Fabian Goldbeck Salutationes KLIO Beiträge zur Alten Geschichte Beihefte Neue Folge Band 16 Unter Mitarbeit von Manfred Clauss und Hans-Joachim Gehrke herausgegeben von Hartwin Brandt und Martin Jehne Fabian Goldbeck Salutationes Die Morgenbegrüßungen in Rom in der Republik und der frühen Kaiserzeit Akademie Verlag Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-05-004899-4 ISSN 1438-7689 © Akademie Verlag GmbH, Berlin 2010 Der Akademie Verlag ist ein Unternehmen der R. Oldenbourg-Gruppe. Das eingesetzte Papier ist alterungsbeständig nach DIN/ISO 9706. Alle Rechte, insbesondere die der Übersetzung in andere Sprachen, vorbehalten. Kein Teil dieses Buches darf ohne schriftliche Genehmigung des Verlages in irgendeiner Form - durch Fotokopie, Mikroverfil- mung oder irgendein anderes Verfahren - reproduziert oder in eine von Maschinen, insbesondere von Da- tenverarbeitungsmaschinen, verwendbare Sprache übertragen oder übersetzt werden. Covergestaltung: Jochen Baltzer, Berlin Druck und Bindung: Druckhaus „Thomas Müntzer", Bad Langensalza Printed in the Federal Republic of Germany Inhaltsverzeichnis Vorwort 8 Einleitung 9 1 Vorüberlegungen 14 1.1 Gegenstand und Begrifflichkeit 14 1.1.1 Antike Begrifflichkeit 14 1.1.2 Gegenstand und Fragestellungen 19 1.1.3 Eingrenzungen 22 1.1.4 Verwendete Begrifflichkeit 23 1.1.4.1 Morgenbegrüßung und salutatio 23 1.1.4.2 Privat und öffentlich - städtisch und häuslich 24 1.1.4.3 Realia 24 1.1.4.4 Klientel, Freundschaft, Patronage und Bindungswesen . . .. 24 1.1.4.5 Aristokratie 25 1.2 Quellen 26 1.2.1 Quellencorpus und methodische Überlegungen zum Umgang mit den literarischen Zeugnissen 27 1.2.1.1 Das Quellencorpus 27 1.2.1.2 Methodische Prämissen bei der Auswertung der Quellen . .. 28 1.2.2 Einzelne Texte 33 1.2.2.1 Plutarch 33 1.2.2.2 Das commentariolumpetitionis 34 1.2.2.3 Martial und Iuvenal 34 1.3 Forschungsgeschichte 37 1.3.1 Die salutatio in der antiquarischen Forschung und den „Sittengeschichten" 39 1.3.2 Die salutatio in sozialhistorischen Arbeiten 46 1.3.3 Die salutatio als Kommunikationsform 52 1.3.4 Zusammenfassung und Schlußfolgerungen 57 2 Die Realia der salutatio 59 2.1 Die Anwesenden 59 2.1.1 Die Besuchten 60 2.1.1.1 Die salutationes der Senatsaristokratie 60 2.1.1.2 Neue Besuchte in der Kaiserzeit 64 6 Inhaltsverzeichnis 2.1.1.3 Salutationes bei Frauen 67 2.1.2 Die Besucher 73 2.1.2.1 Die Besucher aus der stadtrömischen Bevölkerung 73 2.1.2.2 Frauen als salutatores! 84 2.1.2.3 Nicht in Rom ansässige Besucher 87 2.1.2.4 Besucherzahlen 90 2.1.2.5 Mehrfachbesuche 97 2.1.3 Weitere Anwesende: das „Personal" 100 2.1.4 Die Angehörigen des Hausherrn bei der salutatio 104 2.1.5 Zusammenfassung 104 2.2 Die zeitliche Dimension der salutatio 106 2.2.1 Dauer der salutatio 106 2.2.2 Häufigkeit der salutatio 107 2.2.3 Besondere Anlässe 115 2.2.4 Die deductio 117 2.2.5 Zusammenfassung 118 2.3 Die salutatio in der domus 119 2.3.1 Methodische Überlegungen 119 2.3.2 Die salutatio in den Räumen der domus 130 2.3.3 Zusammenfassung 145 2.4 Die Begrüßung 147 2.4.1 Der Einlaß in die domus: Hierarchisierung der Besucher durch den Zeitpunkt des Eintritts 147 2.4.2 Die Aufteilung der Besucher in der domus: Differenzierung im Raum 152 2.4.3 Die Kommunikation zwischen dominus und salutatores 161 2.4.4 Unterschiede zwischen Republik und Kaiserzeit 167 2.4.4.1 Ausschluß von salutatores in der Kaiserzeit 167 2.4.4.2 Die Anrede der Besuchten als domine et rex 168 2.4.4.3 salutatio und Geld: die sportulae 174 2.4.5 Zusammenfassung 186 3 Eine Geschichte der salutatio 188 3.1 Einleitung 188 3.2 Spurensuche: Salutationes in der klassischen Republik? 