SAMMLUNG TUSCULUM Wissenschaftliche Beratung: Gerhard Fink, Niklas Holzberg, Rainer Nickel, Bernhard Zimmermann Τ. LIVIUS RÖMISCHE GESCHICHTE Buch I—III Lateinisch und deutsch herausgegeben von Hans Jürgen Hillen ARTEMIS & WINKLER Vignette: Römische Didrachme, um 269 ν. Chr. (Berlin, Staatl. Museen, Münzkabinett; Foto: Hirmer) Bibliographische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliographie; detaillierte bibliographische Daten sind im Internet unter http://dnb.d-nb.de abrufbar. 4. Auflage 2007 © 2007 Patmos Verlag GmbH & Co. KG © 1. Auflage: Artemis Sc Winkler Verlag, Düsseldorf/Zürich 1987 Alle Rechte vorbehalten. Druck und Verarbeitung: Laupp & Göbel, Nehren ISBN 978-3-7608-1551-0 www.patmos.de INHALTSVERZEICHNIS Text und Übersetzung Vorrede 6 Buch I 10 Buch II 158 Buch III 314 Die antiken Inhaltsangaben 490 Zur Textgestaltung 502 Erläuterungen 508 Einführung in die Bücher I—III des Livius 586 Literaturhinweise 634 Inhaltsübersicht und Parallelüberlieferung 643 Zeittafel 658 Die römischen Könige 659 Die Konsuln, die Diktatoren und Magistri equitum und die Decemvirn von 509-446 v. Chr 659 Verzeichnis der Eigennamen 662 PRAEFATIO Facturusne operae pretium sim, si a primordio urbis ι res populi Romani perscripserim, nec satis scio nec, si sciam, dicere ausim, quippe qui cum veterem turn vul- 2 gatam esse rem videam, dum novi semper scriptores aut in rebus certius aliquid allaturos se aut scribendi arte rudem vetustatem superaturos credunt. Utcum- 3 que erit, iuvabit tamen rerum gestarum memoriae principis terrarum populi pro virili parte et ipsum con- suluisse; et si in tanta scriptorum turba mea fama in ob- scuro sit, nobilitate ac magnitudine eorum me, qui no- mini officient meo, consoler. Res est praeterea et im- 4 mensi operis, ut quae supra septingentesimum annum repetatur et quae ab exiguis profecta initiis eo creverit, ut iam magnitudine laboret sua; et legentium plerisque haud dubito, quin primae origines proximaque origi- nibus minus praebitura voluptatis sint festinantibus ad haec nova, quibus iam pridem praevalentis populi vires se ipsae conficiunt: ego contra hoc quoque laboris 5 praemium petam, ut me a conspectu malorum, quae nostra tot per annos vidit aetas, tantisper certe, dum prisca ilia tota mente repeto, avertam omnis expers cu- rae, quae scribentis animum etsi non flectere a vero, sollicitum tamen efficere posset. Quae ante conditam condendamve urbem poeticis 6 magis decora fabulis quam incorruptis rerum gestarum monumentis traduntur, ea nec adfirmare nec refellere in animo est. Datur haec venia antiquitati, ut miscendo 7 humana divinis primordia urbium augustiora faciat; et si cui populo licere oportet consecrare origines suas et VORREDE Ob ich etwas tue, was die Mühe lohnt, wenn ich die Angelegenheiten des römischen Volkes vom Anbeginn der Stadt an ausführlich aufzeichne, weiß ich nicht recht, und wenn ich es wüßte, würde ich es wohl nicht zu sagen wagen. Denn ich sehe, daß es ein alter und vor allem ein allbekann- ter Stoff ist, indem immer neue Schriftsteller entweder in der Sache etwas Genaueres beizubringen oder durch ihre Darstellungskunst die unbehol- fene alte Zeit zu übertreffen glauben. Wie es auch kommt, es wird mir doch Freude machen, für die Uberlieferung der Taten des ersten Volkes der Erde auch meinerseits nach Kräften gesorgt zu haben. Und wenn in der so großen Schar der Schriftsteller mein Ruf im dunkeln