Annette von Alemann Soziologen als Berater Forschung Soziologie Band 133 Annette von Alemann Soziologen als Berater Eine empirische Untersuchung zur Professionalisierung der Soziologie Leske + Budrich, Opladen 2002 Gedruckt auf säurefreiem und alterungsbeständigem Papier. Die Deutsche Bibliothek - CIP-Einheitsaufnahme Ein Titeldatensatz für diese Publikation ist bei Der Deutschen Bibliothek erhältlich. ISBN 978-3-322-97550-8 ISBN 978-3-322-97549-2 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-97549-2 © 2002 Leske + Budrich, Opladen Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verla ges unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Einbandgestaltung: disegno, Wuppertal Inhalt Verzeichnis der Tabellen ........................................................................... 7 Verzeichnis der Abbildungen .................................................................... 8 1 Einleitung ....................................................................................... 9 2 Soziologie und Beratung ............ ........... .............. ............. ...... ...... 13 2.1 Was ist soziologisches Wissen? ............................. ........................ 13 2.1.1 Das Fach Soziologie ..................................................................... 13 2.1.2 Soziologisches Wissen .................................................................. 22 2.2 Was ist Beratung? ......................................................................... 23 2.2.1 Beratung als Thema soziologischer Gesellschaftstheorie ............ ... 23 2.2.2 Merkmale und Definition von Beratung ...................................... 25 2.2.3 Probleme von Beratung ................................................................ 27 2.2.4 Ablauf einer Beratung .................................................................. 30 2.2.5 Beratungsmodelle ......................................................................... 33 2.2.6 Beratungsqualifikationen .............................................................. 36 2.3 Was ist soziologische Beratung? ................................................... 37 2.3.1 Kennzeichen soziologischer Arbeit .............................................. 40 2.3.2 Beratungsqualifikationen aus dem Soziologiestudium .................. 46 2.3.3 Außeruniversitär erworbene Beratungsqualifikationen ................ 48 2.3.4 Probleme soziologischer Beratung ............................................... 49 2.3.5 Rückwirkung soziologischer Beratung auf die Wissenschaft ........ 54 2.4 Beratungsfelder von Soziologen ...... ............ ......... ................ ........ 56 2.4.1 Kategorisierung der Beratungsfelder ............................................. 57 2.4.2 Beratungsfelder in den Verbleibsstudien ....................................... 58 2.4.3 Beratungspraxis im BDS ............................................................... 60 2.4.4 Vergleich der beiden Untersuchungen ......................................... 63 3 Stand der Theorie in der Verwendungsforschung . .............. ..... .... 69 3.1 Einführung in die Verwendungsforschung ................................... 69 3.2 Gegenwärtige Situation der Verwendungsforschung .................... 74 3.3 ~ntwick1ung der Verwendungsforschung ..................................... 75 3.4 Uberblick über die aktuellen Theorien ........................................ 77 3.4.1 Die» T rivialisierungsthese" ........................................................... 77 3.4.2 Die These der Eins-zu-eins-Verwendung ...................................... 82 3.4.3 Verbindung beider Ansätze .......................................................... 83 3.4.4 Verbesserungen der Theorie durch empirische Befunde ............... 84 3.4.5 Verwendung und professionelles Handeln ................................... 95 6 Inhalt 4 Synthese und Hypothesen .......................................................... 103 4.1 Hypothesenrahmen der Verwendungsforschung ....................... 103 4.2 Verwendungsfaktoren im Beratungskontext .............................. 116 5 Die empirische Untersuchung .................................................... 125 5.1 Konzeption ................................................................................ 125 5.1.1 Art der Untersuchung ................................................................. 125 5.1.2 Auswahl der Befragungspersonen ............................................... 128 5.2 Durchführung der Befragung ..................................................... 132 5.2.1 Pretest ........................................................................................ 132 5.2.2 Kontaktierung der Befragungspersonen ..................................... 132 5.2.3 Methodik des Interviews ............................................................ 133 5.2.4 Der Leitfaden ............................................................................. 133 5.2.5 Interview-Protokoll und Forschungstagebuch ........................... 142 5.2.6 Besonderheiten der Befragung von Fachkollegen ....................... 144 5.3 Transkription der Interviews ..................................................... 145 5.4 Auswertung ............................................................................... 