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Space & Texture Hertl.Architekten PDF

209 Pages·2009·25.723 MB·German
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SPACE & TEXTURE HERTL.ARCHITEKTEN SPACE & TEXTURE HERTL.ARCHITEKTEN HERAUSGEGEBEN VON MATTHIAS BOECKL FOTOGRAFIERT VON PAUL OTT KOMMUNIKATION, KALKULATION UND INTUITION Matthias Boeckl 6 COMMUNICATION, CALCULATION AND INTUITION 12 ARCHITEKTUR IM BILD IsabellaMarboe 18 ARCHITECTURE IN FOCUS 21 IN EINEM ZUSAMMENHANG – KONTEXT UND KONTEXTUELLES Wojciech Czaja 26 IN CONNECTION – CONTEXT AND THE CONTEXTUAL 28 GESPANNTE RUHE – LICHT UND RAUM Arno Ritter 48 TAUT CALM – LIGHT AND SPACE 50 ZÄSUR ODER ZWISCHENWELT? – DIESCHWELLE Matthias Boeckl 78 CAESURA OR INTERMEDIATE WORLD? – THETHRESHOLD 80 TEXTUR VERSUS TEXT – DIEOBERFLÄCHE Andrej Hrausky 100 TEXTURE VERSUS TEXT – THESURFACE 102 PARS PRO TOTO – DAS DETAIL RomanaRing 122 PARS PRO TOTO – THEDETAIL 124 EINUNDZWANZIG BAUTEN | TWENTYONE BUILDINGS 147 RUBINHAUS, STEYR-CHRISTKINDL, 1997-1999 |RUBYHOUSE 148 HALLENBAD AM HOF, KLEIN-PÖCHLARN, 2000-2002 | INDOOR BATH AT FARMHOUSE 150 DORFHAUS GLEINK, GLEINKBEI STEYR, 2000-2002 | VILLAGE HOUSE GLEINK 152 HARTLAUER GESCHÄFTSHAUS, AMSTETTEN, 2001 | HARTLAUER WAREHOUSE 154 ALTSTADTHAUS SCHLÜSSELHOFGASSE, STEYR, 2002-2003 156 OLDTOWNHOUSE SCHLÜSSELHOFGASSE 158 STEINWENDTNER HAUS, STEYR, 2002-2003 | STEINWENDTNER HOUSE 160 INTERNAT BERUFSSCHULZENTRUMLINZ, 2002-2008 162 BOARDING SCHOOL AT VOCATIONAL SCHOOL CENTRE 164 WOHNBAU ST. MAGDALEN, VILLACH, 2002-2006 | HOUSINGST. MAGDALEN 166 STADTPLATZPASSAGE, STEYR, 2002, 2004-2005 | CENTRAL PLAZAPASSAGE 168 SEIDL HAUS, MOLLN, 2003-2004 | SEIDL HOUSE 170 GLASHAUS WOLFERN, 2003-2005 | GREENHOUSE WOLFERN 172 SPORTZENTRUM WOLFERN, 2003-2006 | SPORTS FACILITIES WOLFERN 174 TECHNOLOGIEHAUS STADTGUT, STEYR, 2003-2004, 2005-2007 | STADTGUT TECHNOLOGYHOUSE 176 ECKERABU ZAHRA HONIGHAUS, LUFTENBERG, 2004-2006 | ECKERABU ZAHRA HONEY-HOUSE 178 ENNSPUMPSTATION, STEYR, 2004-2005 | ENNSPUMP STATION 180 ONKELFREDSHÜTTE, STEYR, 2004-2005 | UNCLEFRED’S CABIN 182 KRAMMER HAUS, WAIDHOFEN / YBBS, 2005-2006 | KRAMMERHOUSE 184 TABOR TURM RESTAURANT, STEYR, 2005-2006 | TABOR TOWER RESTAURANT 186 REFORMFENSTERFABRIK, STEYR, 2005-2007 188 REFORMWINDOWFACTORY 190 SCHUTTING HAUS, GARSTEN, 2006-2008 | SCHUTTING HOUSE 192 SÜDPOOL, STEYR, 2006-2008 194 SÜDPOOL 196 WERKVERZEICHNIS | LISTOF WORKS 198 BIOGRAFIE | BIOGRAPHY 207 IMPRESSUM | IMPRINT 208 KOMMUNIKATION, KALKULATION UND INTUITION Die Architektur von HERTL.ARCHITEKTEN und die Formfindung im Medienzeitalter Matthias Boeckl Gernot Hertls Laufbahn liest sich wie die Traumkarriere eines schreibt am Beispiel des Hauses Krammer inmitten der Alt- Architekten: Studium in Mindestzeit, drei Jahre Projektleiter stadtkulisse von Waidhofen an der Ybbs einen weiteren in einem etablierten regionalen Architekturbüro, danach Er- Hertl-typischen Entwurfsprozess: „Der Bauherr beauftragte öffnung des eigenen Büros und kaum zehn Jahre später be- den Architekten mit der Erweiterung eines alten Hauses, das reits ein gebautes Oeuvre, das andere Büros oft nicht einmal an einer strategischen Stelle liegt: Eine erhöhte Plattform mit in der doppelten Zeitspanne erarbeiten. Dazu das Prestige einem bevorzugten Blick auf den Fluss. Er gab ihm carte blan- als einer der begabtesten und ambitioniertesten Planer des che in Bezug auf die Artikulation der Volumina und die Wahl Landes samt beachtlicher Präsenz in internationalen Fach- der Materialien, bat ihn aber auch explizit, der Versuchung ir- medien. Und das alles trotz Bürositz in