Schriften der Mathematisch -naturwissenschaftlichen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften Nr.ll (2001) Springer-Verlag Berlin Heidelberg GmbH Egon Althaus Sicherung und Erhaltung historischer Bauwerke Denkmalpflegerische Grundsätze und materielle Möglichkeiten Mit 38 Farbabbildungen Springer Prof. Dr. Dr h.c. Egon Althaus Mineralogisches Institut der Universität Kaiserstraße 12,76131 Karlsruhe [email protected] Die Deutsche Bibliothek -CIP-Einheitsaufnahme Althaus, Egon: Sicherung und Erhaltung historischer Bauwerke: denkmalpflegerische Grundsätze und materielle Möglichkeiten / Egon Althaus -Berlin; Heidelberg; N ew York; Barcelona; Hongkong; London; Mailand; Paris; Singapur; Tokio: Springer 2001 (Schriften der Mathematisch-Naturwissenschaftlichen Klasse der Heidelberger Akademie der Wissenschaften; Nr. 11) ISBN 978-3-540-41756-9 ISBN 978-3-642-56632-5 (eBook) DOI 10.1007/978-3-642-56632-5 Dieses Werk ist urheberrechtlich geschützt. Die dadurch begründeten Rechte, insbesondere die der Übersetzung, des Nachdrucks, des Vortrags, der Entnahme von Abbildungen und Tabellen, der Funksendung, der Mikroverfilmung oder der Verviel fältigung auf anderen Wegen und der Speicherung in Datenverarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Eine Vervielfältigung dieses Werkes oder von Teilen dieses Werkes ist auch im Einzelfall nur in den Grenzen der gesetzlichen Bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes der Bundesrepublik Deutschland vom 9. September 1965 in der jeweils geltenden Fassung zulässig. Sie ist grundsätzlich vergütungspflichtig. Zuwiderhandlungen unterliegen den Straf bestimmungen des Urheberrechtsgesetzes. © Springer-Verlag Berlin Heidelberg 2001 Ursprünglich erschienin bei Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York 2001 Umschlaggestaltung: E. Kirchner, Heidelberg Umbruch und Datenaufbereitung: EDV-Beratung Frank Herrweg, Leutershausen Gedruckt auf säurefreiem Papier SPIN 10831186 08/3142PS 543210 Trotz alIer ZerstOrungen ist uns ein immer noch groBer Schatz an historischen Bauwerken iiberkommen, einzigartige Zeugnisse der Entwicklung der Baukunst ebenso wie ganze Ensembles zusammen gehorender Siedlungskomplexe als Indikatoren der Dorf- und Stadt geschichte. Gliicklicherweise besteht nahezu uneingeschrankter Kon sens, dass diese Denkmaler geschiitzt, gepflegt und erhalten werden sollten, urn sie moglichst wenig verandert an kiinftige Generationen weiterzugeben. Wie dies getan werden soIl: Uber diese Frage gibt es hochst unterschiedliche Ansichten, die sich teilweise in unvereinba rem Dissens gegeniiberstehen. Damit ein Bauwerk entstehen kann, miissen drei Voraussetzungen zusammentreffen (Abb. 1): Eine Bauidee, die dem Bauwerk zugrunde liegt, Material, aus dem es bestehen soIl und die Konstruktion, die Idee und Material zusammenfiigt. , Idee' , Konstruktion , ~IBauwerkl/; I , Material' Abb. 1. Das Bauwerk als Produkt aus Idee, Material und Konstruktion Die Idee ist - wenn sie nicht in Vergessenheit gerat - unsterblich und unzerstorbar. Aus ihr ist ein Bauwerk jederzeit rekonstruierbar, sei es physisch existierend oder virtu ell als Modell in einem Rechner - schon seit langem kann man sich zum Beispiel auf virtuelle Spa ziergange in der Abteikirche Cluny begeben und den Raumeindruck wenigstens auf dem Bildschirm wahrnehmen. Auf diese Weise konn ten wir, wenn wir wollen, fast jedes untergegangene Bauwerk wieder besitzen, vorausgesetzt wir haben geniigend Daten, mit denen wir die Rechenprogramme fiittern konnen. 