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Robert Walser Handbuch: Leben – Werk – Wirkung PDF

465 Pages·2015·7.47 MB·German
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Robert Walser Handbuch Leben – Werk – Wirkung Lucas Marco Gisi (Hrsg.) Verlag J. B. Metzler IV Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-476-02418-3 ISBN 978-3-476-05303-9 (eBook) DOI 10.1007/978-3-476-05303-9 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikroverfilmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © 2015 Springer-Verlag GmbH Deutschland Uprünglich erschienen bei J.B.Metzler’scheVerlagsbuchhandlung undCarlErnstPoeschelVerlagG mbH inStu ttgart 20 15 www.metzlerverlag.de [email protected] V Inhalt 1 L eben.............................. 1 3.3 Berliner Zeit (1905–1913) .............. 96 3.3.1 Geschwister Tanner (1907) ........ 96 1.1 ›Leben und Werk‹ ..................... 1 3.3.2 Der Gehülfe (1908)............... 106 1.2 Z eittafel.............................. 7 3.3.3 Jakob von Gunten (1909).......... 116 1.3 Wohnadressen........................ 13 3.3.4 Aufsätze (1913).................. 129 1.4 Familie Walser........................ 16 3.3.5 Geschichten (1914)............... 133 2 K ontexte .......................... 19 3.3.6 Prosa der Berliner Zeit............ 137 2.1 Josef Viktor Widmann: 3.4 Bieler Zeit (1913–1921) ................ 141 Entdecker, Förderer, Rezensent.......... 19 3.4.1 Kleine Dichtungen 2.2 Der Kreis um Die Insel ................. 21 (1915; Impressum 1914) .......... 141 2.3 In Berlin ............................. 24 3.4.2 Prosastücke (1917) ............... 145 2.4 Zusammenarbeit 3.4.3 Der Spaziergang (1917) ........... 148 mit Karl Walser ....................... 30 3.4.4 Kleine Prosa (1917) .............. 154 2.5 Carl Seelig: Herausgeber, Vormund, ›Sprachrohr‹.......................... 35 3.4.5 Poetenleben (1917; Impressum 1918) ................ 158 2.6 Literaturbetrieb, Verlage, Zeitschriften und Zeitungen........................ 40 3.4.6 Seeland (1920; Impressum 1919) ... 163 2.7 Feuilleton ............................ 49 3.4.7 Tobold-Roman (verfasst 1918) ..... 166 2.8 Lektüren – literarischer 3.4.8 Prosa der Bieler Zeit.............. 168 Horizont............................. 55 3.4.9 Lyrik der Bieler Zeit.............. 172 2.9 ›Schweizer Literatur‹................... 62 3.5 Berner Zeit (1921–1933) ............... 173 2.10 Robert Walsers Moderne ............... 68 3.5.1 Theodor-Roman (verfasst 1921)  ... 173 3 W erke ............................. 73 3.5.2 Die Rose (1925).................. 175 3.1 Werkphasen.......................... 73 3.5.3 »Räuber«-Roman (verfasst 1925)... 180 3.2 Frühe Werke (1889–1905) . . . . . . . . . . . . . . 76 3.5.4 »Felix«-Szenen (verfasst 1925) ..... 190 3.2.1 Der Teich (verfasst 1902).......... 76 3.5.5 Tagebuch-Fragment (verfasst 1926)................... 193 3.2.2 Gedichte (1909).................. 79 3.5.6 Prosa der Berner Zeit............. 196 3.2.3 Komödie (1919) ................. 82 3.5.7 Lyrik der Berner Zeit............. 207 3.2.4 Fritz Kocher’s Aufsätze (1904)...... 90 3.5.8 V ersstücke, Szenen und Dialoge 3.2.5 Lyrik (frühe Gedichte, der Berner Zeit . . . . . . . . . . . . . . . . . . 214 Saite und Sehnsucht).............. 94 VI Inhalt 3.6 Korrespondenz ....................... 217 4.24 Lebensphilosophie im Zeichen des Glücks ................. 344 3.6.1 Korpus, Brieftypen, Deutungs- aspekte......................... 217 4.25 Psychiatrie ........................... 351 3.6.2 Briefe an Frieda Mermet .......... 224 4.26 Ambivalenz .......................... 355 4 T hemen ........................... 231 5 W irkung........................... 359 4.1 Ich, Maske, Autofiktion ................ 231 5.1 Nachlass, Archiv ...................... 359 4.2 Poetik ............................... 236 5.2 Edition .............................. 363 4.3 Erzählen ............................. 