191 3.2.1 Die vermeintlichen salutationes bei Polybios 193 3.2.2 Galbas Morgenbegrüßungen 195 3.2.3 Die Gesandtschaft der Teier 196 3.2.4 Titus Manlius Imperiosus Torquatus und M. Pomponius 201 3.2.5 Aemilius Paullus und das Volk von Rom 205 3.2.6 Interaktion zwischen römischen Bürgern: die iurisconsulti 208 3.2.7 Zwischenfazit: Morgenbegrüßungen in der klassischen Republik? . .213 3.3 Gaius Gracchus - die Umdeutung häuslicher Interaktion 217 3.3.1 Gracchus' salutationes 217 3.3.2 Zusammenfassung 223 Inhaltsverzeichnis 7 3.4 Die salutatio in der späten Republik 225 3.4.1 Die instrumenteile Dimension der salutatio in der späten römischen Republik 225 3.4.2 Die symbolische Dimension der salutatio in der späten römischen Republik 235 3.4.3 Salutatio und Bindungswesen in der späten Republik 246 3.4.3.1 Amicitia und Clientela in der Forschung 248 3.4.3.2 Das historische Entwicklungsschema des Bindungswesens nach CHR. MEIER 249 3.4.3.3 Die Einwände (P. A. BRUNT) 253 3.4.4 Zusammenfassung 261 3.5 Die salutatio in der Kaiserzeit - Kontinuität und Wandel einer Alltagsbeziehung 263 3.5.1 Instrumentelle und symbolische Aspekte der salutatio in der Kaiserzeit 264 3.5.2 Salutatio und Bindungswesen in der Kaiserzeit 277 3.5.3 Zusammenfassung 280 Resümee 282 Abbildungsverzeichnis 286 Literaturverzeichnis 287 Register 309 Quellenregister 309 Personen-und Ortsregister 319 Sachregister 323 Vorwort Die vorliegende Arbeit ist die überarbeitete Fassung meiner Dissertation, die im Winter- semester 2007/08 an der Philosophischen Fakultät der Albert-Ludwigs-Universität einge- reicht und angenommen wurde. Dank aussprechen möchte ich zunächst meinen Doktorvater Prof. Dr. Aloys Winter- ling. Er hat nicht nur das Thema angeregt, sondern auch meine Beschäftigung mit den Morgenbegrüßungen über Jahre hinweg wohlwollend und kritisch begleitet. Zudem hat er stets - und in nicht selbstverständlicher Weise - die Rahmenbedingungen geschaffen, die mir diese Studien ermöglicht haben. Danken möchte ich ferner Prof. Dr. Hans-Joachim Gehrke und Prof. Dr. Ralf von den Hoff, die die weiteren Gutachten übernommen haben und hilfreiche Hinweise gaben. Prof. Dr. Martin Jehne und Prof. Dr. Hartwin Brandt ha- ben die Arbeit in ihre Reihe aufgenommen. Hierfür sei ihnen ebenso gedankt wie für ihre Korrekturen und Anmerkungen. Manfred Karras und Ullrich Bruchhold vom Akademie Verlag waren bei allen Fragen der Drucklegung stets freundlich und hilfsbereit. Während meiner Zeit an den althistorischen Seminaren in Freiburg/Brsg. und Basel hatte ich nicht nur mehrmals Gelegenheit, Teile meiner Überlegungen zu präsentieren und zur Diskussion zu stellen. Vor allem boten beide Seminare eine freundschaftliche und kollegiale Atmosphäre, wofür ich allen dort danke. Eine Reihe von Personen haben mir besonders durch ihre Gesprächsbereitschaft sowie die Lektüre der Arbeit geholfen. Hervorheben möchte ich Daniel Beathalter, Dr. Ann-Cathrin Härders und Dirk Schnur- busch. Sebastian Tesch hat das Manuskript gelesen, Lukas Freise, Johanna Goldbeck, Boris Rikic und Michael Schaffner halfen freundlicherweise in Berlin bei den Abschluß- korrekturen. Ein besonderer Dank, beileibe nicht für fachliche Hilfe allein, gebührt PD Dr. Monika Bernett und Johannes Bernhardt. Schließlich wurde ich großzügig unterstützt von Vibeke Kottsieper. Sie hat während der ganzen Jahre mit den Morgenbegrüßungen immer wieder ihren fachlichen Rat geboten. Besonders aber bin ich ihr für die menschliche Nähe dankbar, die sie mir zuteil werden ließ und läßt. Gewidmet ist das Buch meinen Eltern. Es ist nur ein bescheidener Dank für ihre stets bedingungslose Unterstützung. Berlin, im Dezember 2009 Fabian Goldbeck Einleitung In den letzten Jahren des 19. Jahrhunderts reist der Kapitän Charles Marlow, Protagonist einer Erzählung von J. CONRAD, den Kongo hinauf.