RÖNTGENKUNDE IN EINZELDARSTELLUNGEN HERAUSGEGEBEN VON H. H. BERG-BERLIN UND K. FRIK-BERLIN BAND 1 RÖNTGENOLOGIE DES FELSENBEINES UND DES BITEMPORALEN SCHÄDELBILDES MIT BESONDERER BERÜCKSICHTIGUNG IHRER KLINISCHEN BEDEUTUNG VON DR. H. W. STENVERS UTRECHT MIT 324 ABBILDUNGEN SPRINGER-VERLAG BERLIN HEIDELBERG GMBH 1928 ISBN 978-3-662-28262-5 ISBN 978-3-662-29780-3( eBook) DOI 10.1007/978-3-662-29780-3 ALLE RECHTE, INSBESONDERE DAS DER ÜBERSETZUNG IN FREMDE SPRACHEN, VORBEHALTEN COPYRIGHT 1928 BY SPRINGER-VERLAG BERLIN HEIDELBERG URSPRÜNGLICH ERSCHIENEN BEI JULIUS SPRINGER, BERLIN 1928 SOF'l'COVER REPRINT OF THE HARDCOVER 1ST EDITION 1928 Inhaltsverzeichnis. Seite Einleitung. . . . • . . 1 I. Technik ..... . 3 A. Die Bitemporale Aufnahme 3 B. Die Oooipito-frontale Aufnahme 7 C. Die Fronto-occipitale Aufnahme 12 D. Die Orbita-Aufnahme nach RBESE 12 E. Felsenbeinaufnahmen . . . . 25 F. Ventriculographie . • • • . . 34 II. Diagnostik mit besonderer Berücksichtigung des bitemporalen Schädelbildes . . . . • . . . . . . • . 35 Abweichungen der Sella. turcica.. Einleitung 35 A. Primäre Veränderungen • . . . 51 a.) Akromegalie . . . • • . . . . . . . 51 b) Dystrophia. adiposo-genita.lis . . . . . 64 c) Kopfschmerzen ohne weitere klinische Merkmale eines Hypophysentumors. 76 d) Adipositas . . • • . . • • . . . . . . . . • • . . . . . . . . . . • 81 e) Tumorcerabri im basalen Teil des Gehirns, direkt auf die Sella. einwirkend 82 B. Sekundäre Veränderungen der Sella. turcica. und des Schädeldaches. Einleitung 85 a) Tumoren der hinteren Schädelgrube • . • • • . . . . . . . . • • 89 l. Tumoren im vierten Ventrikel 89. - 2. Cerebellumtumoren 110. - 3. Kleinhirnbrückenwinkeltumoren 118. - 4. Fonstumoren 121. b) Tumoren oberhalb des Tentoriums ...............• 123 a) Intracerebrale Tumoren . . . . . • • • • • • • . . . . . . . . • 123 I. Frontal 123. - 2. ParietaJ 136. - 3. Temporal144. - 4. Occipita.l 155. - 5. Tumoren in der Medianlinie 160. (l) Extra.cerebrale Tumoren . • . • . • • 174 l. Frontal 175. - 2. Parietal 181. Zusammenfassung • • • • . • . . 186 111. Felsenbein. Einleitung . . • . . 188 A. Kleinhirnbrückenwinkeltumoren 195 B. Frakturen . . . . • . • • 240 C. Blutgefäßerweiterungen .• 246 D. Entzündungsveränderungen 249 a) Sekundäre Meningitis . • 249 b) Primäre Meningitis . • 252 c) Otitis media . • . . . 254 E. Tumoren des Felsenbeins und seiner Umgebung, abgesehen von Kleinhirn- brückenwinkeltumoren . . 257 F. KongenitaJe Mißbildungen 259 G. Systemerkrankungen 262 H. Meniere und Otosklerose . 264 Zusammenfassung . • • • . 272 Namen- und Sachverzeichnis 274 Einleitung. Es ist kein Zufall, daß die Röntgenographie des Schädels immer wieder von neurologischer Seite angegriffen wird, weil es doch eigentlich nur der Neurologe ist, der sich damit zu diagnostischen Zwecken intensiv beschäftigt. Aber demjenigen, der über die Leistungsfähigkeit der Röntgenographie eine Übersicht geben will, wird es klar, wie schwierig es ist, einerseits das be sonders große Verdienst der Röntgenographie auf unserem Gebiete richtig zu schätzen, ohne andererseits Veranlassung zu geben, daß von den Leistungen der X-Strahlen zu viel erwartet wird. Vorliegende Arbeit hat nur den Zweck, Klinisches zu leisten und wird auch nur für Kliniker geschrieben. Für diese ist