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Soziale Kontrolle und Individualisierung: Zur Theorie moderner Ordnungsbildung PDF

195 Pages·1995·5.941 MB·German
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Komelia Hahn Soziale Kontrolle und Individualisierung Kornelia Hahn Soziale Kontrolle und Indi vidualisierung Zur Theorie moderner Ordnungsbildung Leske + Budrich, Opladen 1995 Mein besonderer Dank gilt Prof Dr. Dr. h.c. Friedrich Fürstenberg für die langjährige wissenschaftliche Förderung am Seminar für Soziologie der Universität Bonn. In diesen Dank schließe ich ebenso ein Prof Dr. Werner Gephart für die zahlreichen Diskussionen der soziologischen Theorie und Prof Dr. Stefan Hradil für die wichtigen Anregungen aus dem Bereich der Sozialstrukturanalyse und die fortlaufende kritische Kommentierung. Jürgen Klauke danke ichfür die Überlassung des Copyrights zur Titelbildgestaltung. ISBN 978-3-8100-1416-0 ISBN 978-3-322-95780-1 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-95780-1 © 1995 by Leske + Budrich, Opladen. Zug\. Dissertation Universität Bonn. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Ver wertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zu stimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Verviel fältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Ver arbeitung in elektronischen Systemen. Kapitel I Soziale Kontrolle in der individualisierten Gesellschaft -Offene Fragen 7 Kapitel 11 Modeme Gesellschaftsstruktur und Sozialstrukturanalyse 19 I. Individualisierung und Pluralisierung als gesellschaftliche Strukturprinzipien 21 2. Sozialstruktur zwischen Autonomisierung und Anomisierung 25 3. Individualisierung als Abweichung und Anpassung 30 4. Diskussion: "Unkontrollierte Sozialstruktur" -Neue Handlungsspielräume? 40 Kapitel III Ordnungsbildung in der klassischen soziologischen Theorie 43 I. Das Paradoxon der Individualisierung: Georg Simmel 44 2. Autonomie und Abhängigkeit als Folge funktionaler Differenzierung: Emile Durkheim 49 3. Die Dialektik der Rationalisierung: Max Weber 51 4. Klassische Analysekriterien sozialer Kontrolle 53 Kapitel IV Implizite Grundlagen der Ordnungsbildung in den Theorien sozialer Kontrolle 57 I. Normative und interpretative Theorieparadigmen sozialer Kontrolle 58 2. Gesellschaftliche versus individuelle Determinanten sozialer Ordnungsbildung 59 3. Sozialstrukturelle Voraussetzungen der Ordnungsbildung 71 4. Funktionsweise sozialer Kontrolle im gesellschaftlichen System 78 5. Formen der sozialen Kontrolle 84 6. Ein integratives Konzept sozialer Kontrolle 91 Kapitel V Ambivalenzen der Ordnungsbildung in der Moderne: Gesellschaftstheorien als Konzepte sozialer Kontrolle 96 1. Moderne Ordnungsbildung und die Komplementarität von Differenzierung und Integrierung 98 2. Individualisierungstendenzen als Resultat moderner Ordnungs bildung 119 3. Implizite Formen sozialer Kontrolle in der Gesellschaftstheorie 132 4. Die Kontrollstruktur moderner Gesellschaften 149 Kapitel VI Individualisierung von sozialer Kontrolle -Eine alternative Deutung sozialstruktureller "Paradoxien" 153 1. Ordnungsbildung unter Individualisierungstendenzen 154 2. Konstitutive "Paradoxien" moderner Sozialstruktur: Autonomie und Anomie, Abweichung und Anpassung 159 3. Individualisierung als soziale Kontrolle 166 4. Zur Komplementarität der Sozialstrukturmodelle 171 Kapitel VII Soziale Kontrolle und moderne Gesellschaftsstruktur 173 1. Ordnungsbildung und Kontrollarbeit -Theoretisches Fazit 173 2. Soziale Kontrolle und praktische Lebensfllhrung -Beispiele 176 Literatur 