Statistische Physik Torsten Fließbach Statistische Physik Lehrbuch zur Theoretischen Physik IV 5. Auf lage Autor: Prof. Dr. Torsten Fließbach Universität Siegen 57068 Siegen fl [email protected] Wichtiger Hinweis für den Benutzer Der Verlag, der Herausgeber und die Autoren haben alle Sorgfalt walten lassen, um vollstän- dige und akkurate Informationen in diesem Buch zu publizieren. Der Verlag übernimmt weder Garantie noch die juristische Verantwortung oder irgendeine Haftung für die Nutzung dieser Informationen, für deren Wirtschaftlichkeit oder fehlerfreie Funktion für einen bestimmten Zweck. Der Verlag übernimmt keine Gewähr dafür, dass die beschriebenen Verfahren, Pro- gramme usw. frei von Schutzrechten Dritter sind. 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Auf lage 2010 © Spektrum Akademischer Verlag Heidelberg 2010 Spektrum Akademischer Verlag ist ein Imprint von Springer 10 11 12 13 14 5 4 3 2 1 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverf ilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Planung und Lektorat: Dr. Andreas Rüdinger, Sabine Bartels Herstellung: Crest Premedia Solutions (P) Ltd, Pune, Maharashtra, India Satz: Autorensatz Umschlaggestaltung: SpieszDesign, Neu–Ulm ISBN 978-3-8274-2527-0 Vorwort Das vorliegende Buch ist Teil einer Vorlesungsausarbeitung [1,2,3,4] des Zyklus TheoretischePhysikIbisIV.EsgibtdenStoffmeinerVorlesungTheoretischePhy- sik IV über die Statistische Physik wieder. Diese Vorlesung für Physikstudenten wird häufig im 6. Semester (Bachelor- oder Diplomstudiengang)angeboten, gele- gentlichaberaucherstimMasterstudium. DieDarstellungbewegtsichaufdemdurchschnittlichenNiveaueinerKursvor- lesunginTheoretischerPhysik.DerZugangisteherintuitivanstellevondeduktiv; formaleAbleitungenundBeweisewerdenohnebesonderemathematischeAkribie durchgeführt. In enger Anlehnung an den Text, teilweise aber auch zu dessen Fortführung und Ergänzung werden über 100 Übungsaufgaben gestellt. Diese Aufgaben erfül- len ihren Zweck nur dann, wenn sie vom Studenten möglichst eigenständig bear- beitet werden. Diese Arbeit sollte unbedingt vor der Lektüre der Musterlösungen liegen,dieimArbeitsbuchzurTheoretischenPhysik[5]angebotenwerden.Neben den Lösungen enthält das Arbeitsbuch ein kompaktes Repetitorium des Stoffs der Lehrbücher[1,2,3,4]. DerUmfangdesvorliegendenBuchsgehtetwasüberdenStoffhinaus,derwäh- rend eines Semestersin einemPhysikstudiumüblicherweisean deutschenUniver- sitätenbehandeltwird.DerStoffistinKapitelgegliedert,dieimDurchschnittetwa einer Vorlesungsdoppelstunde entsprechen. Natürlich bauen verschiedene Kapitel aufeinanderauf.Eswurdeaberversucht,dieeinzelnenKapitelsozugestalten,dass siejeweilsmöglichstabgeschlossensind.DamitwirdeinerseitseineAuswahlvon KapitelnfüreinenbestimmtenKurs(etwaineinemBachelor-Studiengang)erleich- tert, indemderStoffstärkerbegrenztwerden soll.Zumanderen kann derStudent leichterdieKapitelnachlesen,diefürihnvonInteressesind. EsgibtvieleguteDarstellungenderstatistischenPhysik,diesichfüreinvertie- fendes Studium eignen. Ich gebe hier nur einige wenige Bücher an, die ich selbst bevorzugt zu Rate gezogen habe und die gelegentlich im Text zitiert werden. Als Standardwerk sei auf die StatistischePhysik und Theorie der Wärme von Reif [6] hingewiesen,diemeineEinführungderGrundlagenwesentlichbeeinflussthat.Da- neben sind mir die Bücher von Brenig [7], Becker [8] und Landau-Lifschitz [9] besondersgutvertraut. GegenüberderviertenAuflagediesesBuchswurdenindervorliegendenfünften AuflagezahlreichekleinereKorrekturenvorgenommen.BeiJoãodaProvidênciaJr. (ÜbersetzerderportugiesischenAusgabe)undeinigenLesernfrühererAuflagenbe- VI dankeichmichfürwertvolleHinweise.Fehlermeldungen,Bemerkungenundsons- tige Hinweise sind jederzeit willkommen, etwa über den Kontaktlink auf meiner Homepage www2.uni-siegen.de/∼flieba/.Auf dieser Homepage finden sichaucheventuelleKorrekturlisten. Juli2010 TorstenFließbach Literaturangaben [1] T.Fließbach,Mechanik,6.Auflage,SpektrumAkademischerVerlag,Heidel- berg2009 [2] T. Fließbach, Elektrodynamik, 5. Auflage, Spektrum Akademischer Verlag, Heidelberg2008 [3] T.Fließbach,Quantenmechanik,5.Auflage,SpektrumAkademischerVerlag, Heidelberg2008 [4] T.Fließbach,StatistischePhysik,5.Auflage,SpektrumAkademischerVerlag, Heidelberg2010(diesesBuch) [5] T.FließbachundH.Walliser,ArbeitsbuchzurTheoretischenPhysik–Repeti- toriumundÜbungsbuch,2.Auflage,SpektrumAkademischerVerlag,Heidel- berg2008 [6] F. Reif, StatistischePhysikundTheoriederWärme, 2.Auflage, deGruyter- Verlag,Berlin1985 [7] W.Brenig,StatistischeTheoriederWärme,4.Auflage,SpringerVerlag,Ber- lin2002 [8] R.Becker,TheoriederWärme,SpringerVerlag,Berlin1966 [9] L. D. Landau, E. M. Lifschitz, Lehrbuch der theoretischen Physik, Band V, StatistischePhysik,8.Auflage,Akademie-Verlag,Berlin1987 Inhaltsverzeichnis Einleitung 1 I MathematischeStatistik 3 1 Wahrscheinlichkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 3 2 GesetzdergroßenZahl . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 3 Normalverteilung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 17 4 ZentralerGrenzwertsatz. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 24 II GrundzügederstatistischenPhysik 31 5 GrundlegendesPostulat . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 6 ZustandssummedesidealenGases . . . . . . . . . . . . . . . . . . 42 7 1.Hauptsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 49 8 QuasistatischerProzess . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 55 9 EntropieundTemperatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 10 VerallgemeinerteKräfte . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 76 11 2.und3.Hauptsatz . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 83 12 Reversibilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 92 13 StatistischePhysikundThermodynamik . . . . . . . . . . . . . . . 103 14 MessungmakroskopischerGrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 109 III Thermodynamik 119 15 Zustandsgrößen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 119 16 IdealesGas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 127 17 ThermodynamischePotenziale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 135 18 Zustandsänderungen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 19 Wärmekraftmaschinen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 20 ChemischesPotenzial . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 165 21 AustauschvonTeilchen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 171 IV StatistischeEnsembles 185 22 Zustandssummen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 23 ZugeordnetePotenziale . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 194 VIII Inhaltsverzeichnis 24 KlassischeSysteme . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 25 EinatomigesidealesGas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 213 V SpezielleSysteme 219 26 IdealesSpinsystem . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 219 27 ZweiatomigesidealesGas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 225 28 VerdünntesklassischesGas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 239 29 IdealesQuantengas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 247 30 VerdünntesQuantengas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 259 31 IdealesBosegas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 264 32 IdealesFermigas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 276 33 Phononengas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 287 34 Photonengas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 297 VI Phasenübergänge 309 35 Klassifizierung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 309 36 Ferromagnetismus. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 319 37 VanderWaals-Gas . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 330 38 FlüssigesHelium . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 340 39 Landau-Theorie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 354 40 KritischeExponenten . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 365 VII Nichtgleichgewichts-Prozesse 373 41 EinstellungdesGleichgewichts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 373 42 Boltzmanngleichung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 378 43 KinetischesGasmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 385 Register 401 Einleitung InderStatistischenPhysikbefassenwirunsmitSystemenaussehrvielenTeilchen. BeispielehierfürsinddieAtomeeinesGasesodereinerFlüssigkeit,diePhononen eines Festkörpers oder die Photonen in einem Plasma. Die Gesetze für die Bewe- gung einzelner Teilchen sind durch die Mechanik oder die Quantenmechanik ge- geben. Aufgrund der großen Zahl der Teilchen (zum Beispiel N = 6 · 1023 für einMoleinesGases)sinddieBewegungsgleichungenjedochnichtauswertbar.Das ErgebniseinersolchenAuswertung,alsoetwadieBahnenvon6·1023Teilchen,wä- reauchuninteressantundirrelevant.DieBehandlungdieserSystemeerfolgtdaher statistisch,dasheißtaufderGrundlagevonAnnahmenüberdieWahrscheinlichkeit verschiedenerBahnenoderZustände. ImGegensatzzuderBewegungeinzelnerTeilchenistdieBestimmungmakro- skopischer Größen, wieEnergiemenge,Druck oderTemperaturvonInteresse. Mit HilfeeinigerAnnahmen,denHauptsätzen,untersuchtdieThermodynamik(TD)Be- ziehungenzwischendiesenGrößen;dieseDisziplinwirdauchmakroskopischeTD oderphänomenologischeTDgenannt.DieThermodynamikwurdeim19.Jahrhun- dertohneBezugaufdiemikroskopischenGrundlagenentwickelt. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts ist der Satz „Wärme ist ungeordnete Bewe- gung der Atome“ eine gesicherte Erkenntnis. Wichtige Beiträge hierzu waren die GastheorievonBoltzmann(1898)unddieBehandlungderBrownschenBewegung durchEinstein(1905).AlsHypotheseistdieseAussagewesentlichälter(Bernoul- li, 1738). Auf der Grundlage dieser Erkenntnis bestimmt die Statistische Physik die makroskopischen Größen und ihre Beziehungen untereinander aus der mikro- skopischenStruktur.DiesesGebietwirdauchalsStatistischeMechanikbezeichnet, wobeiderBegriffMechanikdieQuantenmechanikumfassensoll. DiestatistischePhysikgehtvonmikroskopischenGrößenunddenzugehörigen GrundgesetzenderMechanikundQuantenmechanikaus.Sieführtzusätzlichplau- sible, aber unbewiesene Hypothesen ein. Dazu gehört insbesondere die Annahme „allezugänglichenZuständesindgleichwahrscheinlich“.UnterVerwendungstatis- tischer Methoden werden dann makroskopische Größen definiert und Relationen zwischenihnenabgeleitet. Zu den makroskopischen Größen, die in der statistischen Physik mikrosko- pisch definiert werden, gehören etwa der Druck oder die Temperatur. Die Bezie- hungen zwischen diesen Größen sind zum einen allgemeine Relationen, die für eine große Klasse von Systemen und Prozessen gelten, insbesondere die Haupt- sätze der Thermodynamik. Zum anderen werden Relationen für bestimmteSyste- meabgeleitet,wiedieZustandsgleichung(PV = Nk T)unddieWärmekapazität B (C =3Nk /2)füreinidealesGas. V B 1 2 Einleitung DasHauptgewichtdiesesBuchsliegteinerseitsaufdemmikroskopischenAuf- bau der statistischen Physik und andererseits auf ihrer Anwendung auf speziel- le Systeme. Diese Systeme sind im allgemeinen Modellsysteme, die exakt oder näherungsweiselösbarsind. MitHilfe dieserModellekönnen vieleEigenschaften realer Systeme verstanden und quantitativ behandelt werden. Beispiele für sol- che Eigenschaften sind die spezifische Wärme von Festkörpern, das Strahlungs- spektrumheißerKörper(wiederSonne)unddas VerhaltenbeiPhasenübergängen (wiedasSiedeneinerFlüssigkeit). Die meisten Ergebnisse der statistischen Physik, die wir erörtern werden, be- ziehen sich auf Gleichgewichtszustände. Für die Behandlung von Nichtgleich- gewichtszuständen stellen wir die Mastergleichung und die Boltzmanngleichung vorundgebeneineelementareAbleitungderwichtigstenTransportgleichungen(et- wafürdieWärmeleitungoderDiffusion). DienotwendigenelementarenKenntnissedermathematischenStatistiksindin Teil I zusammengestellt. Danach werden die Grundlagen der statistischen Physik untersucht(TeilII).TeilIIIpräsentiertdiephänomenologischeThermodynamikim engerenSinn.TeilIVvervollständigtdasHandwerkszeugderstatistischenPhysik, mit dem dann in Teil V eine Reihe von konkreten Systemen statistisch behandelt wird. Die Teile VI und VII geben jeweils eine Einführung in die Gebiete Phasen- übergängeundNichtgleichgewichtsprozesse. I Mathematische Statistik 1 Wahrscheinlichkeit DieBegriffeWahrscheinlichkeit,MittelwertundSchwankungwerdeneingeführt unddiskutiert.DieseBegriffewerdenamStandardbeispiel„Würfeln“erläutert. Wir präzisieren zunächst den Begriff der Wahrscheinlichkeit.Dazu betrachten wir die Aussage: „Die Wahrscheinlichkeit p, mit einem Würfel eine 1 zu würfeln, ist p = 1/6“. Dies heißt, dass im Durchschnitt 1/6 der Würfe zu einer 1 führt. In einem realen Versuchtretebei N Versuchen(Würfen) N -mal dasEreignisi (also i 1,2,3,4,5oder6)auf.DannistN /N dierelativeHäufigkeitdesEreignissesi und i N p = lim i Wahrscheinlichkeit (1.1) i N→∞ N seine Wahrscheinlichkeit. Dabei ist unter N → ∞ soviel wie „hinreichend oft“ zu verstehen; diese Bedingung wird später quantifiziert. Da notwendig eines der Ereignissei auftritt(soistWürfelndefiniert),gilt (cid:2)6 N =N (1.2) i i=1 Darausfolgt (cid:2)6 p =1 (1.3) i i=1 DieBestimmungderWahrscheinlichkeitenp durchN WürfekannaufzweiArten i realisiertwerden,diewiralsZeitmittelundalsEnsemble-Mittelbezeichnen.Dabei bedeutetZeitmittel,dassdergleicheWürfeluntergleichenBedingungenN-malge- worfenwird.BeimEnsemble-MittelnehmenwirN gleichartigeWürfelundführen fürjedeneinenWurfaus. DieAussagep =1/6fürdenWürfelwirdinzweiverschiedenenBedeutungen i benutzt.Manverstehtdarunterentwedereinephysikalischeodereinehypothetische EigenschaftdesSystems.Wirerläutern diesebeidenMöglichkeiteninden folgen- denAbsätzen. 3
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