einer oberösterreichi- gendwelcher Nachahmungen zu widerstehen. Hertls Antwort schen Kleinstadt weitab der großen Architekturzentren. Wie war radikal. Er entfernte das alte Satteldach und setzte auf geht das? Kann ein derartiger Erfolg in jugendlichen Jahren den bestehenden Baukörper eine neue prismatische Form, die nachhaltig sein? er teleskopartig verlängerte und zur anderen Talseite hin aus- kragen ließ“ (Domus, Juni 2006). Die vollständige Einkleidung Stimmung, Struktur, Stadtumbau aller sechs Seiten des neuen Körpers in Anthrazit-Eternit tat Zweifellos, denn Gernot Hertl scheint unbewusste Erwartun- ein Übriges, den Eindruck gestalterischer Radikalität zu er- gen und sensible Anliegen sowohl seiner Bauherren als auch zeugen. derFachdebatte und der Öffentlichkeit mit beeindruckender Doch Hertl ist nicht nur Designer oder Stimmungsdramaturg. Sicherheit zu treffen. So war es auch beim kleinen Einfamili- Er beherrscht auch die strukturellen Debatten der Zunft. Die enhaus Steinwendtner, das in Holzbauweise errichtet wurde. alte Materialgerechtigkeit, wie sie die moralisierende klassi- Alles lief wie von selbst. Einige Gespräche mit den Bauher- sche Moderne forderte, ist ihm ebenso geläufig wie die aktu- ren, eine Ahnung ihrer Wünsche, einige Skizzen – schon stand elle Nachhaltigkeitsforderung. Gewerbebauten in Beton, die Planung fest und wurde unverändert ausgeführt. Diese Kleinhäuser in Holz, Fassaden als Manifest ihrer Eigenstän- Präzision beim Entwerfen einer bestimmten, unbewusst er- digkeit ganz ohne „Etikettenschwindel“ über ihre Funktion – warteten Atmosphäre rang einem Fachmagazin für Holzbau diese Lehren des 20. Jahrhunderts werden ganz selbstver- schon vor einigen Jahren Bewunderung ab. Im Mittelpunkt ständlich als eine Art Basisprogramm umgesetzt, ohne ihnen stand dabei der diffuse Begriff „Stimmung“ sowie Hertls ei- eine übertrieben identitätsstiftende Bedeutung zu geben. gene Interpretation ihrer Funktion: „Diese Erfahrungen (beim Und „Nachhaltigkeit“ wird ebenso selbstverständlich erzielt, Haus Steinwendtner) haben das Büro geprägt: »Wir entwik- allein schon durch die Funktion vieler Bauten Hertls, die „nur“ keln Räume aus dem, was wir uns an Stimmungen vorstellen.« Um- oder Zubauten sind. Denn der Stadtumbau ist in Mittel- Dabei versucht Hertl, diejenigen Elemente zu finden, die diese europa heute bereits eine umfangreichere Bauaufgabe als Stimmungen erzeugen können, bei ansonsten möglichst ein- die bedenkenslose Vermehrung der vorhandenen Strukturen. fachen und reduzierten Mitteln: »Diese raumprägenden Ele- Hertls wichtigste große Projekte der vergangenen Jahre – mente werden dann bewusst überbetont, haben sehr oft auch das Berufsschulinternat in Linz, das Hochhaus in Steyr – sind intensive Farben – um sicher zu gehen, dass sie wahrgenom- derartige zeittypische Projekte mit hohem „Ertüchtigungs“- men werden, wenn auch unterbewusst« “ (Harvest Magazin, Effekt für die jeweiligen urbanen Kontexte. So reagieren sie September 2005). Eine geschickte Psychologie der Raum- auf eine der wichtigsten Agenden der aktuellen Architektur- empfindungen? Selbstdarstellungen und Mitteilungen, die produktion in Europa. Und die kleineren Bauten kommen ein Bauherr erst durch die kommunikativen Fähigkeiten des meist mit einem absoluten Minimum an Material und nicht- Architekten unerwartet und überraschend präsentieren erneuerbaren Ressourcen aus. kann? DerArchitekt als Dramaturg? Dennoch: Hertls Bauten betören ihre Nutzer und Besucher Domus, die weltweit bekannteste Architekturzeitschrift, be- schon außen mit frappanten Fassaden, mit