Berichte des Bundesinstituts S ^ lP für ostwissenschaftliche "^~"^ und internationale Studien Sowjetische Asienpolitik in den siebziger und achtziger Jahren Eine Bilanz Dieter Heinzig 25-1984 Die Meinungen, die in den vom BUNDESINSTITUT FUR OSTWISSENSCHAFTLICHE UND INTERNATIONALE STUDIEN herausgegebenen Veröffentlichungen geäußert werden, geben ausschließlich die Auffassung des Autoren wieder. © 1984 by Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Köln. Abdruck und sonstige publizistische Nutzung - auch auszugsweise - nur mit vorheriger Zustimmung des Bundesinsitut sowie mit Angabe des Verfassers und der Quelle gestattet. Bundesinstitut für ostwissenschaftliche und internationale Studien, Lindenbornstraße 22, D-5000 Köln 30, Telefon 02 21/522001 INHALT Seite Kurzfassung 1 "Sozialistische Staaten" in Asien als Trittsteine des sowjetischen Expansionismus 3 Vorsichtige Entspannung im Konflikt mit China 4 Glücklose Japan-Politik 7 Erfolge in Südostasien: Die Etablierung der Achse Moskau-Hanoi 9 Zwiespältige Ergebnisse des afghanischen Abenteuers 11 Konsolidierung gegenüber Indien, Ter rainverluste in Südwestasien 14 Bilanz 16 Summary 17 Juli 1984 Dieter Heinzig Sowjetische Asienpolitik in den siebziger und achtziger Jahren Bericht des BlOst Nr. 25/1984 Kurzfassung Im sicherheits- und interessenpolitischen Kalkül der Kremlführer rangiert, regional gesehen, Asien nach Europa an zweiter Stelle. Hauptziel sowjetischer Außenpolitik ist die Garantie der territo rialen Integrität der UdSSR und des Fortbestands ihres Gesell schaftssystems. Mit Blick auf Asien folgt - entsprechend der Tra dition der zaristischen Asienpolitik - sodann in Moskaus Prioritä tenkatalog das Bemühen um Expansion, d.h. um Ausdehnung des Ein flusses bis hin zur Kontrolle. Für das operationale Verhalten der Sowjetunion ergibt sich hieraus die Notwendigkeit, allen Bestre bungen entgegenzuwirken, die die Verfolgung dieses Zieles zu be hindern oder zu vereiteln geeignet sind. Seit Anfang der siebziger Jahre, als sich die UdSSR angesichts der erfolgreichen chinesi schen Politik der Öffnung gegenüber den Vereinigten Staaten und deren Bündnispartnern mit einer neuen Herausforderung konfrontiert sah, bedeutete dies vor allem, die Volksrepublik China einzudämmen und/oder mit ihr zu einem modus vivendi zu gelangen, den Einfluß der Vereinigten Staaten in Asien zurückzudrängen und ein enges politisch-militärisches Zusammenwirken zwischen den USA, China und Japan zu verhindern. In dem vorliegenden Bericht wird der Versuch unternommen zu bilan zieren, zu welchen Ergebnissen die entsprechenden sowjetischen Bemühungen seither geführt haben. Der Verfasser stützt sich hier bei auf Primärquellen, wissenschaftliche Sekundärliteratur, Mel dungen und Analysen internationaler Medien sowie Gespräche mit 2 Politikern, Diplomaten und Wissenschaftlern asiatischer Staaten. Mit Blick auf den essayistischen Charakter des Berichts wurde auf einen Anmerkungsapparat verzichtet. Ergebnisse Die Resultate der sowjetischen Asienpolitik der siebziger und achtziger Jahre bieten ein gemischtes Bild. Den eindrucksvollsten Erfolg erzielte die UdSSR - wenn auch um den Preis hoher wirt schaftlicher Belastungen - durch die Aufnahme bündnisähnlicher Beziehungen zu Vietnam, wodurch sie erstmals in Südostasien poli tisch-militärisch Fuß fassen konnte. Das Vordringen nach Afghani stan muß unter dem Aspekt einer Kosten-Nutzen-Rechnung eher skep tisch beurteilt werden. Der sowjetische Einfluß in Südwestasien ist insgesamt zurückgegangen, während das freundschaftliche Ver hältnis zu Indien weiter stabilisiert werden konnte. Die gespann ten Beziehungen zu Japan haben sich eher verschlechtert. Gegenüber Peking kam es bilateral zu einer gewissen Entlastung. Durch Hanois Anbindung an den Sowjetblock und den damit in Zusammenhang stehen den sino-vietnamesischen Konflikt konnten Fortschritte bei der Eindämmung Chinas erzielt werden. Der Ausgang des Zweiten Indo- chinakrieges erbrachte zunächst Pluspunkte im Bereich der Rivali tät mit den Vereinigten Staaten, die aber dadurch - zumindest teilweise - wieder aufgewogen wurden, daß sich als Folge der Eta blierung der Achse Moskau-Hanoi und des sowjetischen Abenteuers in Afghanistan in vielen asiatischen Staaten die Bereitschaft zur Zusammenarbeit mit den USA verstärkte. Eine Verdichtung der chine sisch-japanisch-amerikanischen Kooperation konnte die UdSSR nicht verhindern. Die mit der sowjetischen Idee eines Kollektiven Sicherheitssystems in Asien (KSA) verbundenen Hoffnungen erfüllten sich nicht. Insgesamt gesehen führte das Bemühen der Sowjetunion um die Erweiterung ihres Einflusses in Asien somit zu sehr unter schiedlichen Ergebnissen. 3 Im sicherheits- und interessenpolitischen Kalkül der Kremlführer rangiert, regional gesehen, Asien nach Europa an zweiter Stelle. Hauptziel sowjetischer Außenpolitik ist die Garantie der terri torialen Integrität der UdSSR und des Fortbestandes ihres Gesell schaftssystems. Mit Blick auf Asien folgt - entsprechend der Tra dition der zaristischen Asienpolitik - sodann in Moskaus Priori tätenkatalog das Bemühen um Expansion, d.h. um Ausdehnung des Einflusses bis hin zur Kontrolle. Für das operationale Verhalten der Sowjetunion ergibt sich hieraus die Notwendigkeit, allen Be strebungen entgegenzuwirken, die die Verfolgung dieses Zieles zu behindern oder zu vereiteln geeignet sind. In den siebziger und achtziger Jahren bedeutete dies vor allem, (1) die Volksrepublik China einzudämmen und/oder mit ihr zu einem modus vivendi zu ge langen, (2) den Einfluß der Vereinigten Staaten in Asien zurückzu drängen und (3) ein enges politisch-militärisches Zusammenwirken zwischen den USA, China und Japan zu verhindern. "Sozialistische Staaten" in Asien als Trittsteine des sowjetischen Expansionismus Als Trittsteine der Ausbreitung sowjetischen Einflusses in Asien sollen asiatische "sozialistische Staaten" dienen, die von einer kommunistischen Partei kontrolliert werden, die ihrerseits mit der KPdSU verbündet und von dieser in einem möglichst hohen Maße wei sungsabhängig ist. Sieht man von der Mongolischen Volksrepublik ab, auf die diese Kriterien eines sowjetischen Satellitenstaates von Anfang an und bis heute zutreffen, so entstanden noch zu Sta lins Lebzeiten drei Länder, die diese Voraussetzungen hätten er füllen können: Nordkorea, Nordvietnam und die VR China. Ihre Ent stehungsbedingungen waren allerdings unterschiedlicher Natur. Während das Kim-I1-Sung-Regime mit Hilfe sowjetischer Bajonette oktroyiert wurde, vollzog sich die kommunistische Machtübernahme 4 in Nordvietnam und in China ohne größeres Zutun der UdSSR. Daß Moskaus Kalkül im Hinblick auf die den drei Ländern zugedachte Rolle nicht voll aufging, ist vor allem im Zusammenhang mit dem Zerfall der sino-sowjetischen Allianz zu sehen. Peking entzog sich seit dem Ende der fünfziger Jahre gänzlich einer sowjetischen Einflußnahme, während Pyongyang bis heute und Hanoi bis 1978 den Konflikt zwischen den beiden kommunistischen Großmächten dazu nutzten, eine Politik des Schaukeins zwischen Moskau und Peking zu verfolgen und so mehr innenpolitische Selbständigkeit und außen politischen Spielraum zu gewinnen. Kambodscha seit Mitte der siebziger Jahre und Afghanistan seit 1978 passen insofern nicht in den beschriebenen Raster, als sie nicht von einer kommunistischen Partei voll kontrolliert werden und von Moskau bis heute nicht als "sozialistische Staaten" aner kannt sind. Bei Laos ist diese Kontrolle zwar im Prinzip gegeben, und um 1977 erhielt es den sowjetischen Gütestempel "soziali stisch". Doch hier verhindert der Nationalismus der vietnamesi schen Kommunisten, gepaart mit deren eigenem hegemonistischen Anspruch im indochinesischen Raum, eine vollen sowjetischen Zu griff auf Vientiane - wie auch auf Hanoi selbst und auf Phnom Penh. Hieraus folgt, daß heute in Asien nur die Mongolische Volks republik im Sinne der genannten Kriterien als echter sowjetischer Satellit gelten kann. Somit war auch, gemessen an Moskaus Maximal vorstellungen, die auf eine Instrumentalisierung kommunistischer Staaten gerichtete sowjetische Asienpolitik nur begrenzt erfolg reich. Vorsichtige Entspannung im Konflikt mit China Der Bruch mit Peking stellt den eindrucksvollsten Mißerfolg der sowjetischen Nachkriegspolitik in Asien dar. Er bildet eine deut liche Zäsur und wirkt sich bis heute mehr oder weniger auf Moskaus 5 Beziehungen zu den anderen asiatischen Staaten aus, die in hohem Maße zu einer Funktion des entstandenen Konflikts degenerierten. Die Vision der Kremlführer von einem sino-sowjetischen Kondominium über Asien mit der UdSSR als primus inter pares, wie sie sich in den fünfziger Jahren umrißhaft abgezeichnet hatte, war um 1960 längst zerstoben. In weiten Teilen der sowjetischen Bevölkerung entwickelte sich, vor allem seit dem Chaos der Kulturrevolution und den blutigen Grenzgefechten des Jahres 1969, die Furcht vor einem feindlich gesonnenen und dabei unberechenbaren, weil irra tional handelnden China. Bedrohliche, rassistisch unterlegte Vor stellungen von einer "gelben Gefahr" (russ. 2eltaja opasnost') lebten wieder auf, die seit dem Tatarenjoch des 13. und 14. Jahr hunderts dem Bewußtsein der Russen nie ganz entschwunden waren. Auch wenn solche rational kaum faßbaren Ängste, soweit sie über haupt die sowjetische Führungselite erreichten, sich hier ange sichts der gegenwärtigen wirtschaftlichen und militärischen Schwäche Chinas allenfalls auf eine fernliegende Zukunft beziehen können, so mußte Moskau sich dennoch durch die Aussicht auf be achtliche Anstrengungen und hohe Kosten beunruhigt fühlen, die nötig sein würden, um den von China ausgehenden Irritationen ent gegenzuwirken . Die sowjetischen Besorgnisse verstärkten sich, als Peking die Doppelkonfrontation mit Moskau und Washington beendete und Anfang der siebziger Jahre einen Prozeß der Annäherung an die Vereinigten Staaten einleitete, der binnen kurzem die Aufnahme diplomatischer Beziehungen Chinas zu den Verbündeten der USA und und damit auch zu Japan und zur Bundesrepublik Deutschland zur Folge hatte. Das in Moskau gefürchtetste Szenario für Asien, dasjenige einer ameri kanisch-japanisch-chinesischen Entente (unter Einbeziehung Südko reas) rückte in den Bereich des Vorstellbaren. 6 Bilateral entwickelte die Kremlführung gegenüber Peking nun eine Doppelstrategie, die der militärischen Eindämmung eine beschwich tigende Komponente hinzufügte. Der gewaltige Aufmarsch an der sino-sowjetischen und sino-mongolischen Grenze, der Mitte der sechziger Jahre verstärkt eingesetzt und zur Stationierung von einem Viertel der sowjetischen Landstreitkräfte geführt hatte, wurde beibehalten. Daneben aber bot Moskau den Chinesen den Ab schluß von Gewaltverzichts- und Nichtangriffsverträgen an und drängte auf die Aufnahme von Normalisierungsverhandlungen. Peking zeigte sich zunächst unnachgiebig und warb in der zweiten Hälfte der siebziger Jahre im Westen sogar um die Bildung einer internationalen antisowjetischen Einheitsfront. Erst seit 1979 ließ es eine gewisse Bereitschaft zur Verbesserung der Beziehungen erkennen. Dies geschah im Rahmen einer veränderten, auf mehr Selbständigkeit bedachten Außenpolitik und aus dem Wunsch nach einer Kompensation für den gekündigten Bündnisvertrag von 1950 heraus sowie, später, auf Grund einer Abkühlung des Verhältnisses zur Reagan-Administration wegen deren Haltung in der Taiwan-Frage. Es kam zu dem bis heute andauernden sino-sowjetischen Entspan nungsprozeß. Er brachte zwar keine Fortschritte im Bereich der drei großen Konfliktfelder, die von Peking als Ausdruck des so wjetischen Versuchs einer strategischen Einkreisung Chinas defi niert werden (Militärpräsenz an Chinas Grenze zur UdSSR und zur Mongolischen VR einschließlich der Stationierung von 135 exklusiv oder primär auf asiatische Ziele ausgerichteten Nuklearraketen des Typs SS-20, Intervention in Afghanistan, Unterstützung der viet namesischen Intervention in Kambodscha), führte aber zu vorsichti gen Annäherungsschritten in den bilateralen Beziehungen (Handel, Kultur, Wissenschaft, Verkehrswesen u.a.).