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Soziales Handeln und strukturelle Selektion: Beiträge zur Theorie sozialer Systeme PDF

342 Pages·1998·16.461 MB·German
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Michael Schmid Soziales Handeln und strukturelle Selektion Michael Schmid Soziales Handeln und strukturelle Selektion Beitrage zur Theorie sozialer Systeme Westdeutscher Verlag Die Deutsche Bibliothek -CIP-Einheitsaufnahme Schmid, Michael: Soziales Halldeln und strukturelle Se1ektioJl : Beitriige zur lllcorie sozialer Systeme / Michael Schmid. -Opladen ; Wiesbaden : Westdl. VerI., 1998 ISBN-13: 978-3-531-13120-7 e-ISBN-13: 978-3-322-85110-9 DOl: 10.1007/978-3-322-8511 0-9 Aile Rechte vorbehalten © Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen/Wiesbaden, 1998 Der Westdeutsche Verlag ist ein Unternehmen der Berte!smann Fachinformation GmbH. Das Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschutzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulJssig und strafbar. Das gilt insbe sondere fur Vervie!fiiltigungen, Ubersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in e!ektronischen Systemen. http://www.westdeutschervlg.de Hochste inhaltliche und technische Qualitat unserer Produkte ist unser Zie!. Bei der Produk tion und Verbreitung unserer Bucher wollen wir die Umwelt schonen: Dieses Buch ist auf saurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier gedruckt. Die EinschweiBfolie besteht aus Polyathylen und damit aus organise hen Grundstoffen, die weder bei der Herstellung noch bei der Verbrennung Schadstoffe freisetzen. Umschlaggestaltung: Horst Dieter Burkle, Darmstadt Inhalt Einfiihrung: Eine theorie-biographische Skizze .............................................. 7 L Soziales Handeln ond strukturelle Selektion Struktur und Selektion. Emile Durkheim und Max Weber als Theoretiker struktureller Selektion ........................................................................................ 19 Dynamik und Selbsterhaltung. Zur naturalistischen Grundlegung der Simmelschen Gesellschaftstheorie ...................................................................... 46 Individuelles Handeln und strukturelle Selektion. Eine Rekonstruktion des ErkHirungsprogramms von Robert K. Merton ..................................................... 71 IT. Soziale Regeln ond Evolution Arbeitsteilung und Solidaritat. Eine Untersuchung zu Emile Durkheims Theorie der sozialen Arbeitsteilung .................................................................... 93 Zur Evolution von Regeln. Einige modelltheoretische Uberlegungen ................ 118 Soziale Normen und soziale Ordnung I. Eine Kritik von Jon Eisters Theorie sozialer Normen .................................................................................. 131 Soziale Normen und soziale Ordnung II. Grundrill einer Theorie der Evolution sozialer Normen ............................................................................... 159 Soziale Ordnung und kultureller Konsens ........................................................ 189 m Soziales System und Evolution Soziologische Systemtheorie ............................................................................ 215 Gleichgewicht, Entropie und Strukturbildung in der soziologischen Theorie ............................................................................................................ 238 Soziologische Evolutionstheorie ....................................................................... 