Irmela Schneider (Hrsg.) Serien -Welten Irmela Schneider (Hrsg.) Serien -Welten Strukturen US-amerikanischer Serien aus vier Jahrzehnten Westdeutscher Verlag Alle Rechte vorbehalten © 1995 Westdeutscher Verlag GmbH, Opladen Der Westdeutsche Verlag ist ein Unternehmen der Bertelsmann Fachinformation. Das Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlags unzulässig und strafbar. Das gilt ins besondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. Umschlaggestaltung: Horst Dieter Bürkle, Darmstadt Gedruckt auf säurefreiem Papier ISBN 978-3-531-12703-3 ISBN 978-3-322-93853-4 (eBook) DOI 10.1007/978-3-322-93853-4 Inhalt [rmela Schneider Einleitung . .. .................................. 7 Norbert Mengel Den Anfang macht die Ouvertüre. Entwicklungen von Serienvor-und abspannen: Vom "notwendigen Übel" zum kreativen Freiraum- und zurück ..................................... 19 [rmeta Schneider Vom Ereignis zur Performance. Zur Erzählstruktur und Erlebnisfunktion von Serien ..................................... 42 Ulrich Brandt Schieß los! Erzählmuster amerikanischer Serien. . . . . . . . . . . . . . . . . . . 52 Heike Klippel Alles total normal. Die Welt der sozialen Konflikte ................. 74 Udo Göttlich Traditionalismus als Leitidee. Werte und Wertestruktur amerikanischer Serien .......................................1 02 [rmela Schneider Variationen des Weiblichen und Männlichen. Zur Ikonographie der Geschlechter ....................................1 38 Ulrich Brandt Den Zuschauer beim Händchen nehmen. Zur Narrativik moderierter Sendungen mit Serieneinspielungen. ........1 77 Annette Brauerhoch What's the Difference? Adaptionen amerikanischer Situation Comedies im deutschen Fernsehen ................................1 95 Angela Krewani Ein Überblick über Positionen der anglo-amerikanischen Serienforschung . .214 Anhang: Tabellen. . . . .225 Anhang: Serienregister . .237 Einleitung [rmela Schneider I. Seit rund vier Jahrzehnten gehören US-amerikanische Serien zu den Konstanten des deutschen Fernsehprogramms. Mit Titeln wie Auf der Flucht, Bonanza, Lassie, Flipper, Dallas, Columbo oder Die Golden Girls verbindet heute jeder Fernseh zuschauer Erinnerungen an Geschichten, an Schauspieler, an Seriengestalten, ihre Eigenarten, Verhaltensweisen, Wertvorstellungen. Amerikanische Sichtweisen des Erzählens, der Darstellung von Alltag und Erlebnissen, der Entwicklung und Lö sung von Konflikten gehören zum kollektiven Wissen, und dieses Wissen bildet einen Orientierungsrahmen für soziales Handeln im Alltag. Die Wahrnehmung von Wirklichkeit, die von der Wahrnehmung der Wirklichkeit der Medien nicht mehr länger getrennt werden kann, ist auch durch diese Serien geprägt. Spezifische, in der amerikanischen Tradition angesiedelte Handlungsmuster, Werte, Normen, sind heute Teil der Vorstellungen von Wirklichkeit. In der Teilhabe an Massen kommunikation, die man mit Meyrowitz (1987, 95) als "para-soziale Interaktion" bezeichnen kann, ist die Intimität mit Fernseh-Nachbarn wie Familie Schölermann oder Familie Hesselbach seit den 60er Jahren um die Intimität mit Helden wie Richard Kimble, Ben Cartwright oder Perry Mason angereichert worden. Werden diese amerikanischen Helden, so kann man fragen, überhaupt noch nach ihrer na tionalen Herkunft identifiziert? Ist nicht die Fernseh-Familiencouch zu einer Ge gend geworden, in der sich die Orientierung nach geographisch defmierten Orten längst aufgelöst hat? 1 Erinnerungen an Serien sind ebenso wie ihre Wahrnehmung etwas Aktives, stehen für gedankliche Konstruktionsarbeit der Zuschauer. Fernsehrezeption, verstanden als ein aktiver Akt von Bedeutungszuschreibung, ist abhängig vom sozialen Kon text, in den die Fernsehrezeption eingebunden ist. Sie läßt sich allerdings -so die Ausgangsthese dieser Untersuchung -nicht reduzieren auf jene für Individuen oder VgJ. Virilio 1989, 85: "Der Slogan auf den Kinofassaden der dreißiger Jahre 'Rund um die Welt in achtzig Minuten', signalisierte bereits, daß der Ablauf des Films sich deckte mit der Geostrategie, die seit einem Jahrhundert unaufhaltsam auf einer Vertauschung von Dingen und Orten und schließlich ihrer Auflösung hinauslief." 