es fast überflüssig zu sagen, wie vorsichtig wir mit unserer Diagnostik sein müssen. Nie oder selten kann ein Röntgenbild ohne weiteres eine Diagnose begründen. Wie überall in der Klinik soll man auch hier nur eine Diagnose zu stellen wagen, wenn man das ganze klinische Bild beherrscht, und immer versuchen, die Diagnose so viel wie möglich objektiv zu stützen. Das Röntgenbild ist nur als ein Bruchteil der Diagnose zu betrachten; es ist also nur ein klinisches Symptom. Von diesem Gesichtspunkte aus versteht es sich von selbst, daß die Deutung des Röntgenbildes nur vom Kliniker gemacht werden kann. Nur dieser vermag die eventuellen Abweichungen des Röntgenogrammes im Rahmen des klinischen Gesamtbildes zu verwerten. Es genügt also nicht, daß, wie es vielfach geschieht, der Neurologe dem Röntgenologen ein Zettelehen schreibt, mit der Bitte, eme Photographie anzufertigen, und daß der Röntgenologe dem Neurologen ant wortet, was er auf der Platte gesehen hat. Auch wenn der Neurologe dies Zettelehen in seine Krankengeschichte klebt, genügt dies nicht. Der Neurologe selber soll sich klar machen, was er von dem Röntgenbild wissen will, und er soll selber imstande sein, das Bild zu lesen und nach seinem klinischen Wert zu schätzen. Zur richtigen Deutung der Photographien des Schädels gehört auch, daß er wenigstens weiß, wie die Röntgenbilder gemacht werden, um desto besser die technischen Fehler der Platte beurteilen zu können. Aus diesem Grunde bespreche ich hier im ersten Teil die Technik der Auf nahmen. Ich beschränke mich daher auch nur auf diejenigen Aufnahmen, die wir in der psychiatrisch-neurologischen Klinik zu Utrecht angewendet haben, als ich damals da arbeitete. Im zweiten Teil "Diagnostik" werde ich nur zwei Aufnahmen ausführlich behandeln. Die sonstigen Aufnahmen werden in ihrer klinischen Bedeutung andererseits besprochen werden. Es hat keinen Zweck, darüber zu streiten, welche Methode die bessere ist. Auch führt es uns nicht weiter, alle möglichen technischen Veränderungen, die in der Literatur erwähnt werden, zu besprechen. Das soll jedem selbst über lassen werden. Ich will hier nur wiedergeben, was wir mit der Röntgenographie für die Neurologie erreicht haben, und bin fest davon überzeugt, daß es nur einen kleinen STENVERS, Röntgenologie. 1 2 Einleitung. Bruchteil dessen darstellt, was zu erreichen ist. Notwendig ist, daß man über ein ausgiebiges Material verfügt und dieses so gut und so oft wie mög lich unter den gleichen Bedingungen untersucht. Nur wenn man immer dieselbe Methode anwendet, lernt man die Platten lesen, besonders, wenn man die ge wählte Methode kritisch durchgearbeitet hat. Möge diese Arbeit dazu beitragen, das Interesse für die Röntgenographie des Schädels wach zu rufen, und dazu mitwirken, daß auch in den größeren Lehrbüchern der Neurologie ihr die ihr gebührende Stelle eingeräumt wird. Die Röntgenographie des Zentralnervensystems steckt noch in den Kinder schuhen, aber sie verspricht doch schon sehr viel. Es ist mir eine große Freude, Herrn Prof. WINKLER und Herrn Prof. BouMAN zu danken für die völlige Überlassung des Materials. Auch Herrn Prof. DE JossELIN DE JoNG bin ich für die Übergabe des Sektionsmaterials zu großem Danke verpflichtet. Der Zusammenarbeit mit meinem Lehrmeister Prof. WINKLER, dem Chirurgen Prof. LAMERIS und dem Otologen Dr. A. DE KLEYN verdanke ich sehr vieles. Ohne sie wäre die Arbeit unmöglich gewesen. Fräulein UYTERWAAL und Frau Prof. WINKLER haben mit ihrer Hilfe im Laboratorium mir die Arbeit sehr erleichtert. Zum Schlusse kann ich es nicht unterlassen, dem Herrn Verleger meinen besonderen Dank auszusprechen für die schöne Ausstattuug dieser Arbeit und besonders auch für das große Entgegenkommen, das ich seinerseits empfunden habe. I. Technik. Wie schon in der Einleitung erwähnt, werde ich nur diejenigen Methoden wiedergeben, die wir in der psychiatrisch-neurologischen Klinik zu Utrecht angewendet haben. Es versteht sich, daß unter Umständen auch atypische Photographien ge macht werden müssen. Diese bilden aber eine Ausnahme. Ich werde mich im allgemeinen bloß auf die typischen Aufnahmen beschränken und bei jedem Typus zugleich angeben, zu welchem Zwecke er dient. Bevor ich aber hiermit anfange, müssen einzelne kurze, allgemein technische Bemerkungen in bezug auf das Röntgeninstrumentarium gemacht werden. Selbstverständlich hat sich dies im Laufe der Zeit verändert. Seit 1913 gebrauchen wir immer noch das lnduktorium mit Gleichrichter system von Siemens & Halske. Die Röhren haben aber sehr gewechselt. Zuerst wurden Müller-, Bauer- und Gundelachröhren usw. angewendet. Danach kam die Müllerrapidröhre bis eine Coolidgeröhre in Betrieb gesetzt wurde. - Zuletzt wurde die neueste Metallixröhre von PHILIPs gebraucht. Wie bekannt ist, kann man mit diesen Röhren einen sehr scharfen Fokus erzielen. Als besonders große Verbesserung wird von uns das seit 1920 in Betrieb genommene Potter-Bucky-Diaphragma geschätzt. Bekanntlich verhütet dieses so viel wie möglich die Sekundärstrahlung, die besonders bei Schädelaufnahmen sehr störend wirkt. Die sonst fast immer mehr oder weniger auftretende V er schleierung der Platten wird vom Potter-Bucky-Diaphragma glänzend beseitigt. Auch Felsenbeinaufnahmen werden mit dem Potter-Bucky-Diaphragma an gefertigt. Ganz feine Veränderungen kommen aber immer noch besser auf den nur mit Röhrenblenden angefertigten Platten zutage. Folgende Aufnahmen wurden gemacht: A. Bitemporale Aufnahme. B. Occipito-frontale Aufnahme. C. Fronto-occipitale Aufnahme. D. Augenhöhlen-Aufnahme (nach RHESE}. E. Felsenbein-Aufnahme. F. Ventriculographie-Aufnahme. A. Die bitemporale Aufnahme. Die bitemporale Aufnahme hat verschiedenes zu leisten: 1. als Übersichtsaufnahme, 2. zur Studierung der verschiedenen bei dieser Aufnahme sichtbaren Schädelpartien. ad 1. Eine Übersichtsaufnahme ist für den Neurologen fast immer unent behrlich. Will man sich überhaupt klar machen, welche Bedeutung bestimmte Veränderungen im Schädel haben, so ist es notwendig, den Schädel übersehen, und die Verhältnisse zwischen den verschiedenen Schädelpartien beurteilen zu können. 