Karl Lenz Soziologie der Zweierbeziehung Eine Einführung Second Edition Karl Lenz Soziologie der Zweierbeziehung Karl Lenz Soziologie der Zweierbeziehung Eine Einführung 2., aktualisierte und überarbeitete Auflage Springer Fachmedien Wiesbaden GmbH Bibliografische Information Der Deutschen Bibliothek Die Deutsche Bibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über <http:// dnb.ddb.de> abrufbar. 1. Auflage September 1998 2., aktualisierte und überarbeitete Auflage März 2003 Alle Rechte vorbehalten © Springer Fachmedien Wiesbaden 2003 Ursprünglich erschienen bei Westdeutscher Verlag GmbH, Wiesbaden 2003 Lektorat: Frank Engelhardt www.westdeutscher-verlag.de Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich ge schützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urhe berrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzun gen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen-und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Umschlaggestaltung: Horst Dieter Bürkle, Darmstadt ISBN 978-3-531-33348-9 ISBN 978-3-663-11435-2 (eBook) DOI 10.1007/978-3-663-11435-2 INHALT EINLEITUNG 7 TEIL l: ZWEIERBEZIEHUNGEN ALS FORSCHUNGSGEGENSTAND 9 1. Ehen als Randthema der Familienforschung 9 1.1. Wachsende Eigenständigkeit der Ehe 10 1.2. Verlust der Monopolstellung der Ehe 14 2. Zweierbeziehung als persönliche Beziehung 25 2.1. Spurensuche für eine Soziologie persönlicher Beziehung 25 2.2. Forschungsbereich der "personal relationships" 27 2.3. Bestimmungsmerkmale einer persönlichen Beziehung 31 3. Zweierbeziehung- Begriffund Arbeitsprogramm 41 3.1. Zweierbeziehung als neuer Leitbegriff 41 3.2. Eckpunkte einer Soziologie der Zweierbeziehung 47 TEIL IJ: VERLAUFSPHASEN VON ZWEIERBEZIEHUNGEN 57 I. Aufbauphase von Zweierbeziehungen 63 1.1. Herkömmliche Forschungsschwerpunkte 63 1.2. Aufbauphase als interaktiver Prozess 70 2. Bestandsphase von Zweierbeziehungen 88 2.1. Umbrüche in den Schwellen-Wendepunkten 90 2.2. Macht in Zweierbeziehungen 98 2.3. Fortdauer der Bestandsphase 108 3. Krisenphasen in Zweierbeziehungen 114 3.1. Krisen, Konflikte und Gewalt 114 3.2. Krise- Anfänge und Bewältigungsformen 118 3.3. Konflikte in Zweierbeziehungen 123 3.4. Gewalt in Zweierbeziehungen 131 4. Auflösungsphase von Zweierbeziehungen 139 4.1. Ein Grundmodell der Auflösungsphase 142 4.2. Rollendifferenzierung und Erklärungsbedarf 147 4.3. Plurale Verlaufsmuster in der Auflösungsphase 154 4.4. "Es ist Schluss" -die Zeit danach 159 6 TEIL III: ZWEIERBEZIEHUNGEN UND KONSTRUKTION VON WIRKLICHKEIT 167 1. Wirklichkeitskonstruktion -Grenzen und Möglichkeiten 167 2. Identität und Identitätsarbeit 176 2.1. Facetten der Identität 176 2.2. Kontinuität, Individualität und Ritualität 188 2.3. Identitätsarbeit in Zweierbeziehungen 193 3. Beziehungsarbeit in Zweierbeziehungen 211 3 .1. Realitätskonstruktion im Beziehungsverlauf 211 3.2. Kristallisationsformen der Paar-Einheit 228 3.3. Paar-Netzwerk als Beziehungsarbeit 236 TEIL IV: EMOTIONEN IN ZWEIERBEZIEHUNGEN 249 1. Emotionen aus soziologischer Perspektive 250 1.1. Emotionen im sozialen Kontext 253 1.2. Emotionen als kulturelles Programm 256 2. Liebe als kulturelles Programm 259 2 .1. Merkmale der romantischen Liebe 259 2.2. Ausbreitung der romantischen Liebe 264 2.3. Aufdem Weg zu einem neuen Liebesidea1? 