263 Literator ......................................................................................................... 284 Drucknachweise ............................................................................................. 344 Einfiihrung: Eine theorie-biographische Skizze Die nachfolgend abgedruckten Arbeiten, deren urspriingliche Versionen zwischen 1981 und 1995 erschienen sind, wollen das wissenschaftstheoretische Interesse, das ihnen zugrunde liegt, nicht verbergen. Bereits wahrend meiner Studienzeit Mitte der 60er Jahre hatte ieh begonnen, mich mit wissenschaftslogischen Fragen auseinanderzusetzen und mich unter dem Einfhill der Popperschen PhilosophieJ dazu entschlossen, auch spaterhin der Frage nachzugehen, welchen Standards die Formulierung erfahrungsbegriindeter und heuristisch fruchtbarer Theorien genti gen miillte2. Dabei war ich friihzeitig3 zu der Dberzeugung gekommen, dafi die Unterschiede zwischen naturwissenschaftlichen und sozialwissenschaftlichen For schungslogiken nicht das Gewicht haben konnten, das engagierte Vertreter einer eigenstandigen Methodologie der Humanwissenschaften postulierten. Zumal die Zuriickhaltung gegentiber einer erklarenden Sozialwissenschaft, die zahlreiche Hermeneutiker und Weberianer, AnMnger der pMnomenologischen Philosophie und Wittgensteinianer empfahlen, mochte ich nieht teilen4• Andererseits mufite ich mich zu der Dberzeugung durchringen, dafi zwei Ideale einer naturalistischen Erklarungspraxis im Bereich sozialwissenschaftli chen Denkens unerfiillbar bleiben mufiten. Zum einen gelang es offenbar nicht, soziale Gesetze zu tinden. Poppers Kritik eines darauf angelegten Forschungspro gramms5 konnte ich nicht widerlegen6. Vor allem habe ich aIle Hoffnungen auf gegeben, makroskopische "Bewegungsgesetze" zu identifizieren7, die vorgeben, gesellschaftliche Veranderungen ohne Beriicksichtigung der Erwartungen und Absichten der beteiligten Akteure erkHiren zu konnen8. Auf der anderen Seite Wichtig war einesteils Popper 19662, zum anderen aber auch Popper 1972. Mit der Popperschen Lehre bekannt wurde ich durch die LektOre von Albert 1962 und Albert 1964. 2 Vgl. Schmid 1996 3 In dieser Frage teile ich die Auffassung von Hans Albert, vgl. Albert 1968, Albert 1971 und neuer dings Albert 1994. 4 FOr die Hermeneutik stand, da ich in Heidelberg studierte, natOrlich vor aHem Gadamer 19652, Witt geru.teins EinfluB wurde besonders ober Winch 1966 wichtig und die Bedeutsamkeit der Phanomeno logie fur die soziologische Methode erschloB sich mir vor aHem durch die Bekanntschaft mit SchOtz 19602• 5 Vgl. Popper 1961 6 Ich habe den damaligen Stand unserer Erkenntnisse in einem zusammen mit Bernd Giesen edierten Reader dokumentiert, vgl. Giesen/Schmid (Hrsg.) 1975, vgl. auch Giesen/Schmid 1976. 7 Vgl. Adorno 1969, S. 81. Unter dem EinfluB meines Lehrers Ernst Topitsch fand ich zu solchen dia lektischen Auffassungen keinen Zugang. 8 Einige frOhe Kritiken an einer, wie mir damals schien, viel zu radikalen individualistischen Erkla rungspraxis hatte ich noch mit dem Hintergedanken vorgetragen, daB es soziologische Makrogesetz lichkeiten geben konne; glOcklicherweise wurde davon fast nichts veroffentlicht. Mittlerweile halte ich 8 Einfiihrung: Eine theorie-biographische Skizze aber wollte ich infolgedessen keinesfalls dem Ratsehlag George Caspar Homans' folgen, die Soziologie solIe sich auf ein reduklionislisches Programm einlassen, das zur ErkHirung sozialen Verhaltens nur jene Prinzipien verlangt, die man zur ErkHirung des