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Staat und Demokratie in Europa: 18. Wissenschaftlicher Kongreß der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft PDF

413 Pages·1992·18.765 MB·German
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Kohler-Koch (Hrsg.), Staat und Demokratie in Europa Staat und Delllokratie in Europa 18. Wissenschaftlicher Kongreß der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft Im Auftrag der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft herausgegeben von Beate Kohler-Koch + Leske Budrich, Opladen 1992 Die Deutsche Bibliothek Staat und Demokratie in Europa / im Auftr. der Deutschen Vereinigung für Politische Wissenschaft hrsg. von Beate Kohler-Koch. - Opladen : Leske und Budrich, 1992 ( .. Wissenschaftlicher Kongreß der DVPW ; 18) ISBN 978-3-8100-0964-7 ISBN 978-3-322-95892-1 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-95892-1 NE: Kohler-Koch, Beate; Deutsche Vereinigung für Politische Wissenschaft: ... Wissenschaftlicher Kongreß ... © 1992 by Leske + Budrich, Opladen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbe sondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Satz: Leske + Budrich Vorwort Mit dem Thema "Staat und Demokratie" wurde erneut eine der Kernfragen des Faches in den Mittelpunkt der Erörterungen eines DVPW-Kongresses gestellt. Die Konzeption des Kongresses und damit dieses Bandes setzt bei den tiefgreifenden Prozessen der Um gestaltung im institutionellen Arrangement von Staat, Gesellschaft und Wirtschaft an. Er gliedert sich in drei thematische Bereiche: - Zukunft des Staates Im Mittelpunkt steht eine grundlegende Reflexion über Staatlichkeit heute, die Hand lungsfähigkeit des Staates unter den Bedingungen internationaler Interdependenz und gewandelter interner Aufgabenlagen und gesellschaftlich-wirtschaftlicher Strukturie rungen und die normative Integration des demokratischen Staates der Gegenwart. - Konflikt und Konsensus In den östlichen Ländern zeichnen sich unterschiedliche Wege zu einer Wettbewerbsde mokratie ab, in den westlichen Ländern werden deren Grenzen immer deutlicher. Im Kern geht es somit um die Entwicklung neuer politischer Konflikt-und Konsensformen im Rahmen einer sich neu formierenden Staatlichkeit sowie um den staatlichen Restruk turierungsprozeß im Zuge der supranationalen Integration Westeuropas. - Die europäische Staatenwelt Die Bedeutung von Herrschaftsstrukturen und staatlicher Verfaßtheit für die Strukturie rung des internationalen Systems ist mit dem Ende des Ost-West-Konfliktes überdeutlich geworden. Dies lenkt die Aufmerksamkeit auf Grundsatzfragen wie die nach der Frie densfähigkeit von Demokratien, der Regelbarkeit zwischenstaatlicher Beziehungen und einer möglicherweise neuen Qualität internationaler Politik infolge von Veränderungen im innerstaatlichen Verhältnis von Politik und Wirtschaft. Der Fokus auf Europa drängte sich angesichts des Wandels der politischen Konflikt strukturen in Westeuropa, des Systemumbruchs in den vormals "realsozialistischen" Staaten aber auch angesichts der erneuten Dynamik des staatenübergreifenden Integra tionsprozesses in Westeuropa geradezu auf. Während die politische Öffentlichkeit auf die mit der Transformation der politi schen Ordnungssysteme in Europa verbundenen Risiken für Sicherheit und Wohlfahrt 5 mit steigenden Erwartungen an die Steuerungsleistungen des Staates reagiert, befassen sich die Beiträge des Kongresses schwerpunktmäßig mit der eingeschränkten Hand lungsfähigkeit des modernen Staates und der Frage, was "Staatlichkeit" unter heutigen Bedingungen in Europa bedeutet. Einführend skizziert Thomas EUwein das Verständnis von Staat wie es sich im Mo dell des Nationalstaats