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Sichtbare Wunden. Aktuelle Pflegesituationen unter der Berücksichtigung von Erlebnissen des PDF

249 Pages·2017·1.91 MB·German
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(Un)Sichtbare Wunden. Aktuelle Pflegesituationen unter der Berücksichtigung von Erlebnissen des Zweiten Weltkriegs. Inauguraldissertation zur Erlangung des Doktorgrades der Humanwissenschaftlichen Fakultät der Universität Köln nach der Promotionsordnung vom 10.05.2010 Vorgelegt von Inka Wilhelm aus Erkelenz Januar 2018 Vorwort und Danksagung Bei der Studienkonzeption und -durchführung sowie während des Schreibens dieser Arbeit hat mich ein Gefühl der Ambivalenz lange begleitet. Immer wieder stellte sich mir die Frage: Ist es vor dem Hintergrund der NS-Verbrechen und des Holocaust legitim darüber zu forschen und zu schreiben, welche Belastungen und Traumatisie- rungen Personen der deutschen Mehrheitsgesellschaft1 aufgrund des Zweiten Welt- kriegs erlitten haben? Eine annähernde Antwort habe ich in den Auskünften der in dieser Studie be- fragten Personen gefunden. So zeigen sich in den Befragungen der pflegenden An- gehörigen von Zeitzeug_innen2 Hinweise darauf, dass der Lebensweg der Pflegeper- sonen z. T. gravierend durch die Erlebnisse der Zeitzeug_innen beeinflusst wurde. Einige Angehörige beschreiben, dass die Beziehung zu den Zeitzeug_innen auch durch deren Verschweigen und Verdrängen ihrer Haltung zum NS lange belastet war und sich dies auch in der Pflegesituation niedergeschlagen hat. Gleichzeitig scheinen die bewusste Auseinandersetzung und der verständnisvolle Umgang mit den leidvol- len Erfahrungen der Pflegebedürftigen zu mehr Verständnis für die diese aber auch für die eigene Biografie geführt zu haben. Die pflegenden Angehörigen haben dabei in unterschiedlichem Maß gelernt, beide Anteile – das belastende Verleugnen, 1Hier sind die Personen gemeint, die den Nationalsozialismus als Täter_innen, Mitläufer_innen oder als Nachkommen dieser Personen erlebten. Die Kennung durch einfache Anführungszeichen (z. B. ‚Deutsche‘) wird dabei genutzt um deutlich zu machen, dass dem Begriff eine Einschränkung zu- grunde liegt. Auch Personen, die während des NS aus rassistischen oder politischen Gründen verfolgt wurden, waren Deutsche, erlitten aber ein anderes Schicksal. 2Ich verwende in meiner gesamten Arbeit den ‚gender gap‘ oder ‚Unterstrich‘, um die Vielzahl geschlechtlicher Identitäten abzubilden. I Verschweigen, Verdrängen und das erfahrenen Leid – als nebeneinander existie- rende Realitäten zu akzeptieren. Meist waren sie dafür durch einen harten, konflikt- haften und ihr bisheriges Leben andauernden Prozess der Auseinandersetzung ge- gangen. Für einige Angehörige wurde durch das Akzeptieren dieser Ambivalenz ein Heraustreten aus vorher scheinbar unlösbaren konflikthaften Beziehungsstrukturen mit den Pflegebedürftigen möglich. Die Anstrengung, die Pflegebedürftigen sowohl in ihren fragwürdigen als auch in ihren verletzten Anteilen zu akzeptieren, hat mich tief beeindruckt. Zugleich haben auch die in dieser Studie befragten professionellen Pfle- gekräfte angegeben, dass sich die traumatischen Kriegserlebnisse ganz konkret auf die Pflege auswirken: die betroffenen Personen fallen auf und verlangen besondere Aufmerksamkeit. Zumindest den Ergebnissen dieser Studie zufolge scheinen die zeitgeschichtli- chen Erfahrungen also die Pflege dieser spezifischen Gruppe und z. T. die Biografie der Angehörigen zu beeinflussen und auch zu belasten. Vor diesem Hintergrund scheint es mir durchaus wichtig, über die leidvollen Erfahrungen der deutschen Mehr- heitsgesellschaft im Zweiten Weltkrieg und deren Folgen zu forschen und zu schrei- ben. Allerdings muss die grundlegende Voraussetzung meiner Meinung nach dabei sein, diese Erfahrungen in den Kontext der Verbrechen des Nationalsozialismus und die Beteiligung ‚normaler Bürger_innen‘ daran einzubetten. Die deutsche