8 Irmela Schneider Gruppen spezifischen Bedeutungszuschreibungen, sondern es bilden sich transin dividuelle und potentiell konsensuelle Bedeutungszuschreibungen, und zwar auf grund von rekurrenten Merkmalen, Standardisierungen, die die Serien auszeich nen. Diese Ebene der potentiell konsensuellen Bedeutungszuschreibungen läßt sich als ein mentales Schemawissen begreifen, das im Laufe der Fernsehsozialisation erworben wird und das seinerseits eine Ausgangsbedingung bildet, um Abwei chungen, Modifikationen wahrzunehmen. Parodien von Serien kann nur der Zu schauer erkennen, der die konstitutiven Merkmale für Serien kennt. Unser Blick ist, so gesehen, auf die Serien gerichtet, auf das Normale', Alltägliche, Durch schnittliche. Es geht uns darum, das an den Bildern, Erzählungen, Akteuren von Serien aufzuzeigen, was "wiederholt wird ohne jede Magie, ohne jede Begeiste rung, als wenn es natürlich wäre, als wenn, wie durch ein Wunder, dieses wieder kehrende Wort jedesmal aus anderen Gründen angemessen wäre, als wenn das Imitieren nicht mehr als Imitation empfunden werden könnte: ein zwangloses Wort, das auf Konsistenz Anspruch erhebt und seine eigene Insistenz nicht kennt." (Barthes 1974, 64) Was Barthes hier in bezug auf die menschliche Sprache das "Stereotype" nennt, das fortschreitende '''Hart- und Starrwerden', ihre Verdickung im Laufe des historischen Diskurses" (Barthes 1974, 64) läßt sich gleichermaßen auf Serien, ihre Bilder und Geschichten beziehen. Im Mittelpunkt steht dann die Frage, wie jene Merkmale von Serien beschaffen sind, die den Anschein von Natürlichkeit' statt Konstruktion erwecken. 11. Das Teilprojekt "Zur Geschichte und Entwicklung des britischen und amerikani schen Einflusses auf die Fernsehprogramme in der Bundesrepublik Deutschland" des Sonderforschungsbereichs "Bildschirmmedien", der seit Januar 1985 an der Universität/Gesamthochschule Siegen besteht, hat eine Bestandsaufnahme der in den deutschen Programmen seit Beginn bis einschließlich 1985 ausgestrahlten Se rien vorgelegt (SchneiderfThomsen/Nowak 1991, Schneider 1992). Diese Bestandsaufnahme war das Fundament, von dem aus die Inhaltsanalyse möglich wurde, deren Ergebnisse in diesem Band vorgestellt werden. Für diese Analyse wurden 5% des gesamten US-amerikanischen Serien-Programms, das in ARD und ZDF von Beginn bis einschließlich 1985 ausgestrahlt worden ist, analysiert. 2 Dabei umfaßt das Sampie Serien aus dem Nachmittags-, Vorabend- ebenso wie Abend programm.3 Die Titel der analysierten Serien wurden nach einem Zufalls-Algo rithmus ausgewählt. Ergänzt wurde dieses Sampie durch die Analyse aller ameri kanischen Serien, die an vier Stichtagen in den Jahren 1992 und 1993 in den Pro- 2 Die Grundgesamtheit bildet die Minutenzahl aller in diesem Zeitraum ausgestrahlten amerikani schen Serien; eingeschlossen sind hier Wiedemolungsprogramme. Die Zahl von 5% bezieht sich also nicht auf Serien-Titel, sondern auf die Gesamtheit der Sendeminuten. 3 Als Beispiel für ein typisches Vorabendprogramm der ARD wurde das Programm des Westdeut schen Werbefernsehens (J{WF) ausgewählt. Einleitung 9 grammen von ARD, ZDF, RTL, SAT 1 und Pro 7 gelaufen sind. Neben den Nachmittags-, Vorabend- und Abendprogrammen kamen hier die Serien aus dem Vormittagsprogramm hinzu. Insgesamt umfaßt das SampIe 259 Serienfolgen für den Zeitraum von 1953-1985 und 144 Serienfolgen für die Stichtage (vgl. die Ta bellen im Anhang). III. Bei der Inhaltsanalyse - dies sei hier wenigstens erwähnt - geht es nicht um die Analyse von Texten im Sinne von objektiv gegebenen Fakten, sondern die Analyse ebenso wie die Wahrnehmung von Serien ist immer eine Konstruktionsleistung dessen, der die Serie analysiert oder sieht. Es gibt nicht den Inhalt eines Doku ments