des 19. Jahrhunderts konkretisierte. Gerade diese auf den dem vergangenen Jahrhundert spezifischen Einheits-und Identitätsvorstellungen beruhende Sichtweise erweist sich jedoch dabei zunehmend als Barriere zur realistischen Einschät zung von heutiger Staatlichkeit. So ist gegenwärtig in Europa besonders eindrücklich zu verfolgen, wie internationale Interdependenz, supranationale Integration und regionales Autonomiestreben den Anspruch auf staatliche Souveränität untergraben. Noch deutli cher zeigt sich nach Auffassung Ellweins die Untauglichkeit des überlieferten Staatsmo dells angesichts der innerstaatlichen Entwicklung. Staatliche Politik könne immer mehr nur unter Beachtung der örtlichen Gegebenheiten und unter Einbeziehung der Repräsen tanz der auf unterer Ebene verankerten Interessen verwirklicht werden. Damit konkur riere die örtliche Vielfalt zunehmend mit dem Anspruch auf staatliche Einheit. Eine im modemen Sinn konservative Theorie des Staates entwickelt Martin Kriele, in deren Mittelpunkt er die Bewahrung der Institutionen der europäischen Rechtskultur stellt, da sich in diesen Institutionen gespeicherte Erfahrungsweisheit niederschlägt, die die notwendige Voraussetzung für weiteren Fortschritt bietet. Rechtsfortschritt besteht in der Bewahrung historisch gewachsener Institutionen, die ein Vernunftniveau ent wickeln, das das Vernunftsvermögen einzelner bei weitem übersteigt, wie Kriele unter Rückgriff auf die Argumentation von Cicero aufzeigt. Konservativ sein heißt dann, In stitutionen deren Vernünftigkeit sich erwiesen hat, gegen übereilte Veränderungen abzu sichern. Die These, daß die Wesenselemente des neuzeitlichen Staatsbegriffs, nämlich Sou veränität nach außen und Überordnung im Innern immer weniger vorausgesetzt werden können, wird im Beitrag von Fritz Scharpf wieder aufgegriffen. Die Erosion der hierar chischen Überordnung des Staates schließt jedoch staatliche Einflußnahme auf die aus differenzierten gesellschaftlichen Teilsysteme keineswegs aus. Vielmehr wird sie durch die "ubiquitäre Praxis ausgehandelter Regelungen" erreicht. Ob die Ausbreitung viel fältiger, sich überlappender Verhandlungssysteme als Rückfall in "quasi-mittelalterliche Verhältnisse" und Demokratieverlust oder aber als Zugewinn an gesellschaftlicher Pro blemlösungskapazität zu werten ist, beantwortet Scharpf zunächst auf dem Weg eines modellhaften Vergleichs der wohlfahrtstheoretischen Effizienz von Hierarchie und Ver handlungssystemen und der Analyse der Voraussetzungen und Leistungsfähigkeit von negativer und positiver Koordination als sich ergänzender Formen politischer Abstim mung. Er mißt dieser "horizontalen Selbstkoordination" neben ihrer empirischen Rele vanz eine vergleichbare "normative Dignität" bei. Will die Politikwissenschaft in der gegenwärtigen Verfassungsdebaue einen ordnungstheoretisch fundierten Beitrag leisten, so ist es aus seiner Sicht unumgänglich, daß sie sich empirisch und theoretisch intensiv vor allem mit den bislang weitgehend unerforschten Wechselbeziehungen zwischen hierarchischen und selbst-koordinierenden Politikformen befaßt. earl Böhret folgt der Diagnose von Scharpf, spitzt sie gar zu der These zu, daß der "traditionelle Staat" absterbe, der "funktionale Staat" - womit er jene "Ansammlung von regelgebundenen politischen Willensbildungs- und Handlungsinstitutionen" auf 6 den Begriff zu bringen sucht - aber angesichts neuartiger Herausforderungen zusätzli che Aufgaben und Handlungsspielräume zugewiesen bekomme. Um ihn für seine Ver antwortlichkeit für "Natur" und "Nachwelt" zu wappnen, entwirft Böhret vier Innova tionsstrategien, die insgesamt alle eine Entschlackung staatlicher Funktionen durch Aufgabenkonzentration und eine