Patientorientierte Aligemeinmedizin Band 1 Eckart Sturm Renaissance des Hausarztes Konzept fur eine wissenschaftliche Grundlegung hausarztlicher Tatigkeit und fur eine Wissenschaft vom Patienten Mit 6 Abbildungen Springer-Verlag Berlin Heidelberg New York Tokyo 1983 Professor Dr. med. Eckart Sturm Lehrbeauftragter fur Allgemeinmedizin an der Universitat Gottingen lahnstraBe 3 0-2819 Thedinghausen ISBN-13: 978-3-540-12374-3 e-ISBN-13: 978-3-642-69061-7 DOl: 10/1007/978-3-642-69061-7 CIP-Kurztitelaufnahme der Deutschen Bibliothek Patientorientierte A1lgemeinmedizin. - Berlin; Heidelberg; New York; Tokyo: Springer Bd.1. _ Sturm, Eckart: Renaissance des Hausarztes Sturm, Eckart: Renaissance des Hausarztes : Konzept filr e. wiss. Grundlegung haus~rztl. Tatigkeit u. filr e. Wiss. yom Patienten / Eckart Sturm. -Berlin; Heidelberg; New York; Tokyo: Springer, 1983. (Patientorientierte A1lgemeinmedizin ; Bd. 1) Das Werk ist urheberrechtlich geschiitzt. Die dadurch begriindeten Rechte, insbesondere die der Obersetzung, des Nachdrucks, der Entnahrne von Abbildungen, der Funksendung, der Wiedergabe auf photomechanischem oder ilhnlichem Wege und der Speicherung in Daten verarbeitungsanlagen bleiben, auch bei nur auszugsweiser Verwertung, vorbehalten. Die Vergiitungsanspriiche des § 54 Abs.2 UrhG werden durch die .. Verwertungsgesellschaft Wort", Miinchen, wahrgenommen. ©Springer-VerJag Berlin Heidelberg 1983 Die Wiedergabe von Gebrauchsnamen, Handelsnamen, Warenbezeichnungen usw. in die sem Werk berechtigt auch ohne besondere Kennzeichnung nicht zu der Annahrne, daB sol che Namen im Sinne der Warenzeichen-und Markenschutz-Gesetzgebung als frei zu be trachten wilren und daher von jedermann benutzt werden diirften. Satz und Bindearbeiten: Appl, Wemding; Druck: aprinta, Wemding 2119/3140-543210 Geleitwort Das vorliegende Buch ist auch fur denjenigen, der sich seit Jahren und intensiv mit den Problemen des Allgemein-oder Hausarztes be schaftigt hat, eine Oberraschung: Es hebt vielfach das bisher nur Gespurte und Erfahrene in das helle Licht des BewuBtseins, es zieht nicht nur Bilanz uber arztliches SolI und Haben in der heutigen All gemeinpraxis, sondem folgert daraus konkrete Konsequenzen fUi die Zukunft, es stellt die wissenschaftliche Problematik dieses so al ten ,jungen Fachgebietes" in das Zentrum der notwendigen Weiter entwicklung der modemen Medizin. Sturm hat eine groBartige Leistung vollbracht. Sein Buch wird zum Widerspruch reizen, das sollte es auch. Aber es wird genauso Besinnung, Nachdenken, Selbstkritik und Zustimmung auslosen. Denn es ist weit mehr, als der Autor fordert, namlich "Konzept fUr eine wissenschaftliche Grundlegung hausarztlicher Tatigkeit und fUr eine Wissenschaft yom Patienten". Es ist eine sehr personliche und deshalb auch sehr mutige Diagnose der zentralen Probleme un serer heutigen Medizin in Wissenschaft und Praxis. Diese Diagnose wird umfassend, sogar unter Einbeziehung der Situation in vielen anderen Uindem, gestellt. Sie ist auch insofem eine gute arztliche Diagnose, als sie eine ausreichende Behandlungsgrundlage zur LO sung dieser Probleme ergibt. Ich wiinsche diesem Buch nicht nur eine weite Verbreitung, zahlreiche aufmerksame und nachdenkliche Leser, sondem damber hinaus den Erfolg, an dem sich geistige Leistung immer messen iaBt: die beabsichtigte Veranderung unserer Wirklichkeit im Sinne des Autors. Prof. Dr. med. Siegfried HauBler Zum Geleit Es ist ganz selbstverstandlich, daB die Auseinandersetzung fiber die Aligemeinmedizin durch qualifIzierte Studien zielbewuBt weiterge fUhrt werden muB. In den medizinischen Fakultaten der meisten Lander der westlichen Zivilisation hat soleh eine Diskussion zwi schen den Fachdisziplinen und der