Horst W. Opasmowski Soziale Arbeit mit arbeitslosen Jugendlichen Horst W. Opaschowski Soziale Arbeit mit arbeitslosen Jugendlichen Streetwork und Aktionsforschung im Wohnbereich Leske Verlag + Budrich GmbH 1976 Dieses Exemplar ist vom Land Nordrhein-Westfalen beschafft und fUr Zwecke der politischen Bildung kostenlos abgegeben worden. Der Minister fUr Wissenschaft und Forschung des Landes Nordrhein-Westfalen - Landeszentrale flir politische Bildung. CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Opaschowski, Horst W. Soziale Arbeit mit arbeitslosen Jugendlichen: Streetwork u. Aktionsforschung im Wohnbereich. - 1. Aufl. - Opladen: Leske, 1976. ISBN 978-3-322-95518-0 ISBN 978-3-322-95517-3 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-95517-3 © Leske Verlag + Budrich GmbH 1976 2-1-879-2 Inhalt Vorwort . . . . . . . . . . . . 9 A. Problem/age und Forschungsstand 11 I. Ausgangssituation ..... 11 II. Forschungsdefizit . . . . . . . . 13 III. Zur Lebenssituation von Dauerarbeitslosen 14 1. Generalisierende Befunde . . . . . . 14 2. Die Zeit ist aus den Fugen . . . . . • 14 3. Weibliche Arbeitslose: Verdienstlos, aber nicht beschaftigungslos ........... 15 IV. Zur Lebenssituation von arbeitslosen Jugendlichen 16 1. Bedeutung und Vergleichbarkeit der Aussagen 16 2. Ausfall der beruflichen Tatigkeit als "Bestatigungssituation" . . . . . . . . . 17 3. Veranderung der Freizeitgewohnheiten . . 18 4. Eindruck der Langeweile: Produkt von Ziellosigkeit und Zufalligkeit . . . . . . . . . . . . . . 18 5. Geringere Betrotfenheit der arbeitslosen weiblichen Jugendlichen ............... 19 6. Isolierung gegeniiber der sozialen Umwelt . . . 20 7. Problemlosung: Aufgabenstellung mit Dauercharakter 21 8. Zwischenlosung: Bindung an interessenbestimmte Gruppen 21 B. Strukturanalyse Hamborns als Brennpunkt der Jugendarbeitslosigkeit 23 I. Begriindung . . . . . . . . 23 II. Demographische Aspekte 24 III. Sozialhistorische Aspekte 26 IV. Wirtschaftsstrukturelle Aspekte 28 V. Siedlungsgeographische Aspekte . 29 VI. Wohnungs-und stadtebauliche Aspekte 29 VII. Sozialstrukturelle Aspekte . . . . .. .... 32 VIII. Resiimee: Strukturell bedingte Jugendarbeitslosigkeit 33 C. Sozialarbeit im Kontaktbereich der Stra/Je. Konzeption und Realisation ........... 35 I. Projektziele . . . . . . . . . . 35 1. Berufspadagogische Jugendarbeit 35 5 2. Soziale Freizeitarbeit . . . . . . . . . . . . 35 3. Politische Bildungsarbeit .......... 36 II. Streetwork als Methode. Erfahrungen und Probleme 37 1. Voraussetzungen und Arbeitsprinzipien . . . . 37 2. Vergleich mit dem MUnchener Streetwork-Projekt 38 3. Niederlandische Erfahrungen 39 4. Anglo-amerikanische Erfahrungen 39 III. Skizzierung des Projekts 40 1. Rahmenbedingungen 40 2. Beratungskonzept 41 3. Kontaktarbeit auf der Stra~e 42 4. Intensivberatung zu Hause 42 IV. Strukturierung der Kontaktgesprache durch Fragen-Raster 47 D. Moglichkeiten und Grenzen sozialer Hillen 51 I. Grundsatzliche Probleme 51 II. Handlungsansatze 51 III. Immobilitat der Institutionen 53 IV. Individualangste als Solidarisierungsbarrieren 54 V. Defizitare Lebenssituationen . . . . . . . 56 VI. Stabilisierung durch kontinuierlichen Beratungsproze~ 57 E. Typologie der arbeitslosen Jugendlichen 60 I. Haltungskriterien 60 II. Die Zuversichtlichen 62 Renate - Reinhard III. Die Pragmatischen . 