Steigerung seiner Handlungsfiihigkeit erbringen sollen. Politisch-programmatisch ist auch der Beitrag von Franz Lehner orientiert. Auch er stützt die These, daß die Wettbewerbsdemokratie im Zuge des Wandels politisch-öko nomischer Konfliktstrukturen in den westlichen Industriegesellschaften auf Grenzen ih rer Leistungsfiihigkeit gestoßen ist. Aus seiner Sicht sind vor allem die Aufgaben eines zukunftsgerichteten Strukturwandels nur durch integrierte Problemlösungen und koope rative Steuerungspakte als Manifestation der viel beschworenen "public-private-part nership" zu lösen. Soweit diese Modernisierungskartelle dezentral organisiert sind, hält Lehner sie für ordnungspolitisch verträglich und erwartet darüberhinaus, daß sie die zentrale Ebene von operationalen Aufgaben entlasten und zu einer Fokussierung des po litischen Wettbewerbs um die Bestimmung kollektiver Ziele und Handlungsoptionen führen könnten. Mit der Vorgabe eines so bestimmten Handlungsrahmens für dezentrale Politik sieht Lehner die Legitimität jener neuen Kooperationsstrukturen gesichert. Auch Franz Urban Pappi kommt in seinem Koreferat zur Einschätzung, daß derartige "Regio nalkartelle" zur Pluralisierung des Systems der Interessendurchsetzung beitragen und damit die Wettbewerbsdemokratie stärken könnten. Ob sich die mittel-und osteuropäischen Staaten tatsächlich auf dem "Weg zur Wett bewerbsdemokratie" befinden, ist derzeit noch ebenso offen wie die Frage nach der An gemessenheit dieses Modells zur Analyse des dortigen gesellschaftlichen und politi schen Transformationsprozesses. Die Ausdifferenzierung politischer Konfliktstrukturen ist noch so stark im Wandel begriffen, daß selbst die Klassifizierung der sich in den ein zelnen Staaten herausbildenden Parteiensysteme und ihrer jeweiligen Komponenten als vorläufig zu betrachten sind. Vorhersehbar dagegen und als durchgehender Trend in al len mittel-und osteuropäischen Staaten zu beobachten ist jedoch der Prozeß einer zuneh menden Professionalisiserung von Politik und der damit einhergehende Wandel der Struktur der Eliten. Klaus von Beyme schränkt seinen Beitrag zwar selbst als Moment aufnahme ein, die jedoch einen differenzierten Einblick in die politischen Entwicklun gen der Gegenwart und einen aufschlußreichen Test der Erklärungskraft politikwissen schaftlicher Erklärungsversuche bietet. Nicht staatliche Steuerungs-und Handlungspotenz bzw. die Ausdifferenzierung poli tischer Konfliktstrukturen, sondern die Fähigkeit des demokratischen Staates zur nor mativen Integration stehen im Mittelpunkt der Kontroverse zwischen Helmut Dubiel und Gerhard GÖhler. Dubiel verwirft in Anlehnung an die französischen Demokratietheore tiker Lefort und Gauchet das Konzept des Konsensus und billigt dem Konflikt allein die Kraft zur politischen Integration der modernen pluralen Gesellschaften zu. Seine These ist, daß demokratische Gesellschaften sich eben nicht durch die konfliktbegrenzende Kraft eines vorgegebenen Grundkonsensus erhalten, sondern sich erst im Prozeß des Konfliktaustrags ein Bewußtsein eines "gemeinsam geteilten gesellschaftlichen Rau mes" herausbilden. Aus diesem Blickwinkel gewinnt das Paradoxon Sinn, wonach De mokratie "sich einzig in der institutionalisierten Anerkennung ihrer normativen Desin tegration integrieren kann". 