~ SpringerWienNewYork Hans-Jürgen Möller Norbert Müller (Hrsg.) Schizophrenie – Zukunftsperspektiven in Klinik und Forschung SpringerWienNewYork Prof. Dr. H.-J. Möller Prof. Dr. N. Müller Klinik und Poliklinik für Psychiatrie und Psychotherapie, Ludwig-Maximilians- Universität München, Nußbaumstraße 7, 80336 München, Deutschland Das Werk ist urheberrechtlich geschützt. 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In diesem Band sind die Beiträge zum „3.Münchener Kraepelin-Symposium“, das sich besonders mit den Zukunfts- perspektiven der schizophrenen Erkrankungen in Klinik und Forschung be- schäftigt, zusammengefasst. Die aktuell im Zusammenhang mit der Revision von ICD und DSM geführ- te Diskussion zur psychiatrischen Nosologie wird ebenso behandelt wie aktu- elle Ansätze der biologisch-psychiatrischen Forschung. Letztere umfasst pathogenetische Ansätze zu entzündlichen Ursachen, zur Genetik der Schizo- phrenie und zur Biologie der kognitiven Beeinträchtigung, ebenso wie bildge- bende Verfahren und biologische Aspekte therapeutischer Verfahren. Nicht zu kurz kommen neue Ansätze in der Schizophrenie-Therapie sowohl in Hin- blick auf die Pharmakotherapie, als auch in Hinblick auf kognitive und psychoedukative Therapieverfahren, die speziell für schizophrene Erkran- kungen entwickelt wurden. Diese Themen wurden von führenden deutsch- sprachigen Forschern auf dem Symposium diskutiert und finden sich in die- sem Band wieder. Die vorliegenden Beiträge geben einen breit gefächerten Überblick über aktuelle und zukünftige Fragestellungen zur Schizophrenie von Grundlagen- forschung bis zu praktisch-therapeutischen Gesichtspunkten. Die Herausge- ber hoffen, dass der Band auf ebenso reges Interesse stößt, wie das „3. Mün- chener Kraepelin-Symposium“ selbst, das mit großem Erfolg durchgeführt wurde. Wir danken der Firma Janssen Cilag für die großzügige Unterstützung, die das Erscheinen des Buches erst ermöglichte und Frau Karin Koelbert, die die Herausgeber sowohl bei der Organisation des Symposiums als auch bei der Vorbereitung des vorliegenden Bandes tatkräftig unterstützte, und nicht zu- letzt dem Springer-Verlag Wien, bei dem die nun schon zur Tradition gewor- denen Bände erscheinen. München, im Herbst 2009 Hans-Jürgen Möller Norbert Müller Inhaltsverzeichnis Zukunftsperspektiven der psychiatrischen Nosologie Häfner, H.:Psychose, Depression und manische Symptomatik – Leitsyndrome eigener Krankheiten oder Kontinuum? .................................. 3 Marneros, A.:Ist die Unterteilung in schizophrene, affektive und schizoaffektive Erkrankungen klinisch valide?. . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . . 31 Rössler, W., Angst, J., Gamma, A., Ajdacic-Gross, V.:Die Häufigkeit psychotischer Symptome in der Allgemeinbevölkerung – Konsequenzen für die Psychoseforschung ................................................ 41 Meisenzahl, E. M., Möller, H. J.:Strukturelle Verlaufsuntersuchungen bei funktionellen Psychosen ............................................... 53 Müller, N., Schwarz, M. J.:Entzündliche Veränderungen als gemeinsame Pathogenese affektiver und schizophrener Erkrankungen ................... 59 Maier, W., Rujescu, D.:Gemeinsame Risikogene von affektiven und schizophrenen Erkrankungen .......................................... 93 Gaebel, W., Zielasek, J.:Auswirkungen der DSM-V Initiative „Deconstructing Psychosis“ für die Aufteilung von affektiven und schizophrenen Erkrankungen .. 