189 Kapitel I Soziale Kontrolle in der individualisierten Gesellschaft - Offene Fragen In soziologischen Untersuchungen wird im allgemeinen davon ausgegangen, daß ein nicht unwesentliches Kennzeichen moderner Gemeinschaftsformen auf der Abwesenheit traditioneller Kontrollen beruht. Danach muß die the matische Verbindung von sozialer Kontrolle und den virulenten sozialstruk turellen Individualisierungstendenzen zunächst als Widerspruch erscheinen. Die erste und vielleicht naheliegendste Frage ist deshalb, ob die Verwendung des Begriffs "soziale Kontrolle" überhaupt noch mit Erklärungsleistung verbunden ist. So warnen auch Boudon und Bourricaud in ihrem Dictionnaire Critique de la Sociologie über 90 Jahre nach Einfilhrung des Begriffs durch Edward A. Ross: "Wenn man den Begriff der sozialen Kon trolle benutzt, sollte man stets größte Vorsicht walten lassen." (dt. 1992: 480) M. E. ist jedoch die Vorsicht gegenüber dem Begriff "soziale Kontrolle" in der gegenwärtigen soziologischen Diskussion eher zu groß geworden. In welchem Untersuchungskontext wird noch soziale Kontrolle thematisiert? Hauptsächlich geschieht dies in Spezialbereichen der Soziologie, denkt man an Untersuchungsfelder wie abweichendes Verhalten, Kriminalität oder ak tueller: das Systems der sozialen Sicherung I , ebenso auch an die selbständige Sektion "Soziale Probleme und soziale Kontrolle" innerhalb der Deutschen Gesellschaft fur Soziologie. In diesen Bereichen sind jedoch weniger jeweils spezifische Phänomene relevant -so wird etwa abweichendes Verhalten auch in der Sozialisationsforschung, Kriminalität in der Kriminal- und Rechtssoziologie und das System der sozialen Sicherung in der politischen Soziologie oder Sozialstrukturanalyse untersucht, -sondern der Nachweis der Existenz sozialer Kontrolle. Umgekehrt formuliert, wird das implizite soziale Problem darin gesehen, daß in bestimmten Wirklichkeitsausschnitten und Handlungssphären soziale Siehe hierzu etwa Guldimann u.a. 1978, Sachßerrennstedt 1986, Leibfriedffennstedt 1985. 7 Kontrolle wirksam werden kann, die die Betroffenen selbst nicht wahrneh men, die aber von soziologischer Seite durch "Skandalisierungsforschung"2 aufgedeckt werden muß. Dies geschieht meist durch die kritische Evaluation sozialpolitischer Maß nahmen, die als Machtinstrumente kapitalwirtschaftlich organisierter Ge sellschaften gesehen werden3 oder durch die historische Betrachtung des Sy stems der sozialen Sicherheir\ an dem die sozialdisziplinierenden Aspekte akzentuiert werdens. Soziale Kontrolle wird dabei in enger Verbindung zu staatlichen Institutionen untersucht6, so daß mit zunehmendem institutionel len Ausbau eine immer subtilere Form sozialer Kontrolle konstatiert werden kann: Der vorläufige Kulminationspunkt wird darin gesehen, daß die öffent liche Subsistenzsicherung die Eigenverantwortung für soziale Problem lagen als Normalität darstellt (vgl. etwa Sachße/Tennstedt 1986:13)7 bzw. daß die 2 Dieser Begriff ist von KreisslIWolffersdorf-Ehlert (1985:95) übernommen. 3 Dabei wird argumentiert, daß Inhalt und Form der sozialen Kontrolle allein von der Staatstätigkeit abhängen. So etwa PilgramJSteinert: "Die Kontrolle sozial abweichenden Verhaltens durch den Staat wird jedenfalls heute als Teil eines umfassenden ökonomi schen und ideologischen Aufgabenprogramms wahrgenommen und hängt ihrem Inhalt und ihrer Form nach von der allgemeinen Entwicklung der Staatstätigkeit ab." (1980: 168) 4 Zum Beispiel zeigen historische Analysen, daß staatliche Armengesetzgebung im 19. Jahrhundert im Zuständigkeitsbereich der Polizei lag; hieran läßt sich die noch stark re pressiv ausgerichtete Kontrollfunktion ablesen. Erst seit Beginn der industriellen Produk tionsform ist eine "Zuständigkeits-und Risikoverteilung zwischen individueller Lebens vorsorge in privaten Lebensgemeinschaften (Privathaushalten) und gesellschaftlicher Da seinsvorsorge ... auf das ökonomische Handlungssystem hin konstruiert" (Tennstedt 1976: 140f.) worden. 