7 Die Frage nach den Bedingungen, unter denen Konflikte nicht desintegrierend wir ken, und den Mechanismen, die ihnen darüber hinaus eine integrierende Kraft verleihen könnten, führt Göhler dann jedoch wieder zu dem der Politikwissenschaft vertrauten Konzept zurück, wonach der formale und wertrationale Grundkonsensus - dem er eine dritte, symbolische Komponente hinzufügt - Voraussetzung dafür ist, daß Konflikte nicht zur Desintegration führen. Gerade die Bedeutung, die er den politischen Institutio nen als Instanzen symbolisch vermittelter Integration zumißt, führt ihn zu dem Schluß, daß im Zuge der supranationalen Integration der Nationalstaat seine Steuerungsfunktio nen zwar weitgehend verlieren mag, seine Bedeutung als Integrationsinstanz jedoch durchaus behalten wird. In ähnlicher Weise geht auch M. Rainer Lepsius von einer Asymmetrie in der "Kompetenzallokation" und der "Legitimitätsallokation" der Europäischen Gemein schaft aus. Nach seiner Auffassung kann dieses Spannungsverhältnis nicht durch die Weiterentwicklung der EG zu einer am Modell des europäischen Nationalstaates orien tierten Europäischen Union aufgehoben werden. Diese könne weder den Prozeß der eu ropäischen Nationalstaatenbildung der Neuzeit wiederholen, noch das vielfältig verwo bene Netz der nationalstaatlich organisierten Interessenvermittlung uno actu europäisie ren, noch durch eine Devolution der großen Flächenstaaten ein "Europa der Regionen" als politisch handlungsfähiges und verantwortliches Subsystem schaffen, so daß die Hoffnung auf eine eigenständige, von den Mitgliedstaaten unabhängige Legitimitätsba sis verfehlt erscheint. Entsprechend kann nicht der europäische Bundesstaat, sondern nur die Konsolidierung der EG gemäß dem Modell eines "Nationalitätenstaates" Leit idee der institutionellen Fortentwicklung der EG sein: ein die Rechte der europäischen Nationalitäten wahrendes politisches System mit funktional eng begrenzten Kompeten zen, das nur über eine von den Mitgliedstaaten abgeleitete Legitimität verfügt. Die zukünftige Entwicklung der EG ist aber nicht nur für die Staatlichkeit ihrer Mit glieder eine existentielle Weichenstellung, sondern auch für die Ordnungs struktur der europäischen Staatenwelt. Die Frage nach der zukünftig möglichen und wünschenswer ten Gestalt eines europäischen Regionalsystems und dessen Einbettung in die internatio nalen Beziehungen war Gegenstand des dritten Plenumstages. Ernst-Otto Czempiel konzentriert seinen Beitrag auf die Frage nach den grundle genden Bedingungen für Sicherheit in und für Europa, wobei er Sicherheit als jenen Zu stand definiert, in dem die organisierte militärische Gewalt aus den zwischenstaatlichen Beziehungen eliminiert ist. Gewähr für den Abbau äußerer Bedrohung ist allerdings nur gegeben, wenn die Ursachen für Gewalt in den internationalen Beziehungen behoben werden können. Nach Czempiel sind diese sowohl in der Verfaßtheit des internationalen Systems als auch der staatlichen Herrschaftssysteme sowie in den Formen der Interak tion und Eigenschaften der Akteure angelegt. Über die Ausgestaltung möglichst symme trischer Machtstrukturen hinaus ist für Czempiel die Stärkung der internationalen Orga nisationen in Europa der beste Garant zur Bändigung des anarchistischen Charakters des internationalen Systems und zur Abmilderung des daraus erwachsenden Sicherheitsdi lemmas. Zentraler noch ist für ihn die Beseitigung der aus den staatlichen Herrschafts systemen erwachsenden Gewaltpotentiale. Demokratie, deren innerstaatliche Wertever teilung gerecht und damit ohne die Androhung oder Anwendung von Gewalt erfolgt, die eine weitgehende und gleichmäßig verteilte Partizipation am Herrschaftsprozeß eröff net, ist die entscheidende Voraussetzung für internationale Sicherheit. Entsprechend ist 8 für Czempiel die - allerdings nicht nur auf die post-kommunistischen Systeme gerich tete - Förderung der Demokratie die vordringlichste politische Aufgabe in Europa. Die Architektur einer gesamteuropäischen Ordnung, jene Organisationsformen in ternationaler Kooperation, die nicht nur die Formen zwischenstaatlicher Konfliktaustra gung zu zivilisieren