245 5.3 Photographie......................... 368 4.4 Gattungen und Gattungs poetik.......... 249 5.4 Deutschsprachige Literatur ............. 371 4.5 Inszenierungen der Sprache............. 253 5.5 Theater .............................. 381 4.6 Schreibszenen (Schreiben, Materialität, 5.6 Film................................. 385 Schriftbild)........................... 261 5.7 Gegenwartskunst...................... 387 4.7 Schreibprozesse: Abschreiben, 5.8 Musik ............................... 391 Überarbeiten ......................... 268 5.9 Internationale Rezeption ............... 394 4.8 Das Phänomen Mikrographie........... 274 5.9.1 Überblick....................... 394 4.9 Text und Bild ......................... 283 5.9.2 USA, England................... 396 4.10 Intermedialität (Malerei, Musik, Theater, Tanz, Rundfunk, Photographie, Kino).... 289 5.9.3 Frankreich...................... 400 4.11 Performanz........................... 299 5.9.4 Italien.......................... 404 4.12 Theater und Theatralität ............... 301 5.9.5 Spanien/Lateinamerika........... 407 4.13 Intertextualität (Märchen, Trivialliteratur) 304 5.9.6 J apan .......................... 410 4.14 Natur................................ 309 5.10 Literaturgeschichte .................... 412 4.15 Großstadt............................ 315 5.11 Forschungsgeschichte.................. 417 4.16 Dichterporträts ....................... 317 Auswahlbibliographie ................. 427 4.17 Tiere ................................ 321 6 A nhang............................ 431 4.18 Dinge................................ 324 6.1 Siglen, Ausgaben, Hilfsmittel............ 431 4.19 Büro (Der ewige Angestellte)............ 328 6.2 Personenregister ...................... 435 4.20 Frauenbilder.......................... 330 6.3 Werkregister.......................... 445 4.21 Masochismus......................... 332 6.4 Autorinnen und Autoren............... 454 4.22 Kindheit, Naivität, Dilettantismus ....... 337 6.5 Bildnachweis ......................... 456 4.23 Wissen, Nicht-Wissen, Dummheit....... 340 VII Vorwort »Wer mich liest, und wie man mich liest, kümmert So wechselhaft die Rezeption Walsers war und so mich nicht« (SW 18, 192), stellt Robert Walser in ei- sehr sich der Blick auf seine Texte gewandelt hat, ist nem seiner letzten Texte fest. Heute, da Walser als doch eine gewisse Konstanz des Autorbilds (bei zu- Klassiker der Literatur der Moderne anerkannt ist nehmender Reichweite) festzustellen. Ohne per se und international geschätzt wird, gesteht man ihm ein neues Walser-Bild vorschlagen zu wollen, sucht diese Unbekümmertheit fraglos zu. Erstaunlich er- das Handbuch, die Voraussetzungen für eine Neube- scheint rückblickend eher die doppelt verzögerte Re- wertung zu liefern, indem es die Grundlagen dieses zeption seines Werks: Zum einen hatte Walser bei Autorbilds gebündelt zugänglich macht. seinem Tod 1956 das Schreiben seit mehr als zwanzig Jahren aufgegeben und musste als Autor ›wiederent- Das Handbuch ist in sechs Kapitel gegliedert. Kapi- deckt‹ werden; zum andern konnte er durch die Er- tel 1 (Leben) versammelt die für die Auseinanderset- schließung und Veröffentlichung eines enorm um- zung mit Walsers Werk relevanten biographischen fangreichen nachgelassenen Werks, insbesondere Informationen. Nach einer problemorientierten Ex- der enigmatischen Mikrogrammtexte, seit den position zu Facetten der sogenannten ›Einheit von 1970er Jahren ›neu entdeckt‹ werden. Leben und Werk‹ und des ›Biographischen‹ bei Wal- Dass sich nun erstmals ein Handbuch Robert ser wird versucht, die biographischen Grunddaten Walser, einem der eigenwilligsten Autoren der Mo- gleichsam von drei Seiten möglichst leicht zugäng- derne, widmet, ist Ausdruck und selbst Teil der ge- lich zu machen: zeitlich (Zeittafel), räumlich (Wohn- nannten Kanonisierung. Aber obwohl Walser längst adressen) und genealogisch (Familie). zum