Jens Hoffmann Stalking Jens Hoffmann Stalking Mit 8 Abbildungen und 12 Tabellen 123 Dr. Jens Hoffmann TU Darmstadt Institut für Psychologie Arbeitsstelle für Forensische Psychologie Alexanderstraße 10 64283 Darmstadt ISBN-10 3-540-25457-9 Springer Medizin Verlag Heidelberg ISBN-13 978-3-540-25457-7 Springer Medizin Verlag Heidelberg Bibliografische Information der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.ddb.de abrufbar. Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, i nsbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfil- mung oder der Verviel fältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen, bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung d ieses Werkes oder von T eilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätz- lich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Strafbestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. Springer Medizin Verlag. Ein Unternehmen von Springer Science+Business Media springer.de © Springer Medizin Verlag Heidelberg 2006 Printed in Germany Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Marken- schutz gesetz gebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Produkthaftung: Für Angaben über Dosierungsanweisungen und Applikations formen kann vom Verlag keine Gewähr übernommen werden. Derartige Angaben müssen vom jeweiligen Anwender im Einzelfall anhand anderer Literaturstellen auf ihre Richtigkeit überprüft werden. Planung: Dr. Svenja Wahl Projektmanagement: Joachim Coch Design: deblik, Berlin SPIN 10815693 Satz: Fotosatz-Service Köhler GmbH, Würzburg Druck: Stürtz GmbH, Würzburg Gedruckt auf säurefreiem Papier 2126 – 5 4 3 2 1 0 V In Erinnerung an Bettina Erbenich (1978–2005) und Cordula Frey (1964–2005). Ihr fehlt. VII Vorwort Dieses Buch entstand in einem Zeitraum von sechs Jahren. Es begann mit ersten Überlegungen für ein Promotionsvorhaben, die sich rasch in der Sichtung von Literatur sowie in der Entwick- lung eines Fragebogens niederschlugen, in dem Personen des öffentlichen Lebens ihre Erfahrun- gen mit ungewöhnlichen und hartnäckigen »Fan«-Kontakten schildern sollten. Die Grundlage für diese Publikation bildet dann auch meine Dissertationsschrift mit dem pointiert-knappen Titel Stalking. Obsessive Belästigung und Verfolgung unter besonderer Berücksichtigung von Prominenten als Opfer. Die Gliederung der Arbeit wurde für die hier vorliegende Veröffentli- chung leicht umgestellt und um einige zusätzliche Kapitel erweitert, und zwar zu den Themen »Therapie von Stalkern«, »Vorgebliche Stalkingopfer«, Stalking als Fortsetzung von häuslicher Gewalt«, »Management« und »Auswirkungen von Stalking«. Da ich mich nicht nur der Theorie, sondern – durch Beratung und Fallmanagement bei prominenten und nicht prominenten Be- troffenen – ebenso der Praxis verpflichtet fühle, habe ich immer wieder auch versucht, den Bezug zum konkreten Umgang mit dem Phänomen obsessiver Belästigung und Verfolgung herzustel- len. Ich würde mich freuen, wenn der eine oder andere Leser, der beruflich mit Stalking zu tun hat, daraus Nutzen ziehen kann. Nun noch einige Anmerkungen eher technischer Natur: Da rein statistisch betrachtet die Mehr- zahl der Stalker männlich und die Mehrzahl der Betroffenen weiblich sind, habe ich diese Ge- schlechterverteilung sprachlich meistens auch benutzt, wenn ich eigentlich das Geschlechterüber- greifende, Allgemeine meinte. Um den Genderaspekt zu berücksichtigen, wurde dieses Muster aber an einigen Stellen bewusst durchbrochen. Alle im Original englischsprachigen