5 Guldimann u.a. stellen diese drei Funktionen von Sozialpolitik heraus: Kompensations funktion, Konstitutionsfunktion und Kontrollfunktion (vgl. 1978, S. 15ff.). Auch nach Sachßerrennstedt ist das eigentliche sozialpolitische Ziel der kompensatorischen Trans ferleistungen Sozialisierung zur Aufrechterhaltung einer privaten, markttbrmigen Repro duktion (1986). 6 In ähnlicher Weise argumentiert auch Mutz in seiner Untersuchung zur "Sozialpolitik als soziale Kontrolle am Beispiel der psychosozialen Versorgung" (1983). Hierbei wird in bezug auf die sozialpolitisch unterstützte soziale Kontrolle lolgendes Paradox gesehen: "Das filr alle Gesellschaften grundlegende Bedürfnis der Individuen nach sozialer Inte gration wurde in der bürgerlichen Gesellschaft zu einem besonderen Problem, zu einem sozialen Problem, das sich durch die Ideologie der Privatheit als eine spezifische Form der Gesellschaftlichkeit nicht durch eine 'invisible hand' löst, sondern vielmehr Institutio nen hervorbringt, die zwar als öffentlich (damit auch Teil der Gesellschaftlichkeit) be zeichnet werden, die aber, der Ideologie der Privatheit entsprechend, als äußerlich, als Eingriffe in die Privat-Sphäre, erfahren werden -dies, obwohl der private Raum eigent lich derjenige ist, der von der Gesellschaft ausgegrenzt ist." (Mutz 1983:239) 7 In diesem Zusammenhang ist es umstritten, ob eine Rücknahme sozialstaatlicher Leistun gen mit der Lockerung der durch Sozialpolitik ausgeübten Kontrollfunktion einhergehen würde. Vgl. hierzu etwa Thomas ülk: "Neue Subsidiaritätspolitik" -Abschied vom So- 8 kriminologischen, sozialpflegerischen und erzieherischen Institutionen vor nehmlich zur Kontrolle normaler Verhältnisse um funktionalisiert worden sind (Kreißl 1989:429; vgl. auch Kreißt 1986). Dabei wird soziale Kontrolle gerade nicht als "normales" Phänomen der Gesellschaft gesehen8, sondern die Forschungsstrategie basiert darauf, daß ein scheinbares Kontrollziel definiert (und kritisiert) wird9, dessen Über wachung durch die sogenannten Instanzen der sozialen Kontrolleto nachge wiesen wird. Somit ergibt sich ein jeweils begrenzter Kreis von "kontrol lierenden" (kollektiven) Akteuren und "kontrollierten" Personen, die in spe zifischen Kontrollsituationen interagieren. Ihnen steht gleichzeitig ein Kreis "nicht-kontrollierter" Personen gegenüber. In allen übrigen, nicht einschlägig bezeichneten Untersuchungsfeldern scheint dagegen soziale Kontrolle nicht mehr wirksam zu sein bzw. der Be griff "soziale Kontolle" keinen Erklärungsbeitrag mehr zu leisten. Gemessen zum Beispiel an den derzeit herausragenden Analysekategorien in der sozio logischen Diskussion: "Individualisierung" und "Pluralisierung" fUhrt die Untersuchung sozialer Kontrolle generell ein Schattendasein. Eine offenkun dige Auswirkung, daß "soziale Kontrolle" als Charakteristikum von Gegen wartsgesellschaften nicht mehr gesehen wird, sind die mit den Schlagworten Individualisierung und Pluralisierung herausgehobenen "Freisetzungspro zesse" und "neuen Handlungsspielräume", deren analytische Trefflichkeit ja auch nicht einfach von der Hand gewiesen werden kann. I I Diese Beobach tung steht in einem gewissen Kontrast dazu, daß "soziale Kontrolle" in den Lexika und der EinfUhrungsliteratur zur Soziologie immer noch als soziolo gischer Grundbegriff, allerdings oft als mehrdeutiger I 2, gewertet wird. zialstaat oder Entfaltung autonomer Lebensstile?" (1986). Die Verquickung von Hilfe und Kontrolle bzw. deren Ausflösung kann danach von unterschiedlicher Seite politisch genutzt werden. 