ISNM INTERNATIONAL SERIES OF NUMERICAL MATHEMATICS INTERNATIONALE SCHRIFTENREIHE ZUR NUMERISCHEN MATHEMATIK SERlE INTERNATIONALE D'ANALYSE NUMERIQUE Editors: Ch. Blanc, Lausanne; A. Ghizzetti, Roma; P. Henrici, Zurich; A. Ostrowski, Montagnola; J. Todd, Pasadena VOL. 44 Spiele auf Graphen Bernd Kummer Humboldt-Universitiit Berlin 1980 Springer Basel AG CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Kummer, Bernd: Spiele auf Graphen / Bernd Kummer. — Basel, Boston, Stuttgart: Birkhäuser, 1980. (International series of numerical mathematics; Vol. 44) ISBN 978-3-0348-5482-5 ISBN 978-3-0348-5481-8 (eBook) DOI 10.1007/978-3-0348-5481-8 Nachdruck verboten. Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen und der Reproduktion auf photostatischem Wege oder durch Mikrofilm, vorbehalten. © Springer Basel AG 1980 Ursprünglich erschienen bei Birkhäuser Verlag Basel, 1980 Lizenzausgabe für nicht sozialistische Länder: Vorwort Die vorliegende Broschtire wendet sich an spieltheoretisch interessierte Leser, die mit den grundlegenden Begriffen der Mengenlehre und mit mathematischen SchluB weisen vertraut sind. Sie hat eine besondere Klasse strategischer Spiele mit voll standiger Information zum Gegenstand, die - spieltheoretisch nicht ganz exakt - haufig als "Spiele auf Graphen" bezeichnet werden und unter denen die sogenannten Nimmspiele die bekanntesten darstellen. Mit diesem Btichlein werden zwei Ziele verfolgt. Erstens und hauptsachlich sollen verschiedene Losungsbegriffe, und zwar vor allem Gleichgewichtssituationen, fUr diese Spiele untersucht werden. Zweitens solI der Leser anhand einer speziellen Spiel klasse mit einigen Fragestellungen der Spieltheorie vertraut gemacht werden. Ab gesehen von der Losung mehrerer konkreter Spiele werden die Ergebnisse theore tischer Art sein und sich von klassischen Aussagen zum selben Gegenstand vor wiegend darin unterscheiden, daB in den Spielen Partien unendlicher Lange auf treten dtirfen und Eigenschaften der verschiedenen Losungen - tiber die Frage nach der Existenz hinaus - im Mittelpunkt stehen. An mehreren entscheidenden Stellen wird an Uberlegungen von C. BERGE [1] angekntipft, und einige neue Aspekte werden hinzugefUgt. Die hier dargelegten Resultate stammen teils aus meiner Dissertation A [1] - bei dieser Gelegenheit mochte ich Herrn Prof. Dr. N. N. VOROB'EV und Herrn Dr. K. LOMMATZSCH fUr die dabei geleistete Betreuung meinen herzlichen Dank aussprechen -, teils aus spateren Untersuchungen, ftir die auch die Arbeit von J. SKOLE [1] interessante Impulse gab. Ich danke weiterhin Frau A. BEHRENDT fUr das Schreiben des Manuskripts, Frau Dipl.-Math. G. REmER fUr die stets wohlwollende Untersttitzung seitens des Verlages und ferner der Druckerei fUr den sorgfaltigen Satz. SchlieBlich mochte ich betonen, daB mir kritische Bemerkungen zu diesem Biich lein jederzeit willkommen sind. Berlin, Sommer 1979 BERND KUMMER Inhalt Einleitung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . .. 9 1. Termioalspiele; Begriffe uod Symbole 15 1.1. Definition eines Terminalspiels . . . . 16 1.2. Beispiele. . . . ......... . 17 1.3. Strategie, Situation, Gewinnfunktionen 18 1.4. Losungsbegriffe. . . . . . . . . . . 20 1.5. Spezielle Klassen von Terminalspielen und Graphen 21 1.6. Lokale Endlichkeit und Ordnung eines Graphen 22 1.7. Aufgaben ................. . 23 2. Nimmspiele 25 2.1. Globale Gleichgewichtssituationen und Gewinn-Verlust-Zerlegung 26 2.2. Die Grundy-Funktion und Summen der Ordnung p 30 2.2.1. Motivierung und Ergebnisse im endlichen Fall 30 2.2.2. Der transfinite Fall . . . . . . . . . . . . . . 