Zitate sind wegen der besseren Lesbarkeit von mir übersetzt worden. Falls einer der Leser Näheres über den von mir entwickelten Fragebogen zu Stalkingerfahrungen von Prominenten erfahren möchte, lässt sich der Bogen per E-Mail anfordern, und zwar unter der Adresse [email protected]. An dieser Stelle möchte ich mich bei allen bedanken, die mich bei dieser Arbeit unterstützt haben: Dr. Alexander Deppert, der mich bei dem Projekt von Anfang an begleitete und dessen wis- senschaftliche Erfahrungen bei der Konstruktion des Bogens und den Auswertungen von großer Hilfe waren. Harald Dern, der mir während zahlreicher Diskussionen immer wieder neue Brücken baute in das Verständnis moderner psychodynamischer Konzeptionen und dessen Begeisterung für das Werk von Heinz Kohut auch auf mich übersprang. Felicia Schröck für ihre Hilfe bei der Auswertung von Zuschriften fixierter Personen. Prof. Dr. Rainer Schmidt für sein Interesse und das freundliche Wohlwollen gegenüber meinem Vorhaben und auch für seine Nachsicht bei Terminverzögerungen. Prof. Dr. Hans-Georg Voß für seine ruhige Betreuung. Manche seiner Anregungen zum Thema dieser Arbeit erschlossen sich mir in ihrer Weitsicht erst nach Monaten und haben mein Verständnis von Stalking in einigen Punkten entscheidend mit geprägt. Isabel Wondrak, die mir bei der Auswertung der Fragebögen, beim Korrekturlesen und der Formatierung der Arbeit entscheidend zur Seite stand; ihre Ermutigungen und ihre Kompetenz halfen in stressreichen Tagen sehr. Mein weiterer Dank gilt den Moderatoren eines Fernsehsenders, die mir für die Arbeit einen Teil ihrer knapp bemessenen Zeit schenkten, indem sie Fragebögen ausfüllten, Fragen nach ihren Erfahrungen mit Stalkern geduldig beantworteten und sich die Mühe machten, Zuschriften obsessiver Fans zusammenzusuchen und mir zur Verfügung zu stellen. VIII Vorwort Mein Dank dafür, mir unveröffentlichte Literatur zur Verfügung gestellt zu haben, geht an Julia Bettermann, das Büro von Gavin de Becker, an Dr. David James, an Totti Karpela von der Threat Management Unit in Helsinki, an Dr. Lorraine Sheridan und an den US Marshall Ser- vice. Schließlich danke ich Dr. Svenja Wahl, Renate Scheddin und Joachim Coch vom Springer- Verlag für die gute editorische Betreuung des Projekts sowie Rainer Zolk für das Copyediting. Darmstadt, im September 2005 Jens Hoffmann IX Inhaltsverzeichnis 1 Formen, Auftreten, Verbreitung . . . . 1 5.3 Spezielle Typologien von 1.1 Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Prominentenstalkern . . . . . . . . . . . . . 79 1.2 Psychologische Ebenen . . . . . . . . . . . 4 1.3 Verhaltensweisen . . . . . . . . . . . . . . . 4 6 Prominentenstalking. . . . . . . . . . . . 91 1.4 Motive . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 6 6.1 Begriff des Prominenten . . . . . . . . . . . 92 1.5 Stalking und psychische Krankheit . . . . 7 6.2 Unterscheidung zwischen Fan und Stalker 93 1.6 Verhältnis zwischen Stalkern und Opfer . 8 6.3 Bisherige Forschungsprojekte . . . . . . . 95 1.7 Wissenschaftliche Erforschung. . . . . . . 8 6.4 Stalkingerfahrungen von Prominenten – 1.8 Verbreitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 10 empirische Studie aus Deutschland . . . 99 1.9 Nimmt Stalking zu? . . . . . . . . . . . . . . 12 7 Erotomanie . . . . . . . . . . . . . . . . . . 115 2 Soziale Konstruktion . . . . . . . . . . . . 15 7.1 Historische Entwicklung des Erotomanie- 2.1 Stalking als kulturelle Erzählung . . . . . . 15 konzepts . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 116 2.2 Konstruktionen der Begrifflichkeit 7.2 De Clérambaults Erotomaniemodell . . . 119 von Stalking . . . . . . . . . . . . . . . . . . 16 7.3 Moderne Klassifikation . . . . . . . . . . . . 121 2.3 Genderaspekt . . . . . . . . . . . . . . . . . 18 7.4 Persönlichkeitsbild und Krankheitsverlauf 121 2.4 Mythen des Stalkings und ihre 7.5 Erklärungsmodelle . . . . . . . . . . . . . . 122 Auswirkungen . . . . . . . . . . . . . . . . . 19 7.6 Biografisches Entwicklungsmodell . . . . 125 2.5 Künstler als Stalker . . . . . . . . . . . . . . 20 7.7 Geschlechterverteilung . . . . . . . . . . . 126 2.6 Stalking als Sujet von Film und Literatur 22 7.8 Erotomanie und Gewalttätigkeit . . . . . 127 2.7 Medienberichte und Nachahmungstaten 23 7.9 Kritik und erweiterte Konzeptionen . . . 129 7.10 Erotomanisches Prominentenstalking . . 131 3 Interkultureller Vergleich. . . . . . . . . 27 7.11 Grenzen des Erotomaniekonzepts . . . . 133 3.1 Fallbeispiele und Untersuchungs- ergebnisse . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 27 8 Therapie von Stalkern . . . . . . . . . . . 135 3.2 Stalking als Folge interkultureller 8.1 Diagnostischer Prozess . . . . . . . . . . . 136 Fehlinterpretationen . . . . . . . . . . . . . 30 8.2 Behandlung psychischer Störungen . . . 137 3.3 Prominentenstalking . . . . . . . . . . . . . 31 8.3 Unterschiedliche therapeutische Ansätze 140 8.4 Besonderheiten im therapeutischen 4 Stalkingtheorien. . . . . . . . . . . . . . . 33 Umgang mit Stalkern . . . . . . . . . . . . . 142 4.1 Relationale Modelle . . . . . . . . . . . . . . 34 8.5 Rückfallgefahr . . . . . . . . . . . . . . . . . 144 4.2 Behaviorismus . . . . . . . . . . . . . . . . . 37 8.6 Beispiel für einen Therapieplan . . . . . . 145 4.3 Evolutionspsychologische Ansätze . . . . 37 8.7 Therapeuten als Stalkingopfer . . . . . . . 146 4.4 Bindungstheorie . . . . . . . . . . . . . . . . 38 4.5 Objektbeziehungstheorien . . . . . . . . . 41 9 Auswirkungen von Stalking auf 4.6 Psychodynamische Theorien . . . . . . . . 44 Betroffene . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 149 4.7 Kohuts Narzissmustheorie . . . . . . . . . 52 9.1 Psychische und soziale Folgen . . . . . . . 151 4.8 Der Fall Günter P. . . . . . . . . . . . . . . . 62 9.2 Körperliche Belastung . . . . . . . . . . . . 153 9.3 Auswirkungen auf den Lebensstil . . . . . 153 5 Typologien von Stalkern . . . . . . . . . 67 9.4 Posttraumatische Belastungsstörung . . 154 5.1 Unterschiede zwischen den 9.5 Vulnerabilität . . . . . . . . . . . . . . . . . . 154 Klassifikationssystemen . . . . . . . . . . . 69 9.6 Therapeutische Interventionen . . . . . . 155 5.2 Allgemeine Modelle verschiedener Arbeitsgruppen . . . . . . . . . . . . . . . . 71 X Inhaltsverzeichnis 10 Management . . . . . . . . . . . . . . . . . 157 10.1 Ansatzpunkte verschiedener Berufsgruppen und Institutionen . . . . . 157 10.2 Grundregeln für den Umgang mit Stalking . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 161 10.3 Individuelles Fallmanagement . . . . . . . 163 10.4 Besonderheiten beim Prominenten- stalking . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 166 11 Gewaltanwendung und Gewalt- erfahrung. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 169 11.1 Häufigkeit von Gewalt . . . . . . . . . . . . 170 11.2 Tödliche Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . 172 11.3 Ziele von Stalkinggewalt . . . . . . . . . . 174 11.4 Vorhersagefaktoren der Gewalt . . . . . . 176 11.5 Wirkmechanismen der Gewalt . . . . . . . 