als Objekt der Inhaltsanalyse. Inhalt entsteht im Prozeß der Analyse von Botschaften in einer bestimmten Situation und in einer bestimmten Forschungs Absicht, und davon kann er nicht einfach isoliert werden (vgl. Krippendorf 1969, 5). Zielsetzung unserer Analyse war es, solche Strukturen und Merkmale von Serien zu ermitteln, die rekurrent zu beobachten sind, die quasi automatisch wahrgenom men werden und von denen angenommen werden kann, daß sie von potentiell allen Zuschauern die gleiche Bedeutungszuschreibung erhalten, daß sie zum mentalen Schemawissen derer gehören, die an massenmedialer Kommunikation teilneh men.4 Amerikanische Serien werden also als ein Teilbereich der medialen Kom munikation untersucht, durch den in der gesellschaftlichen Kommunikation The men koordiniert werden. Diese Themenkoordination -so die Ausgangsthese - ver läuft gerade bei amerikanischen Serien in einem hohen Grade konsensuell.5 Serien werden aufgefaßt als Stimuli, die semantische Zuschreibungen ermöglichen, die sich gerade nicht durch große Variabilität, sondern in hohem Maße durch Inva rianz, Stabilität auszeichnen. Daraus folgt nicht, daß jeder Zuschauer das gleiche Handlungswissen aus den Se rien bezieht und gemäß diesem Wissen handelt. Daraus folgt allerdings: Man kann von kollektiven Phantasien und einem kollektiven Wissen ausgehen, das Orien- 4 Die Kategorie des Schemawissens geht ZUIÜck auf die kognitionspsychologische Stereotypen-For schung. Stephan 1989 hat Stereotype in kategorialen Schemata lokalisiert, die der Mensch im Pro zess des sozialen Lernens erwirbt. Er unterscheidet im Anschluß an Anderson 1983 in seinem Mo dell der kognitiven lnformationsverarbeitung drei Gedächtnis-Systeme ("memory systems"): "declarative memory", "production memory" und "working memory". Während die ersten beiden relativ stabil sind, ist letzteres temr,orär. Das "declarative memory" enthält Informationen, die weit gehend faktenbezogen sind. Das 'production memory" enthält prozeßorientierte Kategorien (wie Dinge zu tun sind) und das "working memory" arbeitet mit Kategorien, die laufend gebildet wer den. "Declarative memory" vergleicht Stephan den Daten, die in einern Computer gespeichert sind, "production memory" dem Programm, mit dem Daten gespeichert werden, und "working memory" demjenigen, was auf dem Bildschirm erscheint. 5 Zum Begriff der "konsensuellen Koordination" vgl. Maturana, 1988, 840: "Diesen ontogenetisch konstituierten Bereich rekurrenter Interaktionen nenne ich einen Bereich 'konsensueller Koordina tion von Handlungen und Unterscheidungen' oder allgemeiner einen 'lwnsensuellen Bereich von Interaktionen', weil er aus einer besonderen Form des Zusammenlebens entsteht, die gegenüber der spezifischen Geschichte der rekurrenten Interaktionen der teilnehmenden Systeme kontingent ist." 10 Irmela Schneider tierungsfunktion für Handlungen hat, Anschlußmöglichkeiten für Kommunikatio nen bereitstellt, diese aber nicht determiniert. Der theoretische Referenzrahmen, auf dem unsere Untersuchung aufbaut, ist eine kognitionstheoretisch fundierte Stereotypen-Theorie (vgl. Schneider 1992). Sie weist, bei genauerer Prüfung, Verbindungen mit der kulturellen Indikatoren-For schung auf. Die kulturelle Indikatoren-Forschung, wie sie Gerbner et al. (vgl. z.B. 1969, 1973) betreiben, ermittelt Merkmale von audiovisuellen Produkten und spricht bei einer bestimmten Häufung von Merkmalen von Stereotypen. Wir ver folgen mit unserem Ansatz das Ziel, ebenfalls rekurrente Merkmale zu ermitteln, aber der Referenzrahmen der Stereotypen-Theorie ermöglicht es, den Stellenwert solcher Merkmale plausibler und präziser zu bestimmen, als dies mit Gerbners An satz möglich wäre. Stereotypen werden als hierarchisch strukturierte mentale Schemata defmiert, die sozialisations geschichtlich und damit eben auch in der medialen Kommunikation erworben werden. Diese mentalen Schemata werden durch Stimuli aktiviert, sie prägen die Konstruktion von Bedeutung. Diese