MARCUS VALERIUS MARTIALIS ist der Klassiker des lateinischen Epigramms und der bedeutendste Sittenmaler seiner Zeit. Martial wurde um 40 n. Chr. in Spanien geboren, lebte von 64-98 in Rom und starb um das Jahr 104 n. Chr. Ein Verzeichnis der GRIECHISCHEN UND RÖMISCHEN KLASSIKER in Goldmanns GELBEN Taschenbüchern finden Sie am Ende dieses Buches M. V. MARTIAL Römischer Witz s 'AusgewäKlie Epigramme Ober trägen von Hermann Swoboda MÜNCHEN WILHELM GOLDMANN VERLAG Dm Einstellea vba »Goldmanaa TeaAeabOdherne i* Loihbitàereien and Lesezirkel ¡m vom Verlag ausdrückfub untersagt 190 Made in Gerapw . ,UM$lageatirw( von ííerbertjpOTen».,, Gesetzt aus dèr Lïdotype^Gatajnood-Anuqàa. Drndt: Pnue-Drudt? and Verlaçi-GmbH. Aopborg. VORWORT Der römische Dichter Marcus Valerius Martialis wurde zwischen 38 und 41 n. Chr., an einem 1. März, in Bilbilis, dem heutigen Bilbao, im nördlichen Spanien, das damals eine römische Provinz war, ge boren. Da er sich gern seiner, keltischen Abkunft rühmt, ist es wahr scheinlich, daß er der Ehe eines römischen Provinzialen mit einer pinheimischen keltischen Mutter entstammte. Er besuchte in seiner Vaterstadt eine Grammatiker- und Rhetorenschule und kam, wie so viele talentvolle Provinziale, schon in jungen Jahren nach Rom, wo er den größten Teil seines Lebens unter der Regierung der Kaiser Vespasian, Titus, Domitian und Nerva verbrachte. Im Jahre 98 kehrte er, seiner Sehnsucht folgend, in die Heimat zurück, wo er spätestens 104 starb. ■ Über sein Leben in Rom sind wir durch seine Epigramme unter richtet. Nicht so glücklich wie Vergil und Horaz, die ihren Mäzenas fanden, war er, um sein Dasein zu fristen, genötigt, sich durch Schmeicheleien die Gunst der Kaiser und hochgestellter Persönlich keiten zu erwerben, Vermögende um Geld, Kleidung und Nahrung anzubetteln und sich zum Dienst als Klient herzugeben. Es war mit einem Wort ein Schnorrerdasein, das er führte. „Aber es galt damals nicht für unanständig, wenn ein Dichter von der Freigebigkeit der Großen und Reichen lebte, die er ansang und v*.erherrlichte “ Von Domitian wurde Martial mit einem Landgut beschenkt, das aber, nach seiner Schilderung, recht armselig war. Eine Ehrung, die nichts eintrug, war die Erhebung in den Ritterstand. Martial ist nach übereinstimmendem Urteil einer der eigenartig sten Dichter aller Zeiten und Völker. Er gilt als der Klassiker des Epigramms. Er hat deren 1200 in zwölf Büchern geschrieben, die allerdings, wie er selber zugibt, von verschiedenem Wert sind und für den heutigen Leser nicht durchweg von gleichem Interesse. Epi gramme waren ursprünglich, wie das Wort sagt, kurze Aufschriften auf Denkmälern, Grabstätten, Weihegeschenken und dergleichen. • L. Friedländer, Sittengeschichte der römischen Kaiserzeit» « 1 Audi bei Martial gibt es zwei- und vierzeilige Epigramme, aber die meisten sind länger, bis zu dreißig Versen, eine Neuerung, derent wegen er von seinen Gegnern getadelt wurde. Martials eigentliche Originalität besteht -aber in der Mannigfaltigkeit der Gegenstände, die er in den Epigrammen behandelt: die eigenen beschwerlichen Lebensverhältnisse, die Schwächen und Torheiten seiner lieben Mit menschen, beso'nders aber die Ausschreitungen und Läster, durch welche die römische Kaiserzeit berüchtigt ist, der irrsinnige Luxus, das Protzentum, die Schlemmerei, die Habsucht, endlich die Ent artungserscheinungen auf, dem Gebiet der Liebe und Ehe, die nün einmal zu einem Zeitalter des Verfalls; hinzugehören. Dafür stand ihm eine reiche Skala von Ausdrucksmitteln zu Gebote, vom harm losen Witz bis zum beißenden Spott und der grimmigen Satire. Es war die Zeit, wo der um zwanzig Jahre jüngere Juverial den Aus spruch tat; »Es ist schwer, keine Satire zu- schreiben.