Stadt im Umbruch: Gotha Ulfert Redyn Lothar Bertels (Rg.) Stadt im Umbruch: Gotha Wende und Wandel in Ostdeutschland Leske + Budrich, Opladen 1994 Mit freundlicher Forderung durch die Gothaer Versicherungen Zu diesem Werk ist eine Video-Kassette mit dem Titel "Wende und Wandel in Ostdeutschland: das Beispiel Gotha" erschienen. Sie kann von der FernUniversitat Hagen bezogen werden. ISBN 978-3-8100-1274-6 ISBN 978-3-322-95991-1 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-95991-1 © 1994 by Leske + Budrich, Opladen Das Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschiitzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechts ist ohne Zustimmung des Verlages unzuliissig und strafbar. Das gilt insbesondere filr Vervielfiiltigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Far Fred Staujenbiel Vorbemerkungen Es waren nur wenige Monate nadl der Wende, als die Herausgeber den Ent sdllu6 faSten, die Folgen der Wende im Herbst 1989 fiir die ostdeutsdle Bevol kerung am Beispiel einer Stadt in der damaligen DDR empirisdl zu untersudlen. Mit dem ostdeutsdlen Kollegen Fred Staufenbiel, Professor an der Hochsdlule fiir Ardlitektur und Bauwesen in Weimar, konnte im Rahmen eines durdl die Deutsdle Forsdlungsgemeinsdlaft gef6rderten Kooperationspr~ekts im Friibjabr 1991 mit der empirisdlen Arbeit begonnen werden. Sdlon kurz vor der Wirt sdlafts-, Wahrungs- und Sozialunion am 1. Jull 1990 war es- unterstiitzt von der Fern Universitat Hagen - mOglidl, mit einer Ftlmproduktion zurn gleidlen Thema zu beginnen. Dec wissensdlaftlichen Neugier, etwas tiber das 'unbekannte Land' und die Leute zu erfahren wurde sdlon bald die dafiir notwendige Distanz genommen, als wir in den ersten Gespriichen mit den existentiellen privaten Erlebnissen, NOlen, Verletzungen und Verfolgungen der Mensdlen konfcontiert wurden. Wir widerstanden jedod:l der Versudlung, es bei einer Niederlegung dieser ersten Schicksalsberichte zu belassen, sondern entsdlieden uns fiir eine mehrjabrige empirisdle Untersuchung, urn dem Proze6 der Transfonnation eher gered:lt werden zu koonen. Damals ahnten wir allerdings noch wenig von dem Literatur boom, der sich in den nachsten Jahren entfalten wlirde. In den ersten Jahren nach der Wende handelte es sich zurneist urn zeitkritisdle essayistisdle ErOrterungen mit mehr oder weniger theoretischem Tiefgang. Das hat sich allerdings in der letzten Zeit sdlon etwas geandert. als neben der gerade bei diesem Jabrhunder tereignis immer notwendigen theoretisdlen kultur- und sozialkritisdlen Retlexi on die empirisch gestUtzte Forsdlung nun doch deutlich sichtbar geworden ist bzw. in der allernachsten Zeit ersd:leint. Bier sei nur neben den vielen EinzelfOr derungen verschiedener Institutionen auf das 1991 von der Deutsdlen For schungsgemeinschaft ausgebrachte und stark nachgefcagte Schwerpunktpro gramm tiber den 'sozialen und politisdlen Wandel im Zuge der Integration der DDR-Gesellschaft' und auf die 180 Kurzstudien verwiesen, die die ,,Kommission zur Analyse des sozialen und politischen Wandels in den neuen Bundesllindern" (KSPW) im Friibjahr 1992 vergeben hat. Bei aller notwendigen Forsdlungsak tivitat, die in Westdeutschland entfaltet wird, ist jedoch der Hoffuung von Moser