bleibt, kann ich mich mit dem Rang und der Größe derer trösten, die meinen Namen in den Schatten stellen. Der Stoff bedeutet außerdem unermeßlich viel Arbeit: er reicht ja über mehr als 700 Jahre zurück, und er ist, von kleinen Anfängen ausgehend, so sehr gewachsen, daß er jetzt an seiner Größe lei- det. Auch zweifle ich nicht daran, daß den meisten Lesern die ersten An- fänge und das, was den Anfängen zunächst liegt, weniger Freude machen wird, da sie es eilig haben, zu unserer Neuzeit zu kommen, in der die Kräfte des Volkes, das schon längst übermächtig ist, sich selbst aufzeh- ren. Ich hingegen möchte auch darin einen Lohn für meine Mühe suchen, daß ich mich von dem Anblick der Übel, die unser Zeitalter so viele Jahre lang gesehen hat, wenigstens so lange abwende, wie ich jene alte Zeit mir wieder aus ganzem Herzen vergegenwärtige, frei von jeder Sorge, die ei- nen beim Schreiben wenn auch nicht von der Wahrheit abbringen, so doch in Erregung versetzen kann. Was vor der Gründung der Stadt oder dem Plan zu ihrer Gründung mehr mit dichterischen Erzählungen ausgeschmückt als in unverfälsch- ten Zeugnissen der Ereignisse überliefert wird, das möchte ich weder als richtig hinstellen noch zurückweisen. Man sieht es der alten Zeit nach, daß sie den Anbeginn der Städte verklärt, indem sie das Menschliche mit Göttlichem vermischt. Und wenn es in der Ordnung ist, daß ein Volk 8 praef. ad deos referre auctores, ea belli gloria est populo Ro- mano, ut, cum suum conditorisque sui parentem Mar- tern potissimum ferat, tarn et hoc gentes humanae pa- tiantur aequo animo quam imperium patiuntur. Sed haec et his similia, utcumque animadversa aut 8 existimata erunt, haud in magno equidem ponam dis- crimine: ad ilia mihi pro se quisque acriter intendat 9 animum, quae vita, qui mores fuerint, per quos viros quibusque artibus domi militiaeque et partum et auc- tum imperium sit; labante deinde paulatim disciplina velut desidentis primo mores sequatur animo, deinde ut magis magisque lapsi sint, tum ire coeperint praeci- pites, donee ad haec tempora, quibus nec vitia nostra nec remedia pati possumus, perventum est. Hoc illud 10 est praecipue in cognitione rerum salubre ac frugife- rum, omnis te exempli documenta in inlustri posita monumento intueri; inde tibi tuaeque rei publicae, quod imitere, capias, inde foedum inceptu, foedum ex- ltu, quod vites. Ceterum aut me amor negotii suscepti fallit, aut 11 nulla umquam res publica nec maior nec sanctior nec bonis exemplis ditior fuit, nec in quam civitatem tam serae avaritia luxuriaque immigraverint, nec ubi tantus ac tam diu paupertati ac parsimoniae honos fuerit. Adeo quanto rerum minus, tanto minus cupiditatis erat; nuper divitiae avaritiam et abundantes voluptates 12 desiderium per luxum atque libidinem pereundi per- dendique omnia invexere. Sed querellae, ne tum quidem gratae futurae, cum forsitan necessariae erunt, ab initio certe tantae ordien- dae rei absint: cum bonis potius ominibus votisque et 13 precationibus deorum dearumque, si, ut poetis, nobis quoque mos esset, libentius inciperemus, ut orsis tan- tum operis successus prosperos darent. Vorrede 9 seine Ursprünge mit einem weihevollen Nimbus umgeben und sie auf göttliche Ahnen zurückführen darf: der Kriegsruhm des römischen Vol- kes ist so groß, daß die Völker der Erde es ebenso gelassen hinnehmen, wenn es als seines und seines Gründers Vater gerade den Mars nennt, wie sie