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Sozialphilosophie. Analyse und Kritik des Verhältnisses von Individuum PDF

216 Pages·2022·2.114 MB·German
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Sozialphilosophie Hans Friesen, Karin Mittelstädt (Hg.) Sozialphilosophie Analyse und Kritik des Verhältnisses von Individuum und Gesellschaft Umschlagabbildung: © Susan Mittelstädt, Lighting Designerin Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Alle Rechte vorbehalten. Dieses Werk sowie einzelne Teile desselben sind urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung in anderen als den gesetzlich zugelassenen Fällen ist ohne vorherige schriftliche Zustimmung des Verlags nicht zulässig. © 2022 Brill Fink, Wollmarktstraße 115, D-33098 Paderborn, ein Imprint der Brill-Gruppe (Koninklijke Brill NV, Leiden, Niederlande; Brill USA Inc., Boston MA, USA; Brill Asia Pte Ltd, Singapore; Brill Deutschland GmbH, Paderborn, Deutschland; Brill Österreich GmbH, Wien, Österreich) Koninklijke Brill NV umfasst die Imprints Brill, Brill Nijhoff, Brill Hotei, Brill Schöningh, Brill Fink, Brill mentis, Vandenhoeck & Ruprecht, Böhlau, Verlag Antike und V&R unipress. www.fink.de Einbandgestaltung: Evelyn Ziegler, München Herstellung: Brill Deutschland GmbH, Paderborn ISBN 978-3-7705-6697-6 (hardback) ISBN 978-3-8467-6697-2 (e-book) Inhalt Einleitung  ..................................................... vii 1. Wie Sozialphilosophie denken? Über Formationen des Sozialen und Normativen  ...................................... 1 Michael Reder 2. Der Individualisierungsprozess und die gesellschaftliche Relevanz moralischer Regeln  .................................. 21 Detlef Horster 3. Georg Simmel und sein Plädoyer für Dankbarkeit angesichts eines zerrissenen Lebens  ...................................... 29 Martin W. Schnell 4. Fehler, Verfehlung, Abweichung. Eine kleine Typologie aberrativen Handelns  .......................................... 39 Karl Mertens 5. Design_Sozial_Philosophie. Designphilosophie und ‚das Soziale‘  ................................................... 63 Manja Unger-Büttner 6. Das Verhältnis von Macht und Kritik im Spannungsfeld von Individuum und Gesellschaft  .................................. 83 Hans Friesen 7. Die Analogie von Kunst und Gesellschaft im 20. Jahrhundert und ihre Zukunft. Über den Sinn einiger Gegensätze und Parallelen in ihrer historischen Entwicklung und deren Bedeutung für eine kritische Gesellschaftstheorie  ............... 111 Hans Friesen 8. Von der „Ich-Wir-Balance“ zur globalen „Wir-Identität“. Zur kulturellen Typologie im Verhältnis von Individuum und Gesellschaft  ............................................... 141 Hans Friesen und Karin Mittelstädt vi inhalt 9. Hat das autonome (erschöpfte) Individuum eine Chance auf Rehabilitation?  ............................................ 181 Karin Mittelstädt Einleitung Sozialphilosophie: Individuum und Gesellschaft in ihren Verhältnis Das, was unter Sozialphilosophie verstanden wird, ist recht unterschiedlich. Detlef Horster zählt sieben Dimensionen auf, die mit dem Begriff Sozialphilo- sophie verbunden sind. Demnach umfasst sie alle praktischen Teildisziplinen der Philosophie, sie gilt als normative Ergänzung zur deskriptiv verfahrenden Soziologie, stellt Zeitdiagnosen und kann als politische Philosophie verstanden werden, weiterhin bringt sie soziale Pathologien zum Vorschein und spielt als Dialektik zwischen philosophischer Theorie und sozialwissenschaftlicher Praxis eine Rolle. Mit der letzten