“ Allein der Unsittenschilderef ist nicht der ganze Martial, wenn gleich et dieser Seite seines Wesens die Berühmtheit verdankt. Es gab auch zu seiner Zeit noch die gute alte Sitte, edle Männer und Frauen, musterhafte Ehen, Gatten- und Kinderliebe, nur War da von Weniger die Rede, und Martial fuhrt uns solche Beispiele mit ersichtlicher Befriedigung vor. Ihnen gehört sein Herz. Auch die an seine Freunde gerichteten Epigramme zeigen ihn als Gemütsmen schen. Man pflegt witzige Menschen für reine Verstandesmenschen Zu halten. Sie sind jedoch häufig verkappte Gemütsmenschen, und ein solcher war Martial. Sympathisch berührt uns auch sein Wider wille gegen die Großstadt und die Sehnsucht nach dem Landleben. Daß der Charakter eines so unverblümten Sittenschilderérs Ver dächtigungen ausgesetzt war, ist begreiflich. Daher erklärt Martial gleich zu Beginn des ersten Buches in einem-an den Kaiser gerich teten Epigramm, daß man von seinen Dichtungen nicht auf seine Sitten schließen dürfe (lasciva est nöbis pagina, vita proba). Der jüngere Plinius; einer der bedeutendsten Männer seiner Zeit, Ver trauter des Kaisers Trajan, stellt ihm das Zeugnis aus,'daß er als Schriftsteller reich an Witz und Galle war, irá Leben aber nicht min der än Lauterkeit. Martial war schon zu Lebzeiten im ganzen Römerreich berühmt. Durch die Legionen kamen seine Bücher bis in die entferntesten' ,Provinzen: von den Säulen des Herkules (Gibraltar) bis zur Le- V vante, von England bis Afrika. Er sagt selbst, daß seine Bücher nicht nur gelesen, sondern zerlesen wurden (teritur noster ubique über). Er war auch überzeugt, daß ihn sein Ruhm überleben werde, und darin hat er sich nicht getäuscht. Er wurde das ganze Mittel alter hindurch bis in die Neuzeit eifrig gelesen. Unsere Klassiker haben ihn noch gut gekannt und gewürdigt, besonders Lessing, der selber ein witziger Kopf war und, durch Martial angeregt, sich in Epigrammen versuchte. Er sagt über ihn: „Martial ist nicht bloß der erste, der das Epigramm als eigene Kunstgattung bearbeitet und dieser Gattung sich ganz gewidmet hat, er ist auch bis jetzt der erste dem Wert nach geblieben. Nur wenige haben so viele Sinngedichte (so wurde .*Epigramm von Logau verdeutscht) gemacht wie er, und niemand unter ihnen so vortreffliche." Auch Wieland und Goethe haben ihn, nicht zuletzt wegen seiner Anzüglichkeiten, geschätzt. Ludwig Friedländer, der Verfasser der Sittengeschichte der römi schen Kaiserzeit, dessen wichtigste Quelle Martial ist, sagt über ihn: „Martial ist einzig in der sprudelnden Fülle seines Witzes, in seinem nie versiegenden Talent, immer neue glückliche Motive und immer neue Wendungen zu ihrer Gestaltung zu finden, vor allem in der Meisterschaft, mit welcher er in seinen Epigrammen die Erwartung des Lesers erregt, erhält und spannt, uni ihn zum Schluß um so wirksamer zu überraschen." Erst im 19. Jahrhundert