bekanntesten Geheimtipp der deutschsprachi- Kapitel 2 (Kontexte) fokussiert die für die Genese, gen Literatur geworden ist, pflegt und verteidigt je- Distribution und Rezeption von Walsers Werk wich- der Lesende und jede Lesende ›seinen‹ bzw. ›ihren‹ tigsten Agenten des Literaturbetriebs der Zeit (Per- Walser. Dennoch entziehen sich seine Texte jeder sonen, Orte, Institutionen, Medien etc.) und verortet Vereinnahmung: »Robert Walser schlägt einem von dieses innerhalb der literaturgeschichtlichen Tradi- Mal zu Mal die Instrumente kaputt, mit denen man tionen. ihn erklären will« (Martin Walser). Es geht von die- In Kapitel 3 (Werke) werden die einzelnen Werke sen Texten gerade deshalb eine ungebrochene Faszi- vorgestellt. Die jeweiligen Artikel beinhalten Anga- nation aus, weil sie einen unmittelbar ansprechen ben zur Entstehung, Überlieferung und Rezeption, und zugleich die unterschiedlichsten Lesarten zulas- eine knappe Werkanalyse, in der die zentralen The- sen. Diesem ›Erwartungshorizont‹ versucht das Wal- men und die wichtigsten Darstellungsverfahren um- ser-Handbuch durch Vielstimmigkeit und eine inter- rissen werden, sowie einen Überblick über Aspekte nationale Zusammensetzung der Autorinnen und der Deutung und Tendenzen der Forschung. Das Autoren Rechnung zu tragen. Außerdem haben die Werk wird zunächst chronologisch nach Walsers Forschungen der letzten Jahrzehnte gezeigt, dass Aufenthaltsorten in Werkphasen eingeteilt und in- Walser als solitäre Figur nicht einfach ›außerhalb‹ nerhalb dieser Phasen nach Überlieferungstypen seiner Zeit steht und daher eine genaue Kenntnis der (Buchpublikation; unselbständige Publikation; Nach- Kontexte des Werks einen ›unvoreingenommenen‹ lass) und Gattungen angeordnet. Zugang eröffnet. In Kapitel 4 (Themen) werden ausgewählte über- Das vorliegende Handbuch vermittelt Grundla- geordnete Aspekte von Walsers Werk und dessen Er- gen informationen zu Leben, Werk und Wirkung forschung behandelt. Die einzelnen Artikel widmen Walsers gemäß dem aktuellen Wissensstand und im sich Formen der Darstellung, Aspekten der Mediali- Dialog mit den Erkenntnissen der Forschung. Es soll tät und inhaltlichen Schwerpunkten vor dem Hinter- Walser-Leserinnen und Walser-Lesern einen Über- grund der aktuellen textphilologischen, literatur- blick über die wesentlichen Aspekte der einzelnen und kulturwissenschaftlichen Ansätze. Themen bzw. Texte bieten, aber auch weiterführende Kapitel 5 (Wirkung) zeichnet die wichtigsten Ten- Perspektiven für künftige Forschungen eröffnen. denzen der Wirkungsgeschichte nach. Das Hauptge- VIII Vorwort wicht liegt dabei auf der materialen Überlieferung, Barbara von Reibnitz, Kerstin Gräfin von Schwerin, der Walser-Rezeption in den verschiedenen Küns- Reto Sorg, Peter Utz, Karl Wagner und Christine We- ten, der internationalen Wirkung in ausgewählten der begleitet. Zu großem Dank bin ich den Autorin- Sprachräumen sowie den literatur- und forschungs- nen und Autoren verpflichtet, die keinen Aufwand geschichtlichen Entwicklungen. gescheut haben, um das Walser-Wissen zu sammeln, Kapitel 6 (Anhang) dient der leichteren Benutzung aufzubereiten und in konzentrierter Form zu vermit- des Handbuchs und umfasst Hinweise zu Siglen, teln. Ganz besonders danke ich Lukas Gloor, Julia Ausgaben und Hilfsmitteln, ein Personen- und ein Maas und Franziska Zihlmann für die Unterstützung Werkregister sowie ein Verzeichnis der Autorinnen bei der redaktionellen Bearbeitung der Artikel und und Autoren. bei der Erstellung der Register. Die Durchführung des Projekts im Robert Wal- Ein Projekt mit den genannten Zielsetzungen kann ser-Zentrum Bern wurde durch die großzügige Un- nur als Gemeinschaftswerk realisiert werden. Allen terstützung der Stiftung Pro Scientia et Arte, der Personen und Institutionen, die dazu beigetragen Ruth & Arthur Scherbarth Stiftung und der Susann haben, sei hiermit sehr herzlich gedankt. Das Hand- Häusler-Stiftung