Aligemeinmedizin stattgefun den. Mit viel Mfihe haben manche Lander die Allgemeinmedizin "wiederentdeckt" und sind dabei, sie mit groBem Aufwand weiter zuentwickeln. DafUr wird Aufldarung fiber Ziel und Inhalt der AlI gemeinmedizin benotigt. Eckart Sturm hat dazu einen wichtigen Beitrag geleistet. Dieses Buch tragt in mutiger, manchmal aggressiver Weise sehr viel Grundsatzliches zur Auseinandersetzung fiber die Notwendig keit der Aligemeinmedizin bei. Es schildert die Probleme, die die meisten westlichen Lander betreffen. Narurlich sind die Voraus setzungen und die verschiedenen Stadien der wissenschaftlichen Entwicklung der Aligemeinmedizin in diesen Landern stufenweise entweder schon erreicht oder sie befInden sich auf dem Weg dort hin. Die in dies em Buch von Eckart Sturm dargelegten Gedanken und Argumente fUr den notwendigen Autbau der Aligemeinmedi zin konnten zum Wendepunkt fUr die Entwicklung der Ausbildung, Weiterbildung und Fortbildung des Hausarztes werden. Wie immer ist es wichtig sich daran zu erinnern, daB es keine iiberall gliltige, typische Aligemeinpraxis gibt. Die einzelnen Praxen sind unvergleichbar, bedingt durch unendlich viele Faktoren: wie die Fortschritte der Medizin, die Bedfirfnisse der Patienten, die geo graphischen Bedingungen, die Alterszusammensetzung, die Er reichbarkeit der untersrutzenden Facharzte, die sozio-okonomi schen Zustande, die Einstellung zu religiosen Bekenntnissen, die soziale Untersrutzung und das Versicherungssystem. Urn so wertvol ler sind die Prinzipien und Grundsatze, die hier diskutiert werden. Ob man allem zustimmt oder nicht - dieses Buch ist ein wichti ger Beitrag zur Ausbildung zukUnftiger Hausarzte, aber auch zu kUnftiger Facharzte, die ihre Patienten besser behandeln werden, wenn sie wahrend ihrer Weiterbildung einmal Einblick in die AlIge meinmedizin nehmen. Da dieses Buch nicht nur deutsche, sondern auch internationale Quellen berucksichtigt, wird es auch auf die weltweite Entwicklung der Aligemeinmedizin EinfluB nehmen. VIII Zum Geleit Die QualiUit der Versorgung, die der Patient erhalt, hangt sehr weitgehend von der Ausbildung und der Weiter- und Fortbildung des Hausarztes ab, ebenso von der aller Ante. Diese ernsthafte und grundsatzliche Studie von Eckart Sturm kann nur zur Verbesserung der Patientenversorgung beitrag en. E. V. Kuenssberg Prasident des Royal College of General Practitioners (London) 1976-1979; Wolfson Professor 1974 Vorwort Salus aegroti suprema lex. Wer die Entwicklung der Medizin in den letzten 40 Jahren bewuBt rniterlebt hat, ist von ihren Fortschritten und Erfolgen beeindruckt. Die Mehrzahl der Patienten hat Vertrauen zu den Anten und zu den von ihnen angewendeten, wissenschaftlich fundierten Methoden. Jeder heute tatige Arzt ist dankbar, daB er nicht mehr wie friihere Kollegen seinen Patienten mit leeren Handen gegentibersteht, son dem aufgrund der Ergebnisse der wissenschaftlichen Forschung bei den meisten Krankheiten wirksam helfen kann. Der von der Medi zin eingeschlagene Weg scheint richtig und auch fUr die Zukunft er folgversprechend zu sein. Das auBere Merkmal dieses medizinischen Fortschritts ist eine immer starker urn sich greifende Spezialisierung. Wie in allen Berei chen des menschlichen Lebens ist sie auch in der Krankenbehand lung zu beobachten - bedingt durch Wissenszuwachs und Techni sierung. Schritt fUr Schritt ersetzen Spezialisten die friihere Patien tenversorgung durch Hausarzte, da deren Tatigkeit den heutigen Anforderungen nicht mehr zu entsprechen scheint. 