64 Hans Joachim - Peter - Manfred - Barbel IV. Die Resignativen . . . . 68 GUnter - Peter - Norbert V. Die Apathischen . 72 Hans - Heinz F. Jugendarbeitslosigkeit und soziale Folgen 74 I. Unterschiedliche Bewertungen 74 II. Familie als Not- und Solidargemeinschaft 74 III. Entwicklungsgefahrdung und Reduzierung der Kontakte 76 IV. Wandel der Einstellung zur Arbeit . 77 V. Materialisierung der Lebenshaltung 79 VI. Psycho-soziale Verarmung . . . . 80 6 G. Jugendarbeitslosigkeit und Kriminalitat . . . . . . . . 82 I. "Kriminalisierung der Jugend" - eine berufsstandische Spekulation . . . . . . . . . . . . . . 82 II. Riickgang der Jugendgerichtsfalle . . . . . . . . . 84 III. Okologische Solidaritat und soziale Kontrolle . . . . 86 IV. Keine Flucht in Subkultur, Alkoholismus und Drogensucht 89 H. Sozialpadagogische Konsequenzen . . . . . . . . 91 I. Problematisierung sozialpadagogischer Projekte . 91 II. Integration situativer und struktureller Momente 92 III. Marienthal (1930/31) und Hamborn (1975/76) im Vergleich 93 IV. Konzeptionell-organisatorische Konsequenzen 94 V. Administrativ-politische Konsequenzen 97 I. M.a terialien 100 (Ausgewahlte Programme, Projekte und Konzepte von Jugend hilfe, Sozialpadagogik und Sozialpolitik) I. Landesregierung Nordrhein-Westfalen Programm gegen J ugendarbeitslosigkeit des Landes Nordrhein-Westfalen (1975) . . . . . . . . . 100 II. Landesregierung Nordrhein Westfalen AnschluBprogramm zur Bekampfung der Jugendarbeits- losigkeit (1976) ................ 101 III. Deutsches Jugendinstitut Thesen zum Thema "Jugendpolitik und Jugendarbeitslosig- keit" (1976) . . . . . . . . . . . . . . . . . . 102 IV. Arbeitsgruppe Kommunal-und Verwaltungsforschung der Universitat EssenlGesamthochschule Sozialpadagogische Betreuung und Begleitung im Rahmen von Jugendarbeitslosen-Programmen (1975) . . . . .. 105 V. Sozialamt der evangelischen Kirche von Westfalen Bildungsveranstaltungen mit arbeitslosen Jugendlichen (1975) 108 VI. Horst W. Opaschowski "Job-Freizeit" - soziale Freizeitarbeit mit arbeitslosen Jugendlichen. Ein Projekt des Jugendamts Essen (1976) 112 VII. Unabhangiges Jugendzentrum NordstadtlHannover Zur Organisation von Freizeitbediirfnissen in Verbindung mit beruflicher Ausbildung. Padagogische Konzeption eines Selbsthilfeprojekts (1975) . . . . . . . . . .. 118 7 VIII. Arbeit und Leben / Landesarbeitsgemeinschafl: Hessen Stadtteilbezogene politische Bildungsarbeit mit arbeitslosen Jugendlichen am "Frankfurter Berg". Entwurf eines Projekts (1976). . . . . . . . . . . . . . . . _. . . . . .. 120 XI. Alois Weidacher, Jugendarbeitslosigekeit und ihre Darstel lung in den Statistiken der Bundesanstalt fUr Arbeit . X. Arbeitslose Jugendliche unter 20 Jahren Ende Juni 1976 J. Literaturverzeichnis 8 Vorwort Die bisherigen Erfahrungen mit Programmen und Projekten zur Be kampfung der Jugendarbeitslosigkeit haben ergeben, daB rund zwei Drit tel der arbeitslosen Jugendlichen* von sich aus die angebotenen Hilfen nicht aufgreifen bzw. dazu nicht motiviert und in der Lage sind. Durch Insti tutionen ist nur ein kleiner Teil der arbeitslosen Jugendlichen ansprech bar. Amtlicher Charakter und biirokratisches Vorgehen lassen Barrieren (" Tiirschwellenangste") entstehen, so daB offentliche Angebote fiir arbeits lose Jugendliche zwar raumlich, aber nicht psychosozial erreichbar sind. Daraus leitet sich die Notwendigkeit der Erprobung neuer Formen offe ner Beratung und Hilfe abo 1m Auf trag des nordrhein-westfalischen Sozialministers wurde eine neu artige Methode der Sozialarbeit mit arbeitslosen Jugendlichen entwickelt und erprobt: "Street-corner-work." Es ergabe im Deutschen keinen Sinn, wollte man diesen aus der amerikanischen Sozialarbeit iibernommenen Be griff wortlich iibersetzen. "Sozialarbeit im Kontaktbereich der StrafJec - diese Formulierung trafe die Sache wohl am ehesten, sie ist aber ziemlich umstandlich. Wortgetreuer in der Obersetzung ware "Sozialarbeit an der StrafJenecke", trifft aber den tatsachlichen Vorgang nicht genau. Es ware auf jeden Fall falsch, wenn der Eindruck fliichtiger Zufallsbegegnungen entstiinde. In diesem Sinne moge es verstanden werden, wenn in den folgenden Ausfiihrungen Wortungeheuer wie "StraBen-Sozialarbeiter" oder "Street corner-worker" vermieden werden und einfach yom Streetworker, So zialberater, StraBenkontakter oder Kontakter gesprochen wird. Und sinn gemaB 5011 es dann auch anstelle von "Street-corner-work" oder "StraBen Sozialarbeit" der Einfachheit halber "Streetwork" oder "StraBenbera tung" heiBen. Der im Streetwork-Projekt gewahlte Handlungsansatz versteht sich als problem- und umweltorientierte Sozialarbeit mit dem Ziel einer ebenso offenen wie offensiven Jugendberatung. Streetwork in Verbindung mit Aktionsforschung setzt an Ort und Stelle bei den akuten Problemen ar beitsloser Jugendlicher an. Eingebunden in ihr sozialkulturelles und po- • AI •• arbeitslo.e Jugendliche' gehen in der amtlichen Statinik aile Arbeitslo.en unter 20 Jahren (vgl. hierzu Text IX und X der .Materialien"). 9 litisch-institutionelles Bezugssystem ist diese neue Form offener Jugend beratung noch am ehesten in der Lage, die psycho-sozialen Folgewirkun gen der Arbeitslosigkeit zu iiberwinden oder sie zumindest zu mildern. Zu den Aufgabengebieten der Streetworker gehoren die Stabilisierung des Selbstwertgefuhls, die Oberwindung der Isolierung, die Forderung der Eigeninitiative, die Starkung der Arbeitsmotivation und die Erhaltung der Berufsperspektive. Die folgende Darstellung eines Modellversuchs der sozialen Arbeit mit arbeitslosen Jugendlichen bezieht sich nicht auf "irgendeine" Situation, sondern konkret auf die Wohn- und Lebensbedingungen arbeitsloser Ju gendlicher im Duisburger Arbeiterviertel Hamborn, dem in der Bundes republik wohl am starksten von der Jugendarbeitslosigkeit betroffenen GroBstadtgebiet und Industriezentrum. Hier ist jeder dritte bis vierte Arbeitslose ein Jugendlicher unter 20 Jahren. Die Landesregierung von Nordrhein-Westfalen hat aus den Ergebnis sen des Hamborner Projekts die notwendigen konzeptionellen und perso nellen Konsequenzen gezogen. In ihrem AnschluBprogramm zur Bekamp fung der Jugendarbeitslosigkeit beschloB sie, in Arbeitsamtsbezirken mit hoher Jugendarbeitslosigkeit zusatzlich 70 sozialpadagogische Fachkrafte einzusetzen. Die Sozialpadagogen sollen als Streetworker tatig sein und die arbeitslosen Jugendlichen "an ihren Treffpunkten bzw. zu Hause auf suchen, beraten, motivieren und in ihrer