Gesellschaft wurde und wird auch durch die Erfahrungen des Na- tionalsozialismus und des Zweiten Weltkriegs konstituiert – das gilt im privaten, poli- tischen wie gesellschaftlichen Bereich und auch für die Folgegenerationen, auch wenn es nicht immer auf bewusster Ebene geschieht. Ich bin zu dem Schluss gekom- men, dass nur eine Auseinandersetzung mit allen Anteilen dieser Erfahrungen uns befähigt zu verstehen, welche sichtbaren und verdrängten Spuren und Folgen II Nationalsozialismus und Zweiter Weltkrieg in der deutschen Gesellschaft und den einzelnen Familien hinterlassen haben. Nur so scheint es mir möglich den gravieren- den Einfluss zu erkennen, den dieser historische Abschnitt z. T. auch heute noch auf gesellschaftliche und familiäre Strukturen und individuelle Haltungen ausübt. Mein tiefer Dank gilt zuallererst allen Personen, die sich bereit erklärt haben, mir im Rahmen meiner Studie Auskunft zu geben. Sie haben mit großer Offenheit ihre Erfahrungen und großzügig ihre Erlebnisse, Gefühle und Gedanken mit mir geteilt. Ich war tief beeindruckt von dem, was viele von ihnen jeden Tag leisten und mit wieviel Humor und Chuzpe sie es tun. Ich hoffe, dass sie den Respekt und das Interesse, die mir entgegengebracht wurden, im Umgang mit ihren Auskünften wiederfinden. Ganz besonders bedanken möchte ich mich bei Susanne Zank und Elke Kleinau, die meinen Forschungsprozess beide von Beginn an begleitet und unter- stützt haben. Susanne Zank hat mir außerdem personelle und finanzielle Ressourcen zur Verfügung gestellt, die das Arbeiten erst ermöglicht und deutlich erleichtert haben. Meiner Freundin Susanne Brose gilt besonderer Dank für das kontinuierliche Lesen diverser Textentwürfe, kritische Anmerkungen und das ‚sich-bei-der-Stange- halten‘. Zudem bedanke ich mich bei meinen Kolloquiumskolleg_innen für konstruktive Kritik und Anregungen inhaltlicher und methodischer Art. Bei meinem Kollegen Wolf- gang Gippert möchte ich mich sehr für seine Geduld und die Begleitung in der End- phase der Arbeit bedanken. Großer Dank gilt auch Isabell Repell und Eri Park, die es auf sich genommen haben, dieser Arbeit den abschließenden formalen Schliff zu verpassen. Dass diese Arbeit überhaupt zustande kam und zu Ende geführt wurde, ist zu III großen Teilen meinen Freund_innen zu verdanken, die mich immer wieder aufgerich- tet haben, wenn kein Licht am Ende des Tunnels sichtbar war. Für Inga Abels und Ernst Fahrenkrug gilt dies in besonderem Maße. Ohne meine Frau Maria Gerdes wäre ich niemals bis zum Ausgang des Tunnels und ins Freie gelangt – dafür möchte ich ihr aus tiefstem Herzen danken. IV „For nothing was simply one thing.” Virginia Woolf (1927). To the Lighthouse. „Alle wollen immer die Wahrheit hören. Als ob das schon die Lösung wäre!“ Barbara Albert (Regie). Die Lebenden V Vorwort und Danksagung I Inhaltsverzeichnis VI Tabellen- und Abbildungsverzeichnis VIII Einleitung 1 Teil A Historischer und theoretischer Hintergrund 8 1 Historischer Hintergrund – Zweiter Weltkrieg, Nationalsozialismus und die Auswirkungen 8 2 Theoretischer Hintergrund 21 2.1 Psychische Traumatisierungen 21 2.2 Folgen psychischer Traumatisierungen 22 2.3 Erlebnisse des Zweiten Weltkriegs – Unmittelbare Folgen und Spätfolgen 32 2.3.1 Begriffsbestimmung: belastet – beschädigt – traumatisiert 32 2.3.2 „Also wir haben schon ne schlimme Zeit erlebt“ - Erlebnisse des Zweiten Weltkriegs 33 2.3.3 Unmittelbare Folgen und Spätfolgen von Kriegserlebnissen 35 2.3.4 Die Folgen für die Nachkommen –‚Transgenerationale Weitergabe' 54 3 Die Pflege alter Menschen in Deutschland 70 3.1 Der Begriff der Pflegebedürftigkeit und das System der Pflegeeinstufung 71 3.2 Formen pflegerischer Versorgung in Deutschland 76 3.3 Die Belastung pflegender Angehöriger 77 Forschungsfragen und -ziele 80 Teil B Methodik und Empirie 83 4 Forschungsdesign und Methodik 83 4.1 Studie 1: Erlebnisse des Zweiten Weltkriegs und die professionelle Pflege von