Bestimmung, das Verhältnis von Individuum und Gesellschaft zu analysieren und die sich daraus ergebenden Probleme auf- zuzeigen, ist der Ausgangspunkt dieses Buches angesprochen. Bevor die Sozialphilosophie in dieser Eigenschaft sichtbar wird, haben sich eine Reihe von gesellschaftlichen, ökonomischen und politischen Ver- änderungen ereignet, die sich als Zivilisationsprozess bezeichnen lassen. Es ist daher sinnvoll, einen Blick in die Geschichte zu werfen, um sich zu ver- gegenwärtigen, wann und unter welchen Umständen es zur „Erfindung“ des Individuums kam bzw. zu welchem Zeitpunkt sich eigentlich die Menschen als Individuen sahen. Etwa zu Beginn des 16. Jahrhunderts kam es insbesondere durch die Ent- deckung Amerikas und den ersten Weltumseglungen zu einer gravierenden Erweiterung des traditionellen abendländischen Weltbildes. Mit der Eröffnung neuer Handelswege setzte zugleich das Streben nach kolonialer Herrschaft und Handelsdominanz ein. Die Entwicklung von Wissenschaft und Technik, im Besonderen aber der Siegeszug der Naturwissenschaften, zerstörte zusammen mit der Erforschung noch nicht bekannter Länder und Sphären viele Mythen und Legenden und bereitete somit den Boden für ein neues Verständnis von Welt und Mensch – eine Veränderung, die oft als Kopernikanische Wende bezeichnet wird. Der Wandel der europäischen Geisteshaltung und der Erfolg der Aufklärung – begünstigt durch den Buch- druck und den damit gesteigerten Bildungsmöglichkeiten – führten dazu, dass eine Reihe von Autoritäten erodierten: Die Reformation erschütterte die kirch- liche Autorität, und die moderne Wirtschaft und das sich etablierende Bürger- tum brachten die Autorität der Feudalherrschaft zum Erliegen. Kurzum: Es war der Aufbruch in eine moderne Welt mit neuen Vorstellungen von Philosophie, Wissenschaft und Religion, mit naturwissenschaftlichen Entdeckungen und technischen Erfindungen, mit einer Entwicklung von Handel und Urbanität viii Einleitung und einem Streben nach Expansion und Fortschrittsdenken. In dieser Aura entwickelte sich schließlich sukzessive das Ideal der Humanitas, die „Ent- deckung“ des Individuums als ein Lebewesen mit Verstand und Gefühl, dem Wertschätzung gebührt. Von nun an geriet auch die Frage nach dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft in den Fokus, die sich im Nachhinein ent- weder individualistisch, gemäß der Ansicht, dass die Interessen, Rechte und Ansprüche des Individuums denen der Gesellschaft überzuordnen seien, oder kollektivistisch gestaltete, wonach das Gedeihen der Gesellschaft im Vorder- grund steht und dem Individuum nur ein instrumenteller Wert zukommt. Bevor die Sozialphilosophie von Georg Simmel in einem Aufsatz von 1894 ergänzend zu seiner „Einleitung in die Moralwissenschaft“ und gleichzeitig von Rudolf Stammler in „Theorie des Anarchismus“ als Philosophie des gesellschaft- lichen Lebens zu einem Disziplinbegriff erklärt wird, hatten sich bereits Philo- sophen wie Hobbes, Locke und Rousseau mit dem Verhältnis von Individuum und Gesellschaft auseinandergesetzt. Thomas Hobbes geht davon aus, dass im Naturzustand ein „Krieg aller gegen alle“ (bellum omnium contra omnes) herrscht. Den negativen Emotionen wie Angst und der Gier nach Ruhm kann der Einzelne nur entfliehen, wenn er sich einem Herrscher unterwirft, der alle Macht in sich vereint. Die Individuen verzichten auf ihre persönlichen Machtinteressen und übergeben ihre Rechte an den Staat. Dafür erhalten sie im Gegenzug von der Gemeinschaft Sicherheit und Frieden. Im Zentrum dieses „Gesellschaftsvertrags“, der in der