Udo Bermbach Richard Wagner in Deutschland Rezeption – Verfälschungen Verlag J. B. Metzler Stuttgart / Weimar Umschlagabbildung: Richard-Wagner-Denkmal im Liebethaler Grund (Sächsische Schweiz) von Richard Guhr (Entwurf 1911/12, Enthüllung 1933), © Nationalarchiv der Richard-Wagner-Stiftung, Bayreuth Bibliografi sche Information der Deutschen Nationalbibliothek Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografi e; detaillierte bibliografi sche Daten sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar. ISBN 978-3-476-01884-7 ISBN 978-3-476-05295-7 (eBook) DOI 10.1007/978-3-476-05295-7 Dieses Werk einschließlich aller seiner Teile ist urheberrechtlich geschützt. Jede Verwertung außerhalb der engen Grenzen des Urheberrechtsgesetzes ist ohne Zustimmung des Verlages unzulässig und strafbar. Das gilt insbesondere für Vervielfältigungen, Übersetzungen, Mikrover- fi lmungen und die Einspeicherung und Verarbeitung in elektronischen Systemen. © 2011 Springer-Verlag GmbH Deutschland Ursprünglich erschienen bei J.B. Metzler’sche Verlagsbuchhandlung und Carl Ernst Poeschel V erlag GmbH in Stuttgart 2011 www.metzlerverlag.de [email protected] »Man wirft so einen Gedanken hin … die machen daraus eine unveräußerliche, feste Sache, nun haben wir’s.« Richard Wagner zu Cosima 17. Januar 1883 Vorwort Jahr für Jahr erscheinen zu Richard Wagner neue Arbeiten. Neben Biographien, Familiengeschichten, Werkinterpretationen gibt es Darstellungen zu den politischen Verstrickungen Wahnfrieds, und gelegentlich wendet sich die Aufmerksamkeit sogar den theoretischen Schriften Wagners zu. Angesichts dieser Flut von Wagner-Literatur könnte man meinen, es gäbe kaum mehr Neues zu sagen – doch dem ist keineswegs so. Wer die seriöse Literatur kennt, weiß, dass vor allem die Rezeptionsgeschichte seines politisch-ästhetischen Denkens noch längst nicht aufgearbeitet ist, dass die Landkarte seines Erbes und seiner Wirkungen noch voller weißer Flecken ist, die darauf warten, endlich eingefärbt zu werden. Die hier vorgelegten Studien wollen dazu beitragen, diese Defi zite zu mildern. Sie arbeiten zentrale Themen der Bayreuther Weltanschauung auf, die nach Wagners Tod von Bayreuth aus weit in die deutsche Gesellschaft und Politik hineingewirkt und das Selbstverständnis großer Teile der deutschen Nation über Jahrzehnte ent- scheidend mitgeprägt haben. Sie verfolgen einen Prozess sich wandelnder Deutungen und Interpretationen von Wagners Denken, der ihn und sein Erbe kontinuierlich dem konservativen, völkisch-nationalen, später dem rechten und rechtsradikalen Diskurs eingegliedert und diese Einvernahme als natürliche Folge seiner Absichten ausgegeben hat. Sie zeigen, wie das allmähliche Verschieben und Umakzentuieren der Inhalte von Begriffen und Vorstellungen durch selektives Herausnehmen wie Konzentration auf Einzelaspekte das Gesamtwerk des Bayreuther Komponisten ideologisch neu einjustierte, und wie solche Neubestimmung dann am Ende als die eigentlich ›wahre‹, als die schon immer ›richtige‹ ausgegeben wurde, um auf diese Weise die gesellschaftliche und politische Funktionalisierung Wagners innerhalb eines rechten bis rechtsradikalen Politik-, Gesellschafts- und Kulturmilieus zu ermöglichen. Um diesen über die Jahrzehnte verlaufenden Prozess genauer nachzeichnen zu können, werden in diesem Buch erstmals alle sechzig Jahrgänge der Bayreuther Blätter gründlich ausgewertet und die einschlägigen Publikationen von Autoren des engeren und weiteren Bayreuther Kreises wie seiner Sympathisanten in diese Auswertung miteinbezogen. Der zeitliche Schwerpunkt liegt dabei zwischen den Jahren von Wagners Tod 1883 bis zum Ende des Dritten Reiches, aber manches geht darüber hinaus und zeigt Kontinuitätslinien, die auf den ersten Blick so nicht