernalsReferenzpunktfürdieBewertungseinesnachSteuernfreiverfügbarenEin- kommensheranzieht,wirderdurchdiezuleistendeSteuerzahlungimmereinenVerlust erleiden.DiesbedingttendenziellrisikofreudigesVerhalten,wieesinderRealitätinder Tat beobachtbar ist, man denke an die Beliebtheit hoch riskanter Steuersparmodelle. Über die mentale Buchführung liefert die Verfasserin einen Erklärungsansatz, warum Menschen aus dem Anreiz heraus, Steuern zu sparen, ökonomisch unsinnige Investitio- nentätigen. DieProspectTheorievermagabernichtalleVerhaltensweisen,dieempirischimZusam- menhang mit der Besteuerung beobachtet werden können, zu erklären. Die Verfasserin leitethierausdieVermutungab,dasssichnebendenreinwirtschaftlichbasiertenauch soziale und persönlichkeitsbildende Faktoren auf das Entscheidungsverhalten in diesem Kontext auswirken. Es zeigt sich, dass sowohl das Alter als auch das Geschlecht ei- nesSteuerpflichtigendieindividuelleRisikoeinstellungunddieSteuermoralbeeinflussen. DarüberhinauswirddieSteuerwahrnehmungeinesIndividuumsdurchdenBerufsstand, dasBildungsniveauimAllgemeinensowiedasWissenübersteuerrechtlicheSachverhalte imSpeziellengeprägt.FacettenderPersönlichkeit,dieindiesemKontextentscheidungs- beeinflussendwirken,könnenunterdenBegriffenVerträglichkeit,Gewissenhaftigkeitund Ehrlichkeit subsumiert werden. Auch treffen Menschen ihre Entscheidungen in der Re- gel nicht isoliert von ihrem gesellschaftlichen Umfeld, sondern werden durch dieses auf vielfältigeArtundWeisebeeinflusst. Auf der Basis der bis hier gewonnenen Erkenntnisse entwickelt Frau Schmid ein Pro- zessmodellderSteuerwahrnehmung.DiesemModellliegteinkonstruktivistischesGrund- verständnisvonRealitätzugrunde,nachdemdieUmwelteinesEntscheidersdurchdessen selektiveWahrnehmungerschaffenwird.DasGehirnproduziertErfahrungen,dienievöl- ligwertfrei,sondernbereitsmitBewertungendurchdrungensind.DieWerteundErfah- rungeneinesIndividuumssindmitbestimmendfürdieauftretendenWirkungenineiner Entscheidungssituation.IndasModellwerdendreiPhaseneingearbeitet:Wahrnehmung, mentaleVerarbeitungundEntscheidung.Eszeigtsich,dasssowohldieWahrnehmungals auchdasEntscheidungsverhaltenProdukteneuronalerProzessesind,dieengmiteinan- derverknüpftsind.Darüberhinausgelingtes,dieVielzahlanFaktorenzumodellieren, die das Ergebnis eines, den steuerlichen Rahmenbedingungen unterliegenden Entschei- dungsprozessesbeeinflussenkönnen. Geleitwort VII DasdeutscheSteuerrechtisteinhistorischgewachsenesRegelsystem,dassichübereinen langenZeitraumkontinuierlichweiterentwickelthat.DieserProzesswirdvertiefendun- tersucht.EinErgebnisist,dassdieEntwicklungdesSteuerrechtsinDeutschlandhaupt- sächlich evolutorisch verlaufen ist, wobei Evolution hier als ein Prozess des Lernens verstanden wird. Die Richtung der Evolution wird dabei durch gesellschaftliche Werte bestimmt.IdealtypischerWeisesinddieBesteuerungsprinzipienGerechtigkeit,Effizienz, undEinfachheitBestandteilediesesWertesystemsundbedingensomitursächlichsolche Veränderungen. Steuerrechtsetzungen werden aber auch bewusst zu Lenkungszwecken verändert. Vor diesem Hintergrund wird untersucht, ob bestimmte Strukturelemente des deutschen Steuerrechts so auf die begrenzte, selektive Wahrnehmung der Steuer- pflichtigenzugeschnittensind,dassdaspersönlicheBelastungsgefühlverringertbzw.die Steuerwahrnehmung positiv beeinflusst wird. Das Bemühen von politischer Seite, ein Steuersystemzukonstruieren,welchesvomSteuerpflichtigenpositivgesehenwird,wird von Frau Schmid als ein treibender Faktor in der Weiterentwicklung des Steuerrechts identifiziert.Offenbleibt,inwieweitdieserProzessbewusstoderunbewusstabläuft. AusderArbeitvonFrauSchmidistdieErkenntniszugewinnen,dassdieWahrnehmung vonSteuerrechtunddiedamitverbundenenEntscheidungswirkungenkeinProblemdar- stellt, welches mit rein ökonomischen Methoden gelöst werden kann, vielmehr