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Sade und…: Essays von Horst Albert Glaser aus dreißig Jahren PDF

221 Pages·2000·20.701 MB·German
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Sade und ... Sabine Kleine (Hrsg.) Sade und ... Essays von Horst Albert Glaser aus dreißig Jahren Mit zahlreichen Illustrationen und Beiträgen von Michel Delon und Sabine Kleine Verlag J. B. Metzler Stuttgart . Weimar Die Deutsche Bibliothek -CIP-Einheitsaufnahme Kleine, Sabine (Hrsg.): Sade und .../ Essays von Horst Albert Glaser aus dreißig Jahren! Mit zahlreichen Illustrationen und Beiträgen von Michel Delon und Sabine Kleine -Stuttgart ; Weimar: Metzler, 2000 ISBN 978-3-476-45235-1 ISBN 978-3-476-02700-9 (eBook) DOI 10.1007/978-3-476-02700-9 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. M & P Schriftenreihe für Wissenschaft und Forschung © 2000 Springer-Verlag GmbH Deutschland Ursprünglich erschienen bei J.B.Metzlersche Verlagsbuchhandlung und earl Ernst Poeschel VerlagGmbH 2000 Für Horst Albert Glaser zum 65. Geburtstag INHALT Sabine Kleine: Der Plan der obszönen Ästhetik (zur Einfiihrung) 1 Horst Albert Glaser: Über Bellmer - und Sade 13 Horst Albert Glaser: Literarischer Anarchismus bei Sade und Burroughs. Zur Methodologie seiner Erkenntnis 35 Horst Albert Glaser: Sades 120 Tage Utopie 59 Horst Albert Glaser: Utopie und Gegen-Utopie. Zu Sades ,,Aline et Valcour" 85 Horst Albert Glaser: Sade und die Revolution 107 Horst Albert Glaser: La Mettries Maschinenmensch und Sades Sexualmaschine 127 Horst Albert Glaser: Sades ,,Les 120 joUl1ltSes de Sodome" und Pasolinis "Salb 0 le 120 giornate di Sodoma" - ein Vergleich 143 Michel Delon: Zwischen "Therese philosophe" und ,,Philosophie dans le Boudoir": der Ort der Philosophie 163 Michel Delon: Wie die Sade-Kopie funktioniert 185 Sade-Biographie (Zeittafel) 205 Sabine Kleine: www.sade.com 215 VII Sabine Kleine Der Plan der obszönen Ästhetik (zur Einfdhrung) Vielleicht läßt sich Sades Oeuvre als der großangelegte Entwurf eines vollstän digen Universums der menschlichen Leidenschaften auffassen. Die Onanie, die Sodomie, der Inzest, der Lustmord - sie alle finden in Sades System ihren gehörigen Platz (nur die Liebe kommt in ihm nicht vor). Dabei ist seine begrün dende Philosophie ganz aus dem Denken der Aufklärung heraus formuliert. Wie diese aber beinahe zugleich mit der Französischen Revolution (anonym) öffent lich wurde, so wird die Revolution den praktischen Beweis zur Sadeschen Per version der Aufklärung einlösen: aus dem idealen Optimismus folgt die <terreur> (unter der Herrschaft des Wohlfahrtsausschusses wurde jeden Tag sechzig bis siebzig Menschen mittels der präzisen Mechanik der Guillotine der Kopf abgeschlagen). Sades Denken wurzelt wie die Ideale der Revolution in einem zeitgenössi schen aufgeklärten Rationalismus. Wie den Philosophen der Aufklärung geht es Sade darum: einen von allen Vorurteilen, allen moralischen, psychologischen, gesellschaftlichen (Ver-)Bildungen befreiten ("ent-täuschenden") Blick auf die menschliche Natur zu gewinnen. Nicht länger wollte Sade die Voraussetzung der ursprünglichen Güte des Menschen machen, im Gegenteil: als Sade seine Anthropologie ausschrieb, da wurde sie (contra Rousseau) zur gigantischen Begründung der natürlichen Bestialität des Menschen. (Man sollte meinen, daß auch schon die zeitgenössische Ethnologie hier eher Sade als Rousseau recht gegeben hat: ging doch dessen optimistische Rechnung auf den <bon sauvage> spätestens mit den Expeditionsberichten eines Louis-Antoine de Bougainville (1771) nicht mehr auf, die von den Gewohnheiten des Kannibalismus, des Mordes, des Inzests bei den Wilden Nachricht gaben.) Doch bevor es zu jenem Ergebnis kommt, geht das Sadesche System einzig aus von der Forderung: daß 1 der Mensch sich von den Fesseln der Gesellschaft und der Erziehung, den Regeln der Religion, der Moral und eines sozial-vertäglichen, nützlichen Verhaltens emanzipiere, um zuallererst auf die eigenen Bedürfuisse sich zu besinnen. Wenn sich dann herausstellt, daß in ihnen sich eine menschliche Kreatürlichkeit gehend macht, die in ihrem Innersten a-moralisch, a-sozial, ir religiös, un-tugendhaft ist, so bedeutet dies auch den (logisch einwandfreien) Nachweis: daß die Moral nichts anderes als ein Instrument zur Knechtung sei. In Wahrheit ist fiir die Menschen etwas ganz anderes "gut": nämlich (in Sades Argument) das Lust-volle (es wird sich zeigen, daß dies mit dem moralisch Verbotenen zusammenfiillt). Welch (orgiastisch-)natürliches Leben diejenigen fUhren können, die sich von den Vorurteilen ihrer gesellschaftlich-moralischen Zurichtung tatsächlich zu befreien vermögen, das hat Sade beispielsweise in der Philosophie dans le Boudoir (1795) demonstriert. Wie bei der Nouvelle Justine (1797) handelt es sich um einen Erziehungsroman - wobei die störrisch-tugendhafte Justine sich bis zuletzt gegen jede Einsicht in die Richtigkeit ihrer Erziehung sperrt. Nicht so Eugenie de Mistival: sie läßt sich nur allzugem von ihrer mütterlichen Freundin, Madame de Saint-Ange, und dem Graf Dolmance in die Theorie und Praxis der freien Liebe einfUhren. Wohl hat sie anfangs Bedenken gegen ihre hemmungslose Anleitung zur sexuellen Freizügigkeit; man hat sie die Scham haftigkeit, die Keuschheit, die eheliche Treue ... gelehrt. Doch die vemilnftige Demonstration ihrer Lehrmeister: daß den Gesetzen der Natur (denen doch das menschliche Handeln folgen solle) die Wollust statt der Keuschheit, die Promiskuität statt der Treue, die Enthemmung statt der Scham entspreche, läßt bald Eugenie den Skandal einer oppressiven Sittlichkeit erkennen. - Im Namen des Naturrechts klagt Madame de Saint-Ange die Freiheit vom Gebot der ehe lichen Treue ein: entweder genüge sich das sexuelle Bedürfuis der Partner in der Ehe - oder nicht; dann aber sei es geradezu die Pflicht des Betroffenen, anderweitig Entlastung zu suchen. Und überhaupt sollen sich die Frauen von ihren Gatten nicht länger die Keuschheit vorschreiben lassen, haben sie doch fiir 2 sich stets das Recht auf eine sexuelle Freizügigkeit in Anspruch genommen. Freiheit will Saint-Ange fiir die Sexualität der jungen Mädchen: die vorgebliche Pflicht, das natürliche sexuelle Bedürfuis bis zu einer Ehe unterdrücken zu müssen, hätten die Väter fiir ihre Töchter ersonnen, um sie desto gewinn trächtiger verheiraten zu können. Am Ende geraten mit den Regeln der gesell schaftlichen Moral auch die staatlichen Autoritäten ins Wanken: die despo tischen Gesetze, aus denen nur König, Adel und Klerus Kapital schlagen, erscheinen nun unhaltbar, und dann hält unter diesem Motto ,,FranlYais, encore un effort si vous voulez etre republicains" der GrafDolmance ein Plädoyer fiir Freiheit und Selbstbestimmung aus dem (republikanischen) Geist der Revolu tion. Noch einmal ist in ihm entschieden die Forderung formuliert, daß