ermöglicht. buch wurde im Auftrag der Robert Walser-Stiftung Bern erarbeitet. Oliver Schütze vom Verlag J. B. Bern, im Juli 2015 Metzler hat das Projekt angeregt und kompetent be- Lucas Marco Gisi treut. Die Konzeption haben Wolfram Groddeck, IX Hinweise zur Benutzung Aufbau der Artikel Zitierweise, Literaturnachweise Die Artikel des Handbuchs behandeln Einzelwerke Robert Walsers Werke werden nach den neusten ab- oder Aspekte der Biographie, des Werks, des Kon- geschlossen vorliegenden Werkausgaben SW und texts oder der Wirkungsgeschichte. Dabei wurde da- AdB zitiert (s. Kap. 6.1). Im Fall erwähnter, aber nicht rauf geachtet, dass die einzelnen Artikel für sich gele- zitierter Einzeltexte finden sich die Nachweise nach sen werden können (weshalb auch gelegentlich den wichtigsten Ausgaben (SW; AdB; Feuer; KWA) Überschneidungen in Kauf genommen wurden). Für im Werkregister. Zitate folgen dem originalen Wort- Bezüge zwischen den Artikeln, die sich nicht über laut, Hervorhebungen im Original sind durch Kursi- das Inhaltsverzeichnis und die Register ergeben, vierung, Eingriffe der Verfasserin bzw. des Verfassers wurden sparsam Querverweise gesetzt (s. Kap. x.y). durch eckige Klammern gekennzeichnet. Im Aufbau folgen die Artikel einem Grund- Der Nachweis von Primär- und Sekundärliteratur, schema, das jedoch den Eigenheiten des jeweiligen die zitiert oder auf die verwiesen (vgl.) wird, erfolgt Gegenstands angepasst wird. Die Artikel zu einzelnen im Lauftext durch Kurzverweise in Klammer: (Name Werken Walsers bieten erstens Grundinformationen Jahr, ggf. Seitenzahl) bzw. (Sigle, ggf. Seitenzahl). Die zur Entstehung, Überlieferung und zeitgenössischen vollständigen bibliographischen Angaben finden Wirkung, zweitens eine analytische Durchdringung sich im Literaturverzeichnis am Schluss der einzel- des Inhalts, drittens ausgewählte Deutungsaspekte nen Artikel. Im Fall der Werkausgaben und der häu- und Positionen der Forschung. Dieses Grundschema fig zitierten Sekundärliteratur erfolgt der Nachweis wird je nach überlieferungs- und forschungsge- anhand von Siglen, die über das Verzeichnis im An- schichtlicher Ausgangslage für das jeweilige Werk hang (s. Kap. 6.1) aufgelöst werden. In runden Klam- modifiziert. Die Artikel zu allgemeineren Aspekten mern wird die Erstausgabe in Originalsprache bzw. (Kontexte; Themen; Wirkung) orientieren sich an bei Übersetzungen die deutschsprachige Original- folgendem Grundschema: Exposition des Themas, ausgabe angegeben. Darstellung der Hauptaspekte in systematischer oder Die Literaturverzeichnisse der Artikel enthalten chronologischer Ordnung, Diskussion von For- die verwendete Literatur sowie gegebenenfalls ausge- schungspositionen. wählte weiterführende Literatur. Bei den Artikeln zu den einzelnen Werken (Kap. 3) sind am Ende zudem die wichtigsten Ausgaben aufgeführt. Auf eine Ge- samtbibliographie wurde verzichtet; die wichtigsten Werkausgaben, bio- und bibliographischen Hilfs- mittel und Forschungsarbeiten sind in der Auswahl- bibliographie zur Forschungsgeschichte (s. Kap. 5.11) und im Siglenverzeichnis (s. Kap. 6.1) zusam- mengestellt. 1 1 Leben 1.1 ›Leben und Werk‹ Verständnis für die Texte eröffnet und befördert, sich deren Literarizität also am Spiel von Identität und Abweichung bemisst (vgl. Echte 1994). Im zweiten Das Ineinandergreifen von Leben Fall geht man davon aus, dass dieses Spiel die Tren- und Werk nung von Biographie und Text mit den Mitteln der Ironie aufhebt, das Behauptete somit zugleich zutrifft Robert Walser ist in seinem Werk in geradezu para- und nicht zutrifft. Die Literarizität besteht in dieser doxer Weise gleichzeitig äußerst präsent und voll- Sicht gerade darin, dass es keine (Beobachter-)Posi- kommen verborgen. Dass Leben und Werk in sei- tion außerhalb des Spiegelkabinetts gibt. Wir hätten nem Fall derart ineinander zu greifen scheinen, ist es also mit »Ich-Inszenierungen im strengen