einem Überra- 6 schungs-Coup, der Sehgewohnheiten vorerst einmal außer dasPathos der Übertreibung, das unsere zeitgenössische Zi- Gefecht setzt und emotionale Erwartungen erfüllt, die man vilisation auratisieren soll. Josef Hoffmann repräsentiert die vorher nicht unbedingt an Architekturerlebnisse, sondern Arts-and-Crafts-Tradition, die in der technischen und ästhe- eher an Designobjekte gerichtet hätte. Innen begeistern sie tischen Perfektionierung des Handwerks einerseits eine Al- mit ebenso überraschenden räumlichen Entwicklungen und ternative zur Industrialisierung der Gewerbe und anderer- radikalen gestalterischen Details. Mini-Einfamilienhäuser seits auch ein Mittel zur moralischen Erneuerung des Einzel- mit (sonst eher villentypischen) zweigeschossigen Hallen, nen und sogar der Gesellschaft sah. Wie bei Hertl spielen die durch Doppelnutzung bestimmter Raumzonen möglich auch bei ihm Oberflächen, Materialien und die Modellierung gemacht werden. Oder vier alte Landwirtschaftssilos, die der Baukörper zentrale Rollen in der Entwurfsgenese. Räume Hertl als Markenzeichen in ein gläsernes Schaufenster stellt werden nicht nur nach mechanisch-funktionalen Kriterien, und innen als Café nutzt. Fenster, die am Boden sitzen, Ram- sondern auch nach jenen der Wahrnehmung zugeschnitten. pen, die ganze Wohnhäuser durchziehen. Die Beispiele ließen Sie sind entweder sehr hoch, richtig eckig, ziemlich eng oder sich fast beliebig erweitern. extrem offen. Oder das jeweilige Gegenteil dieser emotiona- len Wahrnehmungen, jedenfalls aber entschieden, eindeutig, Traditionen der Moderne demonstrativ. Übertreibung ist nicht erst bei Koolhaas, son- Hertls Entwurfshaltung wirft Fragen nach der Natur und Her- dern schon bei Hoffmann ein gern verwendetes Instrument. kunft dieser speziellen Ästhetik auf. Klarheit, Ablesbarkeit, Hertls Materialien sind stets homogen, meist ein ganzer Übersichtlichkeit, Homogenität, Materialität und Bündigkeit Raum inklusive Boden und Decke, oft sogar ein ganzes Haus sind einige Begriffe, die dabei eine Rolle spielen. Und diese werden in einem einzigen oder sehr wenigen verschiedenen Phänomene beschränken sich keinswegs auf die Oberflä- Materialien gefasst. Oberflächen sind bei Hertl wie bei Hoff- chen, sondern betreffen auch die Raumorganisation und die mann Bekenntnisse und transportieren intensive Empfin- Baukörpermodellierung. All das handelt innerhalb des ge- dungen, sei es der Tiefenzug durch Glaswände, der Werk- stalterischen Bereichs der Architektur, gesellschaftliche stattcharakter durch OSB-Platten oder die Coolness einer Fragen bleiben auf den ersten Blick ausgespart. Die einge- schwarzen Eternithaut für ein ganzes Haus. Dieses All-Over hendere Analyse wird jedoch zeigen, dass Hertl substantielle ist typisch für beide Architekten und es zeugt von einer intui- Beiträge zum Problem des Umbaus unserer Realität nach tiven Sicherheit im Gestaltungsprozess, der eher ein erupti- Kriterien einer sehr zeitgenössischen Ästhetik leistet. Ge- ves Statement ist. Für die jeweilige Entwurfsaufgabe ist wisse Querbeziehungen gibt es auch zum alten Gesamt- kaum mehr eine andere Lösung vorstellbar, sobald diese kon- kunstwerk-Ideal aus der Frühzeit der Moderne, in der Le- krete Form steht. Entwerfen bei Hertl, das ist eine Feststel- bensreformbewegung um 1900, etwa in der Ausprägung der lung von Tatsachen, kein Prozess. WienerSecession. Was gesagt werden soll, das wird gebaut, Le Corbusier erfand für die Moderne eine Kunst der Kompo- derRest ist eher nebensächlich und muss nicht unbedingt zu sition aus abstrakten Flächen