34 2.2.3. Grenzen der Grundy-Funktion . . . . . . . . . 37 2.3. Die Spiel£unktion und das Produkt von Nimmspielen 41 2.3.1. Definition der Spielfunktion . . . . . . . . . . . 41 2.3.2. Spielfunktion und optimale Strategien eines Nimmspiels 43 2.3.3. Das Produkt von Nimmspielen 46 2.4. Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 47 3. Aotagooistische Termioalspiele . . . . . 49 3.1. Wertfunktionen und Losungen . . . . . 50 3.2. Existenz und Eigenschaften von Losungen 58 3.3. Aufgaben . . . . . . . . . . . . . . 64 4. TerminaJspiele . . . . . . . . . . . . . . . . 66 4.1. Losungsfunktionen und Gleichgewichtssituationen 67 4.2. Besonderheiten von Gleichgewichtssituationen . . 72 4.2.1. Spiele ohne Losungsfunktionen . . . . . . . . . 72 4.2.2. Fehlende Gleichwertigkeit und Rechteckigkeit von Gleichgewichtssituationen 76 8 Inhalt 4.3. Bemerkungen zur Existenz von Gleichgewichtssituationen 79 4.3.1. Offene Fragen . 79 4.3.2. Zwei Ergebnisse. 80 4.4. Aufgaben 83 Anhang. Algebraische Grundlagen A.1. W ohlordnungen. . . . . . . . . 85 A.2. Ordinalzahlen und ihre Summe .. 87 A.3. Zur Anwendung des Induktionsprinzips 88 Literatur 90 Verzeichnis der Beispiele 93 Sachverzeichnis. . . . . 94 Einleitung Seit dem Erscheinen der fundamentalen Monographie "Spieltheorie und okono misches Verhalten" von J. VON NEUMANN und O. MORGENSTERN [1] im Jahre 1944 hat die Spieltheorie als mathematische Disziplin eine rasche Entwicklung genommen. Einerseits vergroBerte sich das Feld der untersuchten mathematischen Modelle und der entsprechenden Losungsbegriffe, andererseits gelang es, zahlreiche Spielklassen grundlicher zu erforschen, kliirende theoretische Aussagen zu finden und das An wendungsgebiet der Theorie zu erweitern. So ist es nicht verwunderlich, daB in der Bibliographie "Teorija igr" (Redaktion N. N. VOROB'EV, Nauka, Leningrad 1976) allein bis Ende 1968 insgesamt 2255 Arbeiten registriert sind, die sich mit theore tischen Problemen der Anwendung dieser jungen Disziplin beschiiftigen. Sucht man in der Literatur nach einer exakten Definition fur "Spiele auf Graphen", so wird man allerdings auf einen Erfolg verzichten mussen. Zwar taucht der Begriff nicht selten auf und erscheint auch im Rubrikator der oben genannten Bibliographie, doch kennzeichnet er mehr eine groBe Familie recht unterschiedlicher Spiele denn eine klar umrissene Spielklasse. Als die allgemeinsten Graphenspiele konnte man die von BERGE [1] studierten Spiele mit vollstandiger Information auffassen. Sie sind durch einen beliebigen gerichteten Graphen beschrieben, dessen Knoten p in n Klas sen eingeteilt und jeweils mit einem reellen n-Vektor (H (p), H (p), ... , Hn(p)) be 1 2 wertet sind. Der Mechanismus, nach dem ein solches Spiel konkret abliiuft und den man gewohnlich Partie nennt, liiBt sich leicht veranschaulichen: Es wird ein "Stein" auf dem Graphen von Knoten zu Knoten geschoben, und zwar jeweils entlang eines Bo gens und von demjenigen der n Spieler, in dessen Knotenklasse der Stein liegt. Werden dabei in der Partie die Knoten pI, p2, ... durchlaufen (hierzu muB ein "Anfangsknoten" pI vorgegeben sein), so erhiilt Spieler (i) den Gewinn Ht = sup Hj(pk) k=1.2 •... (falls (i) ein "aktiver" Spieler ist) bzw. Hi = inf H;(pk) (falls (i) ein "passiver" Spieler ist). k=1.2, ... Wesentlich einfacher sind die sogenannten Nimmspiele: Der Stein wird von nur zwei Spielern abwechselnd auf einem Graphen entlanggeschoben, und es verliert, wer nicht mehr ziehen kann (dann ist ein "Endknoten" des