* Er ist beauftragt, den Elfenbein- händler Kurtz ausfindig zu machen, der sich der Kontrolle seiner Auftraggeber entzogen hat und ein Schreckensreich mitten im Urwald errichtet haben soll. Am Ende seiner Rei- se in das „Herz der Finsternis" erreicht Marlow schließlich die Handelsstation, die Kurtz zum Zentrum seines abgründigen Regimes gemacht hat. Bevor es jedoch zu einer persön- lichen Begegnung zwischen Kurtz und Marlow kommt, trifft dieser am Flußufer einen eigenartigen jungen Russen, der sich vollständig im Banne von Kurtz' Persönlichkeit be- findet. Er ist es auch, der Marlow über Kurtzens Herrschaft genauer in Kenntnis setzt. Unter anderem erfährt der englische Kapitän so von dessen Macht über einen mysteri- ösen Seen-Stamm, den Kurtz aus den unerforschten Wäldern im Landesinneren mit an das Ufer des großen Stroms gebracht habe. Diesen Erzählungen lauschend richtet Mar- low sein Fernglas auf das Haus von Kurtz und bemerkt mehr überrascht als abgestoßen die dort auf die Pfahle eines Gatters aufgespießten menschlichen Schädel. Der junge rus- sische Bewunderer des Herrn Kurtz registriert seinerseits die Reaktion seines Zuhörers Marlow und führt an, er habe es nicht wagen können, „diese - sagen wir - Symbole herunterzunehmen. Er fürchte sich nicht vor den Eingeborenen; die rührten sich doch erst, wenn Herr Kurtz das Signal gäbe. Seine Macht sei außerordentlich. Die Lager dieser Leute befanden sich rings um die Station, und die Häuptlinge stellten sich all- morgendlich ein, um ihm ihre Aufwartung zu machen. Sie kröchen am Boden ... ,Ich will nichts von dem Zeremoniell wissen, mit dem man sich Herrn Kurtz nähert,' rief ich. Merkwürdig, die- ses Gefühl, das mich da überkam, daß nämlich solche Einzelheiten unerträglicher seien als die aufgepfählten Köpfe, die da unter Herrn Kurtzens Fenster vertrockneten. Schließlich war das nur ein barbarischer Anblick, während ich hier mit einem Satz in eine lichtlose Region ausge- klügelter Schrecknisse getragen zu werden schien, wo reine, unkomplizierte Barbarei eine wahre Wohltat war, etwas, das - offensichtlich - ein Lebensrecht hatte unter der Sonne."1 * Bemerkungen zur Zitierweise finden sich zu Beginn des Literaturverzeichnisses. Innerhalb dieser Arbeit sind Verweise auf bestimmte Seiten mit „S." abgehoben, Seitenverweise auf andere Autoren erfolgen nur mit Nennungen der Ziffern (ohne „S."). 1 Zitiert nach CONRAD 2004, 94f.; Hervorhebung F. G. In der deutschen Übertragung liegt freilich ei- ne Ungenauigkeit des Übersetzers U. WIDMER vor, die in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben soll. CONRAD schrieb auf Englisch nicht von „allmorgendlicher Aufwartung" sondern le- diglich von täglichen Besuchen der Häuptlinge; vgl. CONRAD 1925, 131 f.: „The camps of these people surrounded the place, and the chiefs came every day to see him [i. e. Mr Kurtz, F. G.]". In anderen Übertragungen ins Deutsche ist genauer nur von täglichen Aufwartungen o. ä. die Rede, vgl. CONRAD 1992a, 112f.; CONRAD 1992b, 108f. Wovon sich Joseph CONRAD ZU diesem Detail seines 10 