und räumlichen Verflechtun- Wort kommen. Immaterielles wird im Material angedeutet, gen – die berühmte „promenade architecurale“. Aus weißen das reicht. Hertl nimmt da eine pragmatische Haltung ein, in Kuben, Prismen und hauchdünnen Wänden formte er ein ele- radikalem Gegensatz zu den naiven Hoffnungen der 1960er mentares Bau-Alphabet. In seinem Buch „Vers une architec- und 1970er Jahre, das Bauen als Hebel für Gesellschaftspo- ture“ behauptete er sogar, dass alles Bauen schon in der An- litik nutzen zu können. Hertl verfolgt einen wesentlich prak- tike endgültig formuliert worden sei, dass etwa Rom aus- tischeren Zugang. Unbefriedigende Bauverhältnisse sollen schließlich aus einzelnen oder kombinierten geometrischen unmittelbar verbessert werden, der wohlüberlegte Eingriff Grundkörpern bestehe (Cestiuspyramide, Engelsburg, Pan- muss effizient sein und seine Wirkung sofort entfalten. Das theon, Kolosseum). Öffnungen werden bei Le Corbusier stets ist vielleicht auch der Unerbittlichkeit der ländlichen oberö- bündig zu Seitenwänden und Fassaden gesetzt, das Fenster- sterreichischen Agrar- und Industriekultur geschuldet, der band der Villa Stein findet sich fast wortgleich in Hertls Haus jedes Verständnis für verspielte Experimente fehlt. Steinwendtner. Auch der plakative Kontrast zwischen großen Im Laufe der Geschichte der Moderne haben sich verschie- dünnen Glasflächen und ebenso großen massiven Partien dene, oft konträre Traditionen entwickelt. DiePositionierung entstammt dieser ästhetischen Tradition der Moderne. Pas- eines zeitgenössischen Oeuvres wird oft durch die Beschrei- serellen, die Lufträume durchschneiden, Rampen, die Ni- bung seines Verhältnisses zu den Schlüsselpositionen dieser veausprünge ausgleichen, all diese Vokabel der „promenade Geschichte erleichtert. Bei Hertl bieten sich für diese Veror- architecturale“ finden sich gleichermaßen bei Hertl und Le tung die Strategien von Josef Hoffmann, Le Corbusier und Corbusier. Rem Koolhaas an. Der erste steht für den pragmatisch-prak- UndRem Koolhaas? Was verbindet Hertl mit dem wichtigsten tischen Ansatz, der zweite für die abstrahierende Tendenz in Stimulator der zeitgenössischen Architektur? Zwei Worte ge- derOrganisation von Flächen und Räumen und der letzte für nügen: Reduktion und Übertreibung. Dieses plakative Prinzip, 7 das Koolhaas seit den 1970er Jahren durch seine frühe Ar- der 1960er Jahre tapfer an, HansHollein forderte etwa eine beit als Journalist entwickeln konnte, ist Garant für Aufmerk- Architektur als geistiges Symbol statt ihrer banalen Funktion samkeit in der Mediengesellschaft, aber auch Chance für die als Bedarfsdeckung. Doch sie alle, die alten Modernen und Verwirklichung einer Reihe grundlegender Innovationen. die etwas jüngeren Postmodernen der vergangenen Jahr- Etwa beim „Educatorium“ der Universität von Utrecht. Jeder- zehnte, wurden von der viel mächtigeren Entwicklung der di- mann kennt aus der eigenen Schulzeit das entnervende Sam- gitalen Revolution überrollt, die zu einer grundlegenden Vir- melsurium von Tafel, Machtsymbolen, Waschbecken und Zei- tualisierung des Erlebens geführt hat. Heute ist die sichtbare cheninstrumenten, das die Stirnwände von Klassenräumen Welt nur mehr ein ungestalteter, schmutziger Teil unserer verunziert. Koolhaas reduzierte und übertrieb genau das. Die cleanen globalen Wohnlandschaft. Im Fernsehen, im Inter- Heterogenität der Objekte wurde auf das einzige Element der net, im Shopping Mall, in der Industrie und einigen anderen Tafel reduziert. Und dieses Element wurde übertrieben, in- Trakten des globalen