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Russland als euro-pazifische Macht : Ziele, Strategien und Perspektiven russischer Ostasienpolitik PDF

40 Pages·2014·0.59 MB·German
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SWP-Studie Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Margarete Klein Russland als euro-pazifische Macht Ziele, Strategien und Perspektiven russischer Ostasienpolitik S 12 Juli 2014 Berlin Alle Rechte vorbehalten. Abdruck oder vergleichbare Verwendung von Arbeiten der Stiftung Wissenschaft und Politik ist auch in Aus- zügen nur mit vorheriger schriftlicher Genehmigung gestattet. SWP-Studien unterliegen einem Begutachtungsverfah- ren durch Fachkolleginnen und -kollegen und durch die Institutsleitung (peer review). Sie geben ausschließlich die persönliche Auffassung der Autoren und Autorinnen wieder. © Stiftung Wissenschaft und Politik, Berlin, 2014 SWP Stiftung Wissenschaft und Politik Deutsches Institut für Internationale Politik und Sicherheit Ludwigkirchplatz 3­4 10719 Berlin Telefon +49 30 880 07-0 Fax +49 30 880 07-100 www.swp-berlin.org [email protected] ISSN 1611-6372 Inhalt 5 Problemstellung und Schlussfolgerungen 8 Russlands neuer Ostasiendiskurs: Hintergründe, Ziele und Rollenkonzept 12 Die militärische Dimension: Bedrohungsperzeptionen und Fähigkeiten 12 Ungelöster Territorialkonflikt um die Kurilen 13 Nordkoreas Atom- und Raketenprogramm 13 Die »ungenannte Gefahr« China 17 Der militärische »pivot« der USA 18 Begrenzte Fähigkeiten zu regionaler Machtprojektion 20 Die politische Dimension: Russland als Großmacht in Ostasien? 20 Russland und China: »strategische Partnerschaft« mit schwachem regionalem Pfeiler 22 Russland und die USA in Ostasien: ungenutztes Kooperationspotential 23 Neue Dynamik im russisch-japanischen Verhältnis 25 Russland und die beiden Koreas: Russland als regionaler Konfliktlöser? 26 Ausbau der politischen Beziehungen zu Südost- asien: Vietnam und ASEAN im Mittelpunkt 28 Russlands multilaterale Bestrebungen: mehr Status als Substanz 29 Russlands schwache »soft power« 31 Die ökonomische Dimension: Achillesferse russischer Ostasienpolitik 33 Energie und Waffen: Russlands ambivalente Wettbewerbsfähigkeit 33 Energiekooperation 35 Rüstungslieferungen 36 Grenzen wirtschaftlicher Integration 36 Russlands östliche Gebiete: Chance und Achillesferse 37 Ökonomische Integrationsprozesse in Ostasien: Russland im Abseits 38 Schlussfolgerungen 40 Abkürzungsverzeichnis Dr. Margarete Klein ist Wissenschaftlerin in der Forschungsgruppe Osteuropa und Eurasien Problemstellung und Schlussfolgerungen Russland als euro-pazifische Macht Ziele, Strategien und Perspektiven russischer Ostasienpolitik Seit Mitte der 2000er Jahre baut Russland einen bis- lang vernachlässigten Pfeiler seiner Außenpolitik aus: die Beziehungen zum ostasiatischen Raum. Der Grund ist, dass die Region weltweit und auch für Russland immer wichtiger wird. Angesichts von Chinas Aufstieg und der amerikanischen Hinwendung nach Asien (»pivot to Asia«) läuft Russland Gefahr, in Ostasien politisch marginalisiert zu werden. Will das Land global als Großmacht bestehen, muss es aber genau in dieser »Schlüsselregion« des 21. Jahrhunderts als Akteur präsent sein. Auch für die russische Wirtschaft werden die ostasiatischen Länder immer bedeutsamer. Schon heute übersteigt das Volumen des russischen Handels mit ihnen dasjenige des Handels mit den postsowjetischen Staaten. Zudem ist Russlands neue Konzentration auf Ostasien innenpolitisch motiviert. Die unterentwickelten östlichen Landesteile können nur in Kooperation mit den ostasiatischen Ländern modernisiert werden. Mit seiner neuen Ostasienpolitik verfolgt Russland ehrgeizige Ziele. Es will sich