105 Neue Ansätze der biologisch-psychiatrischen Forschung bei Schizophrenie Klosterkötter, J.:Früherkennung und Frühbehandlung schizophrener Psychosen ........................................................... 119 Rujescu, D.:Neue Ergebnisse in der genetischen Forschung bei schizophrenen Psychosen ........................................................... 133 Falkai, P., Schmitt, A., Wobrock, T., Schneider-Axmann, T., Gruber, O.: Morphologische Veränderungen im ZNS bei Schizophrenie: Kernspin- tomographische Befunde und ihre Bedeutung............................. 143 Juckel, G., Schlagenhauf, F., Heinz, A.:Untersuchungen zum endogenen Reward-System unter Therapie von atypischen und klassischen Antipsychotika 151 Wölwer, W., Brinkmeyer, J., Frommann, N., Riesbeck, M., Wagner, M., Gaebel, W.:Kognitive Beeinträchtigungen bei schizophrenen Ersterkrankungen im Vergleich zu psychosenahen Fällen und mehrfach Erkrankten............. 161 Albus, M., Hubmann, W., Mohr, F., Hecht, S., Hinterberger-Weber, P., Leisch, F.: Kognitive Störungen bei schizophrenen Erkrankungen im Verlauf: Ergebnisse einer 5-Jahres-Katamnese .............................................. 177 VIII Inhaltsverzeichnis Neue Ansätze in der Therapie Möller, H.-J.:Der besondere Stellenwert von Antipsychotika der zweiten Generation in der Therapie schizophrener und affektiver Psychosen .......... 187 Jäger, M., Möller, H.-J.:Therapeutische Effekte von Haloperidol und Risperidon bei schizophrenen Ersterkrankten im Vergleich.................. 197 Riedel, M., Spellmann, I.:Kognitive Störungen bei Schizophrenie und ihre Therapie ........................................................ 205 Bondy, B., Spellmann, I., Musil, R., Zill, P., Müller, N., Möller, H.-J., Riedel, M.: Die Bedeutung der Pharmakogenetik für die antipsychotische Therapie ....... 219 Schwarz, M. J., Musil, R., Spellmann, I., Opgen-Rhein, M., Jurgeleit, F., Sirch S., Sterz, S., Zach, J., Riedel, M.:Therapeutisches Drug-Monitoring neuerer atypischer Antipsychotika....................................... 229 Laux, G., Brunnauer, A.:Fahrtauglichkeit unter Antipsychotika.............. 243 Volz, H.-P.: Paliperidon ER – eine kurze Darstellung der aktuellen Datenlage ... 253 Schaub, A.:Kognitiv-psychoedukative Gruppeninterventionen bei stationären Patienten mit schizophrenen oder affektiven Erkrankungen ................. 267 Zukunftsperspektiven der psychiatrischen Nosologie Psychose, Depression und manische Symptomatik – Leitsyndrome eigener Krankheiten oder Kontinuum? H. Häfner Arbeitsgruppe Schizophrenieforschung, Zentralinstitut für Seelische Gesundheit J5, Mannheim, Deutschland Zusammenfassung Der junge Kraepelin hat auf der Grundlage kategorial definierter Krankheits- einheiten das Dichotomiemodell der funktionellen Psychosen präsentiert. Im Zuge der Entwicklung von DSM-V und ICD-11 stellen wir dieses Paradigma durch die Untersuchung der Häufigkeit und Abfolge der Syndrome Depressi- on, Psychose, Manie und Negativsymptomatik in zwei Verlaufsstudien zur Diskussion: (1) in einer kontrollierten Langzeitverlaufsstudie an 232 ersten Episoden von Schizophrenie, retrospektiv bis zum Krankheitsausbruch und prospektiv mit 107 Patienten bis 12,3 Jahre nach Erstaufnahme. Die Verläufe werden auf 11,3 Jahre homogenisiert und mit individuell gematchten Kontrol- len verglichen. Nach Remission