zu erwarten sind. Gleich der Blick auf die ersten gewichtigen Biographien zu Wagner macht deut- lich, wie sein Bild zurechtgerückt worden ist: Verdrängung seiner linken, revolutionä- ren Vergangenheit und der daraus folgenden Intentionen, stattdessen Konzentration auf ein Kunstverständnis, das sich den Bayreuther Vorstellungen einpassen ließ. Gewiss war Wagner an solchen Entwicklungen nicht gänzlich unbeteiligt. Sein Denken wie sein Verhalten schufen oft genug jene Ambivalenzen, an die seine Erbe-Verwalter in ihrem eigenen Sinne anknüpfen konnten, nicht immer plump korrigierend oder VIII Vorwort verfälschend, wohl aber entschieden in eine Richtung weisend, die Wagner selbst wohl kaum einschränkungslos gefallen hätte. Dabei kommt ein Muster zum Vorschein, das über Jahre die Selbstauslegungen der Bayreuther Erbe-Verwalter bestimmen sollte: Die Werke des ›Meisters‹ wurden aus ihren gesellschaftlichen und politischen Entstehungskontexten herausgelöst, sie galten als Kunst, als lebensanleitende Kunst natürlich, vor allem aber als urdeutsche Kunst, mit nationalen und nationalistischen Konsequenzen, die Bayreuth in konkreten Schlüssen publizierte. ›Regeneration‹ nannte man das, was Wagner selbst noch in seinen Spätschriften entworfen hatte und was nun politisch einseitig ausgezogen wurde, vielfältige Anstrengungen zur Rückbesinnung auf vermeintlich unbeschädigte deutsche Werte, insgesamt ein normativer Kanon, in dem sich modernitäts- und zivilisationskritische Vorurteile und Vorbehalte mit manchen richtigen Einsichten mischten. Das lief aus Bayreuther Sicht auf eine Gesellschaft hinaus, die moderne Entwicklungen und die Folgen von Modernitätsschüben in ihren politischen, gesellschaftl ichen, kulturellen, teil- weise auch wirtschaftlichen Konsequenzen abfangen oder gar rückgängig machen sollte – Perspektiven, die allerdings auch unter den maßgeblichen Mitgliedern des Bayreuther Kreises nicht unumstritten waren. Was alle gemeinsam teilten, fand sich im Bayreuther Gedanken wieder als ein umfassendes weltanschauliches Konzept, ver- meintlich von Wagner entworfen und alles strukturierend, worauf es sich beziehen ließ: vom ›arischen Christentum‹ eines deutsch-nationalen Protestantismus bis hin zur Neugründung eines eigenen, antisemitisch-germanischen Staates in Paraguay, Nueva Germania, jener ultrakonservativen Utopie, die von Bayreuth ausdrücklich gebilligt und unterstützt wurde und die am Ende freilich, wie nicht anders zu er- warten war, kläglich scheiterte. Über die Jahre schwankte Bayreuth zwischen dem eigenen radikalen Kunstan- spruch und der Notwendigkeit, sich politisch zu positionieren. Das zeigt sich in vielen der hier vorgelegten Studien, in denen diese ambivalente Haltung deutlich wird. So etwa zu Beginn des Ersten Weltkriegs, als die wichtigsten Repräsentanten Bayreuths, Chamberlain und Wolzogen, alles andere als kriegsfreudig auftraten, den Ausbruch des Weltkriegs eher als Katastrophe für die Weltgeltung der deutschen Kultur empfanden, zugleich aber doch meinten, der nun beginnende, den Deutschen aufgezwungene Kampf müsse mit allen Mitteln siegreich geführt werden, um eben dieser deutschen Kultur willen und überdies überlegten, welche neue politische Verfassung sich das Deutsche Reich nach einem siegreich beendeten Krieg geben solle. Deutlich wurde hier, dass im Bayreuther Kunst-Anspruch stets das Politische impliziert war. Politik sollte, auch das machen die nachfolgenden Studien klar, nach den Vorstellungen Bayreuths so ausgerichtet sein, dass sie den ästhetischen Intentionen Wahnfrieds entgegenkommen, sie schützen und stützen konnte. Letzteres schien dann ab 1933 der Fall, als Bayreuth mit dem Dritten Reich zu- sammenkam und das eine im anderen seine Erfüllung fand. Erstmals glaubte