Handelns eines Akteurs benotigt, der sich alleine einer physikali schen Umwelt gegeniiber siehe. Mieh storten bei diesen reduktionistischen Emp fehlungen nieht nur die von Helmut Spinner hinreiehend kritisierten logischen UnzuHinglichkeitenlO und auch nicht der Mangel an Einfiihlung gegeniiber dem immer wieder erhobenen Einwand, daB damit nur ein atomistisches Menschenbild gezeiehnet werden konne, das dem Tatbestand, daB der Mensch als sozialer Ak leur gedacht werden miisse, keine Rechnung tragell; vielmehr empfand ich vor al lem deshalb nur wenig Sympathie fOr Homans' Programmatik, weil sie mir auf grund ihrer lerntheoretischen Ausriehtung nieht zu bieten sehien, was ich von ei ner soziologisehen Erklarung verlangtel2: Die Identifikation von Ursaehen dafiir, daB soziale Strukturen, Organisationsformen und kollektive Effekte, absichtIich oder niehtl3, aus dem Handeln der Akteure resultierten und ihrerseits auf deren Handlungsmogliehkeiten und Handlungsintentionen zuriickwirkten 14. Angesiehts dieser Problemlage bin ich zweigleisig verfahren. Zum einen habe ich die Frage untersucht, welches der nomologische Kern individualislischer Handlungserklarungen sein mu.B. Die entsprechende Studiel5 kam zu dem Er gebnis, daB im Zentrum eines nomologisch-individualistischen ErkHirungspro gramms ein empirisches Geselz steht, das die AusfOhrung von Handlungen als einen Versueh kognitiv vermittelter, intentionaler Zielverfolgung versteht. Von einem "Handlungsgesetz" kann dann die Rede sein, wenn die ihrerseits hoehgra dig variablen und nur selten vollstandig beschreibbaren Voraussetzungen festlie gen, aus denen sieh, aus der Sieht des Akteurs betraehtet, ein Handeln, das als Problemlosungshandeln rekonstruiert werden kannl6, zwingend ergibt - und zwar unabhiingig von der Frage, ob die betreffende Handlungsweise (zuvor) gelernt wurde oder nieht; in diesem Sinn betraehte ich ein solches Handlungsgesetz als den Standpunkt, den Boudon 1986 eingenommen hat, fiir verbindlich und den von Adorno 1969a. S. I 25fffiir unhaltbar. 9 Vgl. Homans 1972, S. 61 10 Vgl. Spinner 1973 II Was ieh von einer solchen Konstitutionstheorie halte, kann man bei Campbell 1996 nachlesen. 12 Neben Homans 1968 wurden auch Malewski 1967 und Opp 1972 zeitweise wichtig fiir meine theo retischen Oberlegungen, bis mir auffiel, daB auch die Globalisierung der Belohnungstheorie, die vor allem der zuletzt genannte Autor in enger Anlehnung an Homans empfahi, zu keiner angemessenen Aufgabenbestimmung fiir eine eigensthldige Sozialtheorie fiihrte. Meine Einwlinde gegen eine lern theoretisch fundierte Soziologie fasse ieh in Schmid 1982, S. 37ffund Schmid i982a zusanunen. 13 Die Denkfigur der nicht-intendierten Handlungsfolgen wurde im Gefolge der Lektiire von Pribranl 1912 zu einem wichtigen Bestandteil meiner theoretischen Auffassung. 14 Ich muB zugestehen, daB zur Entwicklung dieser Perspektive die Lektiire von Popper und Hayek wichtiger flir mich gewesen war als die Einfliisse der soziologischen Theorie, wenngleich natiirlich nicht zu leugnen ist, daB insbesondere das Mertonsche Erklarungsprogranun und neuerdings Coleman 1990 meinen Auffassungen sehr nahe kommen. 