Graphen erreicht). Die von uns untersuchten Spiele gleichen bis auf die Gewinndefinition den erst- 10 Einleitung genannten. Wir erklaren einen Gewinn (er kann auch negativ sein) dann und nur dann, wenn die Partie abbricht, d. h., wenn ein Endknoten p des Graphen erreicht wird. In diesem Fall erhiilt Spieler (i) den Gewinn Hj(p). Formal handelt es sich hier bei entsprechend der Bergeschen Terminologie um Spiele mit vollstandiger Infor mation und Terminalgewinn, die wir im weiteren kurzer Terminalspiele nennen werden. Innerhalb der Hierarchie der von der Spieltheorie bislang studierten Modelle ordnen sich Terminalspiele (sofern wir aIle Partien als endlich untersteIlen) zunachst in die groBe Klasse der strategischen Spiele ein und hier wiederum in die Positions spiele diskreten Typs. Als Strategie eines Spielers betrachten wir eine Funktion, die jedem Knoten seiner Klasse einen erlaubten "Zug" (entsprechend der yom }(poten ausgehenden Bogen) zuordnet. Positionen sind die Knoten des Graphen; diskret ist die Folge der durch laufenen Positionen (die gelegentlich ebenfalls als Partie bezeichnet wird). Da wir voraussetzen, daB aIle Spieler stets die Bewegung des Steins verfolgen konnen, also zu jedem Zeitpunkt der Partie die momentan erreichte und aIle schon durchlaufenen Positionen kennen, liegt schlieBlich vollstandige Information vor. Es sei bemerkt, daB man zu einem Spiel mit unvollstandiger Information durch kompliziertere Ver einbarungen gelangt: Der am Zuge befindliche Spieler weiB nur, daB sich der Stein in einer gewissen Teilmenge aller "seiner" Knoten aufhalt. Von jedem dieser Knoten gehen gleichviele, sagen wir t, Bogen aus, die jeweils durchnumeriert sind. Der Spieler hat nun eine der Alternativen 1, 2, ... , t zu wahlen, wonach sich der Stein auf dem zugeordneten Bogen weiterbewegt. Die Schwierigkeit besteht hier darin, daB die Wahl einer Alternative gut sein kann, wenn sich der Stein in dem einen Knoten der Teilmenge befindet, aber schlecht, wenn er in einem anderen Knoten liegt. Typische Reprasentanten fUr derartige Spiele sind Kartenspiele; aber auch aIle Spiele in Normalform, z. B. Matrixspiele, lassen sich in dieser Weise interpretieren. Wir haben die Frage nach der Informiertheit der Spieler angeschnitten, um die Scharfe der Forderung nach vollstandiger Information hervorzuheben. Sie auBert sich formal in der Annahme, die Teilmengen (gewohnlich Informationsmengen ge nannt) seien einelementig, und inhaltlich in der genauen Kenntnis des Zustandes, in dem sich eine Partie gerade befindet. Und nicht zuletzt hat sie entscheidende. Aus wirkungen auf die L5sbarkeit dieser Spiele. Wahrend namlich in Spielen mit vollstandiger Information Gleichgewichtssituatio nen bezuglich der ursprunglichen (reinen) Strategien der Spieler bereits unter sehr schwachen Voraussetzungen existieren, gibt es derartige LOsungen schon bei ein fachsten Spielen mit unvollstandiger Information nicht (weshalb es dort sinnvoll ist, zu sogenannten "gemischten" Strategien uberzugehen). Grundlegende Ergeb nisse fur Spiele mit unvollstandiger Information findet man in den Arbeiten von KUHN [1], VOROB'EV [2,4] sowie in den im Literaturverzeichnis mit (UI) bzw. (GS) gekennzeichneten Publikationen. Ohne einen historischen AbriB der Entwicklung der Spieltheorie bringen zu wollen - wir verweisen in diesem Zusammenhang auf die vorzugliche Darstellung von VOROB'EV (WOROBJOW) [5] - sei festgestellt, daB die mathematische Unter suchung von Spielen mit vollstandiger Information zu Beginn dieses Jahrhunderts Einleitung 