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Sicherer Alltag?: Politiken und Mechanismen der Sicherheitskonstruktion im Alltag PDF

302 Pages·2016·4.475 MB·German
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Sicherer Alltag? Bernd Dollinger Henning Schmidt-Semisch (Hrsg.) Sicherer Alltag? Politiken und Mechanismen der Sicherheitskonstruktion im Alltag Herausgeber Bernd Dollinger Henning Schmidt-Semisch Universität Siegen Universität Bremen Deutschland Deutschland ISBN 978-3-658-07267-4 ISBN 978-3-658-07268-1 (eBook) DOI 10.1007/978-3-658-07268-1 Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbi- bliogra(cid:191) e; detaillierte bibliogra(cid:191) sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. Springer VS © Springer Fachmedien Wiesbaden 2016 Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung, die nicht ausdrücklich vom Urheberrechtsgesetz zugelassen ist, bedarf der vorherigen Zustimmung des Verlags. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Bearbeitungen, Übersetzungen, Mikrover(cid:191) lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in diesem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahme, dass solche Namen im Sinne der Warenzeichen- und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu betrachten wären und daher von jedermann benutzt werden dürften. Der Verlag, die Autoren und die Herausgeber gehen davon aus, dass die Angaben und Informa- tionen in diesem Werk zum Zeitpunkt der Veröffentlichung vollständig und korrekt sind. Weder der Verlag noch die Autoren oder die Herausgeber übernehmen, ausdrücklich oder implizit, Gewähr für den Inhalt des Werkes, etwaige Fehler oder Äußerungen. Lektorat: Stefanie Laux, Katharina Gonsior Gedruckt auf säurefreiem und chlorfrei gebleichtem Papier Springer Fachmedien Wiesbaden ist Teil der Fachverlagsgruppe Springer Science+Business Media (www.springer.com) Inhalt Sicherheit und Alltag: Einführende Zugänge . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 1 Bernd Dollinger und Henning Schmidt-Semisch I Alltägliche Konstruktionen von Sicherheit und Kriminalität Sicherheit und gute Policey im frühneuzeitlichen Alten Reich. Konzepte, Gesetze und Instrumente . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 29 Karl Härter Sicherheit als politische Narration: Risiko-Kommunikation und die Herstellung von Un-/Sicherheit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 57 Bernd Dollinger Die alltägliche Rede über Kriminalität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 81 Johannes Stehr „One Hell of a Big Story“: Zur Narrativität der Sicherheitsgesellschaft . . . . . . . 97 Katharina Eisch-Angus II Felder der Ko-Konstitution von Sicherheit und Alltag A. Öff entliche Räume Der Alltag der Anderen: Racial Profi ling in Deutschland? . . . . . . . . . . . . . . . . 125 Bernd Belina VI Inhalt Ländliche und kleinstädtische Sicherheitsmentalitäten ................... 147 Nina Oelkers und Sascha Schierz Der „sichere“ Spielplatz .............................................. 173 Bettina Hünersdorf B. Arbeitsplatz, Ausbildung und Zuhause Schule und neue Kontroll-Kultur ...................................... 195 Karin Amos Die Alltäglichkeit des Testens: Drogenkonsumkontrollen im Kontext von Arbeit und Ausbildung ............................................215 Monika Urban, Simon Egbert, Katja Thane und Henning Schmidt-Semisch Kindeswohl: Zur Ambivalenz eines Konzept e s ...................... . . . ...237 Sabine Andresen C. Der kontrollierte Körper Der Auftritt der E-Patienten oder: Die digitale Revolution des Gesundheitssystems ..................................................255 Monika Urban Broken Windows in Framingham ..................................... 