der auf geklärte Geist sich nicht länger von schein-baren Einsichten täuschen lassen solle - und damit zugleich körperlich und moralisch frei werde. * Wenn Theodor W. Adorno an den surrealistischen Montagen deren porno graphisches Moment (den narzißtischen Genuß des konvulsivisch-Schönen, der im rezeptiven Erschauern sich einlöst) ausmachte,l so fiihrt das Manifeste du Surrealisme (1924) tatsächlich Sade unter den Ahnen der surrealistischen Bewegung. Dann beriefe sich aber das ästhetische Paradigma der (beaute convulsive> auf eine bei Sade abgeschaute Wirkungsästhetik (der Aufreizung). Doch worin eigentlich liegt deren Sadesche Systematik? In der zweiten Auflage seines berühmten Buches Sade, mon Prochain (1947/67) unternahm Pierre Klossowski den Versuch, die Sadesche Poetik ganz vom (ästhetischen) Konzept der perversen Geste her zu verstehen.2 Die perverse Geste formulierte Klossowski als Kürzel (als mimisches Signifikat), in 1 Theodor W. Adomo: Rückblickend auf den Surrealismus. In: ders.: Noten zur Literatur. Berlin, Frankfurt a.M. 1958. S. 153 - 160. 2 Pierre Klossowski: Le Philosophe scelerat. In: ders.: Sade, mon Prochain. S. 15 - 54. Auch in: Tel Quel28 (1967) u.d.T.: La Pensee de Sade. S. 3 - 22. 3 dem die (je eigene) Lustfunktion des perversen Individuums aufbewahrt ist. Er meinte damit, daß der Perverse das erotische Kürzel, gleich wann, gleich wo es ihm begegnete, stets schon als die ganze Handlung, auf die es sich bezieht, als die ganze Situation, in deren Zusammenhang es gehört erlebt (insofern die perverse Geste dies alles mit-bedeutete). Umgekehrt glaubte Klossowski die gesamte Existenz des Perversen "seiner" Geste untergeordnet: beständig erwarte er ihr Erscheinen. - Nun meinte Klossowski, eben in der perversen Gebärde auch den Kern der Sadeschen Ästhetik zu erkennen. Und in der Tat besteht ja das Oeuvre des Marquis im Entwurf eines Kosmos des Perversen, wie er deutlicher als in allen Romanen wohl in den 120 Journees de Sodome (1785) genannt wird: in dessen Vorfilhrung von 600 Aberrationen des Sexual triebes (die den Anspruch auf Vollständigkeit macht) soll jede denkbare Perver sität ausgesprochen sein, jede nur mögliche Lust, jede sexuelle Verirrung und auch jede ihrer Spielarten. Der Plan des Romans besteht in der erschöpfenden Taxonomie aller Lüste, seine Systematik in der fortlaufenden Steigerung von den einfachen und allgemeinen zu den kompliziertesten und seltensten mensch lichen Passionen. Das perverse Zeichen beglaubigt sich reflexiv: es muß der Aufreizung abge lesen werden, die es bewirkt (und in der es sich einlöst); wobei diese Wirkung des Perversen unmittelbar erfolgt: wird das perverse Zeichen ausgefiihrt, so betriffi: es den Perversen unwillkürlich. Wenn also Sade (wie Klossowski meinte) die Schreibweise des Perversen erfunden hat, dann wird man deren ästhetisches Gelingen wohl denselben Faktoren entnehmen wollen: dem rezep tiven Reiz, den sie eingeben, der Lustfunktion, die den Leser am entstellten Sexuellen reflexhaft anspringt. Und tatsächlich liegt die (wirkungsästhetische) Betroffenheit des Lesers vor dem unmittelbaren Zugriff des Perversen im aus drücklichen Plan der Sadeschen pornographischen Poetologie. Das entnimmt man beispielsweise dem System der 120 Journees de Sodome, denn es fUhrt dort auf einem "Theater im Text" das Roman-Personal die Funktionalität der 4

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