zuzustimmen, "bald auch im westlichen Tell der Bundesrepublik Kollegen aus 7 dem Ostliehen Teil begegnen zu koonen, die Geld, Zeit und MuSe haben, sieh hier forschend und diagnostizierend umzusehen" (1992, S. 50). Dec Versueh, die ersten Folgen der Wende in einer Stadt empirisch in einer Panel-Studie zu untersuehen hat notwendigerweise Ltieken. Nicht alle Themen konnten mit gleieher Intensitat bearbeitet werden. Trotz dieser Defizite und Dis paritaten hoffen wir, daB die Skizze des gesellschaftliehen Umbruehs in einer Stadt Einsiehten in die sozialen Erschtitterungen vermittelt. die bei sektoral ver tiefenden Analysen nieht in dieser gegenseitigen Verkntipfung deutlieh werden koonen. Wir haben das naeh dem zweiten Weltkrieg entwickelte Metbodenreper toire der Sozialforschung angewandt und waren hierdureh im untibersehbaren Vorteil gegentiber den ersten empirischen Forschungen der Naehkriegszeit. Die einzelnen Kapitel werden zwar von den genannten Autoren verantwortet; sie wurden jedoch konzeptionell wie aueh redaktionell von der Forschungsgruppe intensiv diskutiert. Wir danken zunliehst der Deutschen Forschungsgemeinschaft fiir die Bewilli gung dieses Projekts in der turbulenten Zeit des Vereinigungsprozesses und fiir die finanzielle FOcderung dieses auf3ergewOhnlieh zeitlieh gestreckten For schungsvorhabens. In einem tiber drei Jahre dauernden Forschungsprozess gibt es viele Menschen, denen fiir Ihre Hilfe und Untersttitzung gedankt werden muS. Allen voran - und das ist keine Floskel - mOchten wir all den Gothaer Ein wohnern danken, die zu uns im Laufe der Jahre - zum Teil mehrmals - offen tiber ihre Erfahrungen, Empfindungen und Erlebnisse in schwieriger Zeit ge sprochen haben. Von den Mitteilungen dieser wirkliehen Experten lebt dieser Band und wir hoffe n, etwas von den Mentalitaten an diejenigen vermitteln zu koonen, die sieh Dieht an dem Dialog zwischen Ost-und Westdeutschland betei ligt haben oder nieht beteiligen konnten. An der Fertigstellung dieses Bandes waren auf3er den Autoren noch beteiligt: Oliver Beyer (elektronische Datenverarbeitung), Claudia Schmidtund Nicole Kemper (Datenautbereitung und Auswertung), Karin Uhlendorf (Manuskripter stellung), Corinna Haberkorn (Technische und finanzielle Abwicklung des Pro jektes), Elke-Vera Kotowski (Buehgestaltung) und mehrere studentische Hilfs krlifte. Ihnen allen sei fiir ihren Beitrag vielmals gedankt. Nieht zuletzt sind wir Fred Staufenbiel zu Dank verpfliehtet. Er hat als einer der Leiter in der Anfangsphase der Arbeiten das Projekt mit vorangetrieben und kritisch begleitet. Die Kritik aus der Perspektive eines ostdeutschen Kollegen war uns besonders wiehtig, weil dureh sie immer wieder unsere westlieh getarbten Interpretationen relativiert wurden. Urn so mem haben wir es bedauert. als er krankheitsbedingt ab Herbst 1992 nieht mehr aktiv an dem Projekt mitarbeiten konnte. Ihm solI daher dieses Bueh gewidmet werden. Die Herausgeber im Juli 1994 8 Inhalt Seite A WANDEL UND KONTINUITAT IN GOTHA 1. Zum theoretischen Rahmen der Untersuchung (Ulfert Herlyn) 12 Der Umbruch in der OOR als Modernisierungsfall (13). Phasen der Be- findlichkeit in der Zeit nach der Wende (21). Der lokale Lebeoszusam- menhang als 'pars pro toto' (25). ZAlsanunenfassung (29). 