Gebäudekomplexes hat man schon dem daraus die gesamte Stirnwand der Auditorien geformt „aufgeräumt“. Übersichtliche Raumfolgen, gefällige Rhyth- wurde. Oder die Überwindung des rektangulären Raums: Eine men verschiedener Waren und Möbel, angenehme und ef- Geschossplatte schießt über die Fassade ins Freie hinaus, fektvolle Beleuchtung, schmeichelnde Materialien und lä- biegt sich dort nach oben, um auf einer höheren Ebene – chelnde Bewohner vermitteln uns ein Bild von Sicherheit und diesmal als Deckenplatte – wieder in das Gebäude einzu- Geborgenheit. Das fordert die Menschheit nun auch vom Rest dringen. Innen entsteht so zwischen den Lagen der Platte ein der Welt, die ja noch allerhand Naturgefahren und historisch tunnelförmiger Raum. Reduktion, Übertreibung und Erfüllung gewachsene Unordnung birgt. Diese „Unordnung“ ist aber unausgesprochener Sehnsüchte: Das ist auch Hertls Rezept, immer ident mit alten lokalen Kulturen und damit ein poten- wenn er sich ähnlicher semantischer Tricks bedient. Ein tieller „Battleground“ der Globalisierung. DasParadoxe dar- Kleingartenhaus ist in Wahrheit ein Hütte, weshalb Hertl an: Nur durch plakative Konterkarierung können wir diese „Onkel Freds Hütte“ nicht nur so aussehen lässt wie eine alten Kulturen retten. Nur die Errichtung von Wahrnehmungs- (edle) Holzhütte, sondern daraus auch noch eine literarisch- widerständen im gewohnten Stadtbild verspricht Aufmerk- kulturgeschichtliche Story spinnt. Oder wenn die Fassade samkeit der wahren Planer unserer Wirklichkeit. Sie zwingt einer Fensterfabrik ausschließlich aus Fenstern (eigener zu differenzierten planerischen Konzepten, statt das Ganze Produktion) besteht. einfach zu konservieren, wie es ist und damit als abgeschlos- sene, leblose Sonderform in den globalen Warenstrom zu in- Gegensätze? tegrieren. Für die Verhinderung von nivellierenden Gesamtlö- Hertls betont spielerischer Umgang mit Materialien und Kon- sungen der „Probleme“ einer Stadt, einer Naturlandschaft, struktionen, der den unbelasteten Betrachter ebenso gut un- einer zufälligen räumlichen Konstellation ist ihre Inhomoge- terhält wie den Architekturconnaisseur, könnte die humor- nität, ihre Sperrigkeit absolut nötig. Wenn Hertl in die pitto- freie Fraktion der Architekturgemeinde zu einigen Einwürfen reske Einheitlichkeit des Ortsbildes einer historischen Klein- verleiten. Semantische Moralisten könnten fragen, welche stadt ein visuelles Element des Widerstandes setzt, wenn er Mitteilungen diese homogenen Fassaden und All-Over-In- am idyllischen Bauernhof eine weihevolle Bade-Liturgie in- nenräume denn machen. Konstruktionspuristen könnten ein stalliert, dann verhindern diese gestalterisch perfektionier- finales Bekenntnis entweder zur Tektonik oder zur Textur for- ten „Störfaktoren“ jedes abschließende Urteil über unsere dern und deren permanente spielerische Kontrastierung reale Lebenswelt. Altstädte sind eben nicht ausschließlich durch Hertl kritisieren. Fanatische Kontextualisten könnten „historisch“, die traditionelle Landwirtschaft ist eben nicht dieHomogenität der Körper und Materialien verurteilen, mit nur „malerisch-handwerklich“ und das städtische Schulge- denen Hertl sich frech in historische Bestände setzt. Diese bäude ist nicht nur eine maximal ausgeleuchtete Instrukti- Engstirnigkeit ginge jedoch am wahren Problem der zeitge- onsanstalt. Hertl führt Elemente des Irrationalen und des nössischen Architektur vorbei. Denn im Medienzeitalter ha- Widerstandes in unsere gewohnte reale Lebenswelt ein, die ben sich (auch in Österreich) nicht nur die räumlichen Sehge- von der alles verschlingenden Waren- und Medienästhetik wohnheiten dramatisch verändert. Der Baubetrieb als Gan- bereits in ihrer nackten Existenz bedroht wird, ohne dass wir zes findet nun innerhalb eines Systems statt, das weit größer etwas davon ahnen. Widerstandselemente wie Hertls Häuser ist als die analoge, sichtbare, begreifbare Welt. DieGründer- weisen etwa auf traditionelle und reale sinnliche Reize des zeit und die Moderne hatten unsere Vorfahren gelehrt, vor- Bauens hin, die im artifiziellen Marketing-Städtebau zu ver- wiegend das faktische, Vorhandene zu diskutieren. Positivis- schwinden drohen. Sie pflegen eine Kultur der Ambivalenz, in mus und Materialismus der Moderne haben die vorher ge- der kein reales Ding nur das ist, wonach es aussieht. Mit ei- wohnte geistige Dimension des Bauens (wie sie etwa im irra- nem Wort: Sie schaffen eine Kultur, sie sich den Standardi- tionalen Bau riesiger steinerner Kathedralen lebte) vollstän- sierungen der Medienästhetik entgegenstemmt. Sie fordern dig verdrängt. Dagegen kämpften die frühen Postmodernen intelligentere Umweltgestaltung. Und sie weisen auch die 8 Planerzunft auf ihre Unzulänglichkeit hin, denn sie zeigen, mer gleich „kulturbildend“ wirken konnten, entstand doch dass architektonische Gestaltung heute mehr sein muss als ein tragfähiges Netzwerk moderner Baukultur auf der Höhe die gewohnte Verhandlung über Funktion, Tektonik und örtli- der jeweiligen Möglichkeiten der Zeit. Ein großer Teil dieser chen Kontext, dass sie auf viel größere, unsichtbare Bezugs- Baukultur steht naturgemäß im Zusammenhang mit der lan- systeme reagieren muss, die unsere Realität in viel höherem gen Industriegeschichte des Landes, das bis heute als indu- Ausmaß bestimmen als die Gestaltung von Einzelobjekten. strielles HerzÖsterreichs bezeichnet werden kann. Und die- Dass eine Alternative zur Ästhetik des Virtuellen aufgebaut se industrielle Tradition hat einen alten Mittelpunkt just in werden muss, als zentrale Agenda unseres Zeitalters. Steyr, wo Hertl lebt und arbeitet. Die historische Haupt- schlagader bildeten die Transportwege der Eisenverarbei- Bedingungen und Traditionen am Ort tung, die vom Erzberg in der Steiermark über die Alpentäler In welchem räumlichen Umfeld kann Hertl diese anspruchs- Richtung Norden führten. Bis zur Mündung der Enns, Steyr, vollen Manifeste einer zeitgenössischen Baukultur realisie- Ybbs und anderer Flüsse in die Donau entstand entlang die- ren? Oberösterreich hat als Architekturregion international ser über weite Strecken schiffbaren Wasserwege eine Kette noch keinen Bekanntheitsgrad errungen, welcher der punk- metallverarbeitender Betriebe. Deren Abschluss und Höhe- tuell dennoch sehr anspruchsvollen Produktion im Land ge- punkt bildeten seit der NS-Zeit die Linzer Stahlwerke – vom recht wird. Das hat vielleicht auch mit der praktisch-selbst- Süden her wurde auf den Donauzuflüssen Erz geliefert, auf verständlichen Auffassung von der Arbeit im allgemeinen derDonau selbst die Kohle nach Linz gebracht. und dem Bauen im besonderen zu tun, die in dieser robusten ImLichte dieser Tradition hat Hertls Arbeit an Techniken und und produktiven Kultur dominiert. Traditionell wird hier um Texturen eine solide kulturgeschichtliche Basis, die von der das Bauen nicht viel Aufhebens gemacht, vielleicht, weil die baukünstlerischen Tradition innerhalb der Moderne ergänzt jahrhundertealte kulturelle Entwicklung so kontinuierlich wird. Einige wenige Namen mögen diese Einbettung an- verlaufen ist, dass die darin gereiften landwirtschaftlichen schaulich machen: Vom Otto-Wagner-Schüler