als »euro-pazifische Macht« etablieren, das heißt perspektivisch auch in der Region wieder eine Großmachtrolle einnehmen. Dabei kann das Land erste Erfolge vorweisen, sieht sich jedoch auch großen Hindernissen gegenüber, die es zumin- dest mittelfristig nicht wird überwinden können. Russland kann nicht verhindern, dass es im mili- tärischen Kräftevergleich mit den USA und China immer weiter zurückfällt. Daran ändern auch die Bestrebungen nichts, seinen östlichen Militärdistrikt zu modernisieren. Angesichts fehlender Flugzeug- träger und Auslandsbasen ist Russland kaum in der Lage, außerhalb seiner unmittelbaren Grenzregion Macht zu projizieren. Dies beschränkt seine Möglich- keiten, als regionale Ordnungsmacht aufzutreten, vor allem in Südostasien. Politisch verfolgt Russland in Ostasien eine Doppel- strategie. Zum einen baut es die »strategische Partner- schaft« mit China weiter aus. Zum anderen verlässt es sich nicht mehr wie in den 1990er Jahren allein auf Peking als »Türöffner« in Ostasien. Dieses Vorgehen wird im Kreml mittlerweile als kontraproduktiv an- gesehen, denn auch im politischen Bereich verschiebt sich die bilaterale Machtbalance zu Ungunsten SWP Berlin Russland als euro-pazifische Macht Juli 2014 5 Problemstellung und Schlussfolgerungen Moskaus. In Ostasien ist China nicht bereit, Russland bisher nicht gelungen, ökonomische Zusammenarbeit als gleichberechtigten Partner zu akzeptieren, und selbst in strategisch wichtigen Bereichen wie Energie gesteht ihm allenfalls die Rolle eines Juniorpartners und Rüstung in politischen Einfluss umzumünzen. zu. Um seinen Handlungsspielraum zu sichern und Die stärkere Hinwendung Russlands nach Ostasien auszudehnen, versucht Russland daher, seine politi- wirft Fragen für Deutschland und die EU auf, etwa schen Beziehungen zu diversifizieren und in die wich- inwieweit damit eine Abkehr von der traditionellen tigsten Regionalinstitutionen aufgenommen zu wer- Fixierung russischer Außenpolitik auf den euro-atlan- den. Als erste Erfolge konnte es die Teilnahme am tischen Raum verbunden ist. Als Moskau in der zwei- Ostasiengipfel, die Mitgliedschaft beim Asien-Europa- ten Hälfte der 2000er Jahre begann, seine Beziehun- Treffen (Asia-Europe Meeting, ASEM) sowie die politi- gen in den ostasiatischen Raum hinein auszubauen, sche Annäherung an Vietnam und Japan verbuchen. war dies zunächst nur als Ergänzung seiner Europa- Russland profitiert dabei von der veränderten strate- und USA-Politik im Sinne einer seit langem angestreb- gischen Umgebung in Ostasien, nämlich dem Domi- ten multivektoralen Außenpolitik gemeint. Während nanzstreben Chinas und dessen Machtkonkurrenz Putins dritter Amtszeit wird Russlands Ostasienpolitik mit den USA, die vielen der dortigen Länder Sorgen nun jedoch stärker als Alternative für die zunehmend bereiten. Insgesamt jedoch erscheint Russlands Ost- zerrütteten Beziehungen zu EU und USA präsentiert. asienpolitik in vielem eher als Summe der bilateralen Damit stößt Moskau jedoch schnell an seine Grenzen. Beziehungen denn als kohärente Regionalstrategie. Seine politische und ökonomische Position im Osten Dafür spricht, dass Moskau bisher noch keine Ideen ist noch zu schwach, um erfolgreich eine »Ostasien- entwickelt hat, wie es die USA in seine Ostasienpolitik Karte« gegen Europa ausspielen zu können. Nach wie einbeziehen kann. Solange dies nicht geschieht, wird vor sind die europäischen Länder die wichtigsten die von Russland in Gang gesetzte Diversifizierung Modernisierungspartner der russischen Wirtschaft. unvollständig bleiben. Die Verschlechterung der Zudem droht Russland bei einer Abkehr von Europa russisch-westlichen Beziehungen durch die Ukraine- in eine Juniorpartnerschaft mit China