die römische Herrschaft ertragen. Aber wie auch immer man dies und ähnliches beachtet oder beurteilt, dem will ich keine große Bedeutung beimessen. Darauf vielmehr soll mir jeder scharf sein Augenmerk richten, wie das Leben, wie die Sitten gewe- sen sind, durch was für Männer und durch welche Eigenschaften zu Hause und im Krieg die Herrschaft geschaffen und vergrößert wurde; dann soll er verfolgen, wie mit dem allmählichen Nachlassen von Zucht und Ordnung die Sitten zunächst gleichsam absanken, wie sie darauf mehr und mehr abglitten und dann jäh zu stürzen begannen, bis es zu un- seren Zeiten gekommen ist, in denen wir weder unsere Fehler noch die Heilmittel dagegen ertragen können. Das ist vor allem beim Studium der Geschichte das Heilsame und Fruchtbare, daß man belehrende Beispiele jeder Art auf einem in die Augen fallenden Monument dargestellt findet. Daraus kann man für sich und seinen Staat entnehmen, was man nachah- men, daraus auch, was man meiden soll, da es häßlich in seinem Anfang und häßlich in seinem Ende. Aber entweder täuscht mich die Liebe zu der übernommenen Auf- gabe, oder kein Staat war jemals größer, ehrwürdiger und an guten Bei- spielen reicher, und in keine Bürgerschaft hielten so spät Habsucht und Verschwendungssucht Einzug, und nirgendwo standen Armut und Spar- samkeit so hoch und so lange in Ehren: so sehr, daß man um so weniger begehrte, je weniger man besaß. Jüngst erst hat der Reichtum auch die Habgier zu uns gebracht und das Ubermaß der Vergnügungen das Ver- langen, in Schwelgerei und Ausschweifung zugrunde zu gehen und alles zugrunde zu richten. Aber Klagen, die nicht einmal dann willkommen sein werden, wenn sie vielleicht nötig sind, sollen wenigstens vom Anfang eines so großen Un- ternehmens wegbleiben. Mit guten Vorzeichen vielmehr und mit Gelüb- den und Gebeten zu Göttern und Göttinnen würden wir lieber beginnen, wenn das auch bei uns, wie bei den Dichtern, üblich wäre: sie möchten uns, die wir ein so großes Werk beginnen, glücklichen Fortgang schen- ken. LIBER I lam primum omnium satis constat Troia capta in cete- ι ros saevitum esse Troianos: duobus, Aeneae Antenori- que, et vetusti iure hospitii et quia pacis reddendaeque Helenae semper auctores fuerunt, omne ius belli Achi- vos abstinuisse; casibus deinde variis Antenorem cum 2 multitudine Enetum, qui seditione ex Paphlagonia pulsi et sedes et ducem rege Pylaemene ad Troiam amisso quaerebant, venisse in intimum maris Hadria- tici sinum, Euganeisque, qui inter mare Alpesque inco- 3 lebant, pulsis Enetos Troianosque eas tenuisse terras. Et in quem primum egressi sunt locum, Troia vocatur pagoque inde Troiano nomen est: gens universa Veneti appellati. Aenean ab simili clade domo profugum, sed ad ma- 4 iora rerum initia ducentibus fatis, primo in Macedo- niam venisse, inde in Siciliam quaerentem sedes dela- tum, ab Sicilia classe ad Laurentem agrum tenuisse. Troia et huic loco nomen est. Ibi egressi Troiani, ut 5 quibus ab immenso prope errore nihil praeter arma et naves superesset, cum praedam ex agris agerent, Lati- nus rex Aboriginesque, qui tum ea tenebant loca, ad ar- cendam vim advenarum armati ex urbe atque agris concurrunt. Duplex inde fama est. Alii proelio victum 6 Latinum pacem cum Aenea, deinde adfinitatem iun- xisse tradunt: alii, cum instructae acies constitissent, priusquam signa canerent, processisse Latinum inter 7 primores ducemque advenarum evocasse ad conlo-