11 (ZERMELO [1] 1912, KONIG [1] 1927, KALMAR [1] 1928/29, GRUNDY [1] 1939) bereits entscheidende Ideen und wichtige Resultate fill' die spateI' durch v. NEUMANN und MORGENSTERN begriindete Theorie del' Spiele hervorbrachte. Besondere Bedeutung besaB die Arbeit [1] von ZERMELO, die den mengentheoretischen Zugang fUr das Studium von Spielen mit vollstandiger Information eroffnete. Dadurch wurde es l11oglich, die Existenz (reineI') optimaler Strategien (bzw. die Existenz von Gleich gewichtssituationen im nichtantagonistischen Fall) in Spielen mit beschrankter Pal'tielange durch vollstandige Induktion iiber die Lange del' langsten Partie zu be weisen. Dieselbe Idee benutzte auch BERGE [1] 1957 zum Nachweis del' Existenz globaler Gleichgewichtssituationen in Spielen mit vollstandiger Information und endlich vielen Gewinnstufen (diskrete Zahlung) unter del' Voraussetzung, daB alle Partien endlich sind. Sein Beweis unterscheidet sich yom klassischen allein in del' Technik: Vollstandige Induktion wird durch transfinite Induktion ersetzt. Da del' Induktionsbeweis auch noch konstruktiv ist, erscheint das Auffinden einer Gleich gewichtssituation bis auf technische Schwierigkeiten - die jedoch, wie beim Schach spiel, betrachtlich sein konnen - als unproblematisch. Somit sind die Hauptfragen del' Spieltheol'ie fUr die wichtigsten del' hier betrachteten Terminalspiele weitgehend gekliirt. Was also sind Ziel und Gegenstand unserer Untersuchungen? Wir wollen einerseits zeigen, daB auch in del' scheinbar heilen Welt del' endlichen Tenl1il1alspiele mit beschrankter Partielange einige wesentliche, den Losul1gsbegl'iff betl'effel1de Fragen offen sind, und wollen al1dererseits auch Terminalspiele mit un el1dlichen Partien (fUr die a priori keil1 Gewinn definierl ist) einer genaueren Analyse ul1tel'ziehen. Die Untersuchungen gruppieren sich urn den fUr nichtkooperative Spiele zentralen Losungsbegriff del' Gleichgewichtssituation. Wir unterscheiden hierbei ent sprechend del' Terminologie von BERGE [1] zwischen lokalen und globalen Gleich gewichtssituationen, je nachdem, ob eine Situation die Gleichgewichtsbedingung mit einer festen Anfangsposition oder fiir aIle Positionen zugleich erfiillt, und zusatzlich zwischen starken und schwachen, wobei erstere stets endliche Partien liefern sollen, fUr letztere abel' auch unendliche Partien zugelassen sind. Ungeachtet diesel' aus technischen Grunden notigen Differenzierungen repriisen tiert cine Gleichgewichtssituation bekanntlich einen Losungsbegriff fUr nicht kooperative, strategische Spiele, del' verschiedene Tiicken aufweist. Wir wollen des halb den Begriff del' Gleichgewichtssituation etwas genauer betrachten. Zunachst ist eine Gleichgewichtssituation eine Situation, d. h. eine mogliche Kombination 8 = (S1, 82, ••• , sn) del' Strategicn del' n Spieler, und Spieler (i) erhiilt bei diesel' KOl11- bination einen Gewinn hi(S1' ... , 8n), von dessen Art del' Abhangigkeit von del' ge spielten Partei wir vorerst absehen konnen. Die Gleichgewichtsbedingung besagt nun, daB kein Spieler daran interessiert ist, als einziger von del' Situation S abzuweichen. )tIit anderen Worlen, es solI fUr aIle i und fiir aUe Strategien t; von Spieler (i) gelten: Diese Forderung ist verniinftig, weil Kooperation del' Spieler untereinander, also ein Abstimmen ihrer Strategien, verboten ist (andernfalls ware es sinnvoller, Hj(s) auch mit den Gewinnen in beliebigen anderen Situationen t zu vergleichen). Die ange sprochenen Tiicken resultierell aus Eigellschaften del' Menge aller Gleichgewichts-