SCHLEIERMACHERS DENKEN DIE BEWUSSTSEINSLEHRE IN SCHLEIERMACHERS PHILOSOPHISCHER ETHIK ALS SCHLÜSSEL ZU SEINEM DENKEN VON CHRISTEL KELLER-WENTORF WALTER DE GRUYTER · BERLIN · NEW YORK 1984 THEOLOGISCHE BIBLIOTHEK TOPELMANN HERAUSGEGEBEN VON K. ALAND, C. H. RATSCHOW UND E. SCHLINK 42. BAND CJP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Keller-Wentorf, Christei: Schleiermachers Denken : d. Bewusstseinslehre in Schleiermachers philos. Ethik als Schlüssel zu seinem Denken / von Christei Keller Wentorf. - Berlin ; New York : de Gruyter, 1984. (Theologische Bibliothek Töpelmann ; Bd. 42) ISBN 3-11-009528-9 NE:GT © 1984 by Walter dr Gruytcr & Co .• Berlin (Prinred in Gcrmany) Alle Rechte, insbesondere das der Übersetzung in fremde Sprachen, vorbehalten. Ohne ausdrückliche Gcnch• ~der migung des Verlages i<t •• auch nicht gcsta11e1, diese, Buch Teile daraus auf phmomechanischcm Wege (Photokopie, Mikrokopie) zu vervielfältigen. Druck: W. Hildebrand, Berlin · Einband: Lüdcritz & Bauer, Berlin. VORWORT Die vorliegende Arbeit wurde unter dem Titel „Die Darlegung des sittlichen Bewußtseins aus philosophischer Sicht als grundlegender Strukturzusammenhang des christlich bestimmten frommen Selbst bewußtseins in dem Denken Friedrich Schleiermachers" im Winter semester 1981/82 vom Fachbereich Evangelische Theologie der Philipps-Universität zu Marburg als Dissertation angenommen. Für den Druck wurde die Einleitung um eine Anmerkung und der Ab schnitt 2.4 um einen kleinen Absatz erweitert. Eine ausführlichere Darstellung erfuhr der Abschnitt 3.1.2. Mein besonderer Dank gilt Herrn Professor D. Dr. C. H. Ratschow, der meine Auseinandersetzung mit Schleiermachers Denken anregte und meine Arbeit, gerade auch über schwierige Strecken hinweg, geduldig begleitete. Danken möchte ich auch der Hessischen Luther stiftung für die Gewährung eines Repetentenstipendiums, das mir überhaupt erst den Anfang dieser Arbeit ermöglichte. Ebenso gilt mein Dank der Ev. Kirche in Hessen und Nassau, die mit einem Druckkostenzuschuß die Veröffentlichung dieser Arbeit unterstützte. Zuletzt aber möchte ich an dieser Stelle meinem Mann, Herrn Pfarrer Peter Keller, herzlich danksagen. Er hat nicht nur die zeitraubenden Korrekturarbeiten durchgeführt, sondern sowohl die Höhen und besonders die Tiefen meines Arbeitsprozesses mitgetragen als auch die Schwierigkeiten zu lösen geholfen, die sich aus meiner doppelten Tätigkeit - pfarramdicher Dienst und wissenschaftliche Arbeit - ergaben. Frankfurt, im April 1983 Christei Keller-Wentorf INHALTSVERZEICHNIS Vorwort V 1 Einleitung 2 Das Zentrum des Sittlichen: das Bewußtsein . 21 2. 1 Das Sittliche als Charakterisierung des geistigen Lebens , 21 2.2 Die Basis des geistigen Lebens: der physische Lebenszusammen- hang . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 2.3 Das menschliche Leben als geistig-sittliches Leben . . . . . . . . 41 2.3.1 Der Zusammenhang zwischen dem physischen Leben und dem gei stigen Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 41 2.3.1.1 Das Hinstreben alles Physischen zum geistigen Leben . . . . . . 41 2.3.1.2 Der Wendepunkt im allgemeinen Lebensprozeß: das menschliche Leben . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 43 2.3.2 Der innere Zusammenhang der einzelnen Lebenszentren des geistig sittlichen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2.3.2.1 Der Ausgangspunkt der Reflexion des geistig-sittlichen Lebens: die menschliche Gattung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 46 2.3.2.2 Die einzelnen Lebenszentren als individuelle Modifikationen des geistig-sittlichen Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 51 2.3.2.3 Die Bestimmung des inneren Zusammenhanges der Lebenszentren als organisch strukturiertes Ganzes . . . . . . . . . . , . . . . . 57 2.3.2.3.1 Die Beschreibung des inneren Zusammenhanges in der Abstraktion 58 2.3.2.3.2 Die Beschreibung des inneren Zusammenhanges in der Konkretion 61 2.3.2.4 Die mit dem organisch strukturierten inneren Zusammenhang der Lebenszentren gegebenen Wesensbestimmungen dieser Zentren als Zugleich von Kraft und Erscheinung gibt jeder sittlichen Tätigkeit das Gepräge: die beiden Charaktere der Identität und der Indivi dualität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 65 2.3.3 Charakterisierung und Struktur des geistig-sittlichen Lebens in der raum-zeitlichen Entwicklung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 66 2.3.3.1 Die Charakterisierung der Lebenstätigkeiten als geistig-sittliche . . 68 2.3.3.1.1 Das Sich-überschreiten des geistig-sittlich Handelnden auf die Totalität der geistig-sittlich Handelnden . . . . . . . . . . . . . . 72 2.3.3.1.2 Das Oberschrittenwerden des einzelnen Gegenstandes der geistig sittlichen Tätigkeit auf die Totalität der Natur . 79 2.3.3.2 Die Struktur des geistig-sittlichen Lebens . . . . . , . . . . . . . 83 VIII 1n haltsverzeich nis 2.3.3.2.1 Die Grundbewegung des geistig-sittlichen Lebens . . . . . . . . . 83 2.3.3.2.2 Die Strukturierung des geistig-sittlichen Lebens durch die Grund bewegung dieses Lebens . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 88 2.3.3.2.2.1 Die Struktur des Zusammenhanges der geistig-sittlichen Lebens- zentren ................... . 90 2.3.3.2.2.2 Die Struktur der geistig-sittlichen Tätigkeit . 92 2.3.3.2.2.2.1 Die spontane Form der sittlichen Tätigkeit . . 94 2.3.3.2.2.2.2 Die rezeptive Form der sittlichen Tätigkeit .. 100 2.4 Der Mittelpunkt des geistig-sittlichen Lebens: das Bewußtsein . 107 3 Die Struktur des Bewußtseins . . . . . . . .. 111 3. t Die dialektische Struktur des Seins . . . . . . . . . . . 113 3.1.1 Die beiden Modi des Seins und ihre innere Beziehung . 113 3.1.2 Die Voraussetzung der dialektischen Seinsstruktur: das höchste Sein 117 3. 1.3 Die Struktur des endlichen Seins als Ineinander von geistigem und dinglichem Sein ......................... . 120 3.1.4 Die Struktur des sittlichen Seins . . . . . . . . . . . . . . . . .. 127 3.1.4.1 Das sittliche Sein: ein durch das Handeln der Vernunft auf die Natur hervorgebrachter Organismus der Vernunft ......... 128 3.1.4.2 Das sittliche Sein: ein durch das Handeln der Vernunft mit Natur auf Natur in einem werdenden Vernunftorganismus fortschreiten- des Ineinander von Vernunft und Natur . . . . . . . . . 137 3.2 Die Struktur des Bewußtseins ................... 142 3.2.1 Das Bewußtsein als unmittelbares Symbol der Vernunft ...... 142 3.2.2 Das Ineinander der intellektuellen und organischen Seite des Be- wußtseins ............................. 155 3.2.2.1 Die Charakterisierung der imcllektuellen und organischen Seite des Bewußtseins . . . . . . . . . . . . . . . 156 3.2.2.1.1 Die intellektuelle Seite des Bewußtseins . . . . . . . . . . . . . . 