gedrängt zu Krise bewirkte, dass Moskau Diversifizierungsstrategie werden. weiter unter Druck geriet. Dies macht es unwahr- Angesichts der angespannten russisch-westlichen scheinlich, dass Moskau und Washington kurz- bis Beziehungen erscheint eine Zusammenarbeit beider mittelfristig einen »asiatischen Blick« aufeinander Seiten in Bezug auf Ostasien kurzfristig kaum zu entwickeln und sich zukunftsorientiert auf gemein- verwirklichen. Mittel- bis langfristig wird sich aber die same Interessen sowie Kooperationschancen konzent- Frage stellen, ob beziehungsweise wie Russland, die rieren. Auch die Annäherung an Japan geriet wegen EU und USA hier zusammenwirken können. Schließ- der Ukraine-Krise ins Stocken. lich bestehen auf einer recht allgemeinen Ebene Darüber hinaus mangelt es Russlands Ostasien- durchaus gemeinsame Interessen: an einer multilate- politik an einem stabilen politischen, gesellschaft- ralen Einhegung des chinesischen Machtzuwachses, lichen und wirtschaftlichen Unterbau. Bisher be- an der Etablierung eines funktionierenden regionalen schränken sich die bilateralen Beziehungen auf die Sicherheitssystems oder an einer friedlichen Lösung oberste politische Ebene und sind daher anfällig für des Nordkoreakonflikts und der Territorialstreitig- politische Wetterumschwünge. keiten im Ost- und Südchinesischen Meer. Um aus- Größte Schwachstelle für die russischen Ostasien- zuloten, auf welche Weise in diesen Feldern praktisch ambitionen ist jedoch der wirtschaftliche Bereich. zusammengearbeitet werden kann, sollte zunächst Zwar gibt es Komplementaritäten mit dem ostasiati- der politische Dialog intensiviert werden. Dies gilt schen Wirtschaftsraum, wie die geographische Nähe, sowohl für die Experten- als auch für die politische die Eigenschaft als Transportbrücke nach Europa und Ebene. den Ressourcenreichtum. Noch aber kann Russland davon qualitativ, also im Sinne der angestrebten Modernisierung, kaum profitieren. Die auf den ersten Blick beeindruckenden Steigerungsraten beim Han- delsvolumen können nicht darüber hinwegtäuschen, dass sich die Handelsstruktur zu Ungunsten Russlands verfestigt. In erster Linie scheint es künftig als Roh- stofflieferant für Ostasien zu fungieren. Auch ist es SWP Berlin Russland als euro-pazifische Macht Juli 2014 6 Problemstellung und Schlussfolgerungen s n e si A n e n e o rt gi a e K R SWP Berlin Russland als euro-pazifische Macht Juli 2014 7 Russlands neuer Ostasiendiskurs: Hintergründe, Ziele und Rollenkonzept Russlands neuer Ostasiendiskurs: Hintergründe, Ziele und Rollenkonzept Die Russische Föderation ist geographisch zu größeren Parallel dazu setzte in Russland während der zwei- Teilen ein asiatisches als ein europäisches Land. Drei ten Hälfte der 2000er Jahre eine intensive Debatte zur Viertel seines Territoriums befinden sich in Sibirien eigenen Asienpolitik ein, die aufgrund des russischen und dem Fernen Osten. Dennoch wurde Asien im APEC-Vorsitzes 2012 weiter befeuert wurde. Getragen außenpolitischen Denken und Handeln Moskaus lange wird sie allerdings weniger von Regionalwissenschaft- Zeit vernachlässigt. Zu sehr dominierte das Verhältnis lern, sondern vielmehr von hochrangigen Politikern zum selbst beanspruchten Einflussbereich, dem post- wie Putin, Dmitrij Medvedev und Sergej Lavrov sowie sowjetischen Raum, sowie zum Westen als dem wich- Außenpolitikexperten wie Sergej Karaganov, Fjodor tigsten Modernisierungspartner und zentralen »Ande- Lukjanov, Vjačeslav Nikonov oder Dmitri Trenin. Das ren« im Identitätsdiskurs. verweist auf den grundsätzlichen Charakter der De- Erst seit der zweiten Hälfte der 2000er Jahre rückte batte im Sinne einer Neujustierung der russischen Asien auf der Prioritätenliste der russischen