2 Egon Althaus Konstruktion und Material eines Monuments aber unterliegen dem Gesetz des Alterns, und das bedeutet stets progressiven Abbau mit wachsender Zeit seit der Erbauung. Jedes Bauwerk wird so schlieBlich zerstort werden, sei es durch stetigen Zerfall unter dem Einfluss von Wetter und Klima, sei es in punktuellen katastrophalen Ereignissen. Das konnen sowohl Naturkatastrophen (z.B. Erdbeben, Vulkanausbriiche, Fluten, Stiirme, Blitzschlage) als auch Kulturkata strophen (z.B. Kriege, unachtsam entfachte Feuersbriinste) sein; man che Kulturkatastrophen kommen harmlos im Gewand wechselnder Moden daher, fiihren aber nichtsdestoweniger zum gleichen Ergebnis wie aIle anderen Einfliisse: Zum Verlust historisch gewachsener Bau substanz. Der Bestand an historischen Monumenten kann naturgemaB nicht zu-, sondern nur abnehmen. Wie tritt man dieser Bestandsabnahme entgegen? Man kann sich freilich entschlieBen, gar nichts zu tun - dann unterliegt das Bauwerk den natiirlichen und anthropogen ver ursachten Zerfallsprozessen und verschwindet nach mehr oder weni ger langer Zeit vollstandig (Abb. 2). Oder man versucht, aIle schiidli chen Einfliisse fernzuhalten, indem man iiber dem Bauwerk herme tisch abschlieBende Schutzbauten errichtet (Abb. 3) - selten eine gliickliche Losung und bei groBeren Bauwerken vollig ausgeschlos sen. Es bleibt als dritte Moglichkeit nur die pflege der Baudenkmaler. Der Begriff "Denkmalpflege", der uns so gelaufig vorkommt, ist langst nicht so alt wie es scheint. Er entstand erst urn die Wende yom 18. zum 19. Jahrhundert und war eigentlich ein Produkt der autkei menden Gesinnung der Romantik. Bezeichnenderweise findet man auch in den Schriften Goethes Hinweise auf die Entwicklung der Hal tung gegeniiber historischen Bauwerken. Er hatte von der ersten Begegnung an ein besonderes Verhiiltnis zum StraBburger Miinster, das ihn faszinierte und entgegen der damals landlaufig geauBerten Meinungen seine singulare Qualitat erahnen lieB. Er legte seine Ahnungen und Gefiihle im Aufsatz "Von deutscher Baukunst. D.M. Ervini a Steinbach", gedruckt 1773, nieder [1]. Jahrzehnte spater waren ihm die jugendlichen Ausbriiche seiner Geniezeit wohl etwas genant, denn er schreibt in "Dichtung und Wahrheit" [2]:" ... so aber verhiillte ich ... die ganz einfachen Gedanken und Betrachtungen in eine Staubwolke von seltsamen Worten und Phrasen und verfinsterte das Licht, das mir aufgegangen war, fiir mich und andere ... I'. Sicherung und Erhaltung historischer Bauwerke 3 Abb.2. Pyramide des Vnas. Saqqara/Agypten (5. Dynastie). Zerfall durch Ver nachlassigung Abb. 3. Schutzbau aus Plexiglas tiber dem Stadtbrunnen von PerugialUmbrien 4 Egon Althaus Ebenfalls in "Dichtung und Wahrheit" findet man eine bemer kenswerte Formulierung [3], die uns zum Ausgangspunkt der Oberle gungen zuriickfiihrt: "lch ... lie:B ein so erstaunliches Denkmal durch seine Gegenwart ruhig auf mich fortwirken." Hier taucht also der Begriff Denkmal in Zusammenhang mit einem Bauwerk auf, ganz im Sinne des Zeitgeistes. Goethe beschaftigte sich aber nicht nur mit dem Stra:Bburger