ienchte des Bundesinstituts ür ostwissenschaflliche and internationale Studien sowjetischer Strafvollzug nach dem Gesetz •Carin Schmid Die Meinungen, die in den vom BUNDESINSTITUT FÜR OSTWISSENSCHAFTLICHE UND INTERNATIONALE STUDIEN herausgegebenen Veröffentlichungen geäußert werden, geben ausschließlich die Auffassung des Autors wieder. © 1982 by Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Köln. Abdruck und sonstige publizistische Nutzung - auch auszugsweise - nur mit vorheriger Zustimmung des Bundesinstituts sowie mit Angabe des Verfassers und der Quelle gestattet. Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien Lindenbornstraße 22, D-5000 Köln 30, Telefon 02 21/52 20.01 INHALT Seite Die einschlägigen rechtlichen Regelungen der Zwangsarbeit in der Sowjetunion . 2 Sinn der Besserungsarbeit in der Sowjetunion und Strafzwecklehre anderer Staaten . . 3 Allgemeine Bestimmungen des Grundlagengesetzes zur Vollstreckung der Zwangsarbeit 4 Vollstreckung von Zwangsarbeit mit Freiheits entzug. . 6 Arten der Besserungsarbeitseinrichtungen 7 Die Verlegung von Verurteilten aus einer Einrichtung in eine andere 10 Wesentliche Erfordernisse der Vollzugsart bei Freiheitsentzug 12 Der Vergleich mit den Gegebenheiten in west lichen Staaten 14 Haftbedingungen . 15 Arbeitsbedingungen 21 Arbeitszeit im Vergleich. . . . .. 25 Anrechnung der Arbeit auf Versicherungs- und Versorgungszeiten im Vergleich 27 Arbeitsvergütung im Vergleich . . . .. 28 Förderungs- und Strafmaßnahmen. . . . . . . . . . .. 31 Bestimmungen über die Haftung sowie über materielle und medizinische Versorgung der Verurteilten. 34 Bewachung und Sicherungsmaßnahmen . . . .. 38 Vollstreckung von Zwangsarbeit ohne Freiheits- Regelungen für die Zeit nach der Strafverbüßung . .. 46 Wertung des sowjetischen Grundlagengesetzes über Besserungsarbeit 47 Anmerkungen . . . . .. . 49 Anlagen 53 Summary 63 Dezember 1982 Kurzfassung In letzter Zeit mehren sich Berichte über Zwangsarbeit und Zwangsarbeiter in der Sowjetunion, die ausnahmslos die be sondere Härte dieser Strafvollzugsart schildern. Dies gibt Anlaß zu der Überlegung, inwieweit sich die vorliegenden Augenzeugenberichte durch die rechtliche Regelung der Zwangs arbeit in der Sowjetunion erhärten lassen oder ob sie, ihre Wahrheit unterstellt, über eine Praxis informieren, die praeter oder gar contra legem erfolgt. Die Darstellung der rechtlichen Regelung der Zwangsarbeit in der Sowjetunion stützt sich im wesentlichen auf das Ge setz über die "Grundsätze der Besserungsarbeitsgesetzgebung der UdSSR und der Unionsrepubliken" vom 11. Juli 1969. Da eine besondere Härte rechtlicher Regelungen am ehesten durch den Vergleich mit Strafvollzugsvorschriften anderer Staaten ersichtlich wird, wurden vergleichsweise neben der Entschließung des Ministerkomitees des Europarates vom 19. Januar 1973 über die "Mindestgrundsätze für die Behand lung der Gefangenen" vor allem Bestimmungen zur Ausgestal tung der Gefangenenarbeit der Bundesrepublik Deutschland, der Schweiz, Österreichs und Frankreichs sowie der skandi navischen Staaten als beispielhaft für den kontinental europäischen Rechtskreis herangezogen. Darüber hinaus konn ten als Beispiele für den anglo-amerikanischen Rechtskreis noch einige Monographien über Gefangenenarbeit in den USA und in Australien für den Vergleich ausgewertet werden. Ergebnisse: Vergleicht man die "Grundsätze der Besserungsarbeitsgesetz gebung der UdSSR und der Unionsrepubliken", kurz Grundla gengesetz genannt, mit Strafvollzugsregelungen anderer, vor allem westlicher Staaten, so gewinnt man den Eindruck, daß sie sich in der Behandlung prinzipieller Fragen des Strafvollzugs, wie Strafzweck, Arbeitspflicht, Rechtsstel- - II - lung der Verurteilten, kaum nennenswert unterscheiden. Aber auch Bestimmungen über getrennte Unterbringung der Verur teilten nach Geschlecht, Alter, Persönlichkeitsbild und Straftat, über Möglichkeiten ihrer Verbringung aus einer Vollzugseinrichtung in eine andere, wesentliche Erforder nisse bei Freiheitsentzug sowie über Bewachung und sonsti ge Sicherungsmaßnahmen einschließlich Waffengebrauch sind nicht nur nach Inhalt, sondern häufig sogar nach Anlage und Form ganz ähnlich ausgestaltet. Unterschiede zwischen Strafvollzugsregelungen anderer Staa ten zeigen sich zuerst bei der Aufgliederung des Strafvoll zugs in verschiedenen Vollzugsarten oder Regime, die nach dem sowjetischen Grundlagengesetz viel differenzierter er scheint. Außerdem kennt das Grundlagengesetz in der Voll zugsart der Besserungsarbeitskoloniesiedlung eine in west lichen Staaten in dieser Form unbekannte Art der Vollstrek- kung von Zwangs- oder Besserungsarbeit: Sofern diese Voll zugsart den Verurteilten gestattet, sich ohne Bewachung frei auf dem gesamten Siedlungsgelände zu bewegen, unter Umständen auch ohne Aufsicht außerhalb des Gebäudes einer Arbeit oder Ausbildung nachzugehen, zivile Kleidung zu tra gen, Geld und Wertsachen bei sich zu haben und unbegrenzt auszugeben, mag dies dem offenen Vollzug oder - wie es zum Teil heißt - der Halbfreiheit nach westlichem Strafvoll streckungsrecht gleichkommen. Hinsichtlich der weiteren Ausgestaltung dieser Vollzugsart jedoch, wonach Verurteil te auch mit ihren Familien in der Kolonie leben und dort sogar ein Wohnhaus erwerben und eine eigene Hauswirtschaft führen dürfen, könnte man die Vollstreckung von Besserungs arbeit in einer Koloniesiedlung als eine besonders moderne oder weitgehende und großzügige Form des offenen Vollzugs werten, wie sie in dieser Art in westlichen Staaten noch nicht erprobt wird. Auch die im Grundlagengesetz vorgesehene Strafart der Bes serungsarbeit ohne Freiheitsentzug ist - ebenso wie die Verbannung und Ausweisung - in dieser Form wohl nur in Staa ten des kommunistischen Herrschaftsbereichs bekannt. Ver gleicht man aber die nähere Ausgestaltung dieser Strafe in den verschiedenen sozialistischen Ländern, so erscheinen die sowjetischen Regelungen in einiger Hinsicht sogar freund licher als die mancher anderer dieser Staaten, z.B. was die Anrechnung von Krankheit, Schwangerschaft und Wöchnerinnen urlaub auf die Zeit der Verbüßung von Besserungsarbeit ohne Freiheitsentzug angeht. Unterschiede zwischen dem sowjetischen Grundlagengesetz und Strafvollzugsregelungen westlicher Staaten zeigen sich des weiteren noch bei der Ausgestaltung der Haft- und Arbeits bedingungen. Insbesondere hinsichtlich der Haftbedingungen erscheinen die sowjetischen Bestimmungen dabei Vergleichs- Ill - weise sehr streng, zumindest soweit sie den Kontakt des Ver urteilten mit der Außenwelt betreffen. So dürfen sowjetische Verurteilte in Besserungsarbeitskolonien mit allgemeiner Vollzugsart, was wohl als die übliche Form der Besserungs- arbeitsvollstreckung angesehen werden darf, insgesamt nur fünf Besuche im Jahr (3 kurz- und 2 langfristige) empfangen, während die insoweit strengste der zum Vergleich herangezoge nen Regelungen westlicher Staaten (Schweiz) Besuche alle drei bis vier Wochen gestattet. Ebenso ist der Briefwechsel der sowjetischen Verurteilten zahlenmäßig eingeschränkt, während er in den westlichen Vergleichsstaaten in der Regel unbe grenzt ist. Lediglich die Regelungen über den Empfang von Paketen und Postsendungen entsprechen sich in etwa. Doch ist in diesem Zusammenhang wieder zu berücksichtigen, daß nach sowjetischem Recht, die Geldbeträge, die Verurteilten zum Einkauf zusätzlicher Waren des täglichen Bedarfs zugestanden sind, nicht nur 15 Rubel (= ca. 50,— DM) im Monat nicht überschreiten dürfen - insoweit wäre die sowjetische Rege lung sogar freundlicher als etwa die des § 47 StVollzG, die nur 30,— DM als Einkaufsbetrag vorsieht -, sondern auch je nach Führung, Arbeitsleistung usw. des Betroffenen gekürzt werden können, ohne daß eine Untergrenze festgelegt wäre. Aber auch die Regelungen der Arbeitsbedingungen, soweit sie die Arbeitskraft und Arbeitsvergütung betreffen, erweisen sich als strenger denn in den westlichen Vergleichsstaaten. Was die Arbeitszeit der sowjetischen Verurteilten von acht Stunden täglich bei einem Ruhetag