271 3. Liebe in Zweierbeziehungen 284 3.1. Kulturelle Codierung und "gelebte" Liebe 284 3.2. Liebe-messbar gemacht 288 3.3. Arbeitsfelder aus konstruktivistischer Perspektive 289 BIBLIOGRAPHIE 295 SACHREGISTER 325 PERSONENREGISTER 327 Einleitung Eduard und Ottilie, Effi Briest und Baron Innstetten, Professor Unrat (Raat) und Rosa Fröhlich, Thomas und Gerda Buddenbrook, Madame Bovary und Leon. Harry und Sally, Paul und Paula, (Ted) Kramer gegen (Joanna) Kramer, Alvy Singer und Annie Hall, Dan Gallagher und Alex Forrest. Tristan und Isolde, Telramund und Ortrud, Othello und Desdemona, Carmen und Jo se, Torvald und Nora Reimer. Jean-Paul-Sartre und Sirnone Beauvoir, Edward VIII und Wallis Simpson, Petra Kel ly und Gert Bastian, Bill und Hillary Clinton, Gerhard Sehröder und Doris Schröder Köpf. Diese mehr oder minder willkürliche Auswahl von fiktiven und realen Paaren, die aus bekannten Romanen, Filmen, Opern und Theaterstückenstammen bzw. "uns" als Personen des Zeitgeschehens in der medialen Vermittlung "bekannt" sind, eröffnet einen Einblick in die reichhaltige Dynamik der Zweierbeziehungen. Sichtbar werden die Irrwege des Kennenlernens, Strategien der Kontaktanbahnung, aufflammende Leidenschaften, das grenzenlose Glück, Versuche, das Glück festzuhalten, das Ein richten fester Routinen, Unterschiede in der persönlichen Nähe und Erreichbarkeit, das gewachsene Vertrauen, die hohen gegenseitigen Unterstützungs-und Stabilisie rungsleistungen, unterschiedliche Treue-/Untreue-Regelungen, die Modellierung der Akteure, das Ausbrechen aus der Konvention, Eifersucht, Hass und Verachtung, Grenzen der Kommunikation, die Beziehung als Abenteuer, die Tragik des Schei terns, das hohe Lebensrisiko, das mit der "Liebe" einhergehen kann und vieles mehr. Romane, Filme und Opern-um nur diese Genres zu nennen-sind überreich an Beziehungsgeschichten. Das hohe Interesse am Innenleben von Paarbeziehungen ist nicht nur auf den Kunstbetrieb begrenzt. Mit hoher Wissbegier werden Paarbildung, Affären, Krisen und Trennungsgeschichten bekannter Personen durch Klatschgeschichten kolportiert oder gar in Biographien recherchiert. Die Soziologie hat sich von diesem "Beziehungsfieber" nicht anstecken lassen; ihr Interesse an Ehen und eheähnlichen Beziehungen ist-wie ich im ersten Teil ausführlich zeigen werde schwach ausgeprägt. Zwar wäre es verfehlt, den Eindruck zu erwecken, eine "Soziologie der Zweierbeziehung" sei etwas ganz Neues. (In diesem Fall wäre es schwer möglich, eine "Einführung" zu schreiben). Da aber ihre Erforschung in der Soziologie zu keinem eigenen Forschungsbereich geführt und sich auch keine Forschungstradition etabliert hat, ist es für das anstehende Projekt einer Soziologie der Zweierbeziehung erforderlich, aus unterschiedlichen Zusammenhängen stammende Vorarbeiten zu verknüpfen, lose verbundene, z.T. völlig disparate 8 EINLEITUNG Wissensbestände zu systematisieren und zu bündeln sowie vor allem diese Materialien für einen soziologischen Fokus zu schärfen. Wenn hier dafür plädiert wird, dass Zweierbeziehungen in das Rampenlicht so ziologischer Aufmerksamkeit gehören, dann folgt dies nicht der Devise, dass, wenn alle von Beziehungen reden, auch die Soziologie sich dem nicht verschließen darf. Mein Plädoyer stützt sich vielmehr darauf, dass Zweierbeziehungen den Prototyp der Vergemeinschaftung bilden und ihre Ausblendung als Forschungsgegenstand ein gro ßer Schaden für die (Mikro-)Soziologie ist. Zugleich hat, und dies ist die andere Seite meines Plädoyers, die Soziologie -wie ich zu zeigen versuche-das Potenzial, einen eigenständigen Beitrag für die Erforschung von Zweierbeziehungen zu leisten. Zwei weitere Gesichtspunkte haben mich beim Schreiben dieser Einführung ge leitet: (I) Eine Soziologie der Zweierbeziehung ist nicht eine weitere der unzähligen Bindestrichsoziologien. Sie gehört vielmehr als zentraler Teil einer Soziologie per sönlicher Beziehung in den Kernbereich der Soziologie. Im Unterschied