178 12 Stalking als Fortsetzung häuslicher Gewalt . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 12.1 Definitionen . . . . . . . . . . . . . . . . . . 185 12.2 Häufigkeit des gemeinsamen Auftretens 186 12.3 Formen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 187 12.4 Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Stalkern und häuslichen Gewalttätern . . . . . . . . . . . . . . . . . . 188 12.5 Praktisches Vorgehen . . . . . . . . . . . . 189 13 Vorgebliche Stalkingopfer (»Falsches-Opfer-Syndrom«) . . . . . . 191 13.1 Häufigkeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 191 13.2 Typologie . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 192 13.3 Mögliche Merkmale . . . . . . . . . . . . . 194 14 Cyberstalking . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 14.1 Empirische Befunde . . . . . . . . . . . . . 198 14.2 Besondere Qualitäten . . . . . . . . . . . . 198 14.3 Formen . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 201 14.4 Prävention . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 204 Literatur . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 207 Sachverzeichnis . . . . . . . . . . . . . . . 219 1 Formen, Auftreten, Verbreitung 1.1 Definitionen – 1 1.2 Psychologische Ebenen – 4 1.3 Verhaltensweisen – 4 1.4 Motive – 6 1.5 Stalking und psychische Krankheit – 7 1.6 Verhältnis zwischen Stalkern und Opfern – 8 1.7 Wissenschaftliche Erforschung – 8 1.8 Verbreitung – 10 1.9 Nimmt Stalking zu? – 12 Endlose Briefe, Telefonate und E-Mails, Auflauern 1.1 Definitionen und Verfolgen, Drohungen und Liebesbekundungen: Die Frage, was Stalking genau ist, lässt sich nicht leicht Auf der Verhaltensebene äußert sich Stalking in wie- beantworten, denn es gibt keine einzige spezifische derholten Handlungen von Verfolgung, Belästigung Verhaltensweise, die bei Stalking immer präsent ist oder Kontaktaufnahmen, die auf der darunterlie- und die somit einen Schwellenwert festsetzt. Um die genden psychischen Ebene von einer emotionalen Sache noch weiter zu komplizieren: Es existiert auch Fixiertheit begleitet werden. Eine der ersten wissen- keine spezielle Motivation oder Ursache für Stalking. schaftlichen Definitionen von Stalking sprach von Wir haben es hier stattdessen in der Regel mit »einem obsessiven oder unnormal langen Muster einem Bündel von Verhaltensweisen zu tun, hinter von Bedrohung oder Belästigung, das gegen ein be- denen sich unterschiedlichste Motive, psychische stimmtes Individuum gerichtet ist« (Zona et al. 1993, Besonderheiten und Emotionen verbergen können. S. 896). Bald darauf führten Meloy und Gothard Im Kern geht es um ein einseitiges Kontaktstreben. (1995) den Ausdruck »obsessives Verfolgen« ein, um Einer will, dass der andere an ihn denkt, der andere durch den Begriff der Obsession den psychiatrischen möchte ihn aus dem Gedächtnis verbannen. Kon- Aspekt des Phänomens stärker hervorzuheben. Hier kreter ausgedrückt versucht eine Person in eine Be- findet sich zudem ein Bezug zu der ursprünglichen ziehung mit einem anderen Menschen zu treten, Bedeutung des Begriffes: Das englische Wort »Stalk- letzterer will dies nicht – es gelingt ihm jedoch nicht, ing« entstammt der Jagdsprache und bedeutet dort, diese Versuche zu unterbinden. Es handelt sich also sich einem Wild auf die Spur zu setzen und es zu bei Stalking um eine Interaktion, die von einer deut- verfolgen. Mittlerweile werden in zahlreichen Fach- lichen Asymmetrie geprägt ist. publikationen die Formulierungen obsessive Verfol-
Description: