Rolf Thomas Senn Sophie Charlotte von Preul3en Rolf Thomas Senn Sophie Charlotte von PreuBen 2000 Verlag Hermann Bohlaus Nachfolger Weimar Die Deutsche Bibliothek- CIP-Einheitsaufnahme Senn, Rolf Thomas: Sophie Charlotte von PreuBen I Rolf Thomas Senn. -Weimar : Verlag Hermann Bohlaus Nachfolger, 2000 ISBN 978-3-7400-1134-5 ISBN 978-3-7400-1134-5 ISBN 978-3-476-01726-0 (eBook) DOl 10.1007/978-3-476-01726-0 Dieses Werk einschlieBlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschi.itzt. Jede Verwertung auBerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzuHissig und strafbar. Das gilt ins besondere fi.ir Vervielfaltigungen, Obersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © 2000 Springer-Verlag GmbH Deutschland UrsprOnglich erschienen bei Verlag Hermann Bohlaus Nachfolger Weimar 2000 www.boehlausnf.de [email protected] Inhalt Vorbemerkung VII Einleitung: Die neue Hofkultur 1 DieInszenierung eines Lebens: Reprdsentation, Tanz, Theater und Musik Von der Prasentation der Welt zur Weltprasenration 13 Oynastische Pflicht und kiinstlerische Ambitionen 37 Exkurs Ober die Geburt von Prinzessinnen Oas plotzliche Verschwinden der Kurfiirstin 86 Der Stein der Weisen 93 Oer preul3ische Konigsthron 123 V Schloss Char/ottenburg Salon oder Akademie? Die hofischen Akademien 159 Zwischenspiel: Lukrez oder Lukrezia? 180 Die Weisheit, die Tableaus und der Tad 183 Anhang Abgekiirzte zitierte Literatur 215 Anmerkungen 216 Btihnenaufftihrungen 238 Literaturangaben 249 Zeittafel 253 Bildnachweis 258 Personenregister 259 VI Vorbemerkung Etwa em halbes Dutzend Bucher ist tiber Sophie Charlotte geschrieben worden, bevor die Koniglichen Archive im 20. Jahrhundert der Offentlichkeit zugang lich gemacht wurden. Ihnen allen ist gemeinsam, dass sie den groBen Gestus des Barock, das »gran teatro del mundo«, nicht kennen, wonach der Mensch als Mario nette Gottes auftrat, urn die fur ihn vorherbestimmte Rolle moglichst gut zu spielen. Diese Vision hatte der spanische Dramatiker Calderon de la Barca urn das [ahr 1640 seiner ganz und gar christlichen Epoche mit auf den Weg gegeben. Was die Rolle der Fursten betraf, erfolgte jeder Ges tus - sei es in den von ihnen gefcrderten Kunsten, sei es in den yom Zeremonienmeister sorgfaltig geplanten offentlichen Auftritt - mit der minutios vorgeschriebe nen Schicklichkeit (biensiance), Haltung (contenance) und Wiirde (gravitej, die das Hofleben zur unaufhorlichen Buhnenveranstaltung verwandelte. [ede Beschaftigung mit dem Barock, die dies auBer Acht lasst, gerat in eine Faile. 1st dies in der galanten Literatur des Barons Karl Ludwig von Pollnitz noch amtisant, so entfernt sich das moralische Dafurhalten des 19. jahrhunderts vollends vom Barock. In der Geschichte derStadt Charlottenburgaus dem Jahre 1905 sind erstmals archivalische Quellen be- VII rticksichtigt, denen die Ausstellungen der Jahre 1987 und 1999 im Wesentlichen unkritisch foIgen und damit die Irrttimer der Vergangenheit fortschreiben. VIII Einleitung: Die neue Hofkultur Am 30. Oktober 1668 in die Welt der norddeutschen Furstenrumer hineingeboren, die nach dem Dreibigjah rigen Krieg zu einer ersten Bltite gelangten, steigt die Tochter eines der Welfenhofe aus der Bedeutungs losigkeit auf dem Schloss in Iburg in geradezu fulmi nantem Tempo zur preuJ3ischen Konigin auf. Sympto matisch fur diesen Aufstiegswillen war die Einftihrung des franzosischen Hofzeremoniells am Hannoveraner Hof im Jahre 1680. Dieses Zeremoniell schien eine Art Garant fur eine erfolgreiche Regierung, wie sie Ludwig XlV. bis dahin der Welt vor Augen gefuhrt harte. Die sem Muster wurde nicht einmal das Ansinnen einer Al ternative entgegengesetzt. Die zahlreich entstandenen norddeutschen Schlossbauten der zweiten Halfte des 17. Jahrhunderts waren ihren Grundrissen nach nichts anderes als das Parkett zur Selbstdarstellung von Herr scher und Hof. Der Triumph der Geometrie in der baro cken Baukunst war zu Stein gewordene Demonstration des Herrschergestus. Dieser drang auf Vervielfachung, was in der Versailler Spiegelgalerie Ludwigs XIV.kulmi nierte. Sie war der Beweis fur den Ruhm des Konigs, der weit tiber sein Reich hinaus reichte. Franzosisch war die Hofsprache Europas, die Landes sprachen waren sozusagen Binnendialekte dieser lingua franca der Gebildeten. Erst in zweiter Linie, entspre chend dem kulturellen Rang des Landes, wussten sich die Landessprachen zu behaupten. Italienisch war dem Franzosischen ebenburtig, gefolgt von Englisch und Spanisch. Was die deutsche Sprache und Kultur betraf, gelang es weniger dem kaiserlichen Gegenspieler in Wien, wo franzosisches Zeremoniell und italienische Kultur sich dermaBen verdichteten, dass kein weiterer Raum blieb, als vielmehr den norddeutschen Fursten Eigenstandiges zu schaffen, da sie sich aufgrund des protestantischen Glaubens gegenilber der katholischen Vorherrschaft der anderen Lander behaupten mussten. 1m [ahr 1701 war Brandenburg nach zahern diploma tischem Ringen mit dem Kaiserhof in Wien in den Rang preuBischen Konigtums aufgestiegen. Dieser politische Erfolg hatte sich zu einem Zeitpunkt eingestellt, als das Hochbarock bereits zur Neige ging. Die zusehends samtliche Lebensbedingungen erfassende Wende zum Rokoko war nicht mehr zu ilbersehen. Die Veranderung betraf die innerste Einstellung des Menschen zur zu nehmend fragwilrdiger werdenden »besten aller Wel ten- durch gotcliche Filgung, wie sic der Philosoph Gottfried Wilhelm Leibniz propagierte, derzufolge fur die Weltvorgange Gott verantwortlich ist, der sie durch einen von vornherein von ihm angelegten Gleichklang aufeinander abgestimmt hat: im »gran teatro del mundo- des Calderon de la Barca war Gott noch »Au tor«; in der italienischen Oper hatten die Gorter der Mythologie mit den Menschen ihr Spiel getrieben; in der franzosischen Musiktragodie (tragedie en musique) wurde dieser Gedanke aufgenommen und absolutistisch 2