2. Die methodische Anlage der Untersuchung (Ulfert Herlyn) 31 Die Auswahl der mittelgrol3en Stadt Gotha (32). Die Verfahren im einzel- nen (33). ZA1sammenfassung (45). 3. Die Stadt Gotha -ein Kurzportrait (lnge Comelsen) 48 lAIr Entwicklung der Stadt (50). Gotha als Residenzstadt (59). Gotha als Kulturstadt (60). Gotha als lndustriestadt und Stadt der Arbeiterbewegung (62). Die Zeit der DOR bis zur Gegenwart (65). 4. Von der Wende zur Vereinigung (Peter Franz) 67 Der Verlauf der Wende in Gotha (68). Die Aufiinge (68). Der Hohepunkt der Mobilisierung (71). Das Stadium der lnstitutionalisierung (75). Zwi- schenresOmee (86). Die politische Aktivierung der BOrger (89). Wiih- rungsunion und Vereinigung (92). ZA1sammenfassung (98). B VERARBEITUNG UND BEWALTIGUNG DES UMBRUCHS 5. Zum Wandel politischer Institutionen und Orientierungen (Peter Franz) 99 Der Beginn kommunaler Selbstverwaltung (100). ZAIrn Wandel lokaler politischer Eliten (106). ZwischenresOmee (116). Von der Einheitspartei zum Mehrparteiensystem (117). Politische Partizipation und kommunal- politischer ProzeD (120). Wandel der poIitischen Orientierungen (126). Wahlverhalten im Wandel (126). Parteipriiferenz und politische EinsteDun- gen (130). Wandel und Konstanz von Einstellungen zu den Folgen der Vereinigung (134). ZAlsammenfassung (138). 9 6. Zurn Wandel der okonornischen Situation (Lothar Bertels, Thomas Briisemeister) 140 Problemste\lung (140). Die Einschiitzung dec wirtschaftlichen Lage (142). Einkommensentwicklung (147). Konsumverhalten (158). Rilcklagen, Spa ren, Schulden (167). Ein Fallbeispiel: Haushalt Thiele (171). Zusamrnen fassung (177). 7. Veriinderungen in Arbeit und Beruf (Peter Franz) 178 Der Gothaer Arbeitsmarkt nach dec Wende (182). Die berufliche Anpas sung der Gothaer Bevolkerung (187). Veciinderungen am Arbeitsplatz (190). Die individue\le Bedeutung der Berufsarbeit (194). Arbeitslosigkeit als neue Erfahrung (196). Zusammenfassung (201). 8. Zur Erwerbsbiographie verschiedener Generationen (Lothar Bertels) 202 Die Verarbeitung der Wende in generationsspezifischer Betrachtung (202). Die Rentnergeneration: 40 Jahre in der DDR gearbeitet (205). Die bernf1i chen Anpassungsstrategien der 40- bis 5qjiibrigen (214). Die bernf1ichen Anpassungsstrategien der 20- bis 3qjiibrigen (222). Zusamrnenfassung (228). 9. Zur Dynarnik von Familie und Sozialbeziehungen (Peter Franz, Ulfert Herlyn) 232 Die Rolle dec Familie in dec DDR (233). Demographischer Einbruch und wahrgenommene Ursachen (236). Der Stellenwert dec Farnilie bei der Ver arbeitung von Vereinigungsfolgen (240). Erziehungsleitbilder im Wandel (249). Die Jugendweihe als Statuspassage (253). Sozialbeziehungen zwi schen Vertrauen und Kontrolle (256). Veriinderungen des Verkehrskreises (256). Veriinderungen im Nachbarschaftsverhaltnis (258). Zusammenfas sung (260). 10. Zurn Wandel von Freizeit (Lothar Bertels, Thomas Briisemeister) uDd Wohnen (Lothar Bertels) 262 Zur Freizeit (263). Freizeit und Urlaub in der DDR (263). Freizeitbedin gungen und Freizeitorientierungen in Gotha nach der Wende (264). Zu sammenfassung (275). Zum Wohnen (276). Wohnstandards und Wohn bedingungen vor und nach der Wende (276). Wohnzufriedenheit (285). Zusamrnenfassung (291). 