Miinster, das ihn zeitlebens besonders bewegte. Fiinfzig Jahre nach dem ersten Aufsatz (1823) verfasste er unter dem gleichen Titel "Von deutscher Baukunst" einen zweiten Artikel, in welchem er sich unter anderem mit der gewaltigen Baumasse des unvollendeten KeHner Doms beschaftigte, die nach der Durchfiihrung des Reichsdeputati onshauptschlusses offenbar in einem betriiblichen Zustand war [4]. In diesem Aufsatz au:Bert er: "Das erste von allen Dingen ware daher, an eine Stiftung zu denken zu vollkommener Erhaltung des Gebliu des. Erhaltung ist aber nicht zu bewirken, wenn man allen Vorsatz des Fortbauens ganzlich aufgibt ... ". Hier wird der Gedanke geau:Bert, der die Denkmalpflege im ganzen 19. Jahrhundert beherrschte: Erhal tung von Denkmalern bedeutet auch ihre Wiederherstellung. Das kann verschiedenerlei bedeuten: Erganzung von verlorenen oder niemals existent gewesenen Bauteilen, Wiederautbau zerstOrter Bau ten, Rekonstruktion von verlorenen Denkmalern, aber auch ihr Neu bau nach Vorbildern oder in freier Erfindung. Diese Bewegung des Historismus brachte uns eine Fiille von teilweise sehr schonen Bau werken, die schiitzenswerte Zeitzeugnisse darstellen: Die Turmhelme von Regensburg (Abb. 4), Ulm oder Konstanz, den zu Ende gebauten Kolner Dom, den wiederaufgebauten Campanile von Venedig, das neugebaute Hambacher Schloss (Abb. 5) und viele Burgen am Rhein und anderswo, das Parlament in Budapest (Abb. 6). Diese Ideen, Wie derautbau und Rekonstruktion, sind trotz des Modernismus auch in der Denkmalpflege heute keineswegs aufgegeben, was die derzeit beriihmteste Baustelle Deutschlands zeigt, die Dresdner Frauenkirche (Abb. 7). Und moglicherweise wird sogar in Berlins historischer Mitte das aus ideologischem Unverstand beseitigte Stadtschloss (Abb. 8) wieder neu entstehen. - Nur: all diese Aktivitaten bedeuten nicht Denkmalpflege im heutigen Sinn, sondern Stadtbildpflege. Ein zerstOrtes Denkmal kann nicht durch Pflege wieder erstehen, son dern nur durch Rekonstruktion oder Restaurierung. 1m 19. Jahrhun- Sicherung und Erhaltung historischer Bauwerke 5 dert jedoch war gerade diese Art von Umgang mit dem Baudenkmal Zweck und Sinn der Denkmalpflege, wie auf dem 1. Tag der Denk malpflege, der am 24.125. September 1900 in Dresden stattfand, herausgestellt wurde [5]. Ziel der Bemiihungen der Denkmal-Verant wortlichen war demnach die Wiederherstellung des "urspriinglichen" Zustands unter Entfernung jiingerer HinzufUgungen und mit Re konstruktion alterer "originaler" Zustande. Von Erhaltung der Bausubstanz war freilich nicht die Rede. Gegen diese Einstellung regte sich aber schon damals entschie dener Widerstand, verkniipft besonders mit den Namen Cornelius Gurlitt und Georg Dehio. Nach deren Ansicht sind Baudenkmaler historische Urkunden, die man nicht falschen darf. Man soIl sie kon servieren, nicht restaurieren [6]. Diese Ideen griffen urn sich; Max Dvorak (Wien) verfaEte 1918 einen"Katechismus der Denkmalpflege" [7], in dem er forderte, dass Bauwerke in ihrer alten Bestimmung und Umgebung und in unverWschter Gestalt und Erscheinung erhalten werden sollen. Es Wlt auf, dass auch hier keine Rede von der histori schen Substanz ist; gemeint ist offenbar nur das Erscheinungsbild. In Athen fand 1931 eine Tagung fUr Denkmalpflege des Internatio nalen Museumsamtes