Sinn nicht bloß die Folge einer Rezeptionshaltung, die des Worts« zu tun, die »gerade nicht Repräsentatio- Texte und Biographie kurzschließt, sondern selbst nen eines Selbst« sind (Kammer 2001, 230). ›Walser‹ Effekt eines spezifischen Darstellungsverfahrens. wäre somit eine »fast fiktive, aus mehreren Geschich- Dies äußert sich vor allem darin, dass dieser Bezug – ten zusammengesetzte Person« (Sauvat 1989/1993, mal affirmativ, mal abwehrend – in Walsers Texten 7). Wendet man diese an den Texten gemachte Fest- selbst ständig thematisch wird. stellung wiederum auf den Autor selbst an, so kann Auf der einen Seite scheint Walser in seinen Ro- man ihn – mit den Worten des Namensvetters Mar- manen ebenso wie in den unveröffentlichten Mikro- tin Walser – zu den Dichtern rechnen, »bei denen es grammen viel Selbsterlebtes und -beobachtetes zu schwerfällt, sich vorzustellen, daß sie wirklich gelebt verarbeiten und gerade aus seinen Feuilleton-Texten haben« (M. Walser 1963/1965, 153). relativ unmittelbar zu ›sprechen‹. Der Literaturkriti- Die beiden Herangehensweisen kommen darin ker Eduard Korrodi stellte bereits 1925 fest: »der überein, dass der von Walser behauptete »Lebenspa- Dichter Robert Walser schreibt am liebsten über rallelismus« (SW 20, 426) zwischen Erleben und sich. Die Ab- und Reinschrift seines bessern Selbst.« Schreiben nicht ein mimetisches Verhältnis meint, (Korrodi 1925) Auf der anderen Seite tritt ›Walser‹ sondern in einer spielerischen Unentscheidbarkeit, gerade durch seine Auftritte als ich-bewusste Figuren einer Gleichzeitigkeit von Präsenz und Absenz, be- hinter solchen Rollen und Masken zurück. Anstelle steht. Diese Ambivalenz von Verbergen und Enthül- von Walsers Ich zieht ein »unaufhörlich sich fortset- len ›hebt‹ Walser auf, ohne sie aufzulösen, wenn er an zende[r] Maskenzug[] zum Zweck der autobiogra- anderer Stelle schreibt: »Ich bin immer bestrebt, et- phischen Mystifikation« an einen vorbei (Sebald was zu scheinen, was ich nicht bin, und man sieht 1998, 148). Walsers Texte oszillieren somit beständig mir das an.« (AdB 2, 471 f.) In diesem Sinn ist es auch »zwischen einem Sich-Verbergen und einem Sich- zu verstehen, wenn Walser ebenfalls in der Berner Offenbaren«, zwischen »Fiktion und Autobiogra- Zeit schreibt, dass er sich in »eine mit zahlreichen phie« (Echte 1994, 36), wofür sich in den letzten Geöffnetheiten versehene Verschlossenheit« ein- J ahren der Begriff der ›Autofiktion‹ eingebürgert hat hülle (AdB 5, 253). (s. Kap. 4.1). Wenn Walser bei der entsprechenden Walser reflektiert aber durchaus auch Abhängig- Letter in seinem Alphabet von 1921 vermerkt: »I. keitsverhältnisse in die entgegengesetzte Richtung, überspringe ich, denn das bin ich selbst« (SW 17, d. h. dass die Literatur ins Leben hineinreicht und 192), dann bringt er diese paradoxe Ausgangslage, dieses bestimmt, etwa wenn in Diener und Dame dass seine Biographie zugleich Zentrum und Leer- Ersterer gegenüber Letzterer behauptet: »Im übrigen stelle seines Werks ist, auf den Punkt. benehme ich mich gern anders, als wie es Bücher er- Dieses autofiktionale Darstellungsverfahren eröff- warten lassen« (AdB 1, 62), oder wenn im Theo- net dem Lesenden grundsätzlich zwei Herangehens- dor-Fragment ein Schriftsteller ein Verhältnis mit ei- weisen: Im ersten Fall geht man davon aus, dass Wal- ner Frau einzugehen wünscht, um einen Roman sers Biographie sich in seinem Werk spiegelt und da- schreiben zu können (vgl. SW 17, 351 f.). her ein Vergleich mit dokumentarischen Quellen ein Allen quellenkritischen und dekonstruktivisti-

Description:
Robert Walser gilt heute als einer der wichtigsten Prosa-Autoren des 20. Jahrhunderts. Obwohl er mit seinen Romanen »Geschwister Tanner«, »Der Gehülfe« und »Jakob von Gunten« in Literatenkreisen früh eine gewisse Bekanntheit erwarb, bewegte sich Walser Zeit seines Lebens an den Rändern der
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