8 Das wird auch daran deutlich, daß KreißI seinen empirischen Beleg dieser These auf drei Fallstudien aus den Bereichen der präventiven Kriminalpolitik, der Rationalisierung der Polizei und der Therapeutisierung des StrafVollzugs stützt. 9 Zum Beispiel Kontrolle regelkonformen Verhaltens oder Kontrolle der Einhaltung einer Standard-Erwerbsbiographie. 10 Zum Beispiel die Institutionen des Rechts, der Sozialisation oder der Sozialfllrsorge. II Andererseits gibt es auch Gründe dafllr, den Grad persönlicher Freiheit und das Ausmaß sozialer Kontrolle in Gesellschafissystemen überhaupt nicht analytisch miteinander zu verbinden, wie Luhmann mit Blick auf Untersuchungen anderer Kulturkreise konstatiert (vgl. 1982: 15, Fußnote 2). 12 So etwa Lexikon zur Soziologie eI978:425), Wörterbuch der Soziologie (1989:374) und Soziologisches Wörterbuch (H. Schoeck, 71973:200). Hervorzuheben ist das von Rene König herausgegebene Lexikon "Soziologie" (1958). In bezug auf den Grundbegriff "so ziale Kontrolle" wird ein uneinheitlicher Begriffsgebrauch konstatiert, dem allerdings 9 Zusammenfassend läßt sich zunächst sagen, daß die "Lage" des Begriffs der sozialen Kontrolle dadurch gekennzeichnet ist, daß er in einem einge schränkten Untersuchungsfeld benutzt wird und scheinbar keine zeitdiagno stische Relevanz mehr besitzt, dagegen aber nicht als Grundbegriff ange fochten wird13. Sie verkompliziert sich jedoch noch durch einen weiteren Aspekt. Bei einer genaueren Betrachtung der sozialen Wirklichkeit lassen sich nämlich immer noch Phänomene entdecken, die ehemals im Kontext tradi tioneller Lebensformen oder vormoderner Gesellschaften mit sozialer Kon trolle umschrieben worden sind: die Konflikte innerhalb von Nachbarschaf ten stellen das Hauptarbeitsgebiet der Gerichte dar; Skalen von "in" bis "mega-out" gibt es nun nicht nur für Kleiderordnungen, sondern ebenso auch für kulinarische Ordnungen, Einrichtungsordnungenl4, Freizeitordnungen etc., die Verhaltensanleitungen für jede Lebenslage füllen ganze Bibliotheken, modeme Mythen finden europaweit Verbreitungl5 und eine renommierte Wochenzeitung verkündet, daß die Weltgesellschaft durch "Klatsch" regiert wirdl6. Darüber hinaus lassen sich auch neue Zwänge ausmachen, die gerade Fol ge der modemen, großräumlichen Vernetzung sind: geschäftliche Transak tionen im internationalen Business unterliegen unterschiedlichen Zeitord nungen, der expansive Tourismus (ob sanft oder aggressiv) erfordert indivi duelle Anpassungsleistungen, interkulturelle Verständigung wird in weiten Bereichen durch Computersprachen kontrolliert und EG-Normen beeinflus sen das Konsumangebot banalster Alltagsprodukte. durch die dort vor allem im Anschluß an Gurvitch entwickelte Systematik beizukommen sei. Diese Systematik umfaßt wesentliche Aspekte der klassischen amerikanischen Kon troll forschung wie Recht, Symbole etc., hat aber scheinbar keinen besonderen Einfluß auf die nachfolgenden Untersuchungen zur sozialen Kontrolle gewonnen. Dagegen werden gerade die von König unter "sozialer Kontrolle" subsumierten Kategorien heute verstarkt in der neueren Gesellschaftstheorie diskutiert. 13 Vgl. beispielsweise als neu überarbeitete Publikation über soziologische GrundbegritTe Bellebaum <,11991). 