273 Friedrich Schorb Vermesse Dich selbst! Zahlen als Selbstvergewisserung des privaten Lebens ..................................................... 285 Aldo Legnaro Verzeichnis der Autorinnen und Autoren .............................. 303 Sicherheit und Alltag: Einführende Zugänge Bernd Dollinger und Henning Schmidt-Semisch 1 Sicherheit im und als Alltag Wer denkt schon an Sicherheitspolitik, wenn er auf einer öff entlichen Parkbank sitzt oder auf frisch gestutzte Hecken in einem städtischen Park blickt – zu trivial und gewissermaßen zu alltäglich erscheinen diese Verhaltensweisen. Gleichwohl ist es nicht unwahrscheinlich, dass man sich bei einer solchen Nutzung des öff entlichen Raumes inmitten eines sicherheitspolitisch geprägten Arrangements befi ndet. Ein Beispiel hierzu: Der Präventionsbericht einer Stadt in Hessen vermeldet, die „gärtnerische Neugestaltung“ eines Parkplatzes, das „Zurückschneiden von Hecken und Büschen“ und eine neue „Bepfl anzung ließen die Autoaufb rüche gegen Null tendieren“ (Präventionsbericht Korbach 2004, 7). Im Verbund mit der Entfernung bzw. Umgestaltung von Parkbänken, der Renovierung einer öff entlichen Toilet- tenanlage und weiteren Maßnahmen seien das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung gestärkt und die Kriminalität zurückgedrängt worden. Diese Zurückdrängung von Kriminalität bzw. der entsprechenden Personen (etwa „Kleinkriminellen, Betrügern und Dealern“; ebd., 6) ist ein Teilobjekt eines Sicherheitsprogramms; es geht u. a. um „gefährdete Randgruppen. Obdachlose, Alkoholiker und Junkies“ (ebd., 6), die sich an öff entlichen Plätzen aufh ielten und auf diese Weise Gefühle der Bedrohtheit und der Unsicherheit in der Bevölkerung auslösten und die allgemeine Sicherheit zu gefährden scheinen. Das Beispiel ist weitgehend beliebig gewählt; aber es illustriert in den vergan- genen Jahren vielfach diskutierte Tendenzen, die Kontrolle von Räumen zu einem zentralen Ansatzpunkt zu machen, um gegen Kriminalität vorzugehen und Ord- nung bzw. Sicherheit (wieder-) herzustellen. Dies gilt insbesondere für städtische Räume, die eine hohe symbolische und konsumbezogene Relevanz besitzen (z. B. Eick u. a. 2007; Fussey/Coaff ee 2014; Ronneberger u. a. 1999; Wehrheim 2012). Wer sich an diesen Räumen aufh ält und wer nicht, und ebenso, was dort getan werden B. Dollinger, H. Schmidt-Semisch (Hrsg.), Sicherer Alltag?, DOI 10.1007/978-3-658-07268-1_1, © Springer Fachmedien Wiesbaden 2016 2 Bernd Dollinger und Henning Schmidt-Semisch kann und was nicht, ist längst nicht mehr dem Zufall überlassen. Zwar wurden soziale Räume und insbesondere Städte schon immer in hohem Maße kontrolliert und überwacht, denn Städte sind per se Orte, denen diverse Gefahren attestiert werden (vgl. Dinges/Sack 2000). Folgt man allerdings neueren Diagnosen, so werden öffentliche Räume in zunehmendem Maße durch partikulare Interessen besetzt und gemäß dieser instrumentellen Nutzungsvorgaben überwacht und ,ge- sichert‘. Zum Sicherheitsproblem wird dabei nicht nur Verhalten, das ,stört‘ oder ,gefährdet‘, sondern es genügt mitunter die Anwesenheit bestimmter Personen, die nicht den prädefinierten Nutzungserwartungen entsprechen, um gleichsam Alarm auszulösen. Nicht zufällig wird in dem oben genannten Beispiel auf verschiedene „Randgruppen“ hingewiesen, also auf relativ vage bestimmte Personkategorien, die Normalitätsdefinitionen zu verletzen scheinen. Personen wirken oftmals nicht deswegen verdächtig, weil sie etwas Normwidriges tun, sondern – so konstatieren Beckett und Herbert (2009, 15) in einer Studie über das Wieder-Aufleben von Vertreibungspolitiken in den USA – „for how they look and what they symbolize“. Die Autoren konstatieren mit Recht, dass es sich dabei um ein