Außenpo- Außenpolitik.4 litik nach oben. Zwar wird die Region auch im außen- Regionaler Schwerpunkt ist dabei Ostasien. Tradi- politischen Konzept von 2013 wie in den Vorgänger- tionell hat die russische Asiendebatte und -politik vor dokumenten von 2000 und 2008 nur an vierter Stelle allem Nordostasien (China, Japan und die koreanische genannt, nach GUS, EU und USA.1 In vielen anderen Halbinsel) im Blick, denn dort finden sich sowohl die Verlautbarungen aber weist Präsident Vladimir Putin bedeutendsten Handelspartner als auch die größten dem asiatischen Raum einen höheren Stellenwert zu.2 sicherheitspolitischen Herausforderungen. Seit Mitte Vor allem im außenpolitischen Handeln Moskaus lässt der 2000er Jahre wendet sich Moskau aber auch ver- sich seit Mitte der 2000er Jahre eine neue Dynamik stärkt Südostasien zu, worunter die ASEAN-Staaten Richtung Osten beobachten. Abzulesen ist diese an verstanden werden. Dabei spielen gewachsene Han- erweiterten bilateralen Beziehungen, verstärkter delsbeziehungen ebenso eine Rolle wie die multilate- Beteiligung an multilateralen Regionalinstitutionen sowie dem Ausbau der bürokratischen und akademi- MGIMO ein ASEAN-Zentrum (siehe dessen Website, ˂http:// schen Ressourcen. Beispielsweise gibt es im russischen asean.mgimo.ru>) und 2010 an der Präsidialakademie für Nationale Wirtschaft und Öffentliche Verwaltung ein APEC- Außenministerium mittlerweile ebenso viele Abteilun- Zentrum (siehe dessen Website, ˂http://www.apec-center.ru>) gen zu Asien wie zur GUS und 2009 beziehungsweise gegründet. 2010 wurden an russischen Hochschulen Forschungs- 4 Zu den wichtigsten Debattenbeiträgen aus Wissenschaft zentren zur Association of Southeast Asian Nations und Politikberatung zählen: Council for Security Cooperation (ASEAN) und zur Asia-Pacific Economic Cooperation in the Asia Pacific (CSCAP), »Going East: Russia’s Pacific Strat- (APEC) eingerichtet.3 egy«, in: Russia in Global Affairs, 25.12.2010, ˂http://eng.global affairs.ru/number/Going-East-Russias-Asia-Pacific-Strategy- 15081>; »The Year 2010: Was Russia Looking to the East?«, in: 1 »Concept of the Foreign Policy of the Russian Federation«, International Affairs (Moscow), 57 (2011) 2, S. 168–187; Oleg Ministry of Foreign Affairs of the Russian Federation – Official Barabanov/Timofei Bordachev, Toward the Great Ocean, or the Website, 12.2.2013, ˂www.mid.ru/brp_4.nsf/0/76389FEC168 New Globalization of Russia, Moskau, Juli 2012, ˂http://vid-1.ri 189ED44257B2E0039B16D>. an.ru/ig/valdai/Toward_great_ocean_eng.pdf>; Dmitry Trenin, 2 In einem programmatischen Aufsatz zur Außenpolitik »Euro-Pacific Nation«, in: Russia in Global Affairs, 24.3.2003, kurz vor der Präsidentenwahl 2012 sowie seiner Rede vor <http://eng.globalaffairs.ru/number/n_639>. Zu den bedeu- russischen Diplomaten im Juli 2012 ging Putin gleich nach tendsten Debattenbeiträgen hochrangiger Politiker gehören: den Beziehungen zum postsowjetischen Raum auf das Ver- Sergei Lavrov, »The Rise of Asia, and the Eastern Vector of hältnis zu Asien ein. Vladimir Putin, »Rossija i menjajuščijsja Russia’s Foreign Policy«, in: Russia in Global Affairs, (2006) 3, mir« [Russland und die sich verändernde Welt], in: Moskovskie S. 68–80; Aleksej Borodavkin, »Russia’s Eastern Policy: Novosti, 27.2.2012; »Meeting with Russian Ambassadors and Summing Up and Looking Forward«, in: International Affairs Permanent Representatives in International Organisations«, (Moscow), 57 (2011) 2, S. 28–32; Dmitry Medvedev, »Russia President of Russia – Official Web Portal, 9.7.2012, <http:// Must Look East«, in: Financial Times, 2.11.2012, ˂http://blogs.ft eng.kremlin.ru/news/4145>. .com/beyond-brics/2012/11/02/guest-post-by-dmitry-medvedev- 3 2009 wurde