146 5.4.1 Allgemeine Überlegungen .......................................................... 146 5.4.2 Die computergestützte Auswertung mit WinMAX ................... 150 5.4.3 Der Codierungsvorgang ............................................................. 153 5.4.5 Die Interpretation des codierten Materials ................................. 156 6 Ergebnisse ... ........ ................................. ...................... ... ............. 159 6.1 Ergebnisse nach Verwendungsfaktoren ...................................... 160 6.1.1 Berater ....................................................................................... 160 6.1.2 Verwendung......... ............................... ..................... ... ............... 175 6.1.3 Klienten ..................................................................................... 183 6.1.4 Umfeld bzw. Kontext der Verwender ........................................ 190 6.1.5 Interaktion ................................................................................. 194 6.1.6 Disziplin .................................................................................... 218 6.1.7 Wissen ........................................................................................ 226 6.2 Gesamtergebnis .......................................................................... 228 6.2.1 Verwendung sozialwissenschaftlichen Wissens ........................... 229 6.2.2 Verwendungsfaktoren, die in der Beratung wirken .................... 230 6.2.3 Faktoren, die in modifizierter Form wirken .............................. 232 6.2.4 Faktoren, die nicht überprüft werden konnten .......................... 233 6.2.5 Was erfahren wir über Beratung? ............................................... 234 7 Abschlussdiskussion: Beratung als Anwendungsfeld soziologischen Wissens? ............................................................. 237 Literatur ............................................................................................... 239 Sachregister ............................................................................................ 251 Verzeichnis der Tabellen Tabelle 2.1: Phasen des Beratungsprozesses und Arbeitsschritte bei der Problembearbeitung im Beratungsprozess ............. 32 Tabelle 2.2: Verteilung der außeruniversitär beschäftigten Bielefelder Soziologie-Absolventen 1970-1991 auf die Problemfelder ... 59 Tabelle 2.3: Berater nach Funktionssystemen ....................................... 60 Tabelle 2.4: Beratungsfelder, in denen Mitglieder des BDS tätig sind .... 61 Tabelle 2.5: Vergleich zwischen der Berater-Auszählung bei Dammann und Zinn (1997) und der BDS-Datenbank-Analyse ........... 65 Tabelle 2.6: Vergleich der Anteile von Beratern an den Mitgliedern des BDS und den Bielefelder Soziologie-Absolventen ........ 66 Tabelle 3.1: Zusammenhang zwischen Verwendungsart, Verwendungs- verständnis, Wissensart und N achweisbarkeit .. ................... 84 Tabelle 3.2: Verwendung soziologischer Ergebnisse in Abhängigkeit von Hierarchieebene, Wissensbedarf und Produktionsort ... 90 Tabelle 3.3: Idealtypischer Zusammenhang zwischen instrumentellem und konzeptualisierendem Verwendungsverständnis und einigen verwendungsrelevanten Faktoren .......................... 91 Tabelle 3.4: Verwendung bzw. Auftreten wissenschaftlicher Ergebnisse in Abhängigkeit vom Verwendungszweck ....... 93 Tabelle 4.1: Übersicht über die Vermittlungsinstitutionen sozialwissenschaftlichen Wissens ..................................... 104 Tabelle 4.2: Dimension 1: Verwendung wissenschaftlichen Wissens - Faktoren nach Ebenen .................................................... 112 Tabelle 4.3: Dimension 2: Art der Verwendung - Faktoren nach Ebenen .................................................... 116 Tabelle 5.1: Berater nach Gruppen .................... .......... ....................... 154 Tabelle 6.1: Wortfeld "Kommunikation" - Worthäufigkeiten ............ 216 Verzeichnis der Abbildungen Abbildung 2.1: Beratung als Interaktion ............ ...................... ..... .......... 27 Abbildung 4.1: Variablenmodell für die Verwendung sozialwissenschaftlichen Wissens .................................. 106 Abbildung 4.2: Zusammenhang zwischen den verwendungsrelevanten Variablen .... ............................ 113 Abbildung 4.3: Einwirkung gesellschaftlicher Rahmenbedingungen auf die Verwendung wissenschaftlichen Wissens in der Beratung ...... .......... .................. ................ ........... 118 Abbildung 4.4: Verwendungsfaktoren in der Beratung ...... ................... 120 Abbildung 5.1: Überblick über die Codewörter .................................... 155 Abbildung 6.1: Präsenz im Beratungsfeld (zum Befragungszeitpunkt) .... 