geriet Martial, in dem Maße, wie die Kenntnis des Lateins abnahm, außerhalb der Fachkreise in Vergessenheit, und die wenigen Übersetzungen älteren Datums waren nicht geeignet, eine richtige Vorstellung von ihm zu vermitteln. Bei der Übersetzung von witzigen Dichtungen genügt nicht die noch so getreue Wiedergabe des Gedankens, denn die Witzwirkung beruht auch auf der Form. Das Haupterfordernis des Witzes nach Shakespeares bekanntem Rezept, die Kürze, ist bei Martial ideal erfüllt, wobei ihm allerdings die lateinische Sprache entgegen kommt, da sie keinen Artikel, kein Pronomen beim Zeitwort und kein Hilfszeitwort hat. Manchmal besteht der Witz bei ihm in einem einzigen Wort, zu dessen Übersetzung im Deutschen ein gan zer Satz erforderlich ist. Es ist auch zu bedenken, daß infolge der schwerfälligeren deutschen Sprache auch unsere Auffassung lang samer ist. Bei allzu großer Kürze schlägt daher der Witz nicht ein, sondern verpufft. Ein anderer Umstand, der bei der Übersetzung • eine Abänderung verlangt, sind die vielen mythologischen Anspie lungen, die für den gebildeten Römer ohne weiteres verständlich waren, während die meisten Leser von heute einen Kommentar be nötigen. Sie wurden daher in der vorliegenden Übersetzung weg gelassen, da sie der unmittelbaren Wirkung abträglich sind.. Weg gelassen wurden auch die Namen der besprochenen und der angere deten Personen, zumal sie meistens fingiert sind. , . Vein besonderer Wichtigkeit bei der Übersetzung von.witzigen Gedichten sind Versmaß und Reim. Die antiken Versmaße hatten für das Ohr des Römers den Reiz des Kunstvollen, zumal wenn ein Dichter die Sprache so virtuos handhabte wie Martial. Tadellose lateinische Verse bauen war tätsädilich eine Kunst und dementspre chend selten. Für uns jedoch hat.die Nachahmung der antiken Vers maße keinen Reiz, sie klingen für uns' gekünstelt, sprachwidrig. Die deutschen Versmaße hingegen sind an sich völlig kunstlos wer kann nicht in Jamben oder Trochäen dichten! Es muß,daher zur Erhöhung des Reizes noch etwas hinzukommen, und das ist'der Reim. Man mag sinnschwere ernste Gedichte in reimlosen Versen verfassen, in witzigen Gedichten ist der Reim ein unbedingtes Er fordernis. Um dies an bekannten Beispielen aufzuzeigen: die Verse yon W. Busch „Es ist ein Brauch von altersher, wer Sorgen hat, hat auch Likör“, oder „Ein Jeder Jüngling- hat wohl mal ’neh Hang fürs Küchenpersonal“ würden in einer noch so gewandten reim losen Fassung nicht dieselbe oder überhaupt keine Wirkung haben. „Max und Moritz“ ist ungereimt Undenkbar. Das gleiche, gilt aber auch von den vielen humorigen Versen im ersten Teil des Faust, z. B.: „Mir ist von all dem Zeug so dumm, als ging mir ein Mühlrad im Kopf herum“, die es dem Reim verdanken, daß sie zu Zitaten geworden sind. Kein Geringerer als Schopenhauer hat über die Wir kung von Vers und Reim nachgedacht und ist zu folgendem Ergeb nis gekommen: „Daß so geringfügige, ja kindisch scheinende Mittel, wie Metrum und Reim, eine so mächtige Wirkung ausüben, ist sehr auffallend und wohl der Untersuchung wert. Ich erkläre es mir auf folgende Weise. Das dem Gehör unmittelbar Gegebene, also der bloße Wortklang, erhält durch Rhythmus und Reim eine gewisse Vollkommenheit und Bedeutsamkeit an sich selbst, indem er zu einer Art Musik wird. Das Ohr zu ergötzen, scheint seine ganze Bestimmung zu sein. Daß er nun aber zugleich noch einen Sinn 9 erhält, einen Gedanken ausdrückt, stellt sich als eine unerwartete Zugabe dar, als ein unerwartetes Geschenk, das uns überrascht. Wenn nun aber gar dieser Gedanke'ein solcher ist, daß er an sich selbst, auch in Prosa gesagt,'bedeutend wäre, dann sind wir ent zückt.