an der russischen Diplomatenhochschule russia-must-look-east/#axzz2Iz3gSf00>. SWP Berlin Russland als euro-pazifische Macht Juli 2014 8 Russlands neuer Ostasiendiskurs: Hintergründe, Ziele und Rollenkonzept ralen Prozesse in der und aus der Subregion heraus, Moskau gute Beziehungen zu Schlüsselakteuren in die Russland als Eingangstor für eine größere Präsenz der Region wichtig – wie China, aber auch Japan, Süd- in Ostasien allgemein nutzt. Die Studie folgt dieser korea und ASEAN –, um den Anschein internationaler Schwerpunktsetzung und konzentriert sich daher auf Isolierung zu vermeiden. die russische Ostasienpolitik.5 Dabei wird auch das Im ökonomischen Bereich stellen russische Politiker Verhältnis Russlands zum wichtigsten externen Ak- und Experten ebenfalls einen Bedeutungszuwachs teur der Region, den USA, beleuchtet. Ostasiens fest. Die Region wird als »Kraftwerk«8 oder Die neue Debatte hat ihre Ursprünge in zwei Ent- »Gravitationszentrum«9 der Weltwirtschaft gepriesen. wicklungen. Da wäre erstens der konstatierte Bedeu- Es wird erwartet, dass sich die ökonomischen Macht- tungszuwachs Ostasiens, sowohl global als auch in verhältnisse längerfristig verschieben: weg von den Bezug auf Russland. Geopolitisch spiegelt er sich traditionellen Wachstumsmotoren USA und Europa, vorrangig im Machtgewinn Chinas und in der Neu- die durch die Wirtschafts-, Finanz- und Währungskrise ausrichtung der amerikanischen Außenpolitik unter nachhaltig geschwächt seien, hin zu den weiterhin Präsident Obama wider. Peking kann nicht nur seinen wachsenden Volkswirtschaften im Osten.10 Seit der regionalen Machtanspruch immer selbstbewusster Jahrtausendwende sind die ostasiatischen Länder auch vertreten und bei globalen Fragen eine größere Rolle als Wirtschaftspartner für Russland immer wichtiger spielen, sondern auch im bilateralen Verhältnis zu geworden. Ihr Anteil am russischen Außenhandel Moskau die Machtbalance zu seinen eigenen Gunsten übersteigt mittlerweile sogar den der postsowjetischen verschieben. Zum ersten Mal in seiner Geschichte hat Staaten. Auch hier erhöht die Ukraine-Krise die Bedeu- Russland es nun mit einem Nachbarn im Osten zu tung Ostasiens für Moskau, denn angesichts mögli- tun, der stärker ist oder es zu werden droht, was in cher Wirtschaftssanktionen durch EU und USA sucht den Worten Trenins einem »Erdbeben« im außenpoli- Russland intensiver nach wirtschaftlichen Alternati- tischen Denken gleichkomme.6 Washington wiede- ven im Osten. rum initiierte im Herbst 2011 seinen »pivot« nach Zweitens ist die neue russische Fokussierung auf Asien, worunter die Ausweitung seiner politischen Ostasien durch innenpolitische Notwendigkeiten und militärischen Fähigkeiten sowie seines regionalen motiviert. Die russische Führung betrachtet die Lage Führungsanspruchs zu verstehen ist. In den veränder- in den eigenen östlichen Gebieten, also in Sibirien ten strategischen Rahmenbedingungen sieht ein und dem Fernen Osten, mit zunehmender Sorge.11 Großteil der russischen Experten und Politiker eine Hier bündeln sich sozioökonomische und sicherheits- zentrale Herausforderung für die eigene Außenpolitik, politische Probleme in besonderer Weise, wie Ent- nämlich dass Moskau als politische Größe in Ostasien völkerung, hohe Arbeitslosigkeit, niedrige Produktivi- noch stärker als bisher marginalisiert werden könnte.7 tät sowie weitgehende Abhängigkeit vom Rohstoff- Zugleich erhöhte sich im Zuge der Ukraine-Krise der export. Seit dem Ende der Sowjetzeit hat sich zudem Stellenwert, den die russische Außenpolitik Ostasien die wirtschaftliche Ausrichtung der fernöstlichen zuweist. Vor dem Hintergrund verschlechterter Gebiete verändert. Sie orientieren sich inzwischen Beziehungen zu EU und