Bayreuth sich in einem Staat aufgehoben, der die Pfl ege des eigenen Kunst- und Kulturver- ständnisses zu seiner vordringlichen politischen Aufgabe erklärt hatte. Erstmals gab es einen Kanzler, der Wagner als sein einziges Vorbild anerkannte und Bayreuth zu Vorwort IX fördern versprach, wo immer er konnte. Bayreuth und das Dritte Reich wird in diesem Buch unter einigen speziellen Aspekten thematisiert, welche die bisherige Diskussion übergreifen. Deutlich wird dabei, wie die nationalsozialistische Verein nah- mung in Bayreuth selbst über lange Jahre vorbereitet worden ist, durch inhaltliche Uminterpretationen, Kontextdestruktion und Herauslösen einzelner Aspekte von Wagners Werk und Denken aus dem einer sehr anderen politisch-gesellschaftlichen Ursprungsintention verpfl ichteten Ganzen. Das alles wirkte lange nach, auch über das Kriegsende von 1945 hinaus. Da wurde dann vieles erneut revidiert und der neuen Zeit angepasst, Wagner nun immanent und antik-europäisch gelesen, aber all das geschah erstaunlicherweise gerade durch jene Autoren, die zuvor, während des Drit- ten Reiches, an der NS-Zurichtung Wagners entscheidenden Anteil gehabt hatten. Dass Bayreuth stets auch Seismograph der deutschen Entwicklung gewesen ist, zeigt sich in den hier vorgelegten Studien immer wieder: während des Kaiserreiches in partieller politischer Zustimmung, aber zugleich in scharfer kultureller Opposi- tion; während der Weimarer Republik in scharfem Gegensatz zu beidem, zu Politik wie Kultur; während des Dritten Reiches in fast symbiotischer Übereinstimmung hinsichtlich der Politik wie der Kultur; und nach dem Krieg als Refl ex und Pro- jektionsfl äche all jener immensen Belastungen, die durch das Dritte Reich den Deutschen auf unabsehbare Zeiten aufgeladen worden sind. Erst spät, erst Mitte der siebziger Jahre, gelang der Durchbruch zu einem neuen Bayreuth, auch zu einem neuen und – wie man hinzufügen muss – historisch zutreffenderen Werkverständ- nis, in dessen Folge die Biographie des Komponisten, sein musikdramatisches Werk und die Essays in all ihren Widersprüchen neue Bewertungen erfuhren und nun in ihr Recht gesetzt wurden, auch wenn die Diskussion darum noch längst nicht abgeschlossen ist, vermutlich nie abzuschließen sein wird. Und doch war das neue Bayreuth nach dem Jahrhundert-Ring von 1976 endgültig in der deutschen Demo- kratie angekommen – seither verlaufen die politische und ästhetische Entwicklung weithin synchron mit dem, was sich in Deutschland insgesamt entwickelt hat: der einstmals hypertrophe Kunstanspruch ist aufgegeben, zurückgenommen auf den Ehrgeiz, ästhetisch maßstabsetzende Aufführungen von Wagners Werken in Bayreuth zustande zu bringen; politische Mitsprachewünsche, und seien sie auch nur subku- tan formuliert, sind verschwunden. Bayreuth präsentiert heutzutage Festspiele wie andere Städte und Stätten auch, und es steht zu hoffen, dass es dabei bleiben wird. *** Dieses Buch ist der dritte und letzte Band meiner Wagner-Trilogie. 2003 erschien zunächst Blühendes Leid. Politik und Gesellschaft in Richard Wagners Musikdramen, eine politologisch-ideenhistorische Interpretation von Wagners Bühnenwerken; 2005 folgte Der Wahn des Gesamtkunstwerks. Richard Wagners politisch-ästhet i sche Utopie, eine Studie, in der die ideenhistorischen Wurzeln, das Entstehen und die Struktur von Wagners Konzept des Gesamtkunstwerks nachgezeichnet und Kontinuitätslinien seines ästhetischen wie weltanschaulichen Denkens bis in die letzten Lebensjahre X Vorwort aufgezeigt wurden. Nun schließt der vorliegende Band zur Rezeptionsgeschichte Wagners den ehemals gefassten Plan ab, Wagners Werke, ihre ästhetisch-politische Einbettung in das Festspielkonzept sowie ihre interpretatorische Rezeption und ihre funktionale Anpassung