der ersten Episode findet sich kein absteigen- der Trend, sondern ein Plateau der Mittelwerte aller Symptomkategorien und der sozialen Parameter. Das Maximum des sozialen Abstiegs erfolgt bereits im Frühverlauf der Schizophrenie. Depression ist im gesamten Verlauf das häu- figste Syndrom. Von insgesamt 406 Rückfällen sind 73 rein depressiv. Die Verlaufsanalyse in Monatsschritten lässt bei Männern und Frauen gleiche Mittt- telwerte und ein stabiles Plateau erkennen. Negativsymptomatik erreicht erst mittelfristig (ca. 5 Jahre), bei Frauen rascher als bei Männern, das stabile Pla- teau des langfristigen Verlaufs. Die schizophrene Psychose ist kein stabiler Zustand, sondern ein aktiver, in asynchronen Wellen aller ihrer Symptomdi- mensionen verlaufender Prozess. (2) In der zweiten, mittelfristigen Verlaufsstudie wurden je 130 Erstaufnah- men von Schizophrenie, Depression und 130 gematchte gesunde Kontrollen analysiert. Beide Krankheiten beginnen mit einer nicht unterscheidbaren präpsychotischen Prodromalphase von durchschnittlich mehrjähriger Ver- laufsdauer. Erst mit der Manifestation positiver Symptome werden beide Krankheitskonstrukte trennbar. Die Schizophrenie ist kein stabiler Zustand. Alle Krankheitsdimensionen – Depression, Psychose und Negativsymptomatik – verlaufen unabhängig von- einander in asynchronen Wellen. Die spekulative Erklärung dieser Befunde 4 H. Häfner kommt dem hierarchischen Modell des späten Kraepelin nahe, der den modu- laren Charakter und den hierarchischen Aufbau der Syndrome und ihre Aus- lösung durch Faktoren unterschiedlicher Schwere vertrat. Einführung Wir befinden uns in der Vorbereitung des Übergangs zu ICD-11 und DSM-V vor einem möglichen Paradigmenwechsel des Klassifikationssystems psychi- scher Krankheiten (First und Westen 2007; Kraemer et al. 2007). Das erste vor einer möglichen Revision stehende Paradigma ist mit der Frage nach der empirischen Begründung der Klassifikation der großen Psy- chosen verbunden. Wir werden versuchen, auf der Grundlage einiger Daten aus der ABC-Schizophreniestudie (Häfner et al. 1993, 1998a, b, 1999a) und einiger Begleitstudien (Häfner et al. 2005; an der Heiden et al. 2005) zur Klärung dieser Fragen beizutragen. Das zweite Paradigma, das infrage ge- stellt wird, ist die kategoriale Definition der Diagnosen von krankhaften Zu- ständen oder Prozessen, die in der Bevölkerung eindeutig graduell verteilt auftreten. Der frühe Kraepelin (1899) hat die beiden großen Psychosen – Dementia praecox und manisch-depressives Irresein – als Syndromverlaufseinheiten definiert und ihre dichotome Kategorisierung darauf gebaut. Er hat dieses Modell in späten Tagen selbst widerrufen. Aber seine psychiatrischen Nach- fahren haben es im diagnostischen System mehr oder weniger bis heute tradi- iert. Deshalb müssen wir uns damit auseinandersetzen. Der Beweis dieser Dichotomie verlangt, so lange es keine biologische Fun- dierung der Diagnosenkonstrukte gibt, gegenseitige Ausschließlichkeit der diagnoserelevanten Syndrome im Querschnitt und ihre Stabilität im Verlauf. Beim frühen Kraepelin war Dementia praecox im Vergleich mit dem ma- nisch-depressiven Irresein, den uni- und bipolaren affektiven Erkrankungen, auch durch mehr oder weniger erhebliche Funktionsverluste charakterisiert, die sich mit den „floriden Schüben“ der Schizophrenie auf dem Weg zu De- fekt und Demenz eingestellt haben sollen, wie die Zitate aus 1893 erkennen lassen: „Die Gruppe der circulären Formen umfasst alle Fälle … die … bald eine manische, bald eine depressive Färbung darbieten““(Kraepelin 1893, S. 363) „… pflegt die Intelligenz der Kranken … nur wenig oder gar nicht zu leiden.