156 3.2.2.1.2 Die organische Seite des Bewußtseins ............... 163 3.2.2.2 Die Struktur des Ineinander der intellektuellen und organischen Seite des Bewußtseins ....................... 168 3.2.2.2.1 Der in der grundlegenden Entgegensetzung von Subjekt und Objekt entstehende Gehalt des Bewußtseins: das Auseinandertreten von „Gefühl" und „Anschauung" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 170 3.2.2.2.2 Die im Ineinander von Einheit und Vielheit entstehende Form des Bewußtseins: die allgemeinen und einzelnen Positionen . . . . 175 3.2.2.3 Das Zusammensein von Wahrheit und Irrtum im Bewußtsein . . 186 3.2.3 Das Transzendente und das Mathematische im Bewußtsein .... 191 3.3 Die dem Bewußtsein entsprechende Größe in der dialektischen Seinsstrukcur: die Gestaltung . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 197 4 Der Bewußtseinsprozeß 211 4.1 Das Werden von Person und Gemeinschaft in der Entwicklung des Bewußtseins ............................ 212 Inhaltsverzeichnis IX 4.1.1 Die Entwicklung des Bewußtseins in der Bewegung des Lebens . 212 4.1.1.1 Die Bestimmung des sittlichen Seins als sittliches Leben . . . . . 212 4.1.1.2 Die Bestimmung des Bewußtseins als Prozeß . . . . . . . . . . 228 4.1.1.3 Die Lebensbewegung des Bewußtseins: die Wechselbeziehung zwi schen „Reiz" und „Willkür" . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 249 4.1.1.4 Der Verlauf des Bewußtseinsprozesses: die extensive und die inten- sive Richtung des Bewußtseins . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 266 4.1.2 Die Verwirklichung des Bewußtseinsprozesses in der Korrelation von Person und Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 281 4.1.2.1 Das Setzen der Person im Bewußtseinsprozeß als der abgeschlos senen Bewußtseinseinhcit . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 282 4.1.2.2 Das in dem Bewußtseinsprozeß implizierte Korrelat der Person: die Gemeinschaft . . . . . . . . . . . . 321 4.2 Das objektive Bewußtsein . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 372 4.2.1 Das Wesen des objektiven Bewußtseins .............. 372 4.2.1.1 Das objektive Bewußtsein ist der Ausdruck des bestimmten Seins der Gegenstände .......................... 372 4.2.1.2 Gleichheit und Gemeinschaftlichkeit des objektiven Bewufüseins . 376 4.2.2 Das objektive Bewußtsein in der Bewegung des Lebens . . . . . 396 4.2.2.1 Die innere Seite der Tätigkeit des objektiven Bewußtseins: das Denken .............................. 398 4.2.2.2 Die äußere Seite der Tätigkeit des objektiven Bewußtseins: das Sprechen ............................. . 412 4.2.2.3 Das Werden des objektiven Bewußtseins in der sich als Wechsel beziehung von Lehren und Lernen bestimmenden Bewegung des Lebens .............................. . 430 4.2.3 Die geistig-sittliche Gemeinschaft in dem Gebiet des objektiven Bewußtseins . . . . . . . . . . . . . . . 442 4.3 Das subjektive Bewußtsein ..................... 452 4.3.1 Das Wesen des subjektiven Bewußtseins .............. 452 4.3.1.1 Das subjektive Bewußtsein ist der Ausdruck der individuellen gei stig-sittlichen Lebenseinheit . . . . . . . . . . . . . . . . . ... 452 4.3.1.2 Das subjektive Bewußtsein ist unmittelbares Selbstbewußtsein . . 454 4.3.1.3 Verschiedenheit und U nübertragbarkeit des subjektiven Bewußt- sems ................................ 