Personlichkeit stabilisieren«. Die Untersuchung hatte nicht durchgefiihrt werden konnen ohne das Entgegenkommen und die Mithilfe von Herrn Schuster (Arbeiterwohl fahrt Duisburg) und Herrn Saatkamp (Jugendamt Duisburg) sowie den Herren Buchholtz und Kinold (Ministerium fur Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW ). Ihnen und Herrn Gerhard Fauth, mit dessen redaktioneller Unterstiitzung eine Vorinformation der Fachoffentlichkeit uber erste Ergebnisse des Projekts im Deutschlandfunk erfolgen konnte, bin ich zu Dank verpflichtet. Ganz besonders hervorheben mochte ich die Mitarbeit und das Engagement des Streetworker-Teams: Hermann Buh ren, Lothar Josting, Ingeburg MroB, Ruth Neumann, Gunnar Vogel. Sechs Monate haben sie praktische Sozialarbeit ,vor Ort' geleistet und gleichzeitig fur die wissenschaftliche Auswertung Beobachtungs-, Befra gungs- und Gesprachsberichte angefertigt. Ihnen verdanke ich viele An regungen und Hinweise. H. W. Opaschowski 10 A. Problemlage und Forschungsstand I. Ausgangssituation Die technologischen Veranderungen unseres Wirtschaftssystems haben aus der ehemals zyklisch-rezessiven Arbeitslosigkeit eine technologisch strukturelle werden lassen. Die Folgen sind strukturbedingte »Freisetzun genU groBeren AusmaBes. Von der unvermindert anhaltenden Rationali sierung mit arbeitsplatzvernichtender Tendenz sind die nicht beziehungs weise noch nicht voll in das Arbeitsleben Integrierten, also die Schulab ganger, Auszubildenden und Jungarbeiter am starksten betroffen. Die Ge fahr der mittelfristigen Jugendarbeitslosigkeit bis in die Mitte der 80er Jahre zeichnet sich abo Auch nach Bewaltigung des Problems der Massen arbeitslosigkeit wird eine feste »So<kelarbeitslosigkeit" von Jugendlichen erhalten bleiben. Die davon Betroffenen werden ein Heer von Dauer arbeitslosen bilden. Die sozialen Folgen fur den Einzelnen und die Gesell schaft sind noch nicht absehbar. Nach den Ermittlungen der Projektgruppe »Jugendarbeitslosigkeit" der Bundesanstalt fur Arbeit fiel der rapide Anstieg der Jugendarbeits losigkeit zeitlich zusammen mit - steigenden Zahlen an Schulabgangern; - der verstarkten Nachfrage nach Ausbildungsplatzen und einer quali- fizierten Ausbildung auch bei bisher »bildungsfernen Schichten"; - dem stetigen Ruckgang des Angebots an Ausbildungsstellen; - dem sich auflosenden Ruckstau von Schulabgangern; (Die bildungspolitischen MaBnahmen der sechziger Jahre wie z. B. die Einfuhrung eines 9. Pflichtschuljahres und die Bildungswerbung fur den Obergang zu weiterfiihrenden Schul en haben auf dem Arbeitsmarkt »Entzugseffekte" in Form einer hohen Zahl unbesetzter Ausbildungs platze hervorgerufen. Die Betriebe haben sich dieser Entwi<klung ange paBt und die Zahl der Ausbildungsplatze kontinuierlich reduziert); - den in der Offentlichkeit gewachsenen Anspriichen an die Qualitat der Ausbildung und die daraus resultierenden gestiegenen Anforderungen an Ausbildungsbetriebe und Berufsbilder (Projektgruppe 1975, 9 f.). Bei den arbeitslosen Jugendlichen unter 20 Jahren betrug die Arbeits- losenquote im September 1975 5,8 Prozent. Sie lag damit deutlich uber dem Gesamtdurchschnitt von 4,4 Prozent. Von den 115753 arbeitslosen Jugendlichen suchten rund 8 000 Jugendliche eine Lehrstelle oder eine ge- 11