internationales Phänomen handelt; auch in Deutschland lässt es sich erkennen (vgl. Belina 2007; Schmidt-Semisch/Wehrheim 2010). Eines der besonderen Kennzeichen dieses Phänomens ist die Strukturierung des öffentlichen Raums durch Sicherheitsprojekte mit besonderen Folgen für „Randgruppen“. So werden z. B. Obdachlose, die in ihrem Alltag in hohem Maße auf öffentliche Räume verwiesen sind, von Praktiken der Vertreibung in besonde- rer Weise tangiert. Betroffen sind aber auch die Nicht-Vertriebenen, denn wem sie begegnen, was sie erleben und wie sie sich verhalten, ist zunehmend eine Frage und eine Folge der Herstellung von Sicherheit. Selbst wenn sie nicht in den Kreis der Verdächtigen geraten, wenn sie nicht als „gefährdete Randgruppen“ kategorisiert werden, werden sie überwacht, aufgezeichnet und in ihrem Erleben und Verhal- ten geprägt, und sei es nur, indem sie als ,ordentliche Bürger‘ auf einer Parkbank sitzen, die aus Gründen der Kriminalprävention unbequem gestaltet ist, damit längerer Aufenthalt unwahrscheinlich wird. Betroffen sind zudem institutionelle Kontrollakteure; sie werden zu Verantwortlichen für die Herstellung relativ un- scharf formulierter Sicherheitsprojekte: Wenn Gefährdungsdiagnosen an sozialen Randgruppen und der Verletzung oftmals impliziter Normalitätserwartungen fest- gemacht werden, ist ihre Hauptaufgabe nicht mehr die Verhinderung ,handfester‘ Kriminalität, sondern die Bearbeitung sozialer Probleme. Am Beispiel raumbezogener Kontrollen wird die Transformation der Herstel- lung von Sicherheit unmittelbar deutlich, allerdings geht sie weit darüber hinaus. Auch die Nutzung des Internets, der Straßenverkehr, die Erziehung eigener oder fremder Kinder, der Gebrauch des eigenen Körpers, Reisen, der Schulbesuch, das Sicherheit und Alltag: Einführende Zugänge 3 Arbeitsverhalten usw. werden nach Kriterien der Sicherheit konzipiert. Es gibt, so konstatiert David Lyon (in Bauman/Lyon 2013, 24), kein ,Außen‘ der Überwachung mehr, „sondern jeder Mensch (kann; d. A.) in allen Bereichen des Alltagslebens pausenlos überprüft, beobachtet, getestet, bewertet, beurteilt und in Kategorien eingeordnet werden.“ Die im Jahr 2013 weithin bekannt gewordenen, umfassen- den Überwachungspraktiken von Geheimdiensten der USA und Großbritanniens scheinen dies nur auf die Spitze zu treiben: Selbst und gerade der Alltag bietet keinen Schutz vor Überwachung mehr, sondern er wird sicherheitspolitisch durchleuchtet. Diese Beobachtung bildet den Ausgangspunkt des vorliegenden Bandes, in dem der Zusammenhang von „Sicherheit“ und „Alltag“ auf verschiedenen Ebenen thematisiert wird. Bevor wir allerdings auf die in diesem Band enthalten Beiträge eingehen, soll im Folgenden die oben angedeutete Diagnose einer Versicherheitli- chung eingehender dargestellt und zudem mit einigen Fragezeichen versehen werden. Denn auch wenn zahlreiche Medienberichte eine total anmutende Überwachung durch inter-/nationale Geheimdienste nahelegen und der Zusammenhang von „Sicherheit“ und „Alltag“ unmittelbar plausibel erscheint, so ist diese Diagnose doch deutlich voraussetzungsvoller und differenzierter zu betrachten, als dies auf einen ersten Eindruck erscheinen mag. 2 Sicherheitsprobleme 2.1 Diagnose „Securitization“ Dieser erste Eindruck lässt sich folgendermaßen beschreiben: Durch technische Mittel – vorangetrieben insbesondere durch die massenhafte Speicherung und Auswertung computer-basierter bzw. elektronischer Kommunikation sowie durch die Sichtbarmachung und Analyse des Verhaltens von Menschen in öffentlichen und z. T. nicht-öffentlichen Räumen – wird Privatheit im Dienste von Bestrebungen, innere Sicherheit herzustellen, konsequent aufgelöst. Menschen werden umfassend überwacht bezüglich des von ihnen