Vorstellung Hobbes sinnbildlich dem Leviathan, einem biblisch-mythologischen Seeungeheuer entspricht, steht das Wohl des Einzelnen, das durch den Souverän als gemeinwohlgarantierende Instanz erreicht wird. Auch John Locke betrachtet das Verhältnis von Individuum und Gesell- schaft aus einer individualistischen Perspektive. Wie bei Hobbes ist die Gesell- schaft ein Konstrukt zum Vorteil des Einzelnen, der mit der Einschränkung der Freiheit bezahlt wird. In seiner politischen Schrift mit dem Titel „Zwei Abhandlungen über die Regierung“ (1690) entfaltet er seine anthropologisch- politischen Grundgedanken. Anders als bei Hobbes, für den der berühmte Homo-homini-lupus-Satz („der Mensch ist dem Menschen ein Wolf“) maß- gebend war, charakterisiert Locke den Naturzustand als Zustand vollkommener Freiheit und Gleichheit, in dem der Mensch die gottgegebenen natürlichen Rechte, z. B. das Recht auf Selbsterhaltung, besitzt. Für ihn ist der Gesellschafts- vertrag eine basale Form, in der die normative Annahme formuliert wird, wie wir zusammenleben sollen. Niemand soll den anderen schädigen, geschweige denn nach Leben, Gesundheit, Freiheit und Eigentum anderer trachten. Für Jean-Jacques Rousseau war der Einklang von der Natur des Menschen mit seiner sozialen Lebensweise ebenso der Ausgangspunkt vieler seiner Einleitung ix Überlegungen. Er vertritt jedoch im Gegensatz zu Hobbes und Locke einen kollektivistischen Ansatz. Der Mensch ist nach Rousseau von Natur aus ein soziales Wesen, der gleich einem „edlen Wilden“ als Einzelgänger in friedvoller Existenz vorrangig mit der Befriedigung seiner elementarsten Bedürfnisse beschäftigt ist. Allerdings werden in modernen Gesellschaften diese natür- lichen Formen hintertrieben, indem die aus der Eigenliebe (amour probre) erwachsene Selbstsucht die Konkurrenz, den Neid und einen Kampf gegen alle fördert. Gerade die Zivilisation sei als die ursprüngliche Quelle unserer Probleme anzusehen, da Privateigentum und Arbeitsteilung die Triebkräfte von sozialer Abhängigkeit, Ungleichheit und Egoismus darstellten. Die ein- zige Möglichkeit, der aus dem Zivilisationsprozess resultierenden Selbstsucht und moralischen Verderbtheit zu entkommen, läge darin, eine politische Ordnung zu schaffen, in der jeder Einzelne sich einem allgemeinen Willen (volonté générale) unterwirft. Indem alle Menschen freiwillig ihre Rechte an die Gemeinschaft abgeben, kommen sie zu mehr Gleichheit und Freiheit. Hobbes, Locke und Rousseau sind zusammen mit Immanuel Kant, der nicht weniger relevant ist, hier aber außen vorbleibt, die vier bedeutendsten Kontraktualisten in der Theoriegeschichte, dergestalt, das Zusammenleben der Menschen zu regeln. Die wohl wirkungsmächtigste Sozialphilosophie der Gegenwart ist die Kritische Theorie, die unter anderen von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts begründet wurde und in deren Zentrum sich die radikale Kritik an der kapitalistischen Gesell- schaft in ihren wissenschaftlichen, kulturellen und ideologischen Aus- prägungen befand. Den Frankfurtern ging es um die Sichtbarmachung des sozialen Problems und das Interesse an Emanzipation. Daraus ergab sich die normative Zielrichtung für die Forschungsarbeit der Kritischen Theorie – die Errichtung einer herrschaftsfreien Gesellschaft. Bis in die Gegenwart hat die Kritische Theorie nicht an Bedeutung und Einfluss verloren. Jürgen Habermas führte die Impulse von Horkheimer und Adorno weiter und ent- warf, allerdings mit einem anderen Ansatz, in seiner Kommunikationstheorie die Idee des herrschaftsfreien Diskurses, um