handelt essichumeinenhochkomplexensozialenVorgang.DiedeskriptiveVorgehensweisever- deutlicht,dassEntscheidungeneinesIndividuumssehrsubjektivgeprägtsindundnicht demwissenschaftlichenAnspruchder(neo-)klassischenÖkonomieanRationalitätund Objektivität entsprechen. Die Abweichungen von der Norm des rationalen Verhaltens im Sinne des homo oeconomicus sind nicht nur vernachlässigbare Randerscheinungen, sondernsystematischzubeobachten.DieerarbeitetenMechanismenundModelleliefern wichtigeAnhaltspunktefüreinewissenschaftlicheAuseinandersetzungmitSteuerpolitik, die der ganzen Komplexität ökonomischer Entscheidungsprozesse gerecht wird und die insbesondere solche Prozesse nicht auf reine Rechenalgorithmen reduziert, sondern den Menschenmitallseinen„Unvollkommenheiten“ indenMittelpunktstellt.DiesistÖko- nomiealsempirischeSozialwissenschaftatitsbest.IchwünschederArbeitvonSabine SchmiddieAufmerksamkeit,diesieverdient. Bielefeld,imFebruar2012 RolfKönig Vorwort Die vorliegende Arbeit entstand während meiner Tätigkeit als wissenschaftliche Mitar- beiterin am Lehrstuhl für Betriebliche Steuerlehre der Universität Bielefeld und wurde im Juni 2011 als Dissertation von der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Uni- versitätBielefeldangenommen. AllenvoranmöchteichmeinemakademischenLehrer,HerrnProf.Dr.RolfKönig,dan- ken, der mich auf das spannende Themenfeld der Wahrnehmung von Steuerrecht auf- merksamgemachthat.WährendmeinerTätigkeitamLehrstuhlundbeiderErstellung dieser Dissertation hat er mich stets durch seine hilfreichen Anregungen und Hinweise unterstützt. Herrn Prof. Dr. Reinhold Decker danke ich für die Übernahme des Zweit- gutachtens.DarüberhinausgiltmeinDankHerrnProf.Dr.JahnkefürseineMitwirkung alsDrittprüferindermündlichenPrüfung. MeinenKollegenFrauStBDipl.-Kffr.UteBeckmann,HerrnDr.NielsLüking,HerrnDr. Sven Meier, Frau Dipl.-Kffr. Helene Nachtigal, Frau Dipl.-Kffr. Anja-Maria Schreiber, Frau Dr. Susanne Sigge, sowie Frau Susanne Westerholz möchte ich für die fachlichen DiskussionenunddasfreundschaftlicheArbeitsklimaamLehrstuhldanken. MeinbesondererDankgiltmeinerFamilie,diemichmotivierthatzupromovierenund mir immer viel Verständnis und Unterstützung entgegen gebracht hat. Frau Dr. Romy Heymann möchte ich für die vielen freundschaftlichen Gespräche und Ratschläge zur Promotiondanken.MeintiefsterDankgiltjedochmeinemPartnerPatrickCziborra.Er hatmirindenvergangenenJahrennichtnurfachlichzurSeitegestanden,sondernhat mich stets mit unermüdlicher Geduld motiviert und trägt so einen großen Anteil am GelingendieserArbeit. Bielefeld,imMärz2012 SabineSchmid Inhaltsverzeichnis Geleitwort V Vorwort IX Inhaltsverzeichnis XI Abbildungsverzeichnis XVII Tabellenverzeichnis XIX Abkürzungsverzeichnis XXI Symbolverzeichnis XXIII 1 Einleitung 1 1.1 MethodischeEinordnungundZielederUntersuchung . . . . . . . . . . . 3 1.2 AufbauderArbeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 5 2 Wahrnehmung 7 2.1 NeurologischeWahrnehmungsvorgänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 8 2.2 DieMessungvonWahrnehmungsvorgängen. . . . . . . . . . . . . . . . . 10 2.3 DerInformationsverarbeitungsprozess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 13 2.3.1 Klassifikationsphase. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 14 2.3.1.1 Ähnlichkeitsanalyse. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2.3.1.2 Schemata . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 15 2.3.2 Selektionsphase . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 2.3.2.1 Verarbeitungsengpässe . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 2.3.2.2 Selektionskriterien . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 2.3.2.3 DopaminalsSelektionsfaktor . . . . . . . . . . . . . . . 19 2.3.3 Wissensrepräsentation . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 20