1st diese Entwicklung richtig? Mtissen die dadurch entstehen den Nachteile, wie Wegfall der Hausbesuche und Behandlung durch mehrere Ante in Kauf genommen werden? Sollen die Patien ten in Zukunft auf die Behandlung durch ihren personlichen Haus arzt verzichten? Kann ein modemes Gesundheitswesen ohne Haus arzt auskommen? Viele halten diese Fragen fUr liingst erledigt, sie wurden von der Entwicklung beantwortet. Es lohnt nicht, noch einmal dariiber zu reden. Vnd sogar von einer Renaissance des Hausarztes zu spre chen, ist reine Nostalgie. Auch wer so denkt, sollte weiterlesen; denn bei genauerer Ana lyse stellen sich Zweifel ein, ob die Entwicklung der Medizin trotz ihrer Erfolge kritiklos hingenommen werden darf. Das Wohl des Patienten ist oberstes Gebot. 1st es dann richtig, wenn sich die Ante - ebenso wie andere akadernische Dienstlei stungsberufe (Juristen, Padagogen und Politiker) - aus dem Lebens bereich der zu versorgenden Menschen in die Anonymitat von Arz tezentren zuriickziehen? Besteht nicht die Gefahr, daB eine Medizin, die sich fern vom taglichen Leben etabliert, ihre Relevanz fUr die Bevolkerung, ihre Effektivitat und ihren sozialen Charakter verliert? X Vorwort Von jeher war der personliche Hausarzt das Bindeglied zwi schen den gesundheitlichen Belangen der Patienten und den Spe zialdisziplinen. Wird er nicht mehr denn je gebraucht - in einer Welt, die immer unpersonlicher wird, - in einer Zeit, in der die MaBstabe einer gesunden Lebensfuhrung verlorengingen, - in einem Gesundheitssystem, das immer differenzierter und fUr den Patienten schwerer zu durchschauen ist? Wunschen sich die Patienten auch heute noch einen Hausarzt? Hat ein Hausarzt in einem hochentwickelten Versorgungssystem noch sinnvolle Funktionen zu erfullen? MuB nicht wenigstens ver langt werden, daB seine Tiitigkeit auf wissenschaftlichen Grundla gen aufbaut? 1m nachfolgenden ersten Band einer Schriftenreihe Patientorien tierte Allgemeinmedizin solI zu diesen Fragen Stellung genommen und ein neues Konzept fUr den Aufbau einer wissenschaftlichen Aligemeinmedizin vorgelegt werden, das sich an der Personlichkeit des individuellen Patienten in seinen Beziehungen zu Familie und Umwelt orientiert. Nach einer kritischen Bestandsaufnahme der ge genwartigen Entwicklung der Medizin wird begriindet, warum hochentwickelte Gesundheitssysteme einen Hausarzt neuen Stils benotigen. Anknupfend an das Denken und Handeln friiherer Hausarzte wird nachgewiesen, daB Relevanz und Effektivitat arztli cher Entscheidungen steigen, wenn moglichst viele relevante Infor mationen uber den Patienten eingebracht werden und wenn er am HeilungsprozeB aktiv mitwirkt. Es wird skizziert, welche weitgehen den Konsequenzen sich aus dieser Einbeziehung des Patienten erge ben. In weiteren Schriften dieser Reihe solI dargestellt werden, wo die wissenschaftliche Erarbeitung und Erforschung der Aligemein medizin ansetzen und wie das patientorientierte Konzept schon jetzt exemplaris'ch gelehrt und praktiziert werden kann. Geplant sind folgende Einzelbande: Selbsthilfe und Familienhilfe (fUr Laien, Laienhelfer, medizinische Heilberufe und Medizinstudenten der ersten Semester) Die Personlichkeit und Individualitiit des kranken Menschen in Fami lie und Umwelt (fUr Medizinstudenten der mittleren Semester) Der mehrspurige EntscheidungsprozefJ des Hausarztes (fur Medizin studenten der letzten Semester) Das Kompetenzwissen des Hausarztes (fUr Weiterbildungsassisten ten und weiterbildende Ante) Einzelbande zu besonderen Themenbereichen, z. B. Langzeitversor gung chronisch Kranker (fUr niedergelassene Hausarzte) Die in den letzten lahren oft gehorte negative und destruktive Kritik an der Medizin solI hier nicht durch eine weitere Stimme ver- Vorwort XI mehrt werden. Motiv und Ziel der nachfolgenden positiven Kritik sind ganz andere: Ausgangspunkt ist die Bejahung der drei Grundvoraussetzungen unserer modernen Medizin: - der naturwissenschaftlichen