zu den Ebe nen der Gesellschaft, der Organisation und auch der Interaktion stellt die persönliche Beziehung eine eigenständige Ebene dar, die bisher stark unterbelichtetgeblieben ist. Hier besteht ein großer Nachholbedarf. Um diese Zugehörigkeit sichtbar zu machen, lege ich ein besonderes Gewicht auf die V erknüpfung mit theoretischen Grundlagen der Soziologie, wobei ich mich vor allem auf die interpretative Tradition im An schluss an Georg Simmel und Erving Goffman stützen werde. (2) Zugleich geht es mir darum, deutlich zu machen, dass eine Soziologie der Zweierbeziehungunvorein genommen nach Forschungsmaterialien Ausschau halten soll. Es ist viel zu eng ge fasst nur mit Interviews-egal ob mit Fragebogen oder als narratives bzw. Leitfaden Interview -zu arbeiten. Auch Romane, Filme, Tagebücher, Alltagsbeobachtungen, Beziehungsratgeber, therapeutische Fachliteratur usw. können reichhaltige Materia lien sein. Die vorliegende Einführung stellt ein Kondensat einer sich über Jahre erstre ckenden wissenschaftlichen Beschäftigung mit persönlichen Beziehungen dar. Vielen Kolleginnen und Kollegen, Freundinnen und Freunden habe ich fur vielfaltige Anre gungen und für ihre breite Unterstützung zu danken. Die Neuauflage habe ich vor al lem für die Aktualisierung der einbezogenen Forschungsliteratur genutzt. Unterstützt haben mich bei dieser Aufgabe in einem großen Umfang Dip!. Soz. Michael Fücker und Melanie Sterczewski; mitgewirkt haben auch Dipl.-Soz. Julia Kutschenreuterund Katrin Pittius. Ihnen möchte ich an dieser Stelle für ihr hohes Engagementund für ih ren großen zeitlichen Einsatz danken. TEIL I ZWEIERBEZIEHUNGEN ALS FORSCHUNGSGEGENSTAND 1. Ehen als Randthema der Familienforschung Für die Familienforschung ist die Namensgebung Programm; sie ist mit Familien be fasst, Ehen kommen bis heute ganz überwiegend nur in bezugauf die Familie in den Blick. Eine Eheforschung hat sich im Bereich der Familienforschung nie-besonders ausgeprägt im deutschsprachigen Bereich-zu einem eigenständigen Teilbereich ent wickelt (vgl. Kaufinann 1995; Lenz 1990; Matthias-Bleck 1997); entsprechend wurde es nie als notwendig angesehen, von "Ehe-und Familienforschung" zu sprechen. Ein als grundlegend aufgefasster enger Verweisungszusammenhang von Ehe und Familie (vgl. Tyrelll985) hat dazu gefiihrt, dass Ehe primär aus dem Blickwinkel der Familie thematisiert wurde. Die Ehe wurde-und wird z.T. auch weiterhin -lediglich als ein kurzer und dadurch auch unbedeutender Vorlauf zu einer als dem "eigentlichen Zweck" oder "eigentlichen Motiv" aufgefassten Familienbildung angesehen. Dieser Verweisungszusammenhang war noch in den soziologischen Ehedefinitionen aus den 80er Jahren ein gängiges Element1: "Ehe ist nach traditioneller und im Zivilrecht vorherrschender Auffassung eine (relativ) dau erhafte und rechtlich legitimierte Lebens- und Sexualgemeinschaft zweier (ehe-)mündiger verschiedengeschlechtlicher Partner, die den Vorsatz haben, die von der Frau geborenen Kin der rechtsverbindlich als die eigenen anzuerkennen" (Gukenbiehl 1986: 55; Hervorhebung K.L.). "Mit Ehe bezeichnet man eine durch Sitte oder Gesetz anerkannte, auf Dauer angelegte Form gegengeschlechtlicher sexueller Partnerschaft. Weiterhin ist ein wesentliches Strukturmerk mal aller Ehen, auch der modernen, dass sie über das bloße personale Paarverhältnis auf Gruppenbildung-aufFamilie-hinausweist" (Nave-Herz 1989a: 6; Hervorhebung K.L.). Im englischsprachigen Raum ist es immerhin üblich, diesen Forschungsbereich mit "marriage and family" zu bezeichnen. Diese Benennungsunterschiede gehen auch mit einer stärkeren Aufmerksamkeit fiir