15 Vg l. Schmid 1979 16 Der Titel von Popper 1994 stellt die Verallgemeinerung dieser These dar, die ieh ihrer theoretisehen Integrationsmoglichkeiten wegen geme akzeptiere. Einfiihrung: Eine theorie-biographische Skizze 9 Bestandteil einer Kausaltheorie des Entscheidungshandelns17, die sich als gehalt reicher envies als die von Homans favorisierte Lerntheorie18. Die nachdIiickliche Betonung des empirischen Charakters derartiger Handlungserklarungen sollte die Fehleinschatzung eines dogmatischen Rationalitatsverstiindnisses meiden, das in der englischsprachigen "philosophy of action" Verbreitung gefunden hatte. Auch meine Auseinandersetzung mit der Popperschen Situationslogik19 und der Ratio nal choice-Theorie sind vor diesem Hintergrund zu sehen20; gegen Poppers "Methode der Situationslogik" bin ich deshalb vorstellig geworden, weil sie dazu neigt, ihr als Erklarungsprlimisse verwendetes "Rationalprinzip" gegen Erfah rungskritik abzuschirmen; einen gleichgearteten Einwand richte ich gegen jene Vertreter der Rational choice-Theorie, die einen ehrgeizigen "okonomischen Im perialismus,,21 mit Hilfe einer gegen empirische Widerlegungen immunisierten Praferenztheorie verteidigen wollen. Die diesem "okonomischen Ansatz"22 zu grunde gelegte Wert-Erwartungstheorie halte ich, sofern sie als empirische Theo rie und nicht als ein tautologischer Algorithmus betrachtet wird23, indessen fur bedenkenswert. Zum anderen aber kam mir bei meinen anti-reduktionistischen Abwehrversu chen die freilich nur milhsam zu gewinnende Bekanntschaft mit der nicht-par sonsianischen System- und Evolutionstheorie zu Hilfe24. In ihr fand ich jenes theorievereinheitlichende Instrumentarium, das es erlaubte, nicht-reduktive Pro zeJ3analysen durchzufuhren, womit ich mich in die Lage versetzt sah, ein doppel schichtiges Problem zu losen. Dieses Problem bestand in der Notwendigkeit, die Gleichgewichtslogik der soziologischen Modellbildung, wie ich sie bei Parsons kennengelernt hatte, zu kritisieren, ohne deshalb dazu gezwungen zu sein, dessen Leitidee einer einheitlichen sozialwissenschajtlichen Theorietradition aufzuge ben25, obgleich diese Idee infolge des Zerfalls des Parsonsschen Paradigmas in eine Vielzahl eigenrechtlich argumentierender Schulen bereits zu der Zeit an Re putation verloren hatte26, in der ich mich mit Parsons' Theorieprogramm zu be schiiftigen begann. DaB die Gleichgewichtsorienlierung der Parsonsschen Mo dellbildung, die durchaus achtenswerte Vorbilder in der Geschichte der okonomi- 17 Wie ich hemach feststellte, fanden meine Oberlegungen in Gadenne 1984 eine kongeniale Stiltze. 18 Vgl. Schmid 1993 19 Vgl. Schmid 1996 20 VgI. Schmid 1996b, Schmid 1997 21 VgI. zu diesen Ansprilchen Hirshleifer 1985, Frey 1990, Radnitzky/Bemholz 1987, Kirchglissner 1991 u.a. 22 VgI. Becker 1982 23 Diese Position scheint unausrottbar zu sein, vgl. Rosenberg 1994. 24 Die erste Kontaktaufuahme dokumentieren Giesen/Schmid 1975. Walter Buckley (ed.) 1968 pragte unsere Rezeption der System-und Evolutionstbeorie entscheidend. 25 Da8 diese Einheitsidee nicht nur methodologische, sondem geradezu metaphysische Grilnde hatte, zeige ich in Schmid 1989, S. 19ffund Schmid 1994a. 26 VgI. zur Problemlage Schmid 1997, S. 264ff; ein handlungstheoretisches Einheitsprograrnm vertei dige ich -wenigstens beilaufig -in Schmid 1991. Ich folge geme Luhmann 1981b, S. SO, der das Aus einanderfallen der soziologischen Disziplin in einzelne Paradigmen als ,,multiple Paradigmatase" be trachtet. 