14 Es gelten scheinbar auch im Bereich Wohnen, der im Vergleich zur Kleidermode bisher langlebiger war, neue, individualistische Gestaltungsanforderungen: "früher typische Normen (Sofa und zwei Sessel) verschwinden ... Die eigenen vier Wande werden zur - schnell verwandelbaren - 'BUhne' für die eigene Persönlichkeit, für Stimmungen und Traume. VielflUtige Anregungen einer lebendigen Kulturmixtur und eine liebenswerte Un-Ordnung kennzeichnen die jüngste Entwicklung" (vgl. Mosaik 111993, S.68.) 15 Vgl. hierzu die aktuelle Sammlung "sagenhafter Geschichten", die der Volkskundler Roll' Wilhelm Brednich in mehreren Banden veröffentlicht hat. 16 Vgl. etwa einen essayistischen Artikel Zeit-Magazin vom 19.2.1992 10 Und schließlich gibt es auch in der "aufgelösten Großgruppengesellschaft" offensichtlich noch zwei kontrollierte Supergruppen: Frauen haben immer noch keinen "Anspruch auf ein Stück eigenes Leben"17, wogegen der Alltag von Männern nach wie vor vom Widerstandskampf gegen die Kontrolle durch ihre Lebenspartnerinnen geprägt zu sein scheintl8• Angesichts dieser Beispiele ist die Frage nach spezifischen Mechanismen sozialer Kontrolle in modernen Gesellschaften, d. h. in Gesellschaften, die auf den ersten Blick gerade durch gegenläufige Tendenzen, nämlich zuneh mende Individualisierung und Pluralisierung gekennzeichnet sind, wieder interessant. Deshalb soll diese Frage auch die Basis der folgenden Betrachtungen bie ten. Zu ihrer Beantwortung werden im wesentlichen heterogene Theorie elemente kombiniert. Hierzu ein paar kurze Vorbemerkungen In der ursprünglichen Bedeutung des Begriffs bezeichnete Kontrolle die "Eintragung auf das Gegenregister"19. Aus einer solchen etymologischen Bestimmung leitet Robert ab, Kontrolle sei "die Echtheitsprüfung einer Do kumenten-'Rolle' mit Hilfe eines Doppels, der zweiten Hälfte des Dokuments, um sich von der 'Konkordanz' beider zu überzeugen." (1990: 156) Dieser Vergleich eines Ist- und eines Soll-Zustandes filhrt demnach "zu der Idee des gezielten Einwirkens und Regulierens" (ebda), also einer normativen Vorstellung. Durch den Vergleich von Ist- und Soll-Zustand wird jedoch nicht nur eine bestimmte Norm konstruiert, sondern das normative Element liegt auch bereits der analytischen Trennung von Ist- und Soll-Zustand zu grunde. Auf die soziologische Fragestellung angewendet, würde dies bedeuten, daß filr jede Interaktionssituation eine individuelle und eine soziale Vorstellung (die deckungsgleich sein können) darüber besteht, welche Handlungen ange messen und welche unangemessen sind. Ähnlich definiert Luhmann Kon trolle als "Vergleich von vergangenen Texten (Aufzeichnungen, Festlegun gen, Normen, Zielen usw.) mit gegenwärtigen Informationen." (1989a: 14)20 17 Vgl. hierzu etwa Beck-Gemsheim (1983). 18 StUtzt man sich zum Beispiel auf die empirische Untersuchung von BenardlSchlaffer (1992). 19 Vgl. die etymologische Begriffsbestimmung, nach der sich im Französischen die heutige verwachsene Form "contröler" aus den Formen "contre" (gegen) und "röle" (Register) ge bildet hat; nach F. Diez: Etymologisches Wörterbuch der romanischen Sprachen, Bonn 51887, S. 216. 20 Hier könnte man den Begriff der sozialen Kontrolle von dem der "sozialen Steuerung" unterscheiden. "Kontrolle" ist m.E. ein umfassenderer Begriff als "Steuerung". Luhmann formuliert etwa: "Bei Steuerung handelt es sich immer um Differenzminderung. (Luh n mann 1989a:l3) Diese Differenzminderung kann nach Luhmann "traditional als Zweck- 11

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