pro Woche angeht, so über steigt sie sowohl die in der Sowjetunion allgemein geregel te Arbeitszeit von 40,6 Stunden pro Woche, als auch die Arbeitszeit der meisten Verurteilten in den westlichen Staa ten, die sich entweder nach der am Ort üblichen Arbeitszeit richtet oder nicht mehr als sechs Stunden täglich beträgt, wenn auch verschiedentlich ein achtstündiger Arbeitstag für Verurteilte in ihrem eigenen Interesse - zur Vermeidung von Langeweile und Leere - gefordert (Australien) oder verein zelt auch praktiziert wird (Free-Venture-Model in einigen Staaten der USA). Darüber hinaus läßt das Grundlagengesetz keinen Urlaub zu, wohingegen die meisten Vergleichsstaaten Urlaubsmöglichkeiten in Sonderfällen wenigstens für ein oder zwei Tage vorsehen, in der Bundesrepublik Deutschland die Urlaubsregelung sogar den Grundsätzen des Bundesurlaubs gesetzes entspricht. Schließlich läßt das Grundlagengesetz offen, ob Zeiten der Aus- und Fortbildung auf die Arbeits zeit angerechnet werden, während dies nach den Vollzugsvor schriften der westlichen Vergleichsstaaten zumindest nahe gelegt, wenn nicht ausdrücklich gefordert wird. Was die Arbeitsvergütung der Verurteilten angeht, so gilt in der Sowjetunion offenbar das Bruttosystem, wonach sich die Entlohnung nach den für die Arbeit üblichen Sätzen richtet. Dieses System entspricht modernen Reformvorstellungen zum Strafvollzug allerdings nur dann, wenn es zugleich eine An- - IV - rechnung der Arbeit auf Versicherungs- und VersorgungsZeiten vorsieht. Eine solche Anrechnung wird im sowjetischen Grund lagengesetz ausdrücklich abgelehnt. Sie wird aber auch in den westlichen Vergleichsstaaten, die dieses System einge führt haben, trotz entsprechender gesetzlicher Vorschriften, aus finanziellen Gründen noch nicht praktiziert. Die effek tive Lage der sowjetischen Verurteilten ist hier also nicht wesentlich härter als die der Verurteilten anderer Staaten, die das Bruttosystem eingeführt haben. Auch der Abzug eines bestimmten Lohnanteils ist allgemein üblich. Doch erscheint der einem sowjetischen Verurteilten verbleibende Lohnanteil von regelmäßig 10 % niedriger als in den Vergleichsstaaten, so daß im Endergebnis auch auf dem Gebiet der Arbeitsvergü tung die sowjetischen Bestimmungen härter ausgestaltet sind. Darüber hinaus offenbart der Vergleich des Grundlagengeset zes mit Strafvollzugsgesetzen westlicher Staaten verschie dene Lücken, die zu Lasten der Verurteilten gehen können, wie etwa auf dem Gebiet der, wie es heißt, materiellen und medizinischen Versorgung. Zudem enthält das Grundlagegesetz keine Bestimmungen über das Anstaltspersonal oder über In spektion und Kontrolle der Anstalten, während diesen Fra gen in den Vollzugsgesetzen westlicher Staaten verhältnis mäßig breiter Raum gelassen ist. Auch eine Bestimmung, wo nach Gefangene keine Stellung einnehmen dürfen, die mit einer Disziplinargewalt gegenüber Mitgefangenen verbunden ist, fehlt im Grundlagengesetz. Insgesamt erweist sich danach der Strafvollzug bzw. die Besserungsarbeit in der Sowjetunion nach den Bestimmungen des Grundlagengesetzes nicht gerade als beneidenswert. Gleichwohl läßt sich gegen das Gesetz als solches, abgese hen von den nicht ungefährlichen Lücken, nicht allzu viel einwenden. Es kommt entscheidend auf den Vollzug der Besse rungsarbeit in der Praxis an. Dabei ist anzumerken, daß nach marxistisch-leninistischer Rechtsauffassung die Rechts praxis den bestehenden gesetzlichen Bestimmungen auch ent gegenlaufen kann, wenn die Weiterentwicklung der Verhält nisse dies erforderlich macht, ohne daß es einer Gesetzes änderung oder -neufassung bedürfte. Wie aber die Rechtswirk lichkeit der Besserungsarbeit in der Sowjetunion aussieht, ist die Frage. Nach Mitteilungen sowjetischer Bürger, die in die Bundesrepublik Deutschland gelangt sind (in einem von der Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte e.V. in der Zeit vom 19./20. November 1982 durchgeführten Hearing) sollen nicht nur die gesetzlichen Lücken zu Lasten der Ver urteilten