Einleitung Man kann sich vermutlich unschwer die Überraschung vorstellen, mit der ein Alt- historiker, der sich über Jahre mit den römischen Morgenbegrüßungen beschäftigt hat, eine solche Passage liest, zumal wenn er sich aus rein erbaulichen Motiven heraus auf CONRADS Erzählung eingelassen hatte. Die zitierte Passage entfaltet auch insofern einen außerordentlichen Reiz, weil es für Marlow gerade das Zeremoniell der Begrüßung Kurt- zens durch die Häuptlinge ist, vor dessen detaillierter Schilderung er zurückschreckt. Die subtile Logik des Begrüßungsvorgangs erscheint ihm im Gegensatz zur „sonnenberech- tigten", „reinen" und „unkomplizierten" Barbarei der ver(un)zierten Gatter als lichtlose Region von Schrecknissen. Für die vorliegende Arbeit sei damit natürlich nicht der Anspruch erhoben, sie dokumen- tiere die außerordentliche Unerschrockenheit ihres Verfassers. Sie unternimmt es freilich, sich auf den folgenden Seiten den noch erreichbaren Details der alltäglichen morgend- lichen Begrüßungen in Rom zu nähern. Erklärtes Ziel ist es sogar, gerade nach Ablauf und Logik der Morgenbegrüßungen zu fragen, die nicht gerade lichtlosen Abgründen zu entstammen scheinen, aber mit ihrem hohen Aufwand für die Beteiligten auf uns Heutige doch befremdlich wirken können. Damit ist bereits ein Beweggrund angesprochen, warum eine Studie zu den römischen Morgenbegrüßungen der Republik und der frühen Kaiserzeit unternommen wurde: Eine solche Untersuchung braucht zunächst insofern keine Rechtfertigung, als die Aufwartun- gen bis dato niemals Gegenstand einer einigermaßen detaillierten Behandlung geworden sind. Dies kann angesichts der Alltäglichkeit des Vorgangs in Rom, der für uns gerade nicht alltäglich und eher befremdlich ist, als einigermaßen erstaunlich gelten. Nur wenige andere soziale Praktiken der Römer dürften so spezifisch römisch sein wie die salutatio- nes} Nun kann man freilich einwenden, daß die geringe Anzahl ausfuhrlicher Erwähnungen in den Quellen, die vermeintliche Klarheit ihres Ablaufs und ihrer Bedeutung sowie die gelegentliche Behandlung in einigen Arbeiten zur römischen Geschichte2 ein solches Vor- haben als vergleichsweise unnötig erscheinen lassen. Warum also lohnt es sich dennoch, über römische Morgenbegrüßungen zu schreiben? Haben FRIEDLÄNDER, BALSDON, Textes inspirieren ließ, ist meines Wissens nicht bekannt bzw. ohnehin nicht im Fokus der von mir zu Rate gezogenen anglistischen Forschung zum „Heart of Darkness". 1 Mir ist aus keiner anderen Gesellschaft bekannt, daß sie tägliche Begrüßungen praktizierte, an denen größere Personenzahlen beteiligt waren. Vgl. die Fallstudien bei GELLNER, WATERBURY 1977 und EISENSTADT, RONIGER 1984. Letztere kommen (58 und 60) auch auf die salutatio zu sprechen (wobei allerdings die Einteilung der Besucher in Gruppen fälschlich auf Q. Cicero zurückgeführt wird, statt auf Sen. benef. 6,33f., ebenso bei RONIGER 1983,77f.). In den dort thematisierten Gesell- schaften findet sich entweder geradezu die Vermeidung der „Sichtbarkeit" von Patronage (vgl. ζ. B. EISENSTADT, RONIGER 1984, 85 [Türkei]), oder den Patronen wird nur bei außergewöhnlichen Gelegenheiten bzw. zufalligen Begegnungen im dörflichen/städtischen Kontext Reverenz erwiesen (ebd. 89 [„weekly open houses", Nordirak]; 93 [„demonstrations of loyalty ... on public occasions such as feasts or receptions or the return ... from a journey", Libanon]; 126 [„shown respect..., for instance in the street", Indonesien]). 2 Vgl. den Forschungsüberblick (Kap. 1.3).