“ (S.377) Dementia praecox: „stets (bleibt) ein mehr oder weniger hochgradiger unheilbarer geistiger Defekt zurück.““(S. 443) In der Publikation der NIMH-Verlaufsstudie (Breier et al. 1991) ist diese treppenförmige Kraepelinsche Verlaufsform noch dargestellt, aber aus den Daten nicht belegbar (Abb. 1). Im Gegensatz dazu sollten die Phasen der bipo- laren Krankheit nur selten kognitive Defizite hinterlassen. Psychose, Depression und manische Symptomatik 5 Affektive Erkrankungen Prämorbides Erste Leistungsniveau Episode Schizophrenie In der Anfangsphase mit jeder Episode Nach Breier et al. (1991) schrittweiser – NIMH-Verlaufsstudie – Leistungsabfall „Plateauphase“ Abb. 1. Der früh-kraepelianische Verlauf von Schizophrenie und affektiven Psychosen Kraepelins kategoriales Krankheitsparadigma ist frühzeitig auf verschiede- nen Ebenen in Zweifel gezogen worden1 und durch verschiedene dimensiona- le Modelle ersetzt worden. E. Kretschmers (1921) mehrdimensionale Theorie konstitutionell im Körperbau verankerter psychopathologischer Dimensionen (z.B. Schizothymie und Zyklothymie) (Kontinuum von beiden Psychosen zu Norrr- malitätt), P. Meehls (1989) Schizotaxie-Hypothese (Kontinuum von schizophrener Psychose zu Normalitätt), T. Crows (1986) Kontinuummodell der funktionellen Psychosen untereinander und das dimensionale Spektrum bipolarer Erkran- kungen von depressiver oder manischer Psychose zu Normalitätt von Angst (2007) sind Beispiele dafür. Die internationalen Klassifikationssysteme haben in konservativer Bewah- rung ihrer kategorialen Ausgangsposition die diagnostisch zu einer der beiden Diagnosegruppen nicht mehr eindeutig zuordenbaren Syndrome und Verläufe im Zwischenfeld in eine wachsende Zahl von Zwischendiagnosen gefasst, bei- spielsweise schizoaffektive Psychosen und psychotische Depressionen. Damit konnte wenigstens die Illusion kategorial definierter Diagnosen gerettet wer- den. Kretschmer (1919) fand, wenn auch nicht mit epidemiologischen Metho- den, dass sogar die Hälfte der hospitalisierten psychotischen Patienten an psychotischen „Mischzuständen“ litt, die weder der Schizophrenie noch den affektiven Erkrankungen eindeutig zuordenbar waren. Der Nachweis von Trennbarkeit versus vermuteter dimensionaler Kontinuität der relevanten Syn- drome erfordert jedoch als erstes die Analyse der Verteilungsmuster der zuge- hörigen Symptome in der Bevölkerung und des Anteils ihrer exklusiven, empi- risch belegbaren oder fakultativen Zugehörigkeit zu den Diagnosekonstrukten. Kendell und Brockington (1980) untersuchten in einer Bevölkerungsstu- die, ob die Symptome von Schizophrenie und affektiven Erkrankungen nach Art und Häufigkeit empirisch trennbar sind. Sie fanden keinen „point of rari- ty“, d.h. keinen Abfall auf Zufallswerte, zwischen den Diagnosen. Die Frage nach der Stabilität im Verlauf werden wir später klären. 1 HHHoooccchhheee (((111999111222))) hhhiiieeelllttt dddiiieee DDDeeefffiiinnniiitttiiiooonnn vvvooonnn KKKrrraaannnkkkhhheeeiiitttssseeeiiinnnhhheeeiiittteeennn fffüüürrr dddiiieee JJJaaagggddd nnnaaaccchhh eeeiii---- nem Phantom. Jaspers (1913) nannte sie eine (unerreichbare) Idee im Kant’schen Sinn.