beim V6lkerbund statt, auf welcher eine "Char ta von Athen" (Tabelle 1) verabschiedet wurde [8]. Hierin ist nun auch die Rede vom Material, allerdings in einer etwas ungliicklichen und Tahelle 1. Grundsatze der Charta von Venedig - Erhaltung des Kunstwerks, Bewahrung des geschichtlichen Zeugnisses einschlie6lich Standort und Umgebung - Nutzung in vertraglicher Funktion - Bewahrung der asthetischen und historischen Werte - Bevorzugt traditionelle Techniken - Wenn unzureichend: Moderne Techniken erlaubt, wenn wissenschaftlich untermauert und technisch erprobt - Respektieren der Beitrage aller Epochen zu einem Denkmal. Aufdecken friiherer Stadien nur wenn durch deren Wert gerechtfertigt - Erganzungen harmonisch einfiigen aber kennzeichnen - Rekonstruktion ausgeschlossen, alIenfalIs Anastylose - Erfassung und Dokumentation aller Arbeitenj Publikation 6 Egon Althaus fUr viele historische Bauwerke fatalen Weise. Der seinerzeit herr schende etwas blauaugige Glaube an den technischen Fortschritt fUhrte dazu, dass der Einsatz moderner Baumittel, insbesondere Port landzement und Stahlbeton, bei der Erhaltung historischer Bauwerke ausdrticklich gebilligt und empfohlen wurde - unter dem einzigen Gesichtspunkt der Fixierung historischer Bauteile in situ und der Sta bilisierung lockerer oder auch erganzter Bauteile. Leider wurde dies in groBem Umfang getibt, sehr zum Schaden vieler historischer Bau werke (Abb. 9-13). Ein Gesichtspunkt wurde namlich straflkh ver nachlassigt: Die Vertraglichkeit hinzugeftigter moderner Baustoffe mit dem historischen Altbestand. Offenbar wurde das nicht als gravierendes Problem angesehen und man war tiberrascht tiber die ungnadige Reaktion vieler Bauwerke auf diese falsche Behandlung: Aufdrticken des Mauerwerks durch "Treibmineral-Reaktionen", Kor rosion der historischen Baustoffe durch Reaktion mit den modernen, Prozesse, die den Verlust mancher Baudenkmaler verursacht haben oder ihren vollstandigen Neubau, wenigstens aber eine "Runderneue rung", erforderlich machten. Viele dieser wenig sachgerechten Behandlungen wirken noch heute nach und beschaftigen die Denk malpfleger und Restauratoren mit ziemlich kniffligen Problemen. Durch die traurigen Erfahrungen alarmiert fan den sich Denkmal pfleger, Architekten und Bauingenieure zum ,,2. Internationalen Kon gress der Architekten und Techniker in der Denkmalpflege" 1964 in Venedig ein und verfassten nach lang en Diskussionen die "Charta von Venedig", die die Postulate ftir die Durchftihrung der denkmalpflege rischen Arbeiten zusammenfasst, tiber welche auch heute allgemeiner Konsens herrscht [9]. Die UNESCO-Organisationen ICOMOS (Inter national Council on Monuments and Sites) und ICCROM (Interna tional Centre for the Study of the Preservation and Restoration of Cultural Property) waren die Hauptsponsoren dieser Tagung. Die wesentlichen Grundsatze sind in Tabelle 1 zusammengefasst. Sie werden heute von den meisten Denkmalpflegern anerkannt und beachtet. Etwas prazisiert und erganzt wurden diese Postulate durch die von der ICCROM erarbeiteten "Guidelines for the Management of World Cultural Heritage Sites" von 1990 [10], die in Tabelle 2 zusammenge fasst sind. Hier taucht erstmals der Begriff "Reversibilitat" auf, aller dings in einer ftir einen Naturwissenschaftler unglticklichen Verwen-