10 Einfuhrung: Eine theorie-biographische Skizze schen Theorie besafi27, emsthafte Mangel aufwies28, die sich keineswegs in der seit Dahrendorf bekannten Konservativismus- und Utopismuskritik erschOpften29, war mir bald klar geworden. Als eigentlicher Skandal aber erwies sich, dafi Par sons' Gleichgewichtsvorstellung mit ihrer Betonung teils mechanistischer, teils homaostatischer Restabilisierungsprozesse dazu zwang, alle jene Wandlungsdy namiken sozialer Systeme als Restkategorien oder als Zusammenbruch und Chaos einzustufen, die nicht mit Differenzierungsprozessen oder endogenen und globa len Adaptionssteigerungen in Verbindung zu bringen waren30. Meine Bekanntschaft mit der System- und Evolutionstheorie war in diesem Zusammenhang in mehrfacher Hinsicht hilfreich: Zunachst nahrte sie die Hoff nung, unterschiedliche soziale Verlaufsdynamiken im Rahmen eines verallgemei nerungsfahigen Selektionsmodells integrieren zu kannen, womit sie gehaltreicher zu sein versprach als Parsons' Theorieentwutfl. Damit wies sie zum anderen dar auf hin, dafi die von Parsons vorzugsweise untersuchten Restabilisierungsprozesse nur einen von vielen und dazu hOchst voraussetzungsreichen Proze6typen dar stellten, weshalb seine Gleichgewichtsmodelle allenfalls als eine Grenz- oder Ecklosung eines verallgemeinerten Modells gesellschaftlicher Reproduktion ein zustufen waren; das war gleichzusetzen mit dem Zugestandnis, daB Parsons mit seiner Untersuchung "integrativer Mechanismen,,32 zwar ein fruchtbringendes, wenn auch theoretisch beschranktes Programm verfolgt hatte33. Zugleich und parallel dazu fiihlte ich mich insbesondere durch die Diskussionen im Bereich der Ungleichgewichtsdynamiken und der Modelle nicht-linearer Phaseniibergange34, die wichtige Einsichten der System- und Evolutionstheorie zu prazisieren erlaub ten, dazu ermutigt, Parsons' Kontinuitatsverstandnis sozialen Wandels als unzu reichend in Frage zu stellen35. 27 Carnic 1987 hat sich urn die Ausleuchtung des historischen Hintergrunds bemtlht. 28 Die betrefi'enden Arbeiten liegen in Schmid 1989 vor und wurden auszugsweise in Schmid 1992b und Schmid 1994b verofi'entlicht. 29 V g1. Dahrendorf 1961, S. 85ft' 30 Die Reaktion Parsons' auf die von ibm selbst geschaffene Problemlage fUhrt von dem, was mir vor schwebte, deutlich weg; Parsons schlo6 sich Herbert Spencer an und begann nach allgemeinen Prin zipien g10baler Gesellschaftsevolution zu suchen, vgl. Parsons 1966. Auf diesem Weg bin ich Parsons zu keiner Zeit gefolgt, vg\. Giesen/Schmid 1975, Schmid 1989, S. 115ff. 31 Meine Arbeiten zwischen 1982 und 1987 waren vomehmlich der Ausarbeitung dieser Fragestellung gewidmet. 32 VgI. vor allem die verstreuten Bemerkungen in Parsons 1951 und Parsons/Shils 1951 33 Ich hatte rnich anflmglich von diesem Prograrnm nicht zulelzt deshalb distanziert, weil Parsons' Theorie fonktionalistisch verfuhr, was ich unter dem Einflu6 von Robert Merton und anderer Kritiker des Funktionalismus als wenig einsichtig einstufte, vgl. Merton 19642a. Ich habe deshalb groBen Wert darauf gelegt, daB Mertons seminale Arbeit in den von Claus MOhlfeld und mir herausgegebenen Reader aufgenommen wurde, obgleich er damals bereits in dem von Heinz Hartmann zusarnmenge stellten Uberblick zur amerikanischen Soziologie enthalten und leicht greifbar war (vgl. Mohl feld/Schmid 1974, Hartmann 1967). Heute denke ich freundlicher tiber den Funktionalisrnus und sehe in ihm ein Theorieunternehmen, das in eine allgemeine Selektionstheorie integriert werden kann. Wie das geschehen kann, diskutieren Van Parijs 1981 und Faia 1986. 