10 C ZWISCHEN OSTLICHEN BINDUNGEN UND WESTLICHEN STANDARDS 11. Wahrnehmung sozialer Mobilitiit seit der Wende (lnge Comelsen) 292 Die Sozialstruktur der DDR im Umri8 (293). Subjektive gesellschaftliche Einstufung und die Wahrnehrnung sozialer MobilitlU (2%). Soziale Merkmale der Mobilen (300). Meinungsunterschiede von Auf- und AI>- steigem·(306). Zusanuneufassung (308). 12. Typische Verarbeitungsweisen des gesellschaftlichen Umbruchs (Peter Franz) 310 Zu den Konzepten der West-Orientierung und Ost-Orientierung (311). Ost- und West-Orientierte im Vergleich (315). Die lndifferenten (323). Zwi- schemesiimee (326). Veranderungen zwischen 1991 und 1993 (328). Ty- pische Verarbeitungsweisen von Wende und Vereinigung (335). Zus;un- menfassung (338). 13. Stadtstruktur und Stadtbild im Wandel (lnge Comelsen, Peter Franz, Ulfert Herlyn) 340 Stadtentwicklung und Wirtschaftsfarderung als neue Gestaltungsaufgaben der Kommunalverwaltung (342). Nutzungswandel in der lnnenstadt (349). Verlinderungen im Stadtbild und ihre Wahrnehmung (358). Zusammeufas- sung (372). D GOTHA ZWISCHEN ABBRUCH UND AUFBRUCH 14. Eine Zwischenbilanz: Blick zuriick nach vorn (Lothar Bertels, Ulfert Herlyn) 375 Der typische Ost- und Westdeutsche (1991-1993) im Urteil der Gothaer BOrger (374). Die riiumliche Entwicklung der Stadt (379). !>as soziale Le- ben in der Stadt (385). Literatur 393 11 A WANDEL UND KONTINUITAT IN GOTHA 1. Zum theoretischen Rahmen der Untersuchung (Ulfert Herlyn) Es war das Ziel der Untersuchung, die Art und Weise abzubilden, wie die Menschen den fundamentalen gesellschaftlichen Umbruch in der ehemali gen DDR erlebt haben, und wie sie die wandlungsbedingten Veranderungen im alltaglichen Leben verarbeiten. Dabei soHen sowohl die Veranderungen der objektiven Lebensbedingungen als auch der subjektiv wahrgenommenen Lebensqualitat in einer Zeitspanne von ca. 3 Jahren an einem Ort erfaSt werden, an dem exemplarisch spezifische Entwicklungen und Tendenzen abgelesen werden. Wir gingen von der Annahme aus, daB im Rahmen einer miuelgro8en Stadt die alitaglichen Lebensvollziige in ihrer gegenseitigen Verschrankung am besten erfahren werden kijnnen. Urn dieses Vorhaben empirisch einzulijsen, bedarf es eines theoretischen Interpretationsrahmens, den wir zwar grundsAtzlich in dem ModeH der Modemisierung sehen, aber es sei hier ausdrficklich darauf hingewiesen, daB in Anbetracht der Einmaligkeit der Transformationsprozesse viel be schreibende Arbeit notwendig ist, die nicht durch spezifische theoretische Vorentscheidungen verkfirzt werden darf. In einem ersten Abschnitt soH der geseHschaftliche Umbruch in der ehemaligen DDR als ein spezifischer Mo demisierungsfall erlAutert werden. In der bisherigen Nachwendezeit gab es eine erhebliche Dynamik in den Befindlichkeiten und Beurteilungen des abrupten Systemwandels; deshalb soH in einem zweiten Abschnitt eine Pha sierung der Nachwendezeit entwickelt werden, die zugleich Hintergrund ffir die beiden Haupterhebungszeitpunkte darsteHt. Schlie6lich wird im dritten Abschnitt die soziologische Erwartung an eine gemeindliche Einzelfallstu die entwickelt, mit der wesentliche EntwicklungsverlAufe von Lebensbedin gungen und subjektiven Befindlichkeiten erfaSt werden soHen. 12