die Ehe einher. Allerdings ohne dass von einer Gleichrangigkeit gesprochen werden könnte. Überhaupt fällt auf, dass die Ehe als Forschungsgegenstand im amerikanischen Raum erst auf dem Umweg wahrgenom mener "Probleme" der Familie "entdeckt" wurde. Es sind vor allem drei "ehebezoge ne" Themenbereiche, die in der amerikanischen Forschung Tradition haben: die Part nerwahl, Ehequalität (bzw. Ehezufriedenheit) und Scheidungen, und alle drei wurden durch die sich ausbreitende "Sorge" um die wachsende Instabilität von Familien an gestoßen. Die Entdeckung der Partnerwahl als Thema war eng mit der Beflirchtung 1 Dieser Verweisungszusammenhang kehrt auch in der strukturtheoretisch angelegten Familienso ziologie von Tilman Allert (1998: 214) wieder: Das Hauptanliegen sei, "die Vielfalt der Hand lungsmuster in Paarbeziehungen aus dem dynamischen Potenzial des Dritten" heraus zu erklären. 10 ZWEIERBEZIEHUNGEN ALS FORSCHUNGSGEGENSTAND verbunden, dass die wachsende Bedeutung des romantischen Ideals bei der Wahl des Ehegatten bzw. der Ehegattin desorganisierend auf Familien wirke. Mit der Ehequali tät oder -Zufriedenheit wollte man den "Vorraum" einermöglichen Trennung inspizie ren, um einen Beitrag zur Prophylaxe zu leisten. Bei der Ehescheidung dominierten neben der Suche nach sozialdemographischen Merkmalen, die Ehen besonders anfäl lig machen, vor allem die "Scheidungsfolgen", und zwar lange Zeit fast ausschließlich hinsichtlich der Konsequenzen für die Kinder. Alle drei Themenkomplexe, die in der deutschsprachigen Familienforschung keine vergleichbare Bedeutung erlangen konn ten, begründen zwar eine höhere Aufmerksamkeit für die Ehe im amerikanischen Kontext, zeigen aber zugleich, wie sehr auch diese an eine dominante "Famili en-Optik" gebunden bleibt. Dieses Versäumnis resultiert aus einer unkritischen Übernahme undFortschrei bung des "bürgerlichen" oder "modernen" Familienmodells -und damit einer histo risch gebundenen Familienform-als Grundkategorie der Familienforschung (ausführ licher dazu Lenz 2003d). Dieses Familienmodell ist im 18. Jahrhundert mit dem Auf kommen des Bürgertums entstanden und setzte sich nach und nach auch in anderen sozialen Milieus als dominante Familienform durch (als Überblick vgl. Lenz/Böhnisch 1999; ausführlicher Sieder 1987; Gillis 1997). Ein zentrales Kennzei chen dieses modernen Familienmodells ist die "institutionelle Koppelung" (Ty reli/Herlth 1994) von liebesfundierter Ehe und Elternschaft. In diesem Familienmo dell wird die Elternschaft als die Vollendung der Ehe, die Familiengründung als der eigentliche Zweck der Heirat aufgefasst. Die Ehe verschwindet hier weitgehend in der Familie, sie wird fraglos unter die Familie subsumiert. Anstatt dieser historisch ge bundenen Familienform einen analytischen Familienbegriff entgegenzusetzen, hat die Familienforschung dieses Familienverständnis zum Axiom erhoben. 1.1. Wachsende Eigenständigkeif der Ehe Lange Zeit ist diese weitgehende Vernachlässigung der Ehe in der Familienforschung unter den Bedingungen der kulturellen Hegemonie des modernen Familienmodells nicht weiter aufgefallen. Mit der Familie als Forschungsgegenstand schien auch die Ehe hinreichend abgedeckt zu sein. In der Gegenwart ist dies aber im wachsenden Maße - wie Verschiebungen im Forschungsinteresse zeigen (vgl. z.B. Schnee wind!Vaskovics 1992; 1996; Mattbias-Bieck 1997; Vaskovics/Rupp/Hoffmann 1997; Nave-Herz 1997a, Burkart 1998, Schneider/RosenkranzfLimmer 1998)-immer we niger haltbar. Familiensoziologische Studien "entdecken", dass es auchjenseits der Familie noch "Leben" gibt. Hierzu haben nachhaltig Tendenzen einer wachsenden