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Scham, Schuld und Anerkennung: Zur Fragwürdigkeit moralischer Gefühle PDF

132 Pages·2013·0.725 MB·German
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René Majer Scham, Schuld und Anerkennung Ideen & Argumente Herausgegeben von Wilfried Hinsch und Lutz Wingert René Majer Scham, Schuld und Anerkennung Zur Fragwürdigkeit moralischer Gefühle DE GRUYTER GedrucktmitUnterstützungderGeschwisterBoehringerIngelheimStiftungfürGeisteswissen- schafteninMainz. ISBN:978-3-11-029786-7 e-ISBN:978-3-11-029795-9 LibraryofCongressCataloging-in-PublicationData ACIPcatalogrecordforthisbookhasbeenappliedforattheLibraryofCongress. BibliografischeInformationderDeutschenNationalbibliothek DieDeutscheNationalbibliothekverzeichnetdiesePublikationinderDeutschen Nationalbibliografie;detailliertebibliografischeDatensindimInternet überhttp://dnb.dnb.deabrufbar. ©2013byWalterdeGruyterGmbH,Berlin/Boston DruckundBindung:Hubert&Co.GmbH&Co.KG,Göttingen ♾GedrucktaufsäurefreiemPapier PrintedinGermany www.degruyter.com Danksagung EinenTextzulesenistdasgrößteKompliment,dasmanihmmachenkann.Dieser wäre nicht entstanden, hätte ich nicht von Beginn an auf eine Riege von auf- merksamen,kompetentenundhilfsbereitenLesernzählenkönnen. Zu nennenwäre an erster Stelle mein Doktorvater an der Freien Universität Berlin, Peter Bieri, der mir empfohlen hat, diese Arbeit zu schreiben, und ihr Werden über die Jahre aufmerksam begleitet hat. Er hat jedes Kapitel in jeder seinerzahlreichenÜberarbeitungengelesenundausführlichkommentiert.Hätte am Ende nicht mein Bewusstsein, diesem Mann schon zu viel von seiner Zeit genommen zuhaben,michausmeiner Tüfteleigerissen,wäredieseArbeitviel- leicht nie fertig geworden. Ich danke ihm von Herzen für seine durchdachten Kommentare,seinenLangmutundseineFreundlichkeit. Hilge Landweer, die mit der Materie besonders gut vertraut ist, hat sich spontan bereit erklärt, die Dissertation als Zweitgutachterin zu betreuen. Ihre TextesindselberGegenstanddiesesBuches,undsokonnteichgleichdoppeltvon ihrlernen. Über die Jahre habe ich verschiedene Versionen einzelner Kapitel in den KolloquienvonPeterBieriundThomasSchmidtvorgestelltundhabesehrvonden Fragenprofitiert,mitdenenichdortkonfrontiertwurde.MitRalphAmman,Jürgen Müller, Achim Spelten und Eva Weber-Guskar (in alphabetischer Reihenfolge) konnteichindenletztensechsMonatenvorderAbgabenocheinmaljedesein- zelneKapiteldieserArbeitdurchsprechen.Ihrunnachgiebigesunddabeiimmer freundschaftliches Fragen hat sich in jedem Kapitel ausgewirkt und mir an manchenStellenerstaufdieSprüngegeholfen.DasssieindieserZeitmeineTexte unserergemeinsamenLektürevonMontaignesEssaisvorgezogenhaben,istfast schon beschämend, auch wenn Montaigne, der den Ruhm so gering und die Freundschaftsohochschätzte,sicherVerständnisgehabthätte. MankannübereineArbeitnochsolangenachdenken,amEndetauchtdoch eine Frage von gänzlich unerwarteter Seite auf. So war es auch bei der in jeder Hinsicht unterhaltsamen Verteidigung. Neben meinen Gutachtern waren es Thomas Schmidt, Stefan Gosepath und Thorsten Streubel, die durch ihre sorg- fältigeVorbereitungkeineLangeweileaufkommenließen. WirklichfertigisteineDissertationerstmitderDrucklegung.Davorhatteich nochdieGelegenheit,einigeUnklarheitenzukorrigieren,wobeimirauchdasvom VerlagzurVerfügunggestellteGutachtengeholfenhat,dassichvorallemaufdie methodologischenÜberlegungenimSchlusswortausgewirkthat. DieArbeithätteichnieschreibenkönnen,wäresienichtgroßzügiggefördert worden.BeiderStudienstiftungdesDeutschenVolkes,diediesePromotioninden