an sich ändernde gesellschaftlich-politische Kontexte aus der Sicht des Ideenhistorikers und Politologen zusammenhängend zu behandeln. Wie immer bin ich zu allererst Doris, meiner Frau, zu tiefem Dank verpfl ichtet; sie hat diese Arbeiten zu meinem Lebensthema stets unterstützt und immer wieder ermuntert, ohne sie wäre auch dieser Band nicht entstanden. Zu danken habe ich auch dem Wissenschaftskolleg zu Berlin, das mir vor nunmehr zehn Jahren viel freie Zeit zum Nachdenken und Arbeiten eingeräumt hat; dort ist der Plan für die nun vorliegende Wagner-Trilogie gefasst worden, wie auch der Entschluss zur Gründung einer Wagner-Zeitschrift – wag ner spectrum –, die seit 2005 erscheint. Und nicht zuletzt möchte ich all jenen Kollegen und Freunden herzlich danken, die mir in vielen anregenden Gesprächen, auf Tagungen und in alltäglicher Kommunikation nützliche Hinweise gegeben haben. Widmen möchte ich dieses Buch meinen beiden Enkelinnen Leonie und Na- thalie. Sie kennen bereits Wagners Musikdramen, sind davon fasziniert und werden vielleicht später, wenn sie erwachsen sind, dieses Buch einmal lesen, um daraus dann hoffentlich zu ersehen, wohin Ideologien führen können: in kaum vorhersehbare Fehlentwicklungen, deren Ergebnisse historisch nur schwer wieder abzutragen sind. Hamburg, im Frühjahr 2011 Udo Bermbach Inhalt Vorwort ............................................................................................................. VII Revolutionskünstler oder Kunstrevolutionär? ................................ 1 Der Revolutionär Wagner im Spiegel einiger seiner Biographen Die ersten Biographien 3; Biographien in der Kiellinie 20; Wagner als Wegbereiter des Nationalsozialismus 31; Biographischer Neuanfang? 37; Wiederbelebungen des Totgeglaubten 55 Bayreuth und die Moderne ........................................................... 67 Kultur, Gesellschaft und Politik in den Bayreuther Blättern Deutsche Kultur versus Politik 67; Bayreuther Sprachkritik 79; Verfall deutscher Kul- tur 85; Bayreuth im Ersten Weltkrieg 99; Arisches Christentum 106; Deutsche Lite- ratur 108; Schulmodelle 110; Kritik der Politik und der politischen Institutionen 115; Nach dem Ersten Weltkrieg 138; Bayreuth und die ›Machtergreifung‹ 165 Der Bayreuther Gedanke .............................................................. 179 Kulturmission und Regeneration der Menschheit Ursprünge 182; Regeneration und Revolution 186; Regeneration und Philosophie 193; Regeneration und Religion 195; Regeneration und Kunst 199; Regeneration und Ras- se 202; Bayreuth und Draußen 206; Erweiterungen und Ansprüche 210; Der Bayreuther Gedanke am Ziel? 215; Weltanschauung, Bayreuther Gedanke und Musik 217 Bayreuther Theologie .................................................................... 231 Arisches Christentum und deutscher Protestantismus bei Houston Stewart Chamberlain und Hans von Wolzogen Vorbemerkung 231; Chamberlain und Wolzogen 233; Zur Ausgangslage bei Richard Wagner 236; Chamberlains Christentum 242; Chamberlains arischer Jesus 247; Cham- berlains späteres Jesus-Bild 257; Chamberlain im Kontext protestantischer Theolo- gie 267; Wolzogens arisches Deutschchristentum 271; Wolzogens arischer Christus 276; Christentum und Rasse 280; Bayreuther Deutschchristentum 285; Bayreuther Theologie und Bayreuther Gedanke 289 Richard Wagners Weg in den Urwald ............................................ 295 Zu Bernhard Försters Bayreuther Utopie Nueva Germania in Paraguay (1887–1889) Linke und rechte Utopien 295; Der Ort von Nueva Germania 298; Zur Biographie Bernhard Försters 299; Bernhard Försters Bayreuther Ideologie 304; Weltanschauliche Umrisse des Siedlungsexperiments 315; Elemente der neuen institutionellen Ord- nung 321; Das Scheitern 323