34 In diesen Fragen wurden Buckley 1967, Thorn 1975 und Prigogine/Stengers 1981 wichtig fUr mich. 35 VgI. Freber/Schmid 1986; Thompson 1981 war dieser Parsonskritik sehr forderlich. Einfiihrung: Eine theorie-biographische Skizze 11 Aus dieser Uberlegung resultierte meine Uberzeugung, da6 die sozialwissen schaftliche Theoriebildung die Systemevolution nicht nur "multilinear'.36, sondern als einen nicht-linearen, zumeist diskontinuierlichen und pfadabhangigen kollek tiven Selektionsproze6 modellieren musse3 dessen vielgestaltige Mechanismen ?, vorhandene Verteilungsstrukturen und die sie produzierenden Regelsysteme diffe rentiell bevorzugen, d.h. sie entweder zum dominanten Muster werden lassen, auslOschen oder in Misch- und Gemengelagen reproduzieren38. An diesen selekti onstheoretischen "hard core" kann sich dann die Untersuchung der doppelten Frage anschlie6en, wie unterschiedliche Mechanismen ihrerseits auseinander her vorgehen39 und wie sich unterschiedliche Strukturverteilungen wechselseitig be dingen und zu dem zwingen, wofUr ich gerne den Begriff "Ko-Evolution" reser viert siihe40. Aus der Perspektive einer Handlungstheorie gesehen, die diese Se lektionsprozesse als "aggregative" Konsequenz zwischenmenschlichen Handelns rekonstruieren und auf diesem Wege "mikrofundieren,,41 muS, liillt sich die Theoriegeschichte der Soziologie dann folgerichtig als bestandige Auseinander setzung urn eine doppelte Frage verstehen: Zum einen suchte man eine Antwort darauf, wie sich im Grund eigensuchtige oder zumindest opportunistische Ak teure42 durch Regulierungen und Institutionenbildung die wechselwirksamen Voraussetzungen fUr die halbwegs reibungsfreie Abstimmung ihres Handelns be schafJen kOnnen, ohne die Ressourcen unwiderbringbar zu verbrauchen, die sie dazu benOtigen, und ohne die Regelbestande, denen sie das Auftreten zieldienli cher struktureller Restriktionen verdanken, auch durch unbeabsichtigteFolgela sten zu unterminieren43. In diesem Sinne habe ich keine Einwande, wenn man die sozialwissenschaftliche Theorieentwicklung als die Suche nach der LOsung des 36 V g1. Steward 1972, der verschiedene Richtungen ein und desselben Adaptionsprozesses untersuchen wollte. 37 Ich war entsprechend sehr angetan zu bemerken, daB Robert Merton, Donald Campbell, Walter Buckley oder Niklas Luhmann und eine Reihe anderer Denker einen lihnIichen Kurs verfolgten. Ich hoffe, daB der vorliegende Band die Faszination bezeugt, mit der ich deren Werke zur Kenntnis nahrn. 38 Parsons' Theorie war insbesondere am ersten Fall interessiert, die Marxsche Tradition am zweiten und Mertons Anomietheorie am dritten Fall. 39 Luhmann hat dieses Thema mehrfach angeregt (vgl. Luhmann 1984, S. 73ft). Wie ich spater feststel len konnte, war solche "Transformationsregeln" zu fmden auch die Absicht der Uvi-Straussschen Theorie. Deren ,,mentalitiitstheoretische Implikationen" filhrten mich aber zu weit von meinen hand lungstheoretischen Oberzeugungen weg, als daB diese Tradition mich hAtte beeinflussen kOnnen. 40 Ich verwende diesen Begriff selbstverstandlich nicht im Durharnschen Sinne, der von einer wechsel wirksamen Evolution von Genom und Kultur sprechen mijchte (vgl. Durham 1991); mir geht es darum, einen Begriff zu haben, der die selektive Gemengelage differenter Strukturen, deren 6ko[ogie, wenn man so will, zu thematisieren erlaubt. 41 VgI. dazu Hechter (ed.) 1983 42 An dieser Stelle folgt die Rational choice-Theorie der g1eichen, vOllig einsichtigen Intuition wie Er ving Goffinan, Ralf Turner, Herbert Blumer oder andere Interaktionisten. Die Abgrenzungskiimpfe zwischen den beiden Lagem habe ich deshalb nie nachvollziehen kOnnen, vg\. meinen Vermittlungs vorschlag in Schmid 1982, S. 93ff. 43 Dies war der Kerngedanke in Schmid 1982.

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