praktiziert, sondern darüber hinaus auch die aus drücklichen gesetzlichen Regelungen nicht beachtet werden, wofür eine Reihe von Beispielen steht. Diese Berichte, als wahr unterstellt - und es spricht einiges dafür, daß sie die Wahrheit wiedergeben -, zeigen, wie weit Gesetzeslage und Rechtswirklichkeit in einem sozialistischen Staat aus einanderklaffen können. Seit das Erdgas-Röhrengeschäft mit der Sowjetunion in den Blickpunkt der Öffentlichkeit geraten ist, mehren sich Be richte - wie auch Dementi - über den Einsatz von Strafge fangenen bei den infrastrukturellen Vorarbeiten für die so- wjetische Erdgas-Leitung. Gegen eine Beschäftigung von Strafgefangenen beim Bau dieser Erdgas-Leitung ließe sich allerdings erst dann prinzipiell etwas einwenden, wenn die Zwangsarbeit in der Sowjetunion als eine besonders harte Form des Strafvollzugs erkannt werden müßte, gegen die auf der Grundlage der Menschenrechtspakte interveniert werden könnte. Für die Beurteilung der Härte des Strafvollzugs ist zweier lei zu berücksichtigen, zum einen die Rechtsvorschriften, zum anderen die Rechtspraxis. Die Frage nach der Rechts wirklichkeit sowjetischen Strafvollzugs dürfte sich nur 2 durch Augenzeugen-Berichte beantworten lassen. Mit dem vor liegenden Bericht soll der ersten Frage nachgegangen wer den: Läßt sich bereits gegen die sowjetischen Strafvollzugs vorschriften der Einwand der Verletzung der Menschenrechts pakte vorbringen? Aus diesem Grund sollen im folgenden die einschlägigen rechtlichen Regelungen über den Strafvollzug, d.h. in Hinblick auf den konkreten Anlaß, über die Zwangs arbeit in der Sowjetunion dargestellt werden. Da jedoch eine besondere Härte bestimmter Regelungen am ehesten aus einem Vergleich mit Regelungen der entsprechenden Materie in anderen Staaten ersichtlich wird, sollen die Bestimmun gen des sowjetischen Grundlagengesetzes, soweit möglich, in ihren wesentlichen Inhalten auch an Strafvollzugsregelun gen anderer Staaten gemessen werden. Der Bericht stützt sich dabei im wesentlichen auf das sowjetische Gesetz über die "Grundsätze der Besserungsarbeitsgesetzgebung der UdSSR 3 und der Unionsrepubliken" vom 11. Juli 1969. Für den Ver gleich der Regelungen dieses Gesetzes mit solchen anderer Staaten konnten - für den kontinental-europäischen Rechts kreis - neben der Entschließung (73)5 des Ministerkomitees - 2 - des Europarates vom 19. Januar 1973 über die "Mindest grundsätze für die Behandlung der Gefangenen" die Straf vollzugsgesetze der Bundesrepublik Deutschland, der Schweiz, Österreichs und Frankreichs und die einschlägigen Vorschrif ten über Gefangenenarbeit der skandinavischen Staaten her angezogen werden; für den anglo-amerikanischen Rechtskreis standen Monographien über Gefangenenarbeit in den USA und in Australien zur Verfügung. Darüber hinaus wurde noch einige Aufsatzliteratur zu Einzelfragen der Arbeit von Häftlingen sowie eine Vergleichsstudie neuesten Datums über die Strafe der "Besserungsarbeit ohne Freiheitsentzug" in den sozialistischen Ländern verwertet. Die einschlägigen rechtlichen Regelungen der Zwangsarbeit in der Sowjetunion Die wichtigste gesetzliche Grundlage für die Zwangsarbeit in der Sowjetunion bilden die bereits erwähnten "Grundsät ze der Besserungsarbeitsgesetzgebung der UdSSR und der Unionsrepubliken", kurz "Grundlagengesetz" genannt. Dieses Grundlagengesetz gliedert sich in fünf Teile. Der erste Teil enthält allgemeine Bestimmungen über die Besserungs arbeitsgesetzgebung und die Verteilung der gesetzgeberischen Aufgaben zwischen der Union und den Unionsrepubliken, der zweite Teil allgemeine Bestimmungen zur Strafvollstreckung bei Freiheitsentzug, Verbannung, Ausweisung und Besserungs arbeit ohne Freiheitsentzug. Der dritte Teil regelt Ver fahren und Bedingungen der Vollstreckung von Freiheits strafen, der vierte Teil Verfahren und Bedingungen der Strafvollstreckung bei Verbannung, Ausweisung und Besse rungsarbeit ohne Freiheitsentzug. Im fünften Teil sind Grundsätze für die Entlassung nach der Strafverbüßung fest gelegt.