Zeitzeug_innen heute 86 VI 4.2 Studie 2: Erlebnisse des Zweiten Weltkriegs und die familiale Pflege von Zeitzeug_innen heute 95 4.3 Ergebnisdiskussion 190 5 Ausblick und Implikationen für die Praxis 210 Literaturverzeichnis 215 Anhang Der Anhang befindet sich auf einer separaten CD-ROM zu dieser Arbeit. VII Tabellen- und Abbildungsverzeichnis Tabelle 1 Schematische Darstellung von Traumaursachen und -dauer 21 Tabelle 2 Eigenschaften Stichprobe professionelle Pflege NRW 88 Tabelle 3 Übersicht Fragebogen-Items zur Befragung von professionellem 90 Pflegepersonal Tabelle 4 Hauptergebnisse Befragung professionelle Pflege NRW 95 Tabelle 5 Teilnahmevoraussetzungen Befragung pflegende Angehörige 99 Tabelle 6 Eigenschaften Stichprobe pflegende Angehörige und familiare 102 Pflege Tabelle 7 Übersicht Fragebogen-Items zur Befragung pflegender Angehöri- 106 ger Tabelle 8 Übersicht Fragenheft-Items zur Befragung pflegender Angehöriger 108 Tabelle 9 Übersicht inhaltliche Cluster und Zuordnung der Kartenset-Items 111 Tabelle 10 Interviewleitfaden – inhaltliche Bereiche und Beispiel-Items 112 Tabelle 11 Übersicht über die wesentlichen Kategorien der QIA 121 Tabelle 12 Quantitative Ergebnisse Kurzfragebogen PA 129 Tabelle 13 Ergebnisse Kartenset 135 Tabelle 14 Übersicht Häufigkeitsangaben Kodierungen QIA 152 Abbildung 1. Schematische Darstellung des Befragungsvorgehens bei pfle- 98 genden Angehörigen Abbildung 2. Die Wege zur Akquise pflegender Angehöriger 99 Abbildung 3. Kartenset – Erhebungsschritt 1: Erhebung der Vorkommens- 115 häufigkeit Abbildung 4. Kartenset – Erhebungsschritt 2: Erhebung der persönlichen Be- 116 lastung der Pflegeperson Abbildung 5. Kartenset – Erhebungsschritt 3: Erhebung der Erschwernis der 116 Pflegesituation VIII Einleitung Die vorliegende Arbeit ist im gerontologischen Wissenschaftsbereich angesie- delt und bezieht verschiedene disziplinäre (Alterns- und Pflegewissenschaften, Psy- chologie, Sozialwissenschaften) und methodische (quantitative und qualitative) An- sätze mit ein. Es handelt sich um eine Untersuchung die das Ziel hat, individuelle, auch generationsübergreifenden Auswirkungen belastender bis traumatisierender historischer Phänomene – in diesem Fall Erlebnisse des Zweiten Weltkriegs – in ei- nem spezifischen Kontext zu thematisieren. Welche Bedeutung die Vergangenheit für die Gegenwart haben kann, beschreibt der griechische Regisseur Angelopoulos ein- drücklich im Begleitheft zum Film Die Ewigkeit und ein Tag: Ich glaube, die Vergangenheit ist nicht Vergangenes. Die Vergangenheit ist gegenwärtig in dem Sinne, dass das, was wir in diesem Augenblick sind, sich aus Dingen unserer Vergangenheit gebildet hat. Es ist nicht möglich, dass die Gegenwart nicht durch die Vergangenheit bestimmt wird – sie existiert und ist äußerst präsent. In diesem Sinne sind wir von der Vergangenheit nicht frei und können nicht behaupten, wir würden etwas Neues erleben. Wir erleben etwas Neues lediglich durch das durch die Vergangenheit Bestimmte. (Begleitheft zur DVD, Arthaus Collection 1998) Was Angelopoulos in seinen Filmen immer wieder auf poetische Weise thema- tisiert – das Verharren im Vergangenen, das Nicht-loslassen-können und dadurch Verloren-sein im Hier und Jetzt – scheint für Menschen, die durch den Zweiten Welt- krieg belastet oder traumatisiert worden sind, eine existentielle Bedeutung zu haben. Ob physische und psychische Gesundheit, Verhalten, Beziehungs- und Kommunika- tionsstrukturen oder Alltagsbewältigung – die einschlägige Fachliteratur legt nahe, dass das Erlebte betroffene Menschen und deren Nachkommen auf verschiedene 1

Description:
rungen Personen der deutschen Mehrheitsgesellschaft1 aufgrund des .. onen Menschen wurden von 1939 bis 1945 vom nationalsozialistischen alliierte Soldaten am Ende des Krieges überlebt hatten, bei 30% der und Fähigkeiten des pflegebedürftigen Menschen differenziert erfasst“ (MDS.
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