eine Gesellschaft zu erreichen, in der die Rechte auf Befehl und Widerstand gleichmäßig verteilt sind. Nach Axel Honneth reicht dieses Kommunikatiosparadigma aber nicht aus, um das Leiden in der Gesellschaft zu bekämpfen. Er rückt die Verletzung der Regeln menschlichen Sozialverhaltens in den Vordergrund und findet ein neues Paradigma. Es ist die wechselseitige soziale Anerkennung, die besonders bei einigen Randgruppen, z. B. bei Arbeitslosen, als Mangel erfahrbar wird und deshalb als normative Bezugsgröße angesehen werden kann. Die System- theorie von Niklas Luhmann ist eine Entwicklung, die sich ebenfalls als x Einleitung Sozialphilosophie bezeichnen lässt. Nach Luhmann besteht die Gesamt- gesellschaft aus gleichrangig nebeneinanderstehenden Subsystemen, wie bei- spielsweise Wirtschaftssystem, Gesundheitssystem, politisches System und Bildungssystem. Es handelt sich dabei um autopoietische Systeme, die unter- einander abgeschlossen sind und sich nach eigenen Gesetzen generieren. Nach dieser Darstellung des allgemeinen historischen Hintergrunds und der Entwicklung der Sozialphilosophie erfolgt als Auftakt der Beitrag von Michael Reder, der einen ausführlichen Überblick über das Gesamtwesen der Sozialphilosophie gibt. Komplexität und Multidimensionalität zeichnen diese Disziplin aus, deshalb gibt es auch viele verschiedene Zugangsweisen. Doch alle Ansätze teilen, nach Meinung des Autors, die Gemeinsamkeit, dass das Selbstverständnis der Sozialphilosophie in Anlehnung an Horkheimer immer mit der Rekonstruktion des Sozialen zu tun hat und/oder eine normative Komponente enthält. Reder stellt vier sozialontologische und gesellschafts- theoretische Paradigmen vor, mit denen sich moderne Gesellschaften und ihre Probleme rekonstruieren lassen. So kann die Sozialphilosophie ausgehend vom Individuum erfasst werden oder aus gesellschaftlicher Perspektive durch das Zusammenspiel sozialer Systeme. Es kommen aber auch Diskurse als Ausgangs- punkt in Betracht, z. B. zwecks Ermittlung von Machtstrukturen (Foucault) oder soziale Praktiken, die vorrangig Handlungspraktiken fokussieren. Reder hebt hervor, dass die jeweiligen Ansätze im Vergleich zueinander Stärken und Schwächen aufweisen und deshalb niemals einzeln für sich Priorität erlangen können, sondern immer nur in ergänzender Funktion zueinander treten müssen. Die zweite Dimension der Sozialphilosophie, den normativen Aspekt betreffend, kann mit zentralen Leitmotiven wie Verständigung, Anerkennung, Entfremdung und Verwundbarkeit hinlänglich diskutiert und theoretisch erfasst werden. Der Aufsatz hat nicht nur analytischen Charakter, sondern macht auch darauf aufmerksam, vor welchen Herausforderungen die Sozial- philosophie künftig steht, um einer Gesellschaft vor allem in globaler Hinsicht gerecht zu werden. An illustrativen Beispielen stellt Detlef Horster in seiner Abhandlung vor, wie sich das Individuum im Zuge des lang andauernden Zivilisationsprozesses immer mehr aus den Fesseln der Gemeinschaft befreit und zu einer Person mit eigenen Rechten und Freiheiten wird. Parallel zu dieser Entwicklung ist die Einführung moralischer Regeln erforderlich, um eine möglichst störungsfreie Gesellschaft zu erhalten. In diesem Zusammenhang bespricht der Autor die wichtigsten normativen Moraltheorien. Martin Schnell greift die Pathologien der Moderne auf und diskutiert diese entlang der simmelschen Zentralbegriffe wie Zerrissenheit, Ganzheit und Dankbarkeit. Das ethische Motiv der Dankbarkeit erscheint als legitime

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