“ Eine gereimte Übersetzung nötigt nun freilich zu größeren.' Abweichungen vom Original, aber der Gewinn wiegt diesen Nach teil auf. Zur Rechtfertigung der Freiheit bei der Übersetzung von Vers- dichtungen sei noch folgendes bemerkt: Es ist üblich, zwischen Über setzungen im engeren Sinne, Übertragungen und Nachdichtungen zu unterscheiden, je nach dem Grade der Freiheit gegenüber dem Original. Prosa soll womöglich wörtlich übersetzt werden, bei Dich tungen räumt man eine größere Freiheit ein. Diese Freiheit ist wohl begründet, denn beim Prosaschriftsteller wird die Wortwahl bloß durch den Gedanken bestimmt, beim Dichter hingegen auch durch die Erfordernisse von Vers und Reim. Der Dichter wählt je nach Bedarf längere oder kürzere Wörter, er reiht, um den Vers zu fül len, mehrere sinnverwandte Wörter aneinander und dergleichen Anpassungen mehr. Der Einfluß der Form rejdit aber noch weiter.' Victor Hugo, ein Verskünstler und Reimschmied, der sich auf seih Handwerk verstand, gesteht einmal offenherzig: »Manchmal kömmt man durch einen Gedanken auf einen Reim, manchmal aber auch durch einen Reim auf einen Gedanken.“ Die Kunst, des Dichters besteht nun unter anderem darin, daß man vom Zwang des Vers maßes nichts merkt, sondern im Gegenteil den Eindruck völliger Ungezwungenheit hat. Dem Verszwang, unter dem der Dichter steht, entspricht nun die Freiheit des Übersetzers, denn in einer anderen Sprache, bei einem anderen Versmaß besteht nicht derselbe Zwang. Der Übersetzer hat nur am Gedanken des Originals fest- zuhalten. Allein diese Freiheit wird wieder eingeschränkt durch die Versforderungen der eigenen Sprache. Auf diese Weise kommt dann eine völlige Umdichtung zustande, die jedoch die Bezeidinung »treu“ mehr verdient als eine wörtliche Übersetzung. Martial ist es aus mehr als einem Grunde wert, der Nachwelt erhalten zu bleiben. Als lateinischer Dichter ist er den anderen, be kannteren, zumindest ebenbürtig, an Originalität sogar überlegen. Als Quelle für die Kulturgeschichte seiner Zeit ist er einzig. Er ver mittelt eine lebendige Anschauung der damaligen Sitten, em farbi- 10 ges Zeitgemälde, man wird durch seine Epigramme mitten ins Leben des alten Rom versetzt. Wir haben nichts Ähnliches über andere Kulturzentren des Altertums, über Athen, Alexandrien, Byzanz, aber auch nicht über die spätere Zeit. Es ist fraglich, ob unsere Zeit ein literarisches Dokument hinterlassen wind, durch das die Men schen in zweitausend Jahren von ihr eine so deutliche Vorstellung haben werden, wie wir sie durch Martial von seiner Zeit haben. Endlich: man kann durch Martial etwas lernen, was unserer Zeit besonders not tut, das Lachen, das befreiende Lachen über Menschen und Mißstände, die man nicht ändern kann. Seit den Tagen Mar tials hat sich zwar in den Sitten, des Abendlandes viel zum Besseren gewandelt, aber es ist noch genug zum Lachen übriggeblieben und einiges sogar dazugekommen. Hermann Swoboda