1* 4 Technik. Dann und wann bekommt man von einem Röntgenologen eine Schädel photographie, worin nur die Sella und ihre Umgebung auf der Platte sichtbar ist. Dies hat meistens gar keinen Zweck, ebensowenig wie man einen Kranken beurteilen kann, wenn man nur seine Nase sieht. Man muß in der bitemporalen Photo (Abb. 2) nicht nur die Sella turcica beurteilen können, wie viele Leute denken, sondern auch a) die Verhältnisse der Sella turcica zum Sinus sphenoidalis; b) die Verhältnisse der Schädelbasis sowie die Stellung und Größe der vorderen, mittleren und hinteren Schädelgrube; Abb. 1. Normaler Schädel. Erklärung s. Abb. 2. c) die Verhältnisse der Schädelbasis zum darunterliegenden Wirbel; d) die Struktur des Schädeldaches, der Impressiones digitatae im Verhältnis zur Größe der Sella turcica usw.; e) die Proportionen des Gesichtsschädels, die Entwicklung der Nebenhöhlen sowie der Nasenbeine usw. All diese Sachen kann man in ihrem Zusammenhang nur im Übersichts bild richtig erkennen. Als Übersichtsbild hat die Aufnahme noch andere Vorteile. Man hat immer eine Kontrolle, ob die Photographie symmetrisch aufgenommen ist oder nicht. Für besser als alle sonstigen Maßnahmen, die in der Literatur zur Kontrolle der Symmetrie angegeben werden, erachte ich es, diese am Schädel selber zu Die bitemporale Aufnahme. 5 überwachen. Es ist insofern leicht zu machen, indem man sich davon überzeugt, ob die Felsenbeine und Ohrenmuschelschatten sich decken und die beiden aufsteigenden Äste der Unterkiefer gut aufeinander projiziert sind. Auch die Linien der vorderen Schädelgrube müssen sich an der Basis gegenseitig decken. ad 2. Wenn man das Übersichtsbild in obengenannter Weise studiert hat, kann man zur Beurteilung der verschiedenen Schädelpartien übergehen. ·:. . i ·:. .. ,;· inu spheno idnll Kalkablagerung / in der Epiphyse ' Ohrenmu chel R. und L. Felsenbeln Abb. 2. Zeichnung des normalen Schädels auf Abb. 1. Hier gilt es vor allem auf dreierlei zu achten: I. auf die Sella turcica (wie im 2. Teil besprochen werden soll); 2. auf circumscripte Veränderungen am Schädeldach; 3. auf Projektionen von a) intracerebralen Prozessen (calcifizierte Tumoren und Epiphyse), b) von Fremdkörpern. Besonders soll man sich hüten, die Verkalkungen der Epiphyse oder die Schatten der Ohrmuscheln fehlerhaft zu deuten. Auch die Synchondrosis sphenooccipitalis darf nie als eine Fraktur angesehen werden. Die Technik der Aufnahme ist ziemlich einfach. Große Sorgfalt ist aber, wie bei allen Aufnahmen (und dies will ich besonders betonen) notwendig, 6 Technik. um eine tadellose Photographie zu bekommen. Ich werde alle technischen An gaben für die Aufnahmen liegender Patienten machen, da wir in der Klinik selbst bei Schwerkranken unsere Photographien immer im Liegen anfertigen können und müssen. Für die bitemporale Photographie wird der Kranke auf das Potter-Bucky Diaphragma in der Weise gelegt, daß der Kopf mit der Nasen-Kinnlinie und mit der medianen Ebene horizontal liegt. Meistens kann dies leicht erreicht werden, Abb. 3a. Occipito·frontale Aufnahme (normal). Erklärung s. Abb. 3b. indem man den auf der Seite liegenden Kranken bittet, den unterliegenden Arm hinter den Rücken zu strecken. Bei sehr dicken Menschen kommt man am besten aus, wenn man den Kranken so viel wie möglich in Bauchlage legt. Die Röhre wird in genügender Entfernung ± ein Meter eingestellt auf das vordere Drittel zwischen lateralem Augenwinkel und Ohrenmuschelansatz. Wenn man dann noch genau darauf achtet, ob die rechte oder linke Seite auf der Platte liegt und dies durch einen Buchstaben R oder L angibt, so bekommt man eine Photographie, die uns Gutes leisten kann. - Mitunter ist es zum Ver gleich notwendig, eine links- und rechtsseitige Aufnahme zu machen. -