USA sind für die Führung in 8 Dmitry Medvedev, »Excerpts from Transcript of Meeting of 5 Zentralasien zählt im außenpolitischen Denken Russlands the Far East’s Socioeconomic Development and Cooperation zum postsowjetischen Raum und wird daher aus dem Asien- with Asia-Pacific Region Countries«, President of Russia – diskurs ausgeklammert. Indien ist zwar ein wichtiger »strate- Official Web Portal, 2.7.2010, ˂http://eng.kremlin.ru/trans gischer Partner« Russlands und Afghanistan ist aus sicher- cripts/547>. heitspolitischen Gründen für Moskau von großer Bedeutung. 9 Sergey Lavrov, »Towards Peace, Stability And Sustainable Südasien als Subregion spielt in Moskaus Asiendiskurs aber Economic Development in the Asia Pacific Region«, Ministry nur eine Nebenrolle. of Foreign Affairs of the Russian Federation – Official Website, 6 Dmitri Trenin, »Challenges and Opportunities: Russia and 5.10.2013, <www.mid.ru/brp_4.nsf/0/D19A0531B380362544 the Rise of China and India«, in: Ashley J. Tellis/Travis Tanner/ 257BFB00259B9E>. Jessica Keough (Hg.), Strategic Asia 2011–12: Asia Responds to Its 10 Vgl. »Concept of the Foreign Policy of the Russian Federa- Rising Powers – China and India, Seattle/Washington, D.C., 2011, tion« [wie Fn. 1]; »Meeting with Russian Ambassadors and S. 227–236 (227). Permanent Representatives in International Organisations« 7 Vgl. Sergey Karaganov, »Russia’s Asian Strategy«, in: Russia [wie Fn. 2]. in Global Affairs, 2.7.2011, <http://eng.globalaffairs.ru/pubcol/ 11 Vgl. »State Council Presidium Meeting«, President of Russias-Asian-Strategy-15254>; »The Year 2010: Was Russia Russia – Official Web Portal, 29.11.2012, <http://eng.kremlin Looking to the East?« [wie Fn. 4]. .ru/news/4680>. SWP Berlin Russland als euro-pazifische Macht Juli 2014 9 Russlands neuer Ostasiendiskurs: Hintergründe, Ziele und Rollenkonzept weniger am europäischen Teil Russlands und mehr Obwohl der Begriff nur in Expertenkreisen verwen- an den ostasiatischen Nachbarstaaten. Darin liegt eine det wird, weist er auch auf die regionalen Ambitionen Chance, aber auch ein Risiko. Entweder kommt es zu der politischen Führung hin. Anders als im postsowje- einer »dualen Integration«, was bedeuten würde, dass tischen Raum geht es ihr in Ostasien nicht um regio- sich Russlands östliche Gebiete durch die Verflech- nale Dominanz. Historisch verfügte Moskau dort nie- tung mit dem ostasiatischen Wirtschaftsraum erfolg- mals über eine feste Einflusszone und heute fehlt es reich modernisieren und dadurch als zusätzliche erst recht an den materiellen und immateriellen Vor- Ressource für eine erfolgreiche Ostpolitik genutzt aussetzungen, um einen solchen Anspruch zu begrün- werden können. Möglich ist aber auch ein Niedergang den. Wonach Russlands Führung aber strebt, ist eine Sibiriens und des russischen Fernen Ostens zu einer Position als unabhängiger Pol in einem multipolaren »doppelten Peripherie«. In diesem Falle würden diese Regionalsystem auf Augenhöhe mit den übrigen gro- Gebiete nur noch als Rohstofflieferant Ostasiens fun- ßen Mächten Ostasiens.17 Damit wird das gewünschte gieren und wären wirtschaftlich und künftig poten- Rollen- und Strukturmodell der internationalen Ebene tiell auch politisch vom Rest des Landes entkoppelt.12 auf die Region Ostasiens übertragen. Durch eine besse- Viele Teilnehmer des russischen Ostasiendiskurses re Positionierung in Ostasien soll zugleich der globale kritisieren, dass Moskau bisher keine kohärente Poli- Großmachtanspruch Russlands untermauert werden. tik entwickelt hat, die dem größeren Gewicht der Fest verankert ist die These, dass Moskau diesen nur Region Rechnung trüge. Sie fordern, diese vernach- aufrechterhalten kann, wenn es sich in der »Schlüssel- lässigte »Reserve« der Außenpolitik besser zu nutzen13 region des 21. Jahrhunderts«, dem asiatisch-pazifischen und eine Strategie zu entwerfen, die Russland in Raum, als entscheidender Akteur etablieren kann.18 Ostasien einen »würdigen Platz« sichert, wie Außen- Daraus ergibt sich, dass es in Moskaus Ostasienpolitik minister Sergej Lavrov formulierte.14 nicht nur darum geht, konkrete, die Region betreffen- Aus den Aussagen der am Diskurs beteiligten Exper- de (sicherheits-)politische und ökonomische Interessen ten und Politiker lassen sich grundlegende Zielsetzun- zu verfolgen, sondern auch um übergeordnete Ziele, gen herausfiltern. Das Minimalziel besteht darin, eine nämlich internationalen Status und Einfluss. weitere russische Marginalisierung und Machterosion Inwieweit ist Moskau in der Lage, seine Ambitionen in Ostasien zu verhindern, die in den Verlust von umzusetzen? Welche Fähigkeiten besitzt es, welche Handlungsautonomie, etwa durch eine erzwungene Strategien und Instrumente wendet es an? Wo lassen »Juniorpartnerschaft« mit China, münden könnte. Als sich bisher Erfolge beobachten und welche Faktoren Maximalziel wird eine deutliche Stärkung der russi- behindern die Umsetzung? Um diese Fragen zu beant- schen Position in der Region ausgegeben, und zwar worten, wird die russische Ostasienpolitik entlang ökonomisch, politisch und militärisch.15 Dafür wurde dreier Dimensionen analysiert: der militärischen, der in der Debatte ein neues Schlagwort geprägt: Russland politischen und der ökonomischen. Als Messlatte solle sich als »euro-pazifische Macht« etablieren.16 werden die Kriterien des angestrebten Rollenmodells einer Großmacht herangezogen. In welchem Maße kann Russland dieses in Ostasien ausfüllen? Im militä- 12 Natasha Kuhrt, »The Russian Far East in Russia’s Asia Policy: Dual Integration or Double Periphery?«, in: Europe-Asia Studies, 64 (2012) 3, S. 471–493. 17 So erläuterte Außenminister Lavrov, Russland strebe im 13 »Russian-Chinese Section of the Valdai Club Discussed asiatisch-pazifischen Raum nach einer »wirklich stabilen Russia’s Strategy in Asia«, 4.12.2011, ˂http://valdaiclub.com/ Machtbalance« bzw. müsse seine Rolle als »wichtiger stabili- event/33780.html>. sierender Faktor« in der Region stärken. Lavrov, »Towards 14 Medvedev, »Excerpts from Transcript of Meeting« [wie Peace, Stability and Sustainable Economic Development in Fn. 8]. the Asia Pacific Region« [wie Fn. 9]; The Russian Embassy in 15 Vgl. »The Year 2010: Was Russia Looking to the East?« [wie Canada, »The Interview of Russian Minister of Foreign Affairs Fn. 4]; »Meeting with Russian Ambassadors and Permanent Sergey Lavrov ›Russia Will Become a Stabilizing Factor in the Representatives in International Organisations« [wie Fn. 2]. Asia-Pacific Region‹«, Press Release, 6.2.2012, <www.rusembas 16 Dmitri Trenin war 2003 der Erste, der von Russland als sy.ca/ru/node/656>. Vgl. Paradorn Rangsimaporn, »Russian einer »euro-pazifischen Nation« sprach. In der zweiten Hälfte Perceptions and Policies in a Multipolar East Asia under der 2000er Jahre wurde das Adjektiv von vielen kremlnahen Yeltsin and Putin«, in: International Relations of the Asia-Pacific, Experten übernommen und mit dem Machtbegriff gekoppelt. 9 (2009) 2, S. 207–244. Seitdem ist der Begriff »euro-pazifische Macht« als Vision für 18 Vgl. Paradorn Rangsimaporn, Russia as an Aspiring Great Russlands Rolle in Ostasien fest im russischen Asiendiskurs Power in East Asia: Perceptions and Policies from Yeltsin to Putin, etabliert. Trenin, »Euro-Pacific Nation« [wie Fn. 4]. Basingstoke: Palgrave Macmillan, 2009. SWP Berlin Russland als euro-pazifische Macht Juli 2014 10

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