163 1 Einleitung Seit einigen Jahren öffnet sich die Soziologie für das Berufsfeld der Bera tung, das vorher als Domäne anderer Disziplinen wie der Betriebswirt schaftslehre, der Psychologie oder der (Sozial-)Pädagogik galt. Soziologen erkennen, dass Beratung eine Möglichkeit bietet, soziologisches Wissen praktisch anzuwenden und in die Praxis zu vermitteln. Außerdem bietet der Beratungssektor in Zeiten von Geldknappheit und Stellenabbau an den Universitäten, Forschungseinrichtungen und im öffentlichen Dienst, wo Soziologen bisher überwiegend tätig waren, neue Beschäftigungsmöglich keiten, z.B. in Unternehmen oder als Selbstständige. Da das Fach Soziolo gie in Deutschland jährlich etwa 1000 Diplomsoziologen als Studienabsol venten in die Praxis entlässt (vgl. Alemann 1995: 5), müssen sich viele von ihnen ein Berufsfeld erst erschaffen, das von der wissenschaftlich ausgerich teten Fachdisziplin nicht vordefiniert ist. In Bezug auf eine soziologische Beratung stellt sich heute nicht mehr die Frage, ob diese überhaupt möglich ist, weil das Berufsfeld bereits durch ,re al existierende' Praktiker ausgefüllt wird. Die Frage ist vielmehr, wie dieses Berufsfeld von den bisherigen Pionieren auf dem Gebiet gehandhabt wird. Darüber gibt es bislang keine Untersuchungen, die mehrere Beratungsfel der im Blick haben. Zwei Erkenntnisziele werden in der vorliegenden Studie verfolgt: Das Erste ist ein berufssoziologischer Blick auf Beratung als Beruf~sfeld) und geht den folgenden Fragen nach: In welchen gesellschaftlichen Problem bereichen üben Soziologen Beratung aus? Können sie in ihrem Beruf so ziologisches Wissen verwenden? Welche besonderen Merkmale und Proble me hat die Beratung, die sie ausüben? Welche Qualifikationen benötigen sie für den Beratungsberuf? Diese Fragen werden in Form einer deskriptiven Ergebnisanalyse von Leitfadeninterviews mit Beratern beantwortet. Dabei handelt es sich um eine Fallstudie, die anhand von Falldarstellungen nach typischen Merkmalen für unterschiedliche Beratungsfelder sucht und damit den Boden für eine repräsentative Beraterstudie vorbereiten kann. Das zweite Forschungsziel ist ein verwendungssoziologisches: Der For schungszweig der Soziologie, der die Verwendung (sozial-)wissenschaftli cher Erkenntnisse untersucht, hat in vielen Studien Bedingungen für die Verwendung (sozial-)wissenschaftlichen Wissens in der Praxis aufgestellt. Diese Bedingungen werden hier erstmalig systematisch zusammengestellt, und es wird überprüft, ob sie auch für die Beratung gelten. Beratung kann als Bindeglied zwischen Wissenschaft und Praxis verstanden werden; es handelt sich damit um eine Vermittlerrolle: Der Berater ist weder Produ zent noch Anwender, sondern er bezieht eine dritte Position. 10 Einleitung .. Um beide Fragestellungen angemessen zu klären, wird zunächst ein Uberblick über die zentralen Begriffe des Themas gegeben (Kapitel 2). Da bei werden die Begriffe soziologisches Wissen, Beratung und soziologische Beratung diskutiert und die Beratungsfelder genannt, in denen Soziologen tätig sind. Diese werden dann auf der Basis empirischen Materials darge stellt, das durch eine Analyse der Datenbank des Berufsverbands Deutscher Soziologinnen und Soziologen (BDS) und einer Bielefelder Absolventen studie bereitgestellt wird. Kapitel 3 stellt den Stand der Theorie zum The ma Verwendung dar; aus dieser werden in Kapitel 4 Hypothesen abgeleitet und für die Beratung operationalisiert. Kapitel 5 führt in die Methodik der empirischen Untersuchung ein, deren Ergebnisse in Kapitel 6 dargestellt werden. Den Abschluss bildet in Kapitel 7 eine Diskussion über die Bedeu tung von Beratung als Anwendungsfeld soziologischen Wissens unter Be rücksichtigung der neuen Ergebnisse. Theoretische Grundlage der Untersuchung sind einerseits die neuere Beratungsforschung in der Soziologie, andererseits Theorien und Ergebnis se aus der Verwendungsforschung. In der soziologischen Beratungsfor schung werden zum einen allgemeine Ansätze über die Definition von Be ratung, ihren Ablauf und ihre Formen herangezogen, zum anderen sozio logie-spezifische Aspekte wie die Qualifikation von Soziologen für den Be ratungsberuf, Beratungsfelder von Soziologen und die Frage nach einer spezifisch soziologischen Beratung berücksichtigt. In den 1980er Jahren und besonders seit Mitte der 1990er Jahre sind viele Publikationen zur Ar beit von Soziologen in einzelnen Beratungsfeldern entstanden. Insbesonde re seit Mitte der 1990er Jahre gibt es einen regelrechten Boom der soziolo gischen Beratungsliteratur. Erstmalig wird dabei versucht, allgemeine Ele mente von Beratung herauszuarbeiten, und es wird die Frage nach einem spezifisch soziologischen Beratungsverständnis und soziologischen Qualifi kationen für den Beratungsberuf gestellt. Dabei hat das Thema Beratung schon eine längere Tradition. Seit den 1950er Jahren kam es immer wieder zu Konjunkturen der soziologischen Beratungsforschung: Erste Ansätze entstanden nach dem Zweiten Welt krieg in den USA; in den 1970er Jahren kam die Beratungsdiskussion auch in der deutschen Soziologie auf. Dabei scheint es einen Zusammenhang zwischen der Konjunktur des Beratungsthemas und den Berufsaussichten von Soziologen zu geben. So fanden Soziologen während des Zweiten Weltkriegs erstmalig Arbeit als Berater der amerikanischen Regierung und der Armee; in den 1950er Jahren entwickelte sich zeitversetzt eine erste Be ratungsforschung in den Vereinigten Staaten. In den 1960er Jahren wurden in Deutschland durch die sozialliberale Koalition viele Beratungsstellen eingerichtet, in denen auch Soziologen angestellt wurden; Beratung wurde dann in den 1970er Jahren zum Thema der deutschen Soziologie. Seit Be ginn der 1990er Jahre werden Stellen für Soziologen im öffentlichen Sektor