vermögen, sondern auch zum Abbau von Konfliktpotentialen bei tragen können, wird eingehend von Heinrich Schneider durchleuchtet. Auch wenn die Lehren aus der westeuropäischen Integration und der bisherigen KSZE-Kooperation weiterhin gültig bleiben und als Konstruktionsprinzipien künftiger regionaler Zusam menarbeit zu bedenken sind, so haben sich in kürzester Zeit die Bedingungen für die konkrete Organisation der Kooperation erheblich verändert. Auf die tendentielle Enteu ropäisierung der KSZE, das mit der Erweiterung des NAlO-Kooperationsrates verscho bene Hegemonieproblem und die sich daraus ergebenden Herausforderungen für die Fortentwicklung der europäischen Integration behandelt Schneider in einem kurz vor der Veröffentlichung eingefügten Nachtrag. Aus mitteleuropäischer Sicht - so J6sef Bayer - ist die Einbindung in den westeu ropäischen Integrationsprozeß die einzig realistische Zukunftsperspektive. Die Ent scheidung hierüber werden die Mitgliedstaaten der EG fiillen; sie legen Zeitpunkt, Be dingungen und Formen der möglichen Anbindung fest, und selbst nach einem eventuell vollzogenen Beitritt bestimmt die Dynamik der westeuropäischen ökonomischen und sozialen Entwicklung die Entfaltungschancen der mittel-und osteuropäischen Systeme. Die Vision eines eigenständigen Mitteleuropa bietet nach Einschätzung von Bayer keine identitätsbildende, politisch mobilisierende Kraft, um ein Gegengewicht in dieser Hege monialstruktur auszubilden. Die sich aus der ökonomischen Dynamik und wirtschaftlichen Weichenstellungen der Gegenwart ergebenden Veränderungen im internationalen System werden in den Beiträgen von Jacques Pelkmans und Hartmut EIsenhans untersucht. Pelkmans sieht im Binnenmarktprojekt der EG wenig Ansatzpunkte, aus denen sich die Angst vor einer "Festung Europa" oder gar darüberhinaus vor einer weltweiten Formierung regionaler Handelsblöcke nähren könnte. Wenn auch unter Berücksichtigung der "politischen Ökonomie" des Freihandels umfassende Einschränkungen des Wettbewerbs nicht zu er warten sind, so schließt dies jedoch einen nach Produktgruppen und Ländern höchst se lektiven Protektionismus nicht aus, der aus politischen Rücksichtnahmen sowohl auf weniger entwickelte Regionen der EG als auch der neuen mittel- und osteuropäischen Vertragspartner erwachsen könnte. Auch Elsenhans geht von einer weiteren Intensivierung der Wirtschaftsbeziehungen zwischen den regionalen Zentren der hoch industrialisierten Weit aus. Deren Wachs tumsimpulse werden aus seiner Sicht jedoch nicht ausreichen, um den Ländern der Drit ten Welt den Übergang zu anhaltender Produktivitätssteigerung und Beschäftigungs wachstum zu ermöglichen. Dies umsoweniger, als mit dem Ende des Ost-West-Gegen satzes die politischen Voraussetzungen entschwunden sind, unter denen mit der Drohung außenpolitischer Umorientierung internationale Transferleistungen erlangt werden konnten. Zusätzlich prognostiziert Elsenhands eine allmähliche Ablösung der den bisherigen wirtschaftlichen Entwicklungsweg der Dritten Welt weitgehend bestim menden "Staatsklassen" durch neue "marktorientierte Mittelklassen", deren Scheitern jedoch aufgrund der ungelösten Verteilungsprobleme unabwendbar scheint. Die ihnen folgenden "traditionalistisch ausgerichteten Staatsklassen" werden zur Absicherung ih- 9 rer Herrschaft in geringerem Maße als ihr heutiges Pendant auf die Erlangung von Ren ten angewiesen sein, doch nach EIsenhans wird der internationale Kampf um Renten weiterhin strulcturbestimmend sein, diesmal allerdings angeheizt durch die Industrielän der. Diese These beruht auf der Annahme, daß die verstärkte Eingliederung der Dritten Welt in die Weltwirtschaft die Wettbewerbsbedingungen dergestalt verändern werden, daß die