kognitiven Operationen sind, so der Kerngedanke und das zentrale Interesse der Stereotypen-Theorie, die Basis für Gruppenbildungen in Gesellschaften. Stereotype sind kognitive Prozesse mit so zialen Folgen. Über die sozialen Folgen kann man aber erst dann plausible Überle gungen formulieren, wenn man genauer weiß, wie die Strukturen und Merkmale beschaffen sind, die zur Konstruktion von Stereotypen beitragen. Das zentrale Interesse der Stereotypen-Forschung ist die Untersuchung von Pro zessen der Gruppenbildung in Gesellschaften, das Fremd- und Eigenbild von Gruppen, die Einschätzung von Outgroups u. ä .. Die Sozialisationsinstanzen, über die Stereotypen erlernt werden, sind vor allem Elternhaus, Schule und Massenme dien. Die Stereotypen-Forschung interessiert sich wenig für den Beitrag, den diese Sozialisationsinstanzen im einzelnen zur Stereotypen-Bildung leisten. Bekannt ist, daß sich bereits im Alter von 6 bis 7 Jahren, also primär ausgebildet durch das El ternhaus, Stereotypen im Hinblick auf die Geschlechter ausgebildet haben. Ein zelne Untersuchungen zu Leistungen der Schule und marginale Beobachtungen zu den Massenmedien - wobei innerhalb amerikanischer Studien die Rolle der Schwarzen im Fernsehen eine prominente Rolle spielt -liegen vor. Insgesamt aber geht es der Stereotypen-Forschung nicht um die Sozialisationsinstanzen, sondern um das soziale Verhalten von Gruppen. Im Unterschied dazu geht es uns darum, am Beispiel von amerikanischen Serien, die das deutsche Fernsehen ausgestrahlt hat, zu untersuchen, welche rekurrenten Merkmalskombinationen sich inhaltsanalytisch ermitteln lassen, die dann zur Ste reotypenbildung beitragen und zwar nicht nur in bezug auf Gruppenbildungen. Ste reotypen fungieren ebenso als Orientierungswissen für das Alltagshandeln. Die Ebene der Stereotypen selbst können wir mit unserem methodischen Ansatz nicht erreichen, aber wir können Material zusammentragen, aus dem sich Schlußfolge rungen darüber ziehen lassen, welche Rolle die Serien-Welten spielen, wenn es um Einleitung 11 Fragen nach stereotypen Vorstellungen über die Art und Weise, wie erzählt wird, geht, wenn stereotype Konfigurationen von Konflikten und ihren Lösungen disku tiert werden, wenn nach Werte strukturen und ihren Wandlungen gefragt wird oder nach stereotypen Vorstellungen über Geschlechterrollen. Diese Untersuchung bie tet somit Material für die zentrale Debatte darüber, welche Rolle das Fernsehen im Alltagshandeln spielt. Wenn man danach fragt, was die Menschen mit den Medien und ihren Angeboten machen, wie sie sie in ihre Alltagserfahrungen, ihre Wertvor stellungen, ihren Umgang mit Konflikten, ihre Lebensgeschichten integrieren, dann geht es nicht um kausal zu erklärende Belange, sondern um komplizierte Vernetzungen. Serien werden dann relevant für Fragen nach Veränderungen von alltäglichen Erlebnisstilen. IV. Die Analyse der Serien konzentrierte sich im wesentlichen auf vier große Bereiche, in denen ein hohes Maß an Rekurrenz und Standardisierung vermutet werden konnte. Es ging um die Sammlung von rekurrenten Merkmalen und ihren Variatio nen - in den Vor- und Abspannen von Serien; - auf der Ebene der Erzählstrukturen; was die Verknüpfung von inszenierten sozialen Situationen und Konflikten be trifft; auf der Ebene der Werte, die Akteuren zugeschrieben werden; was Geschlechterrollen anbelangt. Für die Analyse der Vor- und Abspanne stand die Frage im Zentrum, welche Mu ster für die Oberflächen prägend sind und welche Variationen sich beobachten las sen. Es ging um Fragen danach, ob im Mittelpunkt Akteure/Stars, ein topographi sches Emblem oder Ereignis-Segmente stehen. Zu den Fragen gehörte ebenso, ob und wie sich bestimmte Konventionalisierungen solcher Oberflächen mit Genre Konventionen koppeln (vgl. den Beitrag von Norbert Mengei). Der zweite Komplex bezog sich auf die Erzählmuster von Serienfolgen, auf ihre narrativen Diskurs-Strukturen. Die Schemata, Rezepte oder Techniken, nach