Grundlegung, - der spezialisierten Forschung unter Einbeziehung moderner Technologie, - des sozialen Anspruchs der praktischen Medizin bei freier Be rufsausubung. Motivation sind die Uberlegungen eines Hausarztes, wie sich die fUr den Patienten unerwiinschten Nebenwirkungen der Spezialisie rung minimieren oder kompensieren lassen; wie es sich verwirkli chen laBt, daB die Fortschritte der Medizin jedem bedurftigen Pa tienten zugute kommen und wie sich die Zersplitterung der Medizin mit ihren Nachteilen fur die Patienten verhindern laBt. Zielrichtungist die feste Uberzeugung, daB eine patientorientierte Allgemeinmedizin in der Lage ist, einen wesentlichen konstruktiven Beitrag zur Weiterentwicklung der Humanmedizin zu leisten. Dieses Buch wurde v. a. fUr Hausarzte geschrieben, verbunden mit der Bitte, ihre Erfahrungen und ihre Grundeinstellung an die nachfolgende Generation zu vermitteln und beim Aufbau des neuen Lehr- und Forschungsfachs Aligemeinmedizin mitzuwirken. Es richtet sich aber auch an aIle anderen Arzte, die im medizinischen Versorgungssystem zusammenarbeiten, damit sie uber die neuen Aufgaben und spezifischen Leistungen der Hausarzte informiert werden. Diese Schrift wendet sich dariiber hinaus an Hochschullehrer und Gesundheitspolitiker in der Hoffnung, daB sie die neue Ent wicklung nicht nur wohlwollend fordern, sondern mithelfen, sie ak tiv voranzutreiben. Die wichtigste Zielgruppe dieser Schriftenreihe sind jedoch die Studenten und junge Arzte, die das neue patient orientierte Konzept verwirklichen sollen. Der eilige Leser findet vor jedem Kapitel eine Zusammenfas sung, die ihm gestatten mag, die ersten Kapitel und ihm unwichtig erscheinende Details zu uberspringen. Kernsruck dieses Buches sind die Kapitel 6-13, auf die besonders hingewiesen wird. Der Verfasser mochte allen, die er nicht zitieren konnte, die aber im Laufe vieler Jahre bei Begegnungen und Diskussionen durch ihre Gedanken zu den hier wiedergegebenen Einsichten beigetragen haben, an dieser Stelle danken. Vor allem danke ich denen, die bei der Entstehung des Buches mitgeholfen haben, ganz besonders mei ner Frau, die mich in 25 lahren hausarztlicher Tatigkeit bei Tag und Nacht untersrutzt und die Voraussetzungen geschaffen hat, daB die ses Buch neben den Verpflichtungen einer Aligemeinpraxis und ei nes Lehrauftrags geschrieben werden konnte. Es ist ihr gewidmet. Thedinghausen, Sommer 1983 E.Sturm Inhaltsverzeichnis BESTANDSAUFNAHME UND KRITIK 1 Der Hausarzt in der Krise . . . . . . 3 Braucht der Mensch einen Hausarzt? . 4 Existenzkrise durch wissenschaftliche Benachteiligung 7 Erfolglose Wiederbelebung 8 Weltweite Trendwende. . . 9 Renaissance statt Nostalgie 10 Der Hausarzt neuen Stils . 11 2 Das krankheitsorientierte Denken und seine Folgen . 14 Der naturwissenschaftliche Ansatz . . . . . . . 14 Das soziale Anliegen . . . . . . . . . . . . . . . 15 Nebenwirkungen der Entwicklung der Medizin 15 Vngesteuerter Strukturwandel ..... . 15 Suche nach der Vrsache . . . . . . . . . . . . . 17 Was heiBt krankheitsorientiertes Denken? . . . 18 Die Folgen des krankheitsorientierten Denkens 19 Prognose: Desintegration .... . 22 Vnd was sagt der Patient? . . . . . 23 Korrektur der Fehlentwicklungen? 24 3 Suche nach neuen Denk-und Strukturmodellen 25 N eues BewuBtsein . . . . . 25 MiBgliickte Studienreform 26 Neue Denkmodelle .. . . 26 Anforderungen an ein neues Konzept 29 Diskrepanz zwischen Einsicht und Verwirklichung 30 Alternative Strukturmodelle . . . . . . 31 Patientorientierte Versorgungsstruktur 34 LOst der Internist den Hausarzt ab? . . 36 Trendwende? . . . . . . . . . . . . . . 37 Integration von patientorientiertem Denk-und Strukturmodell . . . . . . . . . . . . . . . . . . 37