Industriestaaten keine allgemeinen Lohnerhöhungen entsprechend der durch schnittlichen Steigerung der Arbeitsproduktivität mehr verkraften können und schritt weise zur Einfiihrung sektoral variierender Lohnkosten mit weitgehenden staatlichen Kompensationszahlungen gezwungen sind. Dieser Übergang zum "Renten aneignenden Staat" in den bisher marktwirtschaftlich organisierten Industrieländern würde die bis her weitgehend über den Markt ausgetragenen Verteilungskonflikte in unmittelbar poli tische Rivalitäten umschlagen lassen, deren Austragungsformen und Folgewirkungen kaum voraussehbar sind. Die drei Themenschwerpunkte der Plenarveranstaltungen des Kongresses wurden ergänzt durch Vorträge namhafter ausländischer Kollegen. Johan P. Olsen widmet sei nen Beitrag dem "Rethinking and Reforming the Public Sector"; Jan W. van Deth reflek tiert "On the Relation of Value Change and Political Involvement in Western Europe." Die Ausführungen von Susan Strange über "The Transformation of Europe from an In ternational Perspektive" sind in einer kurzen Zusammenfassung wiedergegeben. Die Eröffnungsveranstaltung des Kongresses stand ganz im Zeichen der binnen strukturellen und internationalen Veränderungen im Zuge der deutschen Einheit und der europäischen Einigung. Das Eröffnungsreferat des niedersächsischen Ministerpräsiden ten, Gerhard Schröder, .ist ein nachdrückliches Plädoyer für die Stärkung der Regionen zur Bewahrung der Bürgernähe von Politik angesichts des demokratischen Substanzver lustes der Staaten im Prozeß supranationaler Integration. Gerhard Lehmbruch wählte die Binnenperspektive der deutschen Einigung in seinem Beitrag und befaßt sich mit den Strukturen der Politikentwicklung und den strategischen Anpassungsprozessen der Ver einigung. Mein Beitrag ist den Optionen deutscher Politik in einer veränderten interna tionalen Umwelt gewidmet. Die Plenarbeiträge des Kongresses wurden durch ein breites Spektrum von Veran staltungen der Sektionen und Arbeitskreise der DVPW sowie einiger Ad-hoc-Gruppen ergänzt, über deren Arbeitsergebnisse die kurzgefaßten Berichte informieren. Für die technische Betreuung des Bandes möchte ich ganz herzlich Frau Gabriele Pieri und Herrn Martin Schmidberger danken. Beate Kohler-Koch 10 Inhalt Vorwort ..................................................................................... 5 Eröffnung .................................................................................. 15 Gerhard Schröder Deutschland in Europa Eröffnungsansprache des niedersächsischen Ministerpräsidenten ................. 17 Gerhard Lehmbruch Die deutsche Vereinigung Strukturen der Politikentwicklung und strategische Anpassungsprozesse ........ 22 Beate Kohler-Koch Optionen deutscher Politik in einer veränderten internationalen Umwelt.. ....... 47 Zukunft des Staates...................................................................... 71 Thomas Ellwein Staatlichkeit im Wandel Das Staatsmodell des 19. Jahrhunderts als Verständnisbarriere .................... 73 Martin Kriele Recht als gespeicherte Erfahrungsweisheit Eine "konservative" Theorie des Staates .............................................. 83 Fritz W. Scharpf Die Handlungsfiihigkeit des Staates am Ende des Zwanzigsten Jahrhunderts .... 93 Carl Röhret Zur Handlungsfiihigkeit des funktionalen Staates der spätpluralistischen Industriegesellschaft (Koreferat zu Fritz W. Scharpf) ................................ 116 Helmut Dubiel Konsens oder Konflikt? Die normative Integration des demokratischen Staates ... .......... ................. 130 Gerhard Göhler Konflikt und Integration (Koreferat zu Helmut Dubiel) ............................. 138 11

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