denen in Serien ganz unterschiedliche Ereignisfolgen in einen narrativen Diskurs trans formiert werden, zeichnen sich durch ein hohes Maß an Stabilität aus, und diese Stabilität ist zugleich die Voraussetzung für Variationen dieser Schemata. Der Zu schauer gewöhnt sich an ein Grundmuster des Erzählens und fmdet Vergnügen am Spiel mit diesem Grundmuster. Das Muster wird ihm im Laufe der Zeit so vertraut, daß er Segmente der Erzählungen kombinieren kann, auch wenn er die Erzählung selbst nur partiell oder nebenher wahrgenommen hat. Es geht in diesem Komplex um die Frage, welche Erwartungen an Erzählungen sich in der Wahrnehmung von Serien konventionalisieren und welche Variationen sich für solche Konventionali sierungen beobachten lassen. 12 Irmela Schneider Den theoretischen Referenzrahmen bilden kognitionstheoretische Erzähltheorien, wonach die Wahrnehmung von Erzählungen eine Konstruktionsleistung der Rezi pienten meint, die zugleich mit bestimmten Affekten (Neugier, Spannung, Überra schung) gekoppelt ist. Wir sind davon ausgegangen, daß sich bei Serien kanoni sche Erzählstrukturen ermitteln lassen, in denen eine Serienfolge eine Erzählein heit bildet. In dieser Erzähleinheit läßt sich am Anfang der Serienfolge ein Ereignis identifizieren, das bei der Wahrnehmung den Zuschauer auf den Ausgang neugie rig macht oder das ihn das Ende mit Spannung erwarten läßt. Gegen Ende der Se rienfolgen läßt sich dann ein Ereignis identifizieren, das die Neugier oder Span nung befriedigt bzw. löst. Als dritte Variante wurde nach einem Erzählmuster ge fragt, bei dem der Zuschauer am Ende ein Ereignis identifiziert, das ihn überrascht, da es Informationen (nach)liefert, mit denen er ein Ereignis, das am Anfang stand, in seinem Stellenwert neu einschätzen kann. Hier ist der Zuschauer also nicht, wie bei den ersten beiden Erzählstrukturen, neugierig oder gespannt, ob die Hypothe sen, die er über den weiteren Erzählverlauf bildet, sich bestätigen, sondern hier erweisen sich seine Hypothesen als irrig, da er in bezug auf ein für den narrativen Verlauf wichtiges Ereignis von falschen Voraussetzungen ausgegangen ist. Die Konventionalisierungen und Variationen, die sich auf der Ebene der Erzähl strukturen für die Wahrnehmung von Serien beobachten lassen, führen zu Überle gungen, welche Erlebnisfunktionen Serien für Zuschauer haben können. 6 Die Analyse der Erzählstrukturen von Serien wurde ergänzt um Überlegungen zu einer Programmform, die sich in jüngerer Zeit beobachten läßt: Serienfolgen sind hier nicht länger identifizierbare Einheiten oder Segmente im Programmfluß, son dern werden eingebettet in eine Magazinform, durch die ein Moderator führt.7 Der dritte Komplex unserer Analyse bezog sich auf eine genauere Profilierung je ner Ereignisse, durch die aufgrund der Erzählstruktur einer der drei Affekte (Spannung, Neugier, Überraschung) ausgelöst wird sowie jener Ereignisse, die die Spannung oder Neugier des Zuschauers auflösen bzw. ihn überrascht sein lassen. Diese Ereignisse wurden ausgewählt, da man davon ausgehen darf, daß sie auf grund ihres narrativen Stellenwerts zum Wissen des Zuschauers gehören, daß sie seine Vorstellungen von Serien-Welten prägen. Gefragt wurde danach, in welchen sozialen Kontexten solche Ereignisse verankert sind, ob es sich um Ereignisse handelt, die die Zuschauer z. B. der Familie, dem Berufsleben, der Politik oder der Freizeit zuordnen. Gefragt wurde ebenso danach, welche Orte sich für solche Ereignisse identifizieren lassen, ob z.B. private oder öffentliche Räume, eine Stadt oder ein ländliches Milieu. Mit Bezug auf die ganze Serienfolge wird schließlich untersucht, in welchem situativen und motivationalen Zusammenhang ein Konflikt ausgelöst wird, der eine ganze Serienfolge beherrscht, und in welchem Zusarn- 6 Vgl. die Beiträge "Schieß los!" von Ulrich Brandt und "Vom Ereignis zur Performance" von Irmela Schneider. 7 Vgl. den Beitrag "Den Zuschauer beim Händchen nehmen" von Ulrich Brandt.