ausgehenden Risikos für die soziale Ordnung (bzw., ergänzend hierzu, bezüglich ihrer ökonomischen Verwertbarkeit). Das Scannen von Personen nach möglichen Ordnungs- und Konsumrisiken und ihre entsprechende Kategorisierung werden normalisiert. Eine „Sicherheitsgesellschaft“, so lautet Aldo Legnaros Konturbestimmung, beschränkt sich nicht auf die Sicher- heitsprojekte staatlicher Institutionen und Akteure mit dem Ziel des Schutzes vor Devianz. Vielmehr bindet sie alle denkbaren Instanzen und Personengruppen in die Konstitution von ,Ordnung‘ ein; sie realisiert „eine permanente gesellschaft- 4 Bernd Dollinger und Henning Schmidt-Semisch liche Anstrengung, ein Régime des alltäglichen sozialen Lebens“ (Legnaro 1997, 271). Im Blickpunkt stehe nicht nur Delinquenz, sondern „unter der Prämisse von Sicherheit“ werde „die (Wieder-)Herstellung von sozialer Ordnung als solcher angestrebt“ (ebd., 272). Legnaro hatte dies 1997 noch als Projektion einer möglichen Zukunft formu- liert. Diese Vorsicht wird allerdings in neueren zeitdiagnostischen Entwürfen einer „Sicherheitsgesellschaft“ kaum noch verfolgt. So unterschiedlich die einzelnen Deutungsfolien auch angelegt sind: Sie stimmen weitgehend in der Annahme über- ein, kooperative Sicherheitspolitiken und -projekte seien in die Privatheit hinein entgrenzt. So beschreiben Singelnstein und Stolle (2012, 122) Sicherheit als ein „Schlüsselkonzept“, das in westlichen Gesellschaften nicht nur staatliches Handeln zunehmend präge, sondern das alternative Inhalte und Formen sozialen Handelns überlagere. Das Programm der Ordnungsbewachung und -herstellung werde zur Kernaufgabe „aller Gesellschaftsmitglieder“ und „zum Bestandteil alltäglicher Handlungsmodi“ (ebd., 122). Begrenzungen des total anmutenden Projekts des Schutzes vor Risiken, so etwa Peter-Alexis Albrecht (2010, 146ff), seien sukzessive zurückgenommen worden. Diese Begrenzungen, die z. B. darauf rekurrierten, individuelle – und nicht-überwachte – Freiheit zu gewährleisten, Kontrollen an konkrete Verdachtsmomente zu binden oder Sicherheitspolitiken nationalstaatlich einzuhegen, seien erodiert. Sicherheit werde damit zugleich verengt und ausgewei- tet, so Hans-Peter Albrecht (2011, 115): Sie werde verengt, da soziale Dimensionen von Sicherheit ausgeblendet würden, während Fragen der öffentlichen und inneren Sicherheit – z. T. verbunden mit Aspekten äußerer Sicherheit (vgl. Zedner 2009, 35) – aufgewertet würden und expandierten. In den Worten von David Garland (2001, 12): „Above all, the public must be protected“, und dies nicht mehr vor dem Staat, sondern durch den Staat und alle mit ihm kooperierenden Instanzen. Zwar sind die einzelnen, hier nur exemplarisch benannten Diagnosen einer Auf- wertung von Sicherheit als Maxime politischen Handelns und einer umfassenden „Sicherheitsgesellschaft“ heterogen und differenziert (als Überblick z. B. Collins 2013; Williams 2013). Gleichwohl ist ihnen als konstitutives Element gemeinsam, dass sie sich auf die mehr oder weniger subtile Durchdringung des Alltags mit staatlich und nicht-staatlich begründeten Maßnahmen der Überwachung als zentralem Mittel der Risikokontrolle beziehen. Entgrenzte Maßnahmen der Gewährleistung von „Sicherheit“ infiltrierten zunehmend alltägliche bzw. private Lebensbereiche, die diesen Zugriffen zuvor entzogen waren. Es zeige sich eine technisch gestützte, ko- ordinierte und „anlassunspezifische, kontinuierliche Kontrolle der Bürgeraktivitäten (…), also eine neue Qualität der Durchdringung des Alltags mit Kontrolltechniken“ (Bogner 2012, 96). Eine in quantitativer Hinsicht zu bemerkende, insbesondere technisch ermöglichte Ausweitung von Sicherheitsprojekten wird somit als qua-

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