457 4.3.1.4 Das subjektive Bewußtsein konstituiert die einzelne Person . . . . 460 4.3.2 Das subjektive Bewußtsein in dem Wechsel von Rezeptivität und Spontaneität . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 462 4.3.2.1 Die rezeptive Seite: das subjektive Bewußtsein oder das Gefühl . 463 4.3.2. l.l Die Bestimmtheit des subjektiven Bewußtseins 463 4.3.2.1.2 Die Unterscheidung der Gefühle . . . . . 466 4.3.2. I .2.1 Die Elemente und Momente des Gefühls . . . 467 4.3.2.1.2.2 Die Arten der Gefühle . . . . . . . . . . . . . 471 4.3.2. 1.3 Die beiden sich aufgrund der Lebensbewegung umerscheidenden Seiten im Gefühl: das Gefühl und die Kombination . . . . . . . . 477 X Inhaltsverzeichnis 4.3.2.2 Die spontane Seite: die Darstellung des subjektiven Bewußtseins . 483 4.3.3 Die geistig-sittliche Gemeinschaft im Gebiet des subjektiven Be wußtseins . . . . . . . . . . 489 4.4 Die Grenze des Bewußtseins . . . . . . . . . . . . . . . . .... 494 5 Schlußbetrachtung: die Offenheit der philosophischen Bewußtseinsstruktur für das christlich bestimmte fromme Selbstbewußtsein . 503 Literaturverzeichnis 531 Register ...... . 537 1 EINLEITUNG Mit dem Vermögen des Menschen, denken und bewußt handeln, d.h. das eigene raum- und zeit verhaftete Dasein in dem Erkennen der Lebens vorgänge und des Weltzusammenhanges auf seinen Sinn hin zu transzendieren und diesem entspre chend seinen Lebensvollzug und das damit unlös bar verbundene In-Beziehung-Treten zu der Welt einrichten zu können, ist ihm das Problem der seinem Menschsein zukommenden Lebens- und Welt gestaltung aufgegeben. Diese Frage nach dem dem Menschen in seinem Menschsein gemäßen Ver halten in bezug auf das Leben und in bezug auf die Welt ist als die ethische Frage Gegenstand theologischer und philosophischer Reflexion geworden. Indern nun die Theologie und die Phi losophie die Lebens- und Weltgestaltung des Menschen gleichermaßen thematisieren, ist das Problem des Verhältnisses der beiden Bearbei tungsweisen dieser Frage nach dem menschlichen Verhalten gegeben. Gibt es in bezug auf die Gestaltung von Leben und Welt ausschließlich 2 Einleitung ein al.lgemein menschliches Verhalten, wie es in der Philosophie reflektiert wird, so daß die Theologie in der Behandlung der christli chen Lebens- und Weltgestaltung nur das in der Philosophie gedachte allgemein menschliche Verhalten zu wiederholen hat? Oder zeigt die Theologie einen spezifisch christlichen Bezug des Menschen zu dem Leben und zu der Welt mit dem Anspruch auf, das zu seiner eigentlichen Bestimmung gekommene Menschsein darzustellen, so daß die Philosophie diese Lebens- und Welt bestimmung nur zu wiederholen oder sich zu dieser hin zu entwickeln hat? Oder haben allge mein menschliche und christliche Lebens- und Weltgestalt gar nichts miteinander zu tun, da sie sich auf völlig verschiedene, von einander getrennte Bereiche beziehen? Indem die in die sen Fragen markierten unterschiedlichen Posi tionen der Verhältnisbestimmung theologischer und philosophischer Reflexion des menschlichen Lebens und seines Zusammenhanges mit der Welt theologisches und philosophisches Denken ent weder in Abhängigkeit voneinander oder als be ziehungsloses Nebeneinander bestimmen, gelingt es ihnen nicht, ein gleichberechtigtes Ver hältnis theologischer und philosophischer Re flexion zu konstituieren, das den einheitli-