Mauriz Balz- und gewerblichen Bautypen kaum jemals hinterfragt wurden arek führt eine Linie über Clemens Holzmeister, Peter Beh- und werden. ÜberSelbstverständliches muss man nicht groß rens, Alexander Popp und Artur Perotti bis zu Karl Odorizzi in reden, die Qualitäten sind bekannt. Paradoxerweise wirkt die allerjüngste Vergangenheit. Balzarek fand sowohl mit In- diese Homogenität sowohl innovationsresistent als auch dustriebauten als auch mit Wohnhäusern frühe, explizit mo- -fördernd. DieResistenz oder zumindest Skepsis gegenüber derne Formulierungen der Industriekultur. Sein Kraftwerk noch nicht bewährten Typen und Stilen erklärt sich von selbst Steyrdurchbruch und die Arbeitersiedlung in Steyr haben ge- – erfolgreiche Kulturen haben begrenzten Innovationsbedarf. rade in Hertls unmittelbarem Wahrnehmungsbereich Ikonen Aber auch der kreative, innovationsfreundliche Aspekt wur- geschaffen, die von einem ebenso starken Drang zu einer zelt im Gewerbefleiß. Denn die wirtschaftliche DynamikOber- zeitrichtigen Gestaltung, einer authentischen Interpretation österreichs schuf nicht nur bewährte und lange Zeit kaum neuer Lebensweisen und Wirtschaftsformen getragen war veränderte Bautypen, sondern auch ein grundsätzliches In- wie Hertls aktuelle Überlegungen. Danach entwarfen in der teresse an praktischer Optimierung der Abläufe, an Effizi- Zwischenkriegszeit Clemens Holzmeister und Peter Behrens enzsteigerungen und deren Technologien. So entsteht auf der Antworten auf die neue kulturelle Situation – und auch sie technischen Ebene ein entschieden kreatives, innovations- fanden „authentische“ Texturen für nicht-traditionelle Bau- freundliches Klima im Interesse einer permanenten Steige- typen, beispielsweise beim Haus Eichmann am Attersee, rung der Wertschöpfung. Die (gebauten) Produkte dieses Pro- beim Kurhaus Bad Hall und bei den Linzer Tabakwerken. Beh- zesses sind definitiv Kultur und setzen jeweils neue Stan- rens kam zudem unmittelbar aus der Arts-and-Crafts-Tradi- dards. Im Wissen um diesen Mechanismus kann also Kultur- tion, die in Deutschland exemplarisch auf der Darmstädter bildung über den Umweg simpler technischer Innovation er- Mathildenhöhe kultiviert worden war. Die enge Beziehung zur reicht werden. FürEffizienzsteigerungen ist jeder (oberöster- plakativen Anwendung bestimmter Materialien und Motive, reichische) Bauherr zu haben. Wenn sie in ungewohntem die als „authentisch“ für die moderne Zeit identifiziert wer- Gewand erscheint, dann wird das akzeptiert und im günsti- den, verbindet nicht nur Behrens und Josef Hoffmann, son- gen Fall fortan mit der Modernisierung an sich assoziiert. Er- dern auch beide mit Hertl. Die Verwerfungen der NS-Zeit, die folgreiche Wirtschaften schaffen unter bestimmten Bedin- Verdrängungskultur der Nachkriegszeit und die darauf fol- gungen auch eine liberalere Ästhetik als Mangelökonomien, gende Architekturrevolution der 1960er Jahre können aller- die zu einer kulturellen Defensivhaltung führen können. dings mit Hertls Oeuvre nur indirekt in Beziehung gesetzt InOberösterreich kann man diese kulturelle Situation, in der werden. Alexander Popp setzte Behrens’ Werk in den neuen Hertl sehr geschickt agiert, über die gesamte Entwicklung NS-Stahlwerken in Linz fort, sein Mitarbeiter Artur Perotti der Moderne hinweg beobachten. Auch wenn die einzelnen erledigte den bruchlosen Wiederaufbau. Karl Odorizzi hinge- Beispiele oft nur punktuelle Erfolge darstellten und nicht im- gen, der sein Architekturbüro seit 1958 in Wels betreibt und 9

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