ersten drei Jahren finanziert hat,wartet man bereits auf ein Belegexemplar. Ich VI Danksagung möchteauchmeinenElterndanken,diemichdieganzeZeitüberohneWennund Aberundimmerliebevollunterstützthaben. AmwichtigstenwarfürmichdieUnterstützungvonNadineFleischhut,diees über den gesamten Zeitraum nicht nur mitdem Text, sondern auch mit seinem Autor zu tun hatte. Meine Faszination für Scham- und Schuldgefühle ist schon etwasälter.InderArbeitgehtesaberaußerdemumAnerkennung,unddieserTeil verdanktihrmehr,alsdasbeieinemwissenschaftlichenTextgewöhnlichderFall ist. Zu den Lesern, die die Entstehung begleiten, gesellen sich jene, bei denen diese in überschaubarer AuflageverbreiteteFlaschenpost ankommt. Ichbinge- spanntaufdieReaktionen.WerFragenoderAnmerkungenhat,kanndiesegerne an die E-Mail-Adresse [email protected] schicken. Vielen Dank im Voraus. Inhalt Danksagung V Einleitung 1  Was ist ein Kompliment? 15 . Komplimente machen 16 . Sich für Komplimente bedanken 22 . Der Wert von Wertschätzung 24 . Die Gegenseitigkeit von Wertschätzung 27  Anerkennung 29 . Spielarten der Anerkennung 33 . Anerkennung und ihr Gegenstand 36  Streben nach Anerkennung 44 . Anerkennung als Nebenprodukt? 44 . Anerkennen als Handeln für andere 48 . Kritik und Anerkennung 50  Selbstachtung 52 . Wie schätze ich mich selbst? 52 . Formen der Selbstachtung 53 . Selbstachtung und Selbstverständnis 55 . Der hypothetische Andere 56 . Äußere Bedingungen der Selbstachtung 57 . Demütigung und Selbstachtung 61  Scham 66 . Eine erste Charakterisierung 66 . Scham angesichts eines Makels oder eines Versagens 68 . Scham als Augenblicksgefühl 77 . Die Fragwürdigkeit von Schamgefühlen 87  Schuld 91 . Scham und Schuld: Einige Unterschiede 92 . Schuldgefühle und abstrakte Moral 98 VIII Inhalt  Scham versus Schuld 105 . Einige Rehabilitationsversuche von Schamgefühlen 105 . Das Unbehagen am Schuldgefühl 111 . Scham- und Schuldgefühle 115  Schluss 116 Bibliographie 120 Namenregister 123 Sachregister 124 Einleitung WasmachtScham-undSchuldgefühleaus?Woraufwürdenwir,woraufmüssten wirverzichten,wenn uns dieDisposition zu diesen Gefühlen abhandenkäme – oderwennwirunsentschließenwürden,siealsirrationaleImpulsezubehandeln, dieeszuüberwindenodereinzuhegen,aberkeineswegszukultivierengilt? Das Leben wäre zunächst einfacher. Man wäre zwei Gefühle los, die durch einen bisweilen selbstquälerischen und merkwürdig unproduktiven Charakter auffallen.Daskönntemansichersparenundmüsstedazuaufvielesanderegar nicht verzichten. Denn die moralische Praxis setzt in weiten Bereichen keines dieser Gefühle voraus.Verantwortlich handeln, Rechenschaft über sein eigenes Verhalten ablegen und ein Verständnis von Rechten und Pflichten haben – das allesgehtnotfallsauchohnediesebeidenGefühle. Man könnte sogar einen bedeutenden Teil unseres Repertoires zwischen- menschlicherGefühlebehalten,insbesonderedenangenehmen:DerFähigkeitzur Anteilnahme,zuWohlwollen,zurFürsorgewürdemansichnichtautomatischmit entledigen.Unserezwischenmenschliche PraxisistohneScham- undSchuldge- fühle inweiten Strecken zumindest denkbar. Das hängt auch damit zusammen, dassandieseGefühleimmerseltenerappelliertwird.Esistunpopulärgeworden, anderenabsichtlicheinschlechtesGewissenzumachenodersiezubeschämen. UnddochsindbeideGefühlenachwievortiefinunserezwischenmenschliche Praxiseingegraben.EineWelt,inderesdieseGefühlenichtgäbe,würdenwirnicht wiedererkennen.Wirkönntensienichtalsdieunserebegreifen. DasliegtnichtnurandermotivierendenKraftdieserGefühle,diehintervielen Versuchen derBesserungund Wiedergutmachungsteht.Mit ihnen istvor allem einbesonderesMerkmalunsererzwischenmenschlichenPraxissoengverknüpft, dass man beide Gefühle nicht aufgeben könnte, ohne auch dieses Merkmal zu verabschieden: Menschenwollenvon anderen Menschen geschätzt werden. Sie möchtengeschätztwerdenfürdas,wassiesind,fürdas,wassieleisten,undfür das,wassietun.Undwennsieschon danachstreben,etwasgutoderrichtigzu machen,wennsienachPerfektionstreben,VerantwortungübernehmenundRe- chenschaftablegen,solltedasbesserauchgewürdigtwerden,insbesonderevon bestimmten Personen.Wonach sie dabei streben, ist Anerkennung. Und Aner- kennung oder, um genau zu sein, Anerkennungskonflikte sind das Thema von Scham-undSchuldgefühlen. NunistWertschätzungeindehnbarerBegriffundderBegriffderAnerkennung darüberhinaushistorischaufgeladen.InScham-undSchuldgefühlengehtesaber um eine ganz bestimmte Form der Wertschätzung, die sich durch unseren ge- samtenAlltagzieht.DieBezeichnungAnerkennungist,wiesichnochzeigenwird, dabei nicht willkürlich gewählt. Dennoch beginnt die Argumentation nicht mit 2 Einleitung einem Rückgriff auf einen bereits ausgearbeiteten Anerkennungsbegriff. Sie be- ginntmitderAnalyseeinzelnerGestenderWertschätzung:demKompliment,das einePersoneineranderenmacht,unddemeinfachenAusdruckderDankbarkeit desjenigen,derdieseGesteerwidert. Ausgehend von der Frage, was sich in einem Kompliment und der korre- spondierenden Erwiderung ausdrückt, lässt sich ein Anerkennungsbegriff re- konstruieren,der fest in unserermoralischen Praxisverwurzelt ist. Das Streben nach dieser bestimmten Form der Anerkennung ist für uns in jeder Hinsicht zentral. Es motiviert einen großen Teil unseres Handelns.Und es ist eben auch grundlegendfürunserpraktischesSelbstverständnis:WennwirkeinenWertauf die Anerkennung anderer legen würden, hätten wir auch keine Disposition zu Scham- oderSchuldgefühlen. Anerkennung Die wichtigsten Merkmale dieses Anerkennungsbegriffs seien hier kurz zusam- mengefasst.JemandenfürseineZuverlässigkeitoderseineFähigkeitenanerken- nen heißt nicht nur, seine Meinung auszudrücken, dass er richtig handelt oder etwas gut macht, sondern dies auch zu würdigen. Man muss bereit sein, das VerhaltenoderdieQualitätenderPersonzuhonorieren,anstattesauszunützen. AnerkennungsetztalsodieBereitschaftvoraus,demAnderenzugewähren,was ihmaufgrundseinerHandlungen,LeistungenoderFähigkeitenzusteht. Siebedeutetferner–unddarüberhinausgehend–dassmandiePersonfür ihre Handlungen und ihre Leistungen schätzt. Das charakterisierende Merkmal dieser Wertschätzungist Wohlwollen. MangewährtdemAnderennichtnur,was ihmzusteht,sonderntutdiesgerne.AnerkennungistunvereinbarmitWiderwille, NeidoderMissgunst. DiesewohlwollendeWürdigungvonHandlungen,LeistungenoderQualitäten des Anderen ist dabei niemals eine einseitige Deklaration. Wer Anerkennung ausdrückt,gehtdavonaus,dasssiewillkommenistunddeswegenerwidertwird. BeidemBeispiel,vondemdieAnalyseausgeht,demKompliment,zeigtsichdas besondersdeutlich.WereinKomplimentmachtunddasaufrichtigmeint,unter- stellt,dassesdemAnderenzumindestnichtunwillkommenist.Ergehtdavonaus, dassseinGegenüberdiesesKomplimentwürdigtundihnfürdiesesKompliment schätzt.UndgenaudasdrücktamEndeeinschlichtesWortderDankbarkeitaus. EsistnichtsanderesalseineanerkennendeReaktionaufdieGestedesKompli- ments. Esistbezeichnend,dassdieErwiderungeinesKomplimentssichoftaufdie anerkennende Geste als solche bezieht. Die unterstellte Gegenseitigkeit besteht hiernichtdarin,dassbeideeinanderfürgenaudasselbeanerkennen.Esgehteher darum,dassbeideningleichemMaßeanderAnerkennungdesAnderenliegt.Und

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