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Spielregeln für den Untergang: Die Welt des Nibelungenliedes PDF

504 Pages·1998·25.874 MB·German
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JAN-DIRK MÜLLER SPIELREGELN FÜR DEN UNTERGANG JAN-DIRK MULLER Spielregeln für den Untergang Die Welt des Nibelungenliedes MAX NIEMEYER VERLAG TÜBINGEN 1998 Gedruckt mit Unterstützung des Förderungs- und Beihilfefonds Wissenschaft der VG Wort Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Müller, Jan-Dirk: Spielregeln für den Untergang : die Welt des Nibelungenliedes / Jan-Dirk Müller. - Tübingen : Niemeyer, 1998 ISBN 3-484-10773-1 © Max Niemeyer Verlag GmbH, Tübingen 1998 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Printed in Germany. Gedruckt auf alterungsbeständigem Papier. Umschlaggestaltung: Art & Office Martin Lang, Walddorfhäslach Satz: Pagina GmbH, Tübingen Druck: AZ Druck und Datentechnik GmbH, Kempten Einband: Heinr. Koch, Tübingen In h a lt Avant-propos............................................................................................................. i E inleitung: Das Nationalepos und seine Interpreten - Aporien der Deu­ tung - Das Dilemma der Sagengeschichte - ,Vokalität‘ und kulturelles Wissen - Buchepische Integration im Zeichen der .Vokalität4 - Alterität: die Herausforderung der Ethnologie - .Spielregeln für den Untergang4 - Zum Vorgehen...................................................................................................... 6 I. Umschriften der Sage: Kollektiverinnerung? - Erzählen zwischen Mündlichkeit und Schriftlichkeit - Wie denkt man sich die Verschrift­ lichung der Sage? - Spuren der Arbeit an der Sage - Erzählen gegen die Tradition - Markierte Ersetzungen - Syntagmatische und paradig­ matische Integration (zur Isenstein-Episode) - Entproblematisierung, Wucherung, Amputation - Die Eingangsaventiure - Sagenhorizonte . 5 5 II. Heroisches E rzählen und buchepische Komposition: Unendliche Re­ de: Ein Epos fängt an — Buchepos und Initialformel: die unterdrückte Bewegung - Das Ende und sein Dementi - Buchepos und Sagenerinne­ rung - Sivrits doppelte Jugendgeschichte - Erzählen in fingierter Münd­ lichkeit: Hagens niuwemcere - Doppelungen - Störungen - Kalkulierte Unbestimmtheit...................................................................................................... 103 III. Nibelungische Gesellschaft: Personenverband- Treuekonflikte - Ambiguisierung von trium - Wer soll herrschen? - Heros, Adel, Landes­ herr - Heroen im Exil - Rehter beides muot - Frouwen Riehen - Warum der pfaffe als Opfer des H eros?............................................................................... 153 IV. Nibelungische Anthropologie: Wider Psychologisierung - ^orn - tru- reti - Spannung von .außen4 und .innen4 - herben jämer/her^eliebe - Die arme Königin - Kriemhilt, die gotes arme - Psychische Komplexität — Name und .Identität4 des Heros - übermuot - Personalität als Oberfläche. 201 V Inhalt V. Die Trübung der Sichtbarkeit: Transparenz der nibelungischen Welt - Antizipierte Sagenerinnerung - Löschen der Sichtbarkeit - Politik der Blicke - Verwirrung der Blicke - Worte und Zeichen I: Sivrits Trophäe - Worte und Zeichen II: Kampf um den Augenschein - Falscher Augen­ schein — Krieg der Blicke und Gewalt............................................................ 249 VI. Räume: Offener vs. abgeschlossener Raum - Raum, Institution, Perso­ nenkonstellation: %e hove - Regionalität und Fremde - Anwesenheit/ Abwesenheit - .Einander Nahekommen4 - Bedrohliche Ferne/gewalt- same Nähe - Vertikale Ordnung - Schrumpfung des Raums - Wege - Wuchern der nibelungischen W e lt................................................................. 297 VII. Gestörte und problematisierte Interaktionsregeln: Scheitern von Ritualen - milte und Herrschaft - Gestörte milte - Gratishandeln, miete, Ion - Ehre - Eid - Wahrheit setzende Sprechakte - suone und ergeben - gruo% - Waffentragen - dringen und schal - Ruhe und gäben....................... 545 VIII. Das Verspielen der höfischen Alternative: Ze hove\ Zeremoniell und Prachtentfaltung - Turnier und Gewalt - Frauendienst: das heroi­ sche Mißverständnis - Heros und Frauendiener - Wie dient man der vrouweï - Virtualisierende Gesten - Zusammenbruch höfischer Virtuali- sierung - Destruktion höfischer Form - Mahl - Das andere Fest - Blut und W ein ............................................................................................................... 389 IX. Dekonstruktion der nibelungischen Welt: Geistliche Kritik? - Dis­ tanzierung heroischer Muster? - Epidemie der Gewalt - De-Humanisie- rung - Perspektive?............................................................................................ 435 Literaturverzeichnis............................................................................................ 457 Register........................................................................................................................ 477 VI A v a n t -pr o po s Lange bevor ich das Nibelungenlied, ja selbst nur Teile daraus kannte, hakte sich in meinem Bewußtsein ein Problem fest. Es begegnete mir noch auf der Grundschule, und zwar in jener Vorschule der Germanistik, die man Aufsatzerziehung nennt. Wie man weiß, spielt dabei das Verfassen einer Gliederung eine Hauptrolle, die man dem sog. Besinnungs-Aufsatz voranzustellen hat: z. B. Einleitung, drei Punkte da­ für, drei dagegen, dann die ,eigene Meinung' und der Schluß. Zwischen Einleitung und Hauptteil aber gehörte die .Wiederholung des Themas in Frageform'. Der Beispielsatz dafür lautete: ,Wie nun ward Kriemhild zur Unholdin?' Ja, wie nun? Ich muß gestehen, daß mich die Frage seitdem nicht mehr los­ gelassen hat. Zuerst war es wohl die feierliche Unverständlichkeit des Satzes, die mich faszinierte, dann vielleicht seine prägnante Bezeichnung eines Merkpostens für regelgerechte Gliederungen, dann möglicherweise die Trägheit des menschli­ chen Gedächtnisses, das über Jahre allerlei Unbrauchbares mit sich herumschleppt, schließlich, und da muß ich schon Mediävist gewesen sein, die Einsicht, daß die Frage einige der Probleme anspricht, die die Nibelungenphilologie nach wie vor beschäftigen. Sie spiegelt ja nicht nur ein bürgerliches Befremden darüber, wie es mit einem wohlerzogenen Mädchen aus gutem Hause soweit kommen kann, son­ dern enthält implizit vor allem eine Hypothese, wie Geschichten erzählt werden müssen. Wenn Kriemhilt zur Unholdin ward, dann war sie es offenbar nicht von Anfang an. Es muß erst einiges geschehen, damit der Übergang vom einen zum anderen plausibel ist; man suchte nach einzelnen Ereignissen, die unter Zuhil­ fenahmen von .covering laws' und plausiblen Annahmen über die menschliche Seele und den Lauf der Welt erklären können, warum aus der Nicht-Unholdin die Unholdin wird. Die analytische Geschichtstheorie hat sich um die Struktur derartiger Geschich­ ten bemüht und ihren Erklärungsanspruch untersucht, und das .Nibelungenlied' wurde gelesen, als sei es ein historischer Bericht, wie ihn jene Theorie voraussetzt. Dabei mußte man dann feststellen, daß es die Erwartung plausibler Erklärungen durchweg frustriert. Offenbar gehört es zu einem anderen Typus von Geschichten, Geschichten nämlich, die sich nicht um möglichst lückenlose kausale Verknüpfüng sorgen, wie sie der psychologische Roman seit etwa 250 Jahren propagiert, Ge- i Avant-propos schichten, die überhaupt an psychischen Entwicklungen desinteressiert sind und überdies die Voraussetzungen nicht teilen, die die Annahme von solchen Entwick­ lungen stützen. So steht am Anfang des Buchs also eine törichte Frage, doch eine Antwort darauf will es nicht geben. Es will vielmehr zeigen, daß schon die Frage falsch gestellt ist. Nun ist die Warnung vor einfühlsamer Common-sense-Psychologie bei der Aus­ einandersetzung mit alten Epen nicht eben grundstürzend neu (was nicht hindert, daß der Common sense aller Zeiten sich unerbittlich das ihm Fremde einverleibt). So hat dieses Buch neben jenem negativen auch ein positives Ziel. Es will die Spielregeln der Welt beschreiben, in der sich jenes Geschehen vollzog, den Kredit bestimmen, den man diesem wie allen Erzählern einräumen muß. Dabei gilt es, die vielen angeblichen Widersprüche des ,Nibelungenliedes' unter die Lupe zu nehmen. Unbestreitbar gibt es solche Widersprüche im Gang der Handlung immer wieder, und es werden eine Reihe von ihnen zu kommentieren sein. Aber sie werden nicht als ,Fehler' betrachtet, an denen das ästhetische Mißlingen des Epos ablesbar ist, sondern als Spuren, die auf eine andere Sicht der Welt und eine andere Ästhetik hinführen. Das erfordert eine Abkehr nicht nur von den lebensweltlichen Normen eines naiven Realismus, sondern auch von jener anspruchsvolleren .realistischen' Roman­ poetik, wie sie grosso modo etwa zwischen 1750 (der Aufstiegsphase des Romans) und 1880 - der Konsolidierungsphase der Germanistik - literarisches Programm war. Die Wissenschaft von der neueren Literatur geht längst davon aus, daß dieses Programm weder für die vorausgehende noch die nachfolgende Literatur taugt, und sie hat selbst die Literatur des Realismus im 19. Jahrhundert als eine subtile poetische Veranstaltung erwiesen, die ihren mimetischen Anspruch unterläuft. Die Forschung zur Heldenepik kann sich nicht mehr wie in ihrer Frühphase auf ein nur scheinbar überzeitliches, in Wirklichkeit der Ästhetik des 19. Jahrhunderts ver­ pflichtetes Programm poetischer Mimesis berufen. Es ist also nach dem besonderen Kontrakt zwischen Erzähler und Rezipient zu fragen, der Voraussetzung jeden Erzählens ist, wo bislang noch häufig an die Stelle des .suspended disbelief', den jeder ernstzunehmende Text zwischen Homer und James Joyce (und darüber hinaus) beansprucht, das totale Mißtrauen tritt (,wo hat er sich jetzt schon wieder geirrt?'). Große Literatur hat sich freilich noch nie um das kleinliche Nachbuchstabieren einiger ihrer Rezipienten geschert. Der Texttypus .Hier irrte Goethe' verdankt diesem Umstand seinen Ursprung - und seinen be­ scheidenen Witz. Mit kriminalistischem Scharfsinn nachzuweisen, wo Dinge offen, dunkel, doppeldeutig, gar widersprüchlich bleiben, ist eine Sache, der sich die Nibelungenforschung der letzten 150 Jahre mit seltener Hingabe gewidmet hat. Weit schwieriger ist es darzutun, warum es an diesen und jenen